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Weihnachtsbaum und Hakenkreuz


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Weihnachten 1934 im KZ Dachau

Öffentliche Auspeitschung mehrer Häftlinge auf dem Appellplatz neben dem Weihnachtsbaum.


Weihnachten 1935 in Gelsenkirchen

Foto: Die Marnachs feiern Weihnachten, 26. Dezember 1935 bei Tante Else (2. von links) Foto: Die Marnachs feiern Weihnachten, 26. Dezember 1935 bei Tante Else (2. von links)

"Ihr Heim war an solchen Tagen erfüllt von traulichem Lichtschein, der gedämpft durch honigfarbene seidene Lampenschirme strahlte, von fröhlichem Stimmengewirr und Gelächter, vom Duft nach Kaffee und Zigarren. Auf dem Tisch riesige Obsttorten und bunte Drinks. Sie konnte diese wunderbar anzuschauenden Liköre brauen, sogar "Danziger Goldwasser" mit Goldflitter darin! Als ich - ein kleines Kind - die grünen, blauen und gelben Liköre zum ersten Mal sah, traute ich meinen Augen nicht und fürchtete, eine Sehstörung habe mich plötzlich erwischt. Was heute alltäglich ist, hatte ich nie vorher gesehen. Gebraut in Tante Elses Alchimisten-Werkstatt im Hinterzimmer des Ladens..."

Vgl. Marlies Niehues "Als das Feuerkraut blühte"

Weihnachten 1937 in Gelsenkirchen

(...) Im Advent, einige Tage vor Weihnachten, besuchte uns die Tante Maria aus Dortmund. Obwohl wir ein Telefon hatten, hatte sie sich nicht angemeldet. DerMutter war es nicht recht und sehr peinlich. Sie hatte in den Tagen vor Weihnachten doppelt so viel zu tun und da war nicht alles aufgeräumt, wie es Tante Maria immer haben wollte. "Ich wollte euch überraschen!" sagte sie. "Und ich habe euch etwas Schönes mitgebracht. Guckt mal in den Eimer, der draußen vor der Tür steht." Vater, der seine Arbeit in der Werkstatt unterbrochen hatte, um seine Schwester zu begrüßen, ging hin, hob den Deckel hoch: "Oh - Mann! Das ist ja ein Riesenfisch."

"Der Karpfen soll ja auch für euch alle sein. Den hab ich vom Rudi, meinem Schwiegersohn. Der hat ihn auf dem Amt geschenkt bekommen, und für uns ist der Fisch zu groß. Da hab ich den Fisch in den Wassereimer gesteckt und ihn für euch mitgebracht. Das war eine Prozedur, so mit dem vollen Eimer im Zug. Jetzt muss er unbedingt in ein größeres Becken. Guck mal, wie der nach Luft schnappt." Mutter sagte: "Meine Badewanne kriegt ihr nicht. Die Kinder müssen schließlich noch gebadet werden. Geht in die Waschküche und holt euch den alten Zuber." - "Der ist doch viel zu schwer." - "Dann lasst das Vieh unten in der Waschküche schwimmen." - "Das geht nicht. Da ist die Wäsche von Kunzes drin." Der Vater eilte hinunter, über den Hof, in die Waschküche und kam mit der größten Zinkwanne wieder: "Die wird wohl groß genug sein. - Und wie macht man den Fisch kaputt?" - "Einer hält ihn fest, mit dem Kopf auf das Nageleisen, und mit nem Hammer betäubst du ihn. Dann kannst du ihn ausnehmen. So hat der Rudi mir das gesagt. Das machen die im Amt alle so." - "Dat kann ich nicht! Ich soll für Kunzes zu Weihnachten einen Hahn schlachten. - Und mit dem Hausherrn muss ich auskommen. Ich bin Schreiner und kein Metzger." - "Den Fisch nehm ich nicht wieder mit."

Das Gespräch ging hin und her. Die ganze Familie, und die Gesellen und Lehrlinge aus der Werkstatt hatten sich versammelt. Die Gesellen hatten die Wanne fast bis zum Rand gefüllt. Jetzt wurde der Karpfen mit dem Wasser des Eimers in die Wanne geschüttet und schwamm seine Bahnen in der Runde. "Meister!" - Hans, der Altgeselle hatte sich gemeldet: "Wenn das so weit ist, dann mach ich das schon." Mit der Zeit wurde der Fisch munterer und spritzte, wenn er mit seinem Schwanz an die Oberfläche kam. "Hui! Mutter, der macht mich ganz nass." "Stell dich nicht so an. Das war der Fritz, der da gespritzt hat." "Heißt der Fisch wirklich Fritz ?" - !"Das war dein Bruder Fritz, du Tünnes."

Alle sahen die treuen Augen des Fisches. Damit der Karpfen nicht unnötig gefüttert wurde, erhielten wir noch vor dem Fest, ein Aquarium mit Goldfischen. Normaler Weise wäre ein Fisch für die große Familie zuwenig gewesen. Es blieb aber noch etwas über. Wir Kinder aßen lieber den Reisbrei mit Zucker und Zimt. Für uns war nur Wichtig: Die Tante Maria verschwand so schnell, wie sie gekommen. Es war alles gut von ihr gemeint, doch wir wollten unsere Freiheit, und sie nicht ständig hinter uns haben. Maria, unsere Große, durfte immer bei den Weihnachtsvorbereitungen mitmachen. Für alle anderen war das Christkind erst am Weihnachtsmorgen gekommen. Zur Christmesse mussten wir noch nüchtern sein. Das hieß: Es durfte vorher nicht an den Tellern genascht werden!

Von der Kirche zurück, fielen wir über unsere Geschenke und Weihnachtsteller her. Das Christkind hatte die Spielsachen immer gut verteilt. Mit Rücksicht auf die jüngeren Geschwister hieß es immer: Das Christkind. Ich hatte einmal eine Feuerwehr zum aufziehen bekommen, der Fritz eine Ritterburg, an der Onkel Fritz und der Vater im Advent des Abends gearbeitet hatten. Die Gratzfeldkinder hatten die gleiche Ritterburg bekommen. Der Hermann hatte einmal eine Eisenbahn zum aufziehen bekommen, die am Weihnachtsmorgen ihre Runden um den mit reichlich Lametta geschmückten Tannenbaum drehte. Für die Mädchen war der Kaufladen wieder gefüllt und die Puppen saßen frisch gekleidet neben den Weihnachtstellern. Wem das Spielmagazin anvertraut wurde, der hatte auch für die Ordnung zu sorgen. Mit den Laubsägen, die Fritz und ich bekommen hatten, durften alle einmal sägen. Wir schraubten die Brettchen fest, damit niemand in den Tisch sägte und wechselten nach Bedarf die zerbrochenen Sägeblättchen aus.

Ursel suchte für ihre Puppe etwas neues zum Anziehen. Da sagte die Mutter: "Geht doch mal in das Furnierlager. Das Christkind hat da die Sachen vergessen." Wir stürmten alle zur Küche hinaus, draußen die Treppe hinunter ins Furnierlager, wo auch die Kartoffelkiste und Vaters Fahrrad stand. Wir durchsuchten alle Regale und vor und hinter allen Kisten. Wir fanden die Puppenkleider und ein Päckchen Lametta. Von unserem Erfolg überglücklich, zeigten wir der Mutter unsere Funde. Die schlug die Hände zusammen: "Oh mein Gott! Heute ist Weihnachten, und wie seht ihr denn aus? Sofort mit euch in die Werkstatt, nehmt die Kleiderbürste mit und bürstet eure Kleider ab, und wenn ihr euch die Hände wascht, krempelt bitte vorher die Arme hoch." Am Nachmittag flossen durch ein kleines Missgeschick noch einmal ein paar Tränen. Gertrud kämmte ihrer Puppe das schöne Haar. Sie kämmte aber so heftig, wie sie meinte, wie Maria es bei ihr immer machte. Da lösten sich die Haare vom Kopf der Puppe und Gertrud hielt in der einen Hand die Haare und den Kamm, in der anderen Hand die Puppe, in deren offenen Kopf sie entsetzt hineinsah. Da schrie sie auf, warf alles weg und verbarg sich weinend in Mutters Schürze.

Der Vater machte noch am Weihnachtstag den Werkstattofen an, setzte den Leimtopf auf und leimte der Puppe die Haare wieder an. Er sagte: "Es ist gut wenn der Werkstattofen mal zwischen den Feiertagen an ist. Dann kühlt das ganze Haus nicht so aus. Die Wasserleitungen frieren nicht zu, und man kann in der Werkstatt etwas basteln." Basteln und Arbeiten, das war für unserem Vater ein großer Unterschied. Man durfte des Sonntags etwas basteln, aber Arbeiten nicht. Einer seiner Aussprüche war: "Junge, Junge, du bastelst dich da wat zusammen." Ein anderer Spruch hieß: "Du murkst dir da wieder einen Stiefel zurecht."

Auszug aus "Geschichten aus der Stummelgasse" - Die Geschichte und Geschichten der Familie Banning aus Gelsenkirchen, erzählt von Heinz Banning

21. Dezember 1939: Ein Soldat des Todes sendet Weihnachtsgrüße

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Foto: 21. Dezember 1939: Ein Soldat des Todes sendet WeihnachtsgrüßeBild: Weihnachtskarte

Transkription des Textes auf der Karte:

(...) und ein frohes neues Jahr wünscht Euch Euer Johann. In nächster Zeit könnt Ihr von mir einen Brief erwarten, ich glaube auch es wird höchste Zeit. Willi, wie ist es mit dem Soldatspielen? Ja, ich bin es schon über 1/2 Jahr.
Herzliche Grüße Euer Johann

Abs. SS-Unter-Scharführer J.L. Feldpostnummer 36015" (3. SS-Division Totenkopf, 3.Rg., 12. Kp.)

1939 - die erste Kriegsweihnacht

Die Stimmung unterm Weihnachtsbaum scheint noch ungetrübt. Geschenkberge türmen sich wie zu Friedenszeiten in den gut geheizten Wohnstuben. Weihnachten - ein Fest der Freude.

1941 - Kriegsweihnacht

Die Stimmung schon nicht mehr so ungetrübt. Zunehmend gibt es traurige Gesichter unterm Tannenbaum. Viele Kinder haben keinen Vater mehr. Gefallen an der Ost-Front - für Führer, Volk und Vaterland ...

Im Schatten der sieben Wachtürme, durchleben wir unseren ewig grauen Tag,
abends befiehlt uns die Sirene den Schlaf, morgens verjagt sie aus unseren Augen den Traum."

František Jan Kadlec

Dieses Gedicht des tschechischen Häftlings František Jan Kadlec wurde zu Weihnachten 1941 im KZ Dachau vorgetragen. Es enstammt seinem Gedichtband "Im Schatten der sieben Wachtürme. Gedichte aus dem KZ Dachau 1941-1945"

1942 - Kriegsweihnacht

Für die 200.000 eingekesselten Soldaten der 6. Armee in Stalingrad geht es nur noch um das nackte Überleben. Ab dem Weihnachtstag gab es keine Verpflegung mehr, es beginnt Kannibalismus und Massensterben. Aus dem alljährlichen Fest des Friedens und der Freude wird zunehmend ein Fest der Trauer, an der Front, aber auch daheim, wo immer mehr Menschen in den Strudel des Krieges gerissen werden. Das Wort Weihnachtsbaum bekommt in den Zeiten des Bombenkrieges für die Bewohner der großen Städte eine ganz neue Bedeutung - ein schauriger, tödlicher Lichterglanz.

1944 - Kriegsweihnacht

Die Versorgungssituation ist katastrophal. Die obligatorische Weihnachtsgans ist nur für wenige noch zu haben. Stattdessen Wochenschau-Tipps unter der Losung "Kampf dem Verderb". Im Osten sind Millionen Deutsche auf der Flucht. Weihnachten im Treck, irgendwo auf der Straße. Die Soldaten-Weihnachtskarten, die noch in die deutschen Wohnzimmer flattern, enthalten selten nur noch etwas von dem Fanatismus der ersten Kriegsjahre. Jetzt dominieren Sehnsucht nach zu Hause und Hoffnung auf Frieden. Die offiziellen Weihnachts-Bilder der NS-Wochenschau verändern sich in den sechs Kriegsjahren nur kaum. Immer wieder die gleichen Stereotypen: Tannenbaum, Lichterglanz, Bescherung. Harmonische Bilder einer heilen Weihnachtswelt. Glückliche Kinderaugen, bärtige Weihnachtsmänner, die emsig Päckchen verteilen, an der Kanalküste, in Afrika, an der Ostfront. Weihnachtsmänner mit Schulterstücken, zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Vom Elend des Krieges ist in den offiziellen Quellen kaum etwas zu erkennen. Die Dokumentation blickt hinter diese Bilder, sucht nach dem, was die Menschen damals tatsächlich bewegt hat. Im Mittelpunkt stehen Zeitzeugen, die sich an Weihnachten im Krieg erinnern, Menschen, die diese Zeit erlebt und überlebt haben. Eine Zeit, die für viele bis heute prägend geblieben ist. Geschichten um und unter dem Weihnachtsbaum.

Vgl. auch: MDR, "Weihnachtsbaum und Hakenkreuz", Sendung vom 19. Dezember 2004, Dokumentation von Martin Hübner


Weihnachten 1944 - KZ Flossenbürg

An Weihnachten 1944 wurde Jack Terry Zeuge einer Hinrichtung von sechs russischen Häftlingen. Ein Erlebnis, das sich ihm wie den anderen anwesenden Inhaftierten in die Erinnerung eingebrannt hat:

"Im Dezember 1944 fand eine Hinrichtung statt. Alle mussten auf dem Appellplatz stehen und zuschauen. Vor dem Tor stand ein Christbaum und auf dem Appellplatz wurden Leute erhängt.
Die SS-Leute gingen herum und achteten darauf, dass wir alle zusahen und dass wir nicht traurig schauten. Es war eine furchtbare Situation, aber sie war Teil unserer Existenz. Es war eine komplett andere Welt, in der wir hier waren."


Weihnachten 1944 im KZ - Die letzten Zeugen

Weihnachten 1944 war mein zweites Weihnachtsfest im KZ. "Stille Nacht! Heilige Nacht! Alles schläft, einsam wacht, nur das traute, hochheilige Paar" - Unser schönes deutsches Weihnachtslied, wer sang es dieses Jahr 1944?

Wir im Konzentrationslager bekamen "Sonderzulage", d.h. zwei Tage Strafestehen, Kostentzug, Sirenengeheul, Marschieren, Hundegebell, Fußtritte: Ja, das waren die tollsten Erfindungen hasserfüllter SS. Der Weihnachtswunsch vieler wurde erfüllt: Sterben! Ist nicht der Tod das Tor zum Leben? An diesen hohen Feiertagen wurden all die Toten, die sich am elektrisch geladenen Stacheldraht selber umgebracht hatten, mit langen Stangen vom Strom abgehängt, auf offene Karren geladen, im Krematorium verbrannt. Wir Überlebenden mussten die Menschenasche auf den Lagerstraßen flach walzen.

Vgl. auch: "Asche auf vereisten Wegen" von Conrad Thaler.

1944 - Weihnachtsgruß von Dietrich Bonhoeffer

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Der Pfarrer Dietrich Bonhoeffer schrieb im KZ Flossenbürg am 19. Dezember 1944 sein berühmtes Gedicht "Von guten Mächten". Es sollte als Weihnachtsgruß seiner Verlobten Maria von Wedemeyer, seinen Eltern und seinen Geschwistern Mut machen, weiter für ihre Überzeugungen einzutreten.

Liebe Eltern, liebe Geschwister, liebe Maria!

Es ist wieder Weihnachten und ich kann immer noch nicht bei euch sein. Was wird das neue Jahr bringen. Mir fällt es schwer, meine Gefühle und Gedanken in einfache Worte zu fassen. Ich habe für euch ein Gedicht geschrieben:

Von guten Mächten"

"Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr;

noch will das alte unsre Herzen quälen,
noch drückt uns böser Tage schwere Last.
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das Du uns geschaffen hast.

Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern,
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern aus Deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann wollen wir des Vergangenen gedenken, und dann gehört Dir unser Leben ganz.

Laß warm und hell die Kerzen heute flammen
die Du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen! Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet, all Deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiß an jedem neuen Tag."

Das Gedicht von Dietrich Bonhoeffer spricht Trost zu in einer familiären Situation, die von den Schrecken der Naziherrschaft und des Krieges geprägt ist: Die zwei Söhne Klaus und Dietrich sowie die zwei Schwiegersöhne Hans von Dohnanyi und Rüdiger Schleicher sind inhaftiert, die Tochter Sabine, Dietrichs Zwillingsschwester, war wegen ihres jüdischen Mannes Gerhard Leibholz ins Ausland gegangen, der Sohn Walter ist gefallen.

Andreas Jordan, Dezember 2008

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