"Politisch gesehen, minderten die Enteignungsakte die Lasten des Krieges für jeden von ihnen (den Deutschen). Das hob die Stimmung in Deutschland und stärkte das Massenvertrauen in die Staatsführung. Das jüdische Eigentum in Europa wurde zugunsten fast aller Deutschen sozialisiert." Götz Aly in "Die Zeit", 14. November 2002
Die Enteignungen erfolgten schrittweise
Abb.: Beim reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte grenzt sich der Laden neben der Schauburg an der Horster Straße in Buer mit "deutschen Waren für Deutsche" von der örtlichen jüdischen Konkurrenz ab.
Ab dem 1. Januar 1939 war Juden das Betreiben von Einzelhandelsgeschäften und Handwerks-betrieben sowie das Anbieten von Waren und Dienstleistungen untersagt.
Schon vorher wurden jüdische Geschäftsinhaber oder Grundstücksbesitzer unter (teils öffent- lichen) Druck gesetzt, das Geschäft deutlich unter dem aktuellen Wert zu verkaufen oder zu übertragen. Sehr oft waren daran bisherige Mitinhaber oder Angestellte beteiligt oder dadurch begünstigt, die ihre Verbindungen zur NSDAP oder ähnlichen Nazi-Organisationen zur privaten Bereicherung einsetzten. Den Vorwand der rassischen "Säuberung des Volkskörpers von jüdischen (oder jüdisch versippten) Volksschädlingen" nutzten sie in Kenntnis des durch die Nazis ausgeübten individuellen und allgemeinen Terrors an der religiösen Minderheit. Im Herbst 1939 befanden sich von ehemals 100.000 Betrieben jüdischer Inhaber nur noch 40.000 in den Händen ihrer rechtmäßigen Besitzer.
Mit der Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben vom 12. November 1938 fanden die "Arisierungen" nur noch ihren Abschluss: Die verbliebenen Betriebe jüdischer Inhaber wurden damit zwangsweise neuen nichtjüdischen Eigentümern übereignet oder aufgelöst. Die Erlöse wurden dabei zugunsten des Deutschen Reiches konfisziert. Schmuck, Juwelen, Antiquitäten, Immobilien und Aktien mussten zu Preisen weit unter dem Marktwert verkauft werden oder wurden ebenfalls konfisziert. Für den jüdischen Eigentümer bedeutete dies den Ruin. Jüdische Arbeitnehmer wurden gekündigt, die Selbstständigen unterlagen einem weitgehenden Berufsverbot.
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Den größten Anteil geraubten jüdischen Besitzes machten schließlich Wohn- und Geschäftshäuser aus. Die forcierte "Arisierung" des Hausbesitzes wurde jedoch zunächst hinten angestellt. 1939 nahm der Druck auf den Verkauf jüdischen Grundbesitzes allerdings zu, gleichzeitig wurden den noch in Deutschland lebenden jüdischen Bürgerinnen und Bürgern die Mietrechte entzogen und sie sukzessive in sogenannte Judenhäuser, einer Vorform der Ghettos, eingewiesen. Nach den Deportationen zu Beginn der 1940er Jahre wurde das noch verbleibende jüdische Hauseigentum verstaatlicht. Häuser, die ehemals im Besitz jüdischer Familien waren, wurden nun unter anderem von Polizei und Wehrmacht genutzt.
Unternehmen konnten mit der "Arisierung" ihren Profit enorm steigern. Auch staatliche Institutionen wie Auktionshäuser und vor allem Museen konnten so zu wertvollen Gegenständen kommen. Viele Unternehmen und Unternehmensanteile wurden weit unter dem wirtschaftlichen Wert weiterveräußert. Einige davon – z. B. das Kaufhaus Hertie (vormals Herrmann Tietz, das größte Kaufhaus Berlins) – spielten eine wichtige Rolle in den späteren Aufbaujahren der Bundesrepublik Deutschland und sahen sich dem Vorwurf ausgesetzt, das "deutsche Wirtschaftswunder" beruhe zum Teil auf geraubten Werten.
In einem erweiterten Sinn wurde der Begriff auch auf andere Bereiche ausgedehnt, z. B. auf das Kulturleben und bezeichnete in diesem Zusammenhang die Vertreibung oder Vernichtung jüdischer Kulturschaffender und Wissenschaftler. Darunter fällt auch der Raub des geistigen Eigentums, wie die Aberkennung akademischer Grade und Titel. Maßgeblich an der Arisierung im Deutschen Reich beteiligt waren unter anderem die Unternehmen Dorotheum, Schenker und Hertie. Von der "Arisierung" profitieren konnten auch Museen und staatliche Institutionen. Die ersten im Mai 1933 erlassenen anti-jüdischen Gesetze zielten auf eine schnelle Auswanderung möglichst vieler Juden ab, möglichst ohne oder mit wenigem Eigentum.
Abb.: Anzeigen in einer Berliner Zeitung am 31. August 1938 mit den Hinweisen: "Nichtarischer Besitz"
Ab 1938 nahmen die "Arierparagraphen" offiziell auch im wirtschaftlichen Bereich zu. Inoffiziell war an der Ausschaltung der Juden aus der Wirtschaft und an der Zerstörung ihrer ökonomischen Existenzgrundlagen schon länger gearbeitet worden. Beschlagnahmtes Eigentum wurde an die lokale oder regionale Bevölkerung sowie Firmen versteigert. Ort und Zeit der Versteigerungen wurden zuvor über die Lokalpresse angekündigt. Die Volksgenossen kamem zu diesen Versteigerungen und ähnlichen Terminen in Scharen, teilweise kam es bei der Gier nach einem "Schnäppchen" zu Tumulten. Im Kölner Finanzamt kam der Dienstbetrieb zum Erliegen, da die Bevölkerung die Flure und Amtsstuben belagerte. Das Finanzamt veröffentlichte daraufhin in der Tagespresse einen entsprechenden Aufruf, von Besuchen im Finanzamt abzusehen.Vor diesem Hintergrund hatte niemand wirklich Interesse, dass die tatsächlichen Eigentümer wohlmöglich zurückkamen und Ihr Eigentum zurückfordeten.
→ Kaufhaus Gebr. Alsberg AG in Gelsenkirchen
→ Sicherheitsanordnung gegen David Löwenstein
→ Gelsenkirchener Juden im Spiegel der Stadtchronik
→ "Arisierung" der Fleischerei Paul Grüneberg, Gelsenkirchen
M-Aktion, W-Aktion und Aktion 3 - Volksgenossen auf Schnäppchenjagd
Aufschrift auf dem Schild: "Die hier ausgestellten Waren stehen zuerst für den Bedarf der durch feindliche Fliegerangriffe geschädigten Volksgenossen zur Verfügung"
Der Begriff "M-Aktion" wurde als Tarnbezeichnung für die ab 1940 durchgeführten Plünderungen jüdischen Eigentums in den vom nationalsozialistischen Deutschen Reich überfallenen Ländern verwendet. Während anfangs vornehmlich Bibliotheken und Kunstgegenstände aus jüdischem Eigentum beschlagnahmt wurden, die unter Mithilfe der Wehrmacht sowie der Reichsbahn nach Neuschwanstein transportiert wurden, folgten bald Bürogeräte und Mobiliar für staatliche und Partei-Institutionen.
Mit der "Verordnung über den Verfall des Vermögens zu Gunsten des Deutschen Reiches", einer Ergänzung zur "Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz", wurde die M-Aktion 1942 auch in den Niederlanden, Belgien und Nordfrankreich umgesetzt. Einrichtungsgegenstände sowie Gegenstände des täglichen Bedarfs wurden in großen Mengen an die deutschen "Volksgenossen" versteigert oder verkauft.
Unter der Tarnbezeichnung "Aktion 3" für die in grossen Stil durchgeführten Massenversteigerungen und der "freihändige Verkauf" von jüdischem Vermögen gab das Reichsfinanzministerium Anfang November 1941 Anweisungen heraus, wie bei der Deportation der deutschen Juden deren Vermögen einzuziehen sei. Der Vermögensentzug und die Verwertung erfolgten in enger Zusammenarbeit von Finanzbeamten mit der Gestapo und unter Mitwirkung von Stadtverwaltungen, Hausverwaltern, Gerichtsvollziehern, Bankangestellten, Taxatoren, Auktionatoren und Spediteuren. Neben den ortsansässigen Spediteuren verdiente auch die Firma Kühne&Nagel am Transport des Raubgutes.
Die durch die "Aktion 3" erzielten Einnahmen, die aus der Verwertung des in den Wohnungen zurückgelassenen Inventars und dem Einzug des Restvermögens stammen, werden auf rund 778 Millionen Reichsmark beziffert.
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Auch in Gelsenkirchen erhielten Volks- und Parteigenossen aus Belgien und Nordfrankreich geraubtes Wohnungsinventar aus vormals jüdischem Eigentum
Allein an die Gelsenkirchener Bevölkerung wurden in den Jahren 1942-1944 insgesamt 127 Waggons mit geraubten Einrichtungsgegen- ständen aus jüdischem Eigentum abgegeben. Teilweise wurde das Raubgut auch per Schiff nach Gelsenkirchen geschafft, im Stadthafen entladen und dort direkt an die per Verfügung positiv beschiedenen Antragsteller, meist so genannte "Fliegergeschädigte", ausgehändigt.
Die Art und Zahl beschlagnahmter Güter wurden von den nationalsozialistischen Behörden detailliert protokolliert. Die Belege und Akten der Enteignung, werden heute in Finanzämtern der Bundesrepublik, Österreichs und der Schweiz gelagert. Sie wurden anfangs für 30 Jahre, und dann 1988, mit dem fraglichen Verweis auf das Steuergeheimnis - auf 80 Jahre für die Öffentlichkeit gesperrt. Die Verwertung jüdischen Eigentums durch die deutsche Bevölkerung ist auch heute noch ein Thema über welches ungern gesprochen wird. Als der Autor Wolfgang Dreßen 1998 Interesse an den "Arisierungsakten" anmeldete, die die Bereicherung eines Großteils der deutschen Bevölkerung am zurückgebliebenen Eigentum deportierter Jüdinnen und Juden dokumentieren, wies die Oberfinanzdirektion (OFD) Düsseldorf daraufhin alle nachgeordneten Ämter an, von "einer Beantwortung des Schreibens vorerst Abstand" zu nehmen.
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In Köln hingegen wurde Dreßen der Zugang von der dortigen OFD gestattet, obwohl die Akten damals bereits zu Steuerakten erklärt und für 80 Jahre gesperrt worden waren. Die Materialien belegen, dass »Arisierungen« nicht ausschließlich ein Projekt des Staates und großer Unternehmen waren, sondern von ganz gewöhnlichen Deutschen betrieben wurden. Die von Dreßen initiierte und konzipierte Ausstellung mit dem Titel "Aktion 3" wurde bereits in Düsseldorf, Würzburg, Freiburg und Berlin gezeigt. Die Humboldt-Universität zu Berlin lehnte die Ausstellung mit der Begründung eines "zu einseitigen" Charakters ab. Einseitige Ausstellung?"Betrifft 'Aktion 3' - Deutsche verwerten jüdische Nachbarn" Das Projekt verfolge »keinen genuin wissenschaftlichen Zweck, sondern eine einseitige und so nicht akzeptable Aufklärungsabsicht«, fasste Susann Morgner vom Präsidialamt der Humboldt-Universität zu Berlin das dreiseitige Gutachten der Expertengruppe unter der Leitung von Professor Ludolf Herbst zusammen. Das Absageschreiben vom 29. Februar 2000 an den Veranstalter liegt dem Freitag vor. Es ist ein nicht überraschender Skandal. Paradox, aber die Reaktionen auf die Klemperer-Tagebücher, die Wehrmachtsausstellung und Daniel Goldhagen haben bereits daran gewöhnt, dass massiv abgewehrt wird, wer den Blick auf das lenkt, was vor Auschwitz lag: »eliminatorischer« Antisemitismus (Goldhagen) - und Bereicherungslust. Die Ausstellung, der die Humboldt-Universität ihr Foyer nicht zur Verfügung stellen will, zeigt die vielfache Gier auf den Besitz deportierter Juden - und sie nennt Namen.
Von der Villa bis zur Zahl der Schlüpfer listeten Finanzbeamte allen Besitz auf und versteigerten ihn dann billig zugunsten des Fiskus. So hatten beide etwas davon: der Staat und die Bevölkerung. Clever kalkuliert, um sich trotz Bombenangriffen auf deutsche Städte die Anhängerschar zu erhalten. Der Vorgang wurde von den Nazis transparent gestaltet. Jeder wusste, dass es um jüdischen Besitz ging. Die einfachste Art des Widerstands wurde nicht genutzt: die Versteigerungen zu boykottieren. Sondern gierig gingen die Volksgenossen auf Schnäppchenjagd.
Der Politikwissenschaftler Wolfgang Dreßen, Leiter der Arbeitsstelle für Neonazismus an der Fachhochschule Düsseldorf, entwickelte die Ausstellung - und schwärzte in den gezeigten Dokumenten keine Namen. Ohnehin ist die Veröffentlichung der Dokumente illegal. Denn die Belege und Akten der Enteignung, die in Finanzämtern der Bundesrepublik, Österreichs und der Schweiz lagern, wurden erst für 30 Jahre, und dann 1988 - mit dem wenig plausiblen Verweis auf das Steuergeheimnis - auf 80 Jahre für die Öffentlichkeit gesperrt.
Möglich wurden Dreßens, zu Beginn auf Köln begrenzte und inzwischen ausgeweitete Recherchen erst auf Druck der grünen Bundestagsfraktion. Gegenwind kommt seither vom (Entschädigungsklagen fürchtenden?) Bundesfinanzministerium, der Nachfolgeaufsicht der zugunsten des Fiskus versteigernden Finanzämter. Die »Wiedergutmachung« lag oft wieder in den Händen desselben Finanzbeamten, der wenige Jahre zuvor die Enteignung verantwortet hatte. In Köln forderte die Oberfinanzdirektion vom Oberbürgermeister, die Ausstellung Ende 1999 zu verbieten. Auch aus den Kommunen, in denen die Ausstellung gezeigt werden soll, kommt Gegenwehr. Denn die Gier des einen oder anderen Verwandten wird dokumentiert.
Klebrig sind die Schreiben der braven Familienväter, die ein frei werdendes Haus kaufen wollten. Auch die Rolle der peniblen Finanzbeamten, deren Kinder und Enkel noch im Ort leben, soll nicht öffentlich gemacht werden. Deshalb werden Dreßen Ausstellungsorte verwehrt - wegen fehlender Lampen oder weil in der Stadtbibliothek Berlin-Mitte schon so viele Bücher seien, dass man nicht auch noch Dokumente ausstellen wolle. Aber ein Schriftstück wie das von der Humboldt-Universität ist bisher einzigartig. Die Argumentation erinnert sehr an Peter Gauweilers Feldzug gegen die Wehrmachtsausstellung.
Die »Aktion 3« und die »Aktion M« (die Versteigerung jüdischen Besitzes aus eroberten Ländern im Westen) selbst waren »einseitig«. Soll nun eine Komponente »Widerstand« hinzugefügt werden, wie es für die Wehrmachtsausstellung immer gefordert wurde - oder wie will das Gutachterteam den »einseitigen« Charakter der Ausstellung verändert sehen? Würde mit solcher Verfälschung ein »genuin wissenschaftlicher Zweck« verfolgt, wäre dann die Aufklärungsaufsicht »akzeptabel«? Es gibt Anlass zu Mutmaßungen, dass Professor Ludolf Herbst sich weigert, sein dreiseitiges Gutachten der Presse zur Verfügung zu stellen. Ein Wissenschaftler, der seine Erkenntnisse nicht öffentlich machen will. Die Vermutung, dass nicht die Ausstellung, sondern das Gutachten »einseitig« ist und nicht der Aufklärung dient, liegt auf der Hand.
Quelle: www.freitag.de; Stefanie Christmann, 24. März 2000
Quellenwerke: Aalders, Gerard. Geraubt! Den Haag 1999. ISBN 3-920862-29-5 Dreßen, Wolfgang: Aktion 3 - Deutsche verwerten jüdische Nachbarn. Berlin 1998. ISBN 3351024878 Priamus, Heinz-Jürgen. Was die Nationalsozialisten "Arisierung" nannten. Wirtschaftsverbrechen in Gelsenkirchen während des "Dritten Reiches" (Schriftenreihe des Instituts für Stadtgeschichte, Beiträge Bd. 13), Essen 2007. ISBN: 3898618439 Vries, Willem de. Sonderstab Musik. Organisierte Plünderungen in Westeuropa 1940-45. Köln 1998. ISBN 3-920862-18-X Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger Wikipedia HaGalil Lexikon
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