Dicht vor den Augen des Waldes geh’ ich,
Die Wimpern der Kiefern streifen die Schulter.
Es seufzt ein weicher Erdhöcker unter dem Schritt ...
Dies sind die einzigen Geräusche,
Und ich bleibe stehen,
Daß kein einziges mehr bleibt.
Und kann den Damm nicht mehr
Halten,
Den der Blick gebrochen.
Schreierfüllter Wald,
Schreierfüllter Wald.
Es schreien Die auf den Kiefernstämmen erstarrten Schauer –
Die vor Entsetzen rauh gewordene Borke.
Es schreien Die über den lebendig Begrabenen aufgehäuften Hügel –
Die noch bis zum Morgengrauen sich regenden Erdhöcker.
Mein Puls hämmert
Und diesen Wald zu schlagen –
im Namen der Birken, die übermorgen wachsen,
im Namen der Kinder, die übermorgen kommen,
im Namen der Lippen, die nicht schreien wollen,
im Namen der Namen, die nicht sterben wollen.
Und dem Wald ins Angesicht
Schreie ich es selber nun:
„So einen Wald wie dich darf es heute nicht geben!“
Wie ein grüner Krater umschließt mich der Wald,
Eine grüne, zornige Stimme Durchfährt mich wie ein Stromschlag:
„Du sollst nicht vor meinen Augen Promenieren!
Du sollst dich nicht an meinen Wimpern Ergötzen!
Du sollst dich nicht mit meinen Höckern Begnügen!
Damit nicht alle Wälder der Erde so sind wie ich,
Stehe ich hier in Rumbula als ein Schrei,
Ein grünlicher Krater des Grauens zwischen den Feldern.
Ein jeder, der in mich einen Fuß gesetzt,
Wird zu meiner Zunge,
Meiner Flamme.
Sei in mir gewesen – Und schrei!
Ojars Vacietis, Oktober 1964. Deutsch von Matthias Knoll. Die Übersetzung wurde privat gefördert von Seeberger, Österreich.
Erstveröffentlichung: Padomju jaunatne v. 29. 10. 1964; erschienen in O. V. : Elpa (Riga: Liesma, 1966), S. 82. O. Vacietis
Der Wald von Rumbula (deutsch auch: Rumbuli) ist ein Kiefernwäldchen auf dem Gebiet der Stadt Riga, Lettland, in dem während des Holocaust 25.000 Juden umgebracht wurden. In nur zwei Tagen, dem 30. November und dem 8. Dezember 1941 wurden 25.000 Juden im Wald von Rumbula und auf dem Weg dorthin ermordet. Von diesen 25.000 waren 24.000 lettische Juden aus dem Rigaer Ghetto, 1.000 waren deutsche Juden, die mit Güterzügen in den Wald gefahren wurden. Der systematische Massenmord wurde von Nazi-Einsatzgruppen mit der Hilfe des Hilfspolizei-Kommandos von Viktors Arajs und der Unterstützung anderer Polizeieinheiten begangen.
Über 23.000 wurden gezwungen, sich trotz des eiskalten Wetters zu entkleiden und wurden aus kurzer Distanz in Gruben, die zu Massengräbern wurden, in den Hinterkopf geschossen. Lediglich zwei Personen überlebten das Massaker. Eine von ihnen, das Mädchen Frieda Fried, nutzte eine Ablenkung, ließ sich in die Grube fallen und stellte sich tot. Sie überlebte den Krieg und schrieb als Frida Michelson später ein Buch mit dem russischen Titel "Ja pereschila Rumbulu - Ich überlebte Rumbula"), das später auch ins Englische übersetzt und vom United States Holocaust Memorial Museum veröffentlicht wurde.
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