Riga, eine Stadt in Lettland
Im Januar 1942 wurden mehr als 350 Gelsenkirchner Bürger jüdischer Herkunft in der Ausstellungshalle am Wildenbruchplatz, die von den Nazis auch als "Juden-Sammellager" für die Deportationen genutzt wurde, eingefercht. Aus umliegenden Städten (Recklinghausen, Herne, Haltern u.a. wurden weitere 150 Juden nach Gelsenkirchen gebracht. Mit dem größten Deportations-Transport aus Gelsenkirchen wurden diese Menschen am 27. Januar 1942 nach Riga deportiert. Nur einige wenige der von Gelsenkirchen nach Riga verschleppten Menschen überlebten das Ghetto Riga, dass KZ Kaiserwald (Riga) und die Folgetransporte in andere Mordfabriken der Nazis.
Inhaltsübersicht
→ Rumbula - von Ojars Vacietis
→ Das Ghetto von Riga
→ Ermordung lettischer Juden
→ Rumbula und Salaspils
→ KZ Jungfernhof
→ Notunterkunft
→ Unterbringung
→ Schicksal der Häftlinge
→ Juden aus Deutschland
→ Zwangsarbeit und Selektionen
→ Auflösung KZ Kaiserwald
Das Ghetto von Riga
Nach dem Angriff auf die Sowjetunion 1941 eroberten deutsche Truppen das Gebiet um Riga, die Hauptstadt Lettlands und die größte Stadt des Baltikums. In der Zeit der deutschen Besetzung von 1941 bis 1944 war Riga der Verwaltungssitz des Reichskommissariats Ostland. Auch der Generalkommissar für den Generalbezirk Lettland hatte seinen Sitz in Riga. Die jüdische Bevölkerung, die 1933 noch ca. 44.000 Mitglieder hatte, wurde im Rigaer Ghetto im Zentrum der Stadt interniert, ermordet oder in andere Konzentrationslager verschleppt. Im Stadtbezirk "Kaiserwald" (lett. Mezaparks), im Norden von Riga, befand sich das KZ Riga-Kaiserwald. Zum Stammlager des KZ Riga-Kaiserwald gehörten weitere 19 Außen- oder Zweiglager und Mordstätten in Lettland. Auf dem Gebiet Litauens lag das ebenfalls zum KZ Kaiserwald gehörende Lager Krottingen (lett. Kretinga).
Bild: Denkmal auf den Ruinen der großen Choral-Synagoge in Riga
Kurz nach Einnahme der Stadt durch deutsche Truppen am 1. Juli 1941 kam es zu pogromartigen Übergriffen gegen Juden, bei denen lettische Nationalisten sich hervortaten und diese binnen dreier Monate mehr als 6.000 Personen in Riga und Umgebung töteten. 300 Personen jüdischen Glaubens wurden am 4. Juli 1941 in die "Gogolstrasse-Synagoge" gesperrt, dann wurde die Synagoge von den deutschen Besatzern in Brand gesetzt. Die darin eingesperrten Menschen starben elendig in den Flammen. Das Denkmal wurde in den 1980er Jahren auf den Ruinen der großen Choralsynagoge erichtet. Am 21. Juli beschloss das Wirtschaftskommando Riga, die jüdischen Arbeitskrüfte in einem Ghetto zu konzentrieren. Alle Juden wurden registriert, auch ein Judenrat wurde eingesetzt. Das mit Stacheldraht umzäunte Ghetto entstand in der sogenannten "Moskauer Vorstadt", dort lebten im Oktober 1941 auf engem Raum 30.000 Juden.
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Ermordung lettischer Juden
Im September 1941 hatte Hitler auf Drängen Heydrichs und Goebbels hin die Deportation deutscher Juden nach dem Osten befohlen. Da der ursprünglich geplante Zielort Minsk schon bald keine Verschleppten mehr aufnehmen konnte, wurden weitere Züge nach Riga umgeleitet. Aber auch das Ghetto von Riga war überfüllt und konnte die Deportierten aus Deutschland nicht aufnehmen. Ein erster Transportzug mit 1.053 Berliner Juden erreichte die Bahnstation Skirotava am 30. November 1941. Alle Personen wurden noch am gleichen Tag im Wald von Rumbula bei Riga ermordet. Die nüchsten vier eintreffenden Transporte mit rund 4.000 Personen wurden auf Befehl des SS-Brigadeführers und Befehlshabers der Einsatzgruppe A, Walter Stahlecker, auf einem leerstehenden Gutshof, dem nachmals so genannten Konzentrationslager Jungfernhof, notdürftig untergebracht.
Das Lager in Riga wurde am 30. November 1941 "freigemacht", um für deportierte Juden aus Deutschland Platz zu gewinnen. Die lettischen Juden wurden von der lettischen SS unter Aufsicht der deutschen SS ermordet. Am 30. November wurden etwa 15.000, am 8. und 9. Dezember noch einmal 12.500 Menschen an ausgehobenen Gruben in den nahen Wäldern von Rumbula erschossen. Lediglich Facharbeiter aus den Arbeitskommandos, die im "kleinen Ghetto" festgehalten wurden, überlebten die Mordaktion.
Rumbula und Salaspils
Bild: Gedenkstätte im Wald von Rumbula, Lettland
Der Wald von Rumbula (deutsch auch: Rumbuli) ist ein Kiefernwäldchen auf dem Gebiet der Stadt Riga, Lettland, in dem während des Holocaust 25.000 Juden umgebracht wurden. In nur zwei Tagen, dem 30. November und dem 8. Dezember 1941 wurden 25.000 Juden im Wald von Rumbula und auf dem Weg dorthin ermordet. Von diesen 25.000 waren 24.000 lettische Juden aus dem Rigaer Ghetto, 1.000 waren deutsche Juden, die mit Güterzügen in den Wald gefahren wurden.
Der systematische Massenmord wurde von Nazi-Einsatzgruppen mit der Hilfe des Hilfspolizei-Kommandos von Viktors Arajs und der Unterstützung anderer Polizeieinheiten begangen. Über 23.000 wurden gezwungen, sich trotz des eiskalten Wetters zu entkleiden und wurden aus kurzer Distanz in Gruben, die zu Massengräbern wurden, in den Hinterkopf geschossen. Lediglich zwei Personen überlebten das Massaker. Eine von ihnen, das Müdchen Frieda Fried, nutzte eine Ablenkung, ließ sich in die Grube fallen und stellte sich tot. Sie überlebte den Krieg und schrieb als Frida Michelson später ein Buch mit dem russischen Titel "Ja pereschila Rumbulu - Ich überlebte Rumbula", das später auch ins Englische übersetzt und vom United States Holocaust Memorial Museum veröffentlicht wurde.
Simon Dubnow, ein bekannter jüdischer Historiker, war unter den tausenden am 8. Dezember 1941 Getöteten. Der Hauptverantwortliche und Organisator dieses Massenmordes war SS-Offizier (HSSPF) Friedrich Jeckeln. Er wurde u.a. wegen dieses Verbrechens von einem sowjetischen Kriegsgericht in Riga am 3. Februar 1946 zum Tode verurteilt und noch am selben Tag gehängt.
Wührend des Holocaust wurden 90% der Juden Lettlands in Rumbula, Liepaja (deutsch: Libau) und anderen Orten umgebracht. Als sich der Kriegsverlauf gegen die Deutschen wandte, wurden die Leichen im Wald von Rumbula ausgegraben und verbrannt. Im Laufe der Jahre wurde an diesem Ort eine Reihe von improvisierten Gedächtnistafeln aufgestellt. Im November 2002, 61 Jahre nach den Tötungen, wurde eine profunde Erinnerungsstätte eingerichtet.
In Salaspils befand sich das Polizeigefüngnis und Arbeitsumerziehungslager Salaspils
SS-Sturmbannführer Rudolf Lange, zunächst der Einsatzgruppe A beigeordnet und ab Dezember 1941 Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD, plante im Oktober 1941, in Salaspils eine Polizeihaftstätte und Lager für Juden einzurichten. Der Ort war durch die Eisenbahnverbindung Riga-Daugavpils gut erreichbar; die Häftlinge sollten beim Torfabbau eingesetzt werden. Sümtliche "in Riga und Lettland übriggebliebene Juden" sollten hier konzentriert werden, wobei Männer und Frauen getrennt werden sollten, um "eine weitere Vermehrung zu verhindern". Auch lettische "Arbeitsvertragsbrüchige" und "Arbeitsbummellanten" sollten im Lager "umerzogen" werden.
Erste Transporte mit deutschen Juden, die im Oktober 1941 nach Riga umgeleitet worden waren, konnten noch nicht in Salaspils aufgenommen werden und wurden notdürftig im KZ Jungfernhof untergebracht. Das Lager wurde bis zum Frühjahr 1942 von sowjetischen Kriegsgefangenen und deportierten tschechischen und einigen deutschen Juden des KZ Jungfernhof ausgebaut. Die Pläne änderten sich mehrfach. Anstelle der Juden wurden Schutzhäftlinge und Deportierte aus "Bandengebieten" untergebracht.
Zur Erinnerung an die im Lager Umgekommenen wurde 1967 eine Gedenkstätte errichtet; ein Ausstellungsraum, mehrere Skulpturen und ein Marmorblock, in welchem ein Metronom an den Herzschlag der Toten erinnert und eingemeißelte Striche die Tage des Leidens zählen.
KZ Jungfernhof
Das Konzentrationslager Jungfernhof war ein Lager im Dorf Jumpravmuiza, etwa drei bis vier Kilometer von Riga entfernt nahe der Bahnstation Skirotava. Das Lager bestand von Dezember 1941 bis Mürz 1942 und diente zur behelfsmüßigen Unterbringung für Juden aus Deutschland und österreich, deren Transportzüge ursprünglich Minsk zum Ziel hatten.
Notunterkunft
Auch das neue Ziel, das Ghetto von Riga, war überfüllt und konnte die Deportierten aus Deutschland nicht aufnehmen. Ein erster Transportzug mit 1.053 Berliner Juden erreichte die Bahnstation Skirotava am 30. November 1941. Alle Personen wurden noch am gleichen Tag im Wald von Rumbula bei Riga ermordet. Die nüchsten vier eintreffenden Transporte wurden auf Befehl des SS-Brigadeführers und Befehlshabers der Einsatzgruppe A, Walter Stahlecker, auf dem leerstehenden Gutshof Groß-Jungfernhof an der Düna untergebracht. Ursprünglich sollte in Jungfernhof ein SS-Gutsbetrieb entstehen.
Das im Besitz der SS befindliche Gelände konnte ohne Absprache mit dem Gebietskommissariat sofort genutzt werden und diente nunmehr als Notunterkunft und Zwischenquartier, um Arbeitskräfte zum Aufbau des Lagers Salaspils bereitzustellen. Erst ein sechster Transport, der am 10. Dezember 1941 mit Kölner Juden eintraf, kam im nunmehr "freigemachten" Ghetto Riga unter, nachdem dort zahlreiche einheimische Juden ermordet worden waren.
Plan des Rigaer Ghettos mit den verschiedenen Zonen nach dem 8. Dezember 1941. (Erstellt von Peter Palm, Berlin.) Die Juden aus Gelsenkirchen und Umgebung, die so genannte "Dortmunder Gruppe" war in der Ludzas iela 36 (Nähe Prager Tor) untergebracht.
Unterbringung
Das ehemalige Staatsgut von 200 Hektar Größe war bebaut mit einem Gutshaus, drei großen Scheunen, fünf kleinen Baracken und verschiedenen Viehställen. Die teils baufülligen und meist unbeheizbaren Gebäude waren für die Aufnahme mehrerer tausend Menschen ungeeignet. Es gab keine Wachtürme oder durchgehende Umzäunung, sondern eine mobile Postenkette von zehn bis fünfzehn lettischen Hilfspolizisten unter dem deutschen Kommandanten Rudolf Seck.
Im Dezember 1941 wurden mit vier Zügen insgesamt 3984 Menschen nach Jungfernhof gebracht, darunter 136 Kinder bis zu zehn Jahren und 766 Personen im Rentenalter. 1013 Juden aus Württemberg wurden am 1. Dezember 1941 von Stuttgart aus in das Lager verschleppt. Weitere 964, die am 6. Dezember 1941 deportiert wurden, stammten aus Hamburg, und Lübeck, hier waren es 90 noch in der Stadt lebende Juden und anderen Gemeinden in Schleswig-Holstein. Weitere Transporte kamen aus Nürnberg mit 1008 Personen und Wien mit 1001 Personen.
Schicksal der Häftlinge
Rund 800 der Gefangenen starben im Winter 1941/42 an Hunger, Kälte, Typhus und anderen Krankheiten. Die Behauptung einer Zeitzeugin, dort seien auch Gaswagen zum Einsatz gekommen, ist nicht weiter belegt und gilt als unwahrscheinlich. Im Mürz 1942 wurde das Lager aufgelöst. Unter einem Vorwand, sie kämen in ein tatsächlich nicht existierendes Lager in Dünamünde, wo es bessere Unterkünfte und Arbeitsmöglichkeit in einer Konservenfabrik gäbe, wurden zwischen 1600 und 1700 Insassen mit Lastwagen in den Hochwald Bikernieki gebracht. Dort wurden sie (wie zuvor schon Juden aus dem Ghetto von Riga) am 26. März 1942 erschossen und in Massengräbern verscharrt. Viktor Marx aus Württemberg, dessen Mutter Marga und Schwester Ruth erschossen wurden, berichtete:
"Im Lager wurde uns gesagt, dass alle Frauen und Kinder vom Jungfernhof wegkämen, und zwar nach Dünamünde. Dort seien Krankenhäuser, Schulen und massiv gebaute Steinhäuser, wo sie wohnen könnten. Ich bat den Kommandanten, auch mich nach Dünamünde zu verschicken, was er jedoch ablehnte, weil ich ein zu guter Arbeiter sei."
Erschossen wurde auch der Lagerälteste Max Kleemann (*1887), ein Kriegsteilnehmer des Ersten Weltkriegs, der mit seiner Tochter Lore aus Würzburg verschleppt worden war.
450 Insassen wurden zurückbehalten und einem Arbeitskommando zugeteilt. Sie sollten die Spuren des Lagers verwischen und wieder als Bauernhof tarnen. Dieses Arbeitskommando bestand noch ein Jahr. Wer überlebte, wurde dem Rigaer Ghetto zugeführt, das bis November 1943 bestand. Zu den ermordeten Insassen des Konzentrationslagers gehören die Eltern des Rabbiners und Lübecker Ehrenbürgers Felix F. Carlebach, seine Schwägerin Resi Carlebach (geborene Graupe) sowie sein Onkel, der Rabbiner Joseph Carlebach (*1883) mit Frau Charlotte (geborene Preuss) (*1900), und deren drei jüngste Kinder Ruth (*1926), Noemi (*1927) und Sara (*1928). Sie wurden am 26. Mürz 1942 im Bikernieki-Wald erschossen. Der Bankier Simson Carlebach, der Bruder des Rabbiners Joseph Carlebach, war schon früher auf dem Weg ins Lager sterbend zusammengebrochen.[9] Der zweitälteste Sohn der insgesamt neun Kinder von Joseph Carlebach, Salomon (Shlomo Peter) Carlebach (*17. August 1925), überlebte, weil er dem Arbeitskommando zugeteilt worden war. Er wurde später Rabbiner in New York.
Salomon Carlebach berichtete 1994 in einem Interview über den Augenblick, an dem er seinen Vater zum letzten Mal sah: "Ich weiß, dass mein seliger Vater in diesem Moment wusste, dass die letzte Stunde gekommen war und dass er in den sicheren Tod gehen würde, obwohl er nichts gesagt hat. Natürlich haben viele der Leute gemeint, dass sie jetzt wirklich in ein anderes Lager gebracht würden, in dem die Umstände viel besser wären." über sein persönliches Schicksal sagte er: "Ohne einen festen Glauben hätte man so etwas gar nicht überleben können." Von den rund 4.000 Menschen, die nach Jungfernhof verschleppt worden waren, überlebten nur 148 Personen.
Juden aus Deutschland
Bild: Grabstein auf dem jüdischen Friedhof in Gelsenkirchen-Bulmke
Der sechste Transport aus Deutschland mit Zielort Riga, der am 10. Dezember 1941 mit Kölner Juden eintraf, kam im nunmehr "freigemachten" und verkleinerten Ghetto unter. Ein Zeitzeuge berichtete: "Es lagen noch Essensreste auf dem Tisch, und die Öfen waren noch warm ... Später habe ich dann erfahren, dass kurze Zeit vor Eintreffen unseres Transports lettische Juden erschossen wurden." Bis zum Jahresende trafen weitere 3.000 Juden aus Deutschland ein. Wieder wurde eine "Selbstverwaltung" eingesetzt, zu dessen Leiter als "der Reichsjuden im Ghetto zu Riga" der frühere Leiter des Kölner Wohlfahrtsamtes Max Leiser bestimmt wurde. Dem jüdischen Ghettorat unterstanden später die Ghettopolizei von etwa 70 Personen, die Arbeitseinsatz-Zentrale, ein Schulsystem sowie die Straßenreinigung und Abfallentsorgung. Bis Mitte Februar 1942 kamen 10.000 Juden aus verschiedenen deutschen Städten und aus Prag hinzu. In einem abgetrennten Bereich waren 4.700 lettische sowie litauische Juden aus Kaunas untergebracht. Unklar bleibt, wie viele der 15.073 auf den Transportlisten verzeichneten Juden tatsächlich im Ghetto Riga aufgenommen wurden. Einige Dutzend Münner wurden direkt vom Bahnhof Sikrotava aus ins Lager Salaspils geschickt; wahrscheinlich sind bei einzelnen Transporten aus Theresienstadt aber auch gebrechliche Personen selektiert und noch am Ankunftstag erschossen worden.
Zwangsarbeit und Selektionen
Der Mangel an Arbeitskräften beim Torfabbau, in der Landwirtschaft und im Baugewerbe war beträchtlich, zumal Gauleiter Fritz Sauckel als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz immer mehr Arbeiter für den Einsatz im Reich anforderte. Dennoch sträubte sich der Ghettokommandant, den Wünschen des zivilen Arbeitsamtes nachzukommen: Die Juden aus Deutschland seien nur vorübergehend hier untergebracht, ihre Einsatzfähigkeit sei wegen des Alters nur gering, die Arbeitskommandos würden zum Ausbau des Lagers in Salaspils benötigt oder seien bereits für die Logistik der Wehrmacht im Hafen, bei den Güterzügen und beim Flughafenbau beschäftigt.
Im Mürz 1942 wurden etwa 1.900 Arbeitsunfühige ausgewählt und unter dem Vorwand, in Dünamünde zu leichter Arbeit bei der Fischverarbeitung eingesetzt zu werden, in den Wald von Bikernieki geschafft, dort erschossen und verscharrt. Im Arbeitseinsatz befanden sich Ende 1942 rund 12.000 Juden des Rigaer Ghettos. Etwa 2.000 waren an der Arbeitsstätte kaserniert, 2.000 arbeiteten in Werkstätten innerhalb des Ghettos, mehr als 7.300 wurden in Kolonnen zur Arbeitsstätte geführt. Eine Abrechnung aus dem Jahre 1943 geht von 13.200 Juden im Ghetto aus.
Auflösung des KZ Kaiserwald
Der Arbeitskräftemangel bei kriegswichtigen Betrieben wie auch der wirtschaftliche Vorteil, den das WVHA durch die überlassung von jüdischen Zwangsarbeitern daraus zog, schützten jedoch nicht dauerhaft vor den Vernichtungsabsichten der Nationalsozialisten. Himmler ordnete im Juni 1943 an, "alle im Gebiet Ostland noch in Ghettos vorhandene Juden in Konzentrationslager zusammen zu fassen (...) Ich verbiete ab 1. 8. 1943 jedes Herausbringen von Juden aus den Konzentrationslagern zu Arbeiten. In der Nähe von Riga ist ein Konzentrationslager zu errichten, in das die ganzen Bekleidungs- und Ausrüstungsfertigungen, die die Wehrmacht heute außerhalb hat, zu verlegen sind. Alle privaten Firmen sind auszuschalten.[...] Die nicht benötigten Angehörigen der jüdischen Ghettos sind nach dem Osten zu evakuieren."
Bild: Erniedrigung und Demütigung durch deutsche Soldaten
Im Rigaer Villenvorort Merzaparks-Kaiserwald entstand im Sommer 1943 das umzäunte KZ Riga-Kaiserwald, in dem acht Baracken für Häftlinge vorgesehen waren. Die ersten vierhundert Juden wurden im Juli 1943 aus dem Ghetto dort hin geschafft. Für die Häftlinge bedeutete dies die Trennung von den Angehörigen; Häftlingskleidung, Abscheren der Haare und Verlust der Privatsphäre wirkten wie ein Schock. Von diesem Zeitpunkt an begann die schrittweise Auflösung des Ghettos in Riga. Zum wesentlichen Teil war es im November 1943 gerüumt. Weitreichende Planungen, das Konzentrationslager auszubauen und ein zweites zu errichten, wurden nicht mehr verwirklicht. Mehrere Betriebe richteten Lager ein, in denen die Zwangsarbeiter kaserniert wurden. Kinder und Kranke wurden im November 1943 nach Auschwitz deportiert. Ab August 1944 wurden Hüftlinge auf dem Seewege ins Konzentrationslager Stutthof evakuiert.Insgesamt sind etwa 25.000 deutsche Juden nach Riga deportiert worden. Die wenigsten von ihnen haben überlebt. Das Lager wurde von Eduard Roschmann, dem "Schlächter von Riga", geleitet, der vorher bereits das Rigaer Ghetto führte. Ihm gelang es, nach dem Untergang des Dritten Reichs mit Hilfe der italienischen Caritas und eines gefälschten argentinischen Reisepasses nach Argentinien zu fliehen, um sich dort eine neue Existenz als "Federico Wegener" aufzubauen.
Bild: Eduard Roschmann, Kommandant des Ghettos von Riga
Bild: Argentinischer Pass von Roschmann
Geboren am 25.11.1908 in Graz. 1927-1934 in der Vaterländischen Front des Steirischen Heimatschutzes. 1938 NSDAP/SS, Hauptscharführer. Januar 1941 im Reichssicherheitshauptamt beim SD, anschließend Abteilung IV (Gestapo) beim Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD Lettland. 1947 Verhaftung in Graz. Flucht bei überstellung nach Dachau. 1948 mit Paß des Roten Kreuzes auf den Namen "Federico Wegener" Flucht von Genua nach Argentinien. Gründer einer Holz-Import-Exportfirma. 1958 mit illegal angetrauter zweiter Ehefrau Niederlassung in Deutschland. Anzeige seiner Ehefrau beim LG Graz wegen des Verbrechens der zweifachen Ehe. Rückkehr nach Buenos Aires. 1968 argentinischer Staatsbürger. Juli 1977 argentinischer Haftbefehl aufgrund eines Auslieferungsansuchens der StA Hamburg. Flucht nach Paraguay. Gestorben am 10.8.1977 in Assunción Paraguay.
Das Lager wurde im Mürz 1943 errichtet, um jüdische Einwohner der besetzten baltischen Gebiete gefangen zu halten. Insbesondere wurden hier ab Juni 1943 die Überlebenden des Ghettos Riga und der Ghettos in Liepaja, Daugavpils und Vilnius interniert. Zu den ersten Insassen des KZs zählten auch einige hundert Sträflinge aus Deutschland. Nach der Besetzung Ungarns durch die Deutschen wurden ungarische Juden nach Kaiserwald verbracht, ebenso eine Anzahl von Juden aus dem Ghetto in Lódz. Im Mai 1944 befanden sich 11.878 Gefangene im Stammlager und seinen Außenlagern, davon 6.182 Münner, 5.696 Frauen und lediglich 95 "Nicht-Juden".
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Man zwang die Insassen im KZ Kaiserwald , für große deutsche Firmen, hauptsächlich die AEG zu arbeiten, die sich einer große Anzahl weiblicher Arbeitssklaven aus Kaiserwald für die Produktion ihrer elektrischen Geräte bediente. Hierzu wurden die Außenstellen in Riga am Balastdamm (18. August 1943 - 7. August 1944), in den Dünawerken (18. August 1943-1. Juli 1944), im Heereskraftfahrzeugpark (18. August 1943 bis 6. August 1944) und seiner Außenstelle in der Hirtenstraße (31. Januar 1944 bis 6. August 1944) eingerichtet. Weitere ab dem 18. August 1943 eingerichtete Außenstellen befanden sich in Riga Lenta, Riga Mühlgraben, Riga Strasdenhof in der Widzemer Chaussee und bei der Rigaer Reichsbahn. In Riga Spilwe wurde eine Außenstelle bereits ab dem 5. Juli 1943, in Riga Strasdenhof in der Widzemer Chaussee von der AEG bereits ab dem 1. August 1943 und ab dem 1. Juni 1944 dann auch in der dortigen Anodenwerkstatt betrieben.
Wegen des Vorrückens der Roten Armee auf die baltischen Länder, begannen die Deutschen, ihre Gefangenen im September 1944 ins KZ Stutthof in Polen zu "evakuieren". Hinter diesem Tarnwort können aus Sicht der NS-Täter zwei Vorgänge stehen: Abtransport oder Massenmord der Häftlinge bevor alliierte Truppen das Lagergebiet erreichen. Diejenigen, von denen man annahm, dass sie die Fahrt nicht überstehen werden, wurden erschossen. Insbesondere alle Juden, die straffällig geworden waren, auch wenn es sich nur um kleine Vergehen handelte, aber auch alle, die jünger als 18 oder älter als 30 waren, wurden unmittelbar vor der "Evakuierung" hingerichtet. Ende September war das Lager von Häftlingen "leergeräumt". Die Rote Armee befreite das KZ Riga-Kaiserwald am 13. Oktober 1944.
Quelle: Andrej Angrick und Peter Klein "Die Endlösung in Riga" - Ausbeutung und Vernichtung 1941-1944.
Darmstadt 2006. ISBN-13: 978-3-534-19149-9; ISBN-10: 3-534-19149-8
Plan des Rigaer Ghettos mit den verschiedenen Zonen nach dem 8. Dezember 1941 (Peter Palm, Berlin)