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Zwangsarbeiter in Gelsenkirchen

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Lager an der Hermannstrasse/ Am Forsthaus

Abb.: Lageplan von dem Lager an der Herrmannstrasse

Abb.: Lageplan von dem Lager an der Hermannstrasse, dort befand sich dann bis in die fünfziger Jahre das "Ledigenheim" der Zeche Graf Bismarck

Zu den ersten Zwangsarbeiterlagern in Gelsenkirchen zählt das Lager der Zeche Graf Bismarck (Deutsche Erdöl AG) an der Hermann- straße/Forsthaus in Erle. Die Ent- stehung dieses Lagers geht auf das Jahr 1939 zurück. Eine Über- lieferung in Form von Bauunter- lagen, die Aufschluss über den Aufbau des Lagers geben könnten, existiert in diesem Falle nicht. Einer Aufstellung der Stadtverwaltung von 1942 ist lediglich zu entnehmen, dass bereits Ende 1939 sieben Baracken für 400 ausländische Arbeitskräfte entstanden sind, 1941 kamen weitere acht, als Gefangenenlager bezeichnete Baracken für 1.500 Arbeitskräfte hinzu. Über die Nationalität der Arbeitskräfte wird keine Angaben gemacht.

Die handschriftlich eingetragenen Zahlen in der Aufstellung (vgl. Dokument 1) dürften jedoch die Belegung von 1942 wiedergeben, da die in der Tabelle unten aufgeführten sowjetischen und italienischen Kriegsgefangenen für das Jahr 1941 auszuschließen sind. Insofern wird nicht deutlich, ob es sich wirklich um Kriegsgefangene gehandelt hat, da auch andere Zwangsverpflichtete von ihren "Arbeitgebern" häufig unter dem Sammelbegriff Gefangene geführt wurden, insbesondere "Ostarbeiter".

Zwangsarbeiterlager Hermannstrasse Zwangsarbeiterlager am Forsthaus

Abb.: Links, Zwangsarbeiterlager Hermannstrasse, rechts das Zwangsarbeiterlager Am Forsthaus. Beide Fotos enstanden am 23. Februar 1944

Der Standort des Lagers befand sich südlich der Hermannstraße und wurde durch die Emscher, einen damals noch offen verlaufenden Zufluss zur Emscher, die Münsterstraße sowie durch die Hermannstraße selbst begrenzt. Auf dem noch heute vorhandenen Sportplatz rechts vom Lager (s. Foto rechts) befand sich das von der Stadtverwaltung errichtete Lager "Am Forsthaus", wo französische und italienische "Zivilarbeiter" vom Luftschutzamt Buer untergebracht waren.

Beide Lager wurden jedoch separat geführt, was auch aus der räumlichen Trennung zu ersehen ist. Soweit auf dem Foto links zu erkennen ist, bestand das Lager Hermannstraße aus rund 19 Baracken, die in zwei separate Bereiche, das Kriegsgefangenenlager und das "Zivilarbeiterlager", aufgeteilt waren. Der größere Gebäudekomplex rechts kann relativ eindeutig als das Kriegsgefangenenlager identifiziert werden, da sowohl die Baracken deutlich größer sind und zudem das weiße Viereck am rechten Bildrand den Wachturm zeigt. Auf welcher der damals in Betrieb befindlichen Schachtanlagen (1/6, 2/7, 3/4/9) von Graf Bismarck die Arbeitskräfte zum Einsatz kamen, kann heute nicht mehr bestimmt werden, da die im Rahmen der alliierten Suchaktion in der Nachkriegszeit erstellten Namenslisten nicht weiter spezifiziert sind. Auf dem oberen linken Luftbild ist in der Mitte des Lagers ein Feuerlöschteich zu erkennen. Der Löschteich mit der Statue in der Mitte wurde seinerzeit von den Lagerinsassen (Russen, Franzosen, Italiener und andere Nationen) auf Befehl der Nazis errichtet.

Abb.: Der Bergmann im Feuerlöschteich, errichtet von Zwangsarbeitern bzw. Kriegsgefangenen Abb.: Der Bergmann im Feuerlöschteich, errichtet von Zwangsarbeitern bzw. Kriegsgefangenen

Abb.: Ostern 1950, im Hintergrund ist die Bergmanns-Statue inmitten des leeren Feuerlöschteiches zu sehen. Der Teich mit der Statue wurde von Zwangsarbeitern bzw. Kriegsgefangenen vor 1945 errichtet, die Herren im Vordergrund sind nicht bekannt, vermutlich handelt es sich um Bergarbeiter der nahegelegenen Zeche Graf Bismarck.

Ein Zeitzeuge, dessen Vater der einzeln abgebildete Mann auf dem Bild links ist, berichtet: "Als Kind habe ich staunend zugesehen wie die Statue mit großen Aufwand mit Presslufthämmern gelöst wurde und ein Kran die Statue auf einen Anhänger setzte der dann zur Zechenbahn gerollt wurde und dann mit dem Kran dort auf einen Waggon gehievt wurde. Der Waggon wurde dann in Richtung Schacht 7 mit der Zechenbahn gefahren. (...)"

Ein weiterer Zeitzeuge:

"Zum Bergmann, der stand ungefähr in Verbindung vom zweitletzten oder drittletzten Haus von der Hermannstr. Ich bin Ecke Hermannstr - Wilhelmstr. aufgewachsen. Wenn wir auf unseren Hof gespielt haben, konnte man den Bergmann sehen. Später, als das Lager weg war, hatten wir direkt daneben unseren Fußballplatz, dort haben wir auch dann immer unsere Eckenkämpfe ausgetragen. Die Brücke zu dem Bergmann hin, die wurde nach 1946 - 47 von den Leuten gebaut, die dort untergebracht waren. Es waren Leute aus anderen Gegenden Deutschlands und aus Schlesien, die im Bergbau gearbeitet haben. Die haben den Teich um den Bergmann als Schwimmbad benutzt. Übrigens, wir haben das gleiche gemacht wie Ihr, mit den Fahrrädern, es hat Spass gemacht die Steilkurven zu fahren, wenn man nicht abgestürzt ist. Der Bergmann ist später weg gekommen, weil man dort einen Parkplatz gebraucht hatte. Und zwar deshalb, der alte Eingang nach Graf Bismarck 2 6 9 war doch damals die verlängerte Auguststr. Als die neue Kaue fertig war, Ecke Hermannstr - Wilhelmstr, die Bergleute sich Autos leisten konnten, da brauchte man auch Parkmöglichkeiten, am alten Eingang war kein Platz. Was allerdings aus der Statue "Bergmann" geworden ist, das weiß ich nicht."

Tabelle: Kriegsgefangenen- und Zivilarbeiterlager Hermannstraße

Kategorie Kriegsgefangene Ostarbeiter* Polen* Westarbeiter
Ost Russen 950Russen 322Polen 534-
Ost - Ukrainer 5--
West Italiener 530-- Franzosen 38
Summe 1.480 327 534 38
Gesamt2.379   

*Berechnet nach Angaben des Einwohnermeldeamtes (Ostarbeiterkartei) 1940-1945. Alle anderen Angaben nach Listen des Arbeitsamtes von Mai 1949.

Dokument 1, Aufstellung Zwangsarbeiterlager im Stadtteil Buer:

Aufstellung Zwangsarbeiterlager Buer

Aus Roland Schlenker, "Ihre Arbeitskraft ist aufs schärfste anzuspannen" Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterlager in Gelsenkirchen 1940-1945. Klartext Essen, März 2003

Bericht der 379th Bombardment Group über die irrtümliche Bombadierung des Lagerkomplexes

Abb.: Britische Karte von 1943

Abb.: Britische Karte von 1943, Barackenlager Hermannstraße (Hutted Camp)

"On 22 March 1945 the 379th Bombardment Group furnished the 41th A Group to attack a hutted camp and headquarters approximately seven miles north of the center of Gelsenkirchen. The target was squarely hit by a Rain of GP (Anm.d. Verf.: General purpose) bombs, followed by incendiaries from two of our squadrons.

Fires were started among the huts and combined with the damage inflicted by the GP's; the target should be either very severely damaged or destroyed. The third squadron's bombardier synchronized on the wrong target but his bombs blanketed a small coking plant two miles east of the assigned MPI (Anm.d. Verf.: Mission point of impact)."

WAZ berichtet am 12. Oktober 1979: Gräber unterm Bauspielplatz

Kinder buddeln alte Arbeitsstiefel aus - Funde vermutlich von russischen Zwangsarbeitern

Abb.: Luftbild Forsthauswinkel/Hermannstrasse

Abb.: Luftbild Forsthauswinkel/Hermannstrasse

Ein Telefonanruf bei der WAZ warf neue Aspekte in einer ziemlich zwielichtigen Angelegenheit auf. Der Anrufer, ein alter Erler, Jahrgang 31, berichtete: "Da, wo heute die Kinder spielen, war im zweiten Weltkrieg ein Arbeitslager. Russische Kriegsgefangene malochten sich hier kaputt. Von meinem Fenster aus (ehemals wohnhaft in Hermannstraße 5) konnte ich genau beobachten, wie die Bewacher auf die Russen einschlugen. Wir haben als Kinder Brot bei den Gefangenen gegen Spielzeug eingetauscht. Mein Kollege und ich sahen, wie Leichen verscharrt wurden."

Viele ältere Erler erinnerten sich, was sich auf dem Bauspielplatz an der Hermannstraße und auf dem Gelände des Vereinsheims Erle 08 früher zugetragen hat. Ein 48jähriger: "Hier standen früher auch Holzkreuze, plötzlich waren sie verschwunden. Ich erinnere mich an ein Denkmal, das von den russischen Zwangsarbeiten errichtet wurde. Es ist irgendwann in 40er Jahren gesprengt worden." Einige Anrufer reden von einem Massengrab, das man "klammheimlich" zugeschaufelt hatte. Die Stadtverwaltung Gelsenkirchen reagierte ebenfalls in einem Schreiben auf den Artikel. Hier heißt es: "Bei dem unterirdisch gelegenen Raum handelt es sich nicht um einen im Eigentum der Bundes- vermögensverwaltung stehenden Erdbunker, sondern vermutlich um ein altes Kellergewölbe oder möglicherweise einen ehemaligen Luftschutzstollen. Das früher von einer Zeche genutzte Gelände diente während des zweiten Weltkrieges als Fremdarbeitslager und war mit Baracken bebaut, über die exakte Art der damaligen Bebauung überirdisch oder unterkellert — besitzt die Verwaltung keine Unterlagen."


Abb.: Skizze des Lagers, erstellt von einem 'alten Erler'

Abb.: Skizze des Lagers, erstellt von einem 'alten Erler'

Eine kleine Gruppe von Erler Schrebergärtnern fertigte spontan aus dem Gedächtnis eine Skizze. Danach befand sich auf dem Vereinsgelände ein Lager mit Barackenbauten. Dort, wo heute der Bauspielplatz liegt, sollen Wachposten gestanden haben. Der gesamte Bereich war im zweiten Weltkrieg von Stacheldraht umgeben. Wo die Kinder den angeblichen "Bunker" ausgebuddelt haben, hatte ein Denkmal gestanden, das von den Kriegsgefangenen errichtet wurde - mehrere Meter hoch. Ein älterer Erler, ehemals wohnhaft in der Hermannstraße, berichtet von Schreien in der Nacht. Ein anderer sagt: "Den Bahnhof hier, den nannte man früher nur "Russenbahnhof". Ständig kamen neue Züge mit Menschen-Nachschub." "Die Zwangsarbeiter sollen auf der Zeche Graf Bismarck gearbeitet haben. Für viele Erler Bürger befinden sich "Hunderte von Leichen auf dem Gelände".

Dafür sprechen auch Funde, die von spielenden Kindern in dem "Bunker" gemacht wurden. Mehrere der Jugendlichen unter den "Bunker-Buddlern" berichten von "unzähligen Schuhen, die wie Arbeitsstiefel aussahen und von Spielzeug" (dafür spricht auch die Angabe des alten Erlers, der von Russen geschnitzte Spielsachen als Kind gegen Brot getauscht hatte), die sie jedoch wieder achtlos in die "Bunkergänge" zurückgeworfen hatten.

Spurensuche: Kiste gibt Rätsel auf

Ein Sohn schrieb uns aus Italien: "Mein Vater wurde im 2.Weltkrieg als Kriegsgefangener nach Deutschland gebracht, er war auch als Zwangsarbeitender in Gelsenkirchen - mehr ist nicht bekannt. In unserem Schuppen haben wir eine hölzerne Kiste gefunden, auf dem Vaters damalige Anschrift in Deutschland vermerkt ist. Haben sie weitere Informationen?"

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Abb.: Die Eltern des Kriegsgefangenen haben ihren Sohn damals diese Kiste schicken können, mit der Befreiung gelangte sie nach Italien zurück.

Die Antwort auf diese Frage konnte vergleichsweise schnell übermittelt werden. Vermerkt ist auf dem Deckel der Kiste neben Name, Gefangennummer auch das Stammlager VI (Hemer) und die Nummer des Arbeitskommandos zu entziffern: 205, der entscheidenene Hinweis: Hinter dieser Nummer verbarg sich das Zwangsarbeitslager Graf Bismarck (Zw. Herrmannstraße u. Emscher). In diesem Lager waren auch italienische Kriegsgefangenene (so genannte "Italienische Militärinternierte" (IMI) untergebracht.

Quellen:
Alan Godfrey Maps, Leadgate Consett,UK
StA Gelsenkirchen
WAZ Gelsenkirchen
Bilder Feuerlöschteich, Bergmann: Privat
Roland Schlenker, "Ihre Arbeitskraft ist auf das schärfste anzuspannen" - Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterlager in Gelsenkirchen 1940-1945. Essen, 2003. ISBN 3-89861-155-8
Bericht über die Bombadierung: Frank L. Betz and Kenneth H. Cassens for the 379th Bombardment Group (H) WWII Association. 379th Bombardment Group Anthology, Volume 2: November 1942-July 1945
By Herbert C. Banks, Turner Publishing Company, Frank L Betz, 379th Bomb Group, Kenneth H Cassens, 379th Bombardment Group (H) WWII Association, Turner Publishing Company, 2000. ISBN 1563115794, 9781563115790
Forum Gelsenkirchener Geschichten
Michael Westphal

Andreas Jordan, April 2009. Nachtrag Februar 2019

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