Ob die Weihnachtsringsendung als Livesendung authentisch gewesen ist, kann dabei durchaus bezweifelt werden. Gerüchte besagen, die Meldungen der Außenposten von den Fronten seien im Studio produziert worden, und es ist auch durchaus plausibel, dass die Meldungen zwar tatsächlich über größere Entfernungen gesendet, dann aber aufgezeichnet und zusammen geschnitten wurden. Der Produktionsfahrplan beschreibt jedenfalls, dass bereits bei den Probeschaltungen in den Tagen vor Weihnachten zur Sicherheit Tonbandaufnahmen gemacht worden waren, um bei technischen Schwierigkeiten eingespielt zu werden. In der Sendung selbst wurden nach einer Einführung aus dem Berliner Funkhaus abwechselnd Posten an den entferntesten Rändern des vom nationalsozialistischen Deutschland besetzten Gebietes und Funkhäuser in Städten des Reiches aufgerufen: Als Außenposten kamen nach dem "Militär-Genesungsheim" in Zakopane die Stationen Liinahameri, Kertsch, Wjasma, St. Nazaire, Leningrad, Stalingrad, Kreta, Catania, ein französischer Mittelmeerhafen, Pjatigorsk und Rovaniemi zu Wort. An den Außenposten wurden, so der Produktionsfahrplan, "Milieu und Stimmung" geschildert, der kämpferische Einsatz unterstrichen und offenbar auch charakteristische Geräusche eingespielt, woraufhin ausgewählte Sendestationen im Reich aufgerufen wurden, von denen aus Familienangehörige mit den in der Sendung auftretenden Soldaten Weihnachtsgrüße austauschten. Laut Produktionsfahrplan war gewährleistet, dass an den Außenposten jeweils genau solche Soldaten zu Wort kamen, deren Angehörige in den Studios von Berlin, Graz, Frankfurt, Königsberg, Breslau, Hamburg und München saßen. In allen an der Sendung beteiligten Stationen bestand laut Produktionsfahrplan die Möglichkeit, die Sendung über eigens dafür geschaltete Leitungen zu verfolgen. Front und Heimat wurden dabei jeweils abwechselnd eingespielt und tauschten ihre Grüße vor Publikum aus, so dass offenbar der Eindruck einer sich über das gesamte besetzte Gebiet erstreckenden Familienweihnachtsfeier entstand, die Front und Heimat verbindet. Wilhelm Bartholdy, der Redakteur der Sendung, bringt diese Weihnachtsfeier im Rückblick mit den nationalen Propagandafeiern am 30. Januar, 20. April, 1. Mai und 9. November in Verbindung. Hier wie dort sei man bereit, sich "ohne jeden Vorbehalt fest aneinander zu schließen, da überwinden unsere Gedanken alle Räume, die uns von den Verwandten und Freunden in der Heimat und von den Kameraden an den Fronten trennen." Der Rundfunk könne in diesem Sinne als "Brücke und Band" wirken, "für jeden begehbar und uns alle festigend und zusammenschmiedend." (Bartholdy 1943: S.401) Das Charakteristische der Ringsendung gegenüber den Propagandafeiern ist allerdings, so kann hier im Vorgriff festgehalten werden, dass sie von keiner zentralen Massenveranstaltung berichtet, sondern den "Ort" der Weihnachtsfeier selbst "herstellt". Am Schluss folgt dann der als Tondokument erhaltene Teil der Sendung, in dem alle Außenposten an der Front nochmals aufgerufen werden, wobei, so wird angemerkt, "die Vielgestaltigkeit des Übertragungsmilieus" durch einen charakterisierenden Satz gekennzeichnet werden sollte. Bereits am 24. Dezember 1940 hatte es eine Weihnachtssendung gegeben, die von den Programmzeitschriften wie folgt angekündigt wurde: "Deutsche Weihnacht 1940. 90 Millionen feiern gemeinsam. 40 Mikrophone verbinden Front und Heimat". (Diller 2003: 47) Außer einem Studiogespräch wurden dabei auch Meldungen aus Narvik, Graz, aus dem Schwarzwald und vom Brocken geschaltet, sowie Erlebnisberichte von der Front. Auch 1941 scheint es eine ähnliche Ringsendung am Weihnachtstag gegeben zu haben. Die Ringsendung von 1942 könnte dann in einer Logik der Überbietung der Versuch gewesen sein, dem Genre "Ringsendung zu Kriegsweihnachten" seine definitive Form zu geben, auch wenn die technischen Möglichkeiten dies nicht erlaubten. Allerdings ist die Frage, ob die Sendung ein Studioprodukt war, oder ob die entferntesten Außenposten des eroberten Gebiets in einer viel beschworenen "technologischen Meisterleistung" tatsächlich live zusammengeschaltet wurden, dann sekundär, wenn nicht die Authentizität der Sendung, sondern ihre Authentizitätseffekte im Zentrum stehen. Eben diese Überlegung stellt bereits Eugen Kurt Fischer an, in dessen Buch Dramaturgie des Rundfunks von 1942 sich ein Kapitel zum "Hörwerk" findet, welches die Erfahrungen mit der Weihnachtsringsendung von 1940 auswertet und insofern die Konzeption der Sendung von 1942 beeinflusst haben dürfte. Bei den Live-Übertragungen über weite Strecken seien "immer Überraschungen (...) durch Leitungsstörungen, mangelhafte Leitungen, Fehlschaltungen u.a.m." möglich, denen man durch das Einspielen von vorbereiteten Aufnahmen "notdürftig begegnen" könne, wenn die Übertragung "versickert oder ganz aussetzt". Es sei allerdings fraglich, ob die "Illusion der Direktsendung dann noch aufrechterhalten werden" könne. Und eben dies spreche für die "Vollmontage als die verlässlichere Form". Werner Plücker, der Leiter der Ringsendungen von 1940 und 1942, macht das problematische Verhältnis zwischen der Technik von Live-Übertragung über weite Strecken und der Wahrnehmbarkeit dieser technischen Leistung selbst deutlich:
An diesem Punkt setzen die nun folgenden Überlegungen an: Wie wird die auditive Präsenz der Übertragungstechnik (in den Störgeräuschen), aber auch: wie werden die Stimmen der Soldaten an den Fronten und der Angehörigen zu Hause, wie wird die räumliche Distanz der verschalteten Posten, wie wird die permanente Thematisierung des Sendeereignisses, der Live-Situation selbst als Sound eingesetzt? Damit stellt sich eine weitere Frage: Wenn der Sound selbst zu einer "Politik" wird, wenn die phänomenale Gestalt der Sendung selbst ihr wirkungsvollster Bestandteil ist, dann geht die Suche nach übermittelten Informationen oder der propagandistischen Verzerrung oder Fälschung einer Realität an der Sache vorbei. Ebenso wenig kann aber auch der Verweis, in den Störgeräuschen mache sich die letztlich determinierende materielle Basis der Medientechnik hörbar, das letzte Wort sein. Was ist die Funktion dieses Soundelements im Verbund mit den anderen in der Dramaturgie der Sendung? Diese Fragen werden im Folgenden vor allem im Rückgriff auf den erhaltenen und recht bekannten, vier Minuten langen letzten Teil der Weihnachtsringsendung betrachtet. Zu Beginn dieses Ausschnitts, d.h. in der Schlusssequenz der Sendung, kündigt der Sprecher eine letzte Schaltung zu den Außenposten an:
Die zugeschalteten Außenposten des eroberten Gebiets werden vom Sprecher angekündigt, geben nacheinander ihre Lage durch, indem sie den geographischen Namen ihres Postens mit einer kurzen Charakterisierung nennen ("im finnischen Winterwald", "an der Atlantikküste" etc.). Jede Station hat dabei auch einen eigenen klanglichen Charakter: Manche sind stark verrauscht, andere mit Halleffekten unterlegt, manche sind äußerst klar zu vernehmen, wieder andere verzerrt. Am Ende meldet sich der "Schwarzmeerhafen":
Die anderen Stationen stimmen nun sukzessive in das Lied ein, wobei die verschiedenen klanglichen Charakteristika der Stationen sich überlagern. Begleitet wird das Lied von einem Klavier. Während die singenden Posten nacheinander zugeschaltet werden, kommentiert der Sprecher diesen Vorgang pathetisch:
Worum geht es in diesem Ausschnitt der Weihnachtsringsendung von 1942? Er scheint sich einer Kategorisierung durch den Begriff Propaganda zu entziehen. Jeder halbwegs informierte und wissbegierige Hörer bekommt mit der Zeit heraus, auch zwischen den Zeilen der Propaganda zu lesen, Informationen aus gegnerischen Quellen zu verwerten (was mit dem Radio viel leichter möglich wurde) und sich der Mechanik rhetorischer Propaganda zumindest teilweise zu entziehen: Ihre Wirkung endet dort, wo ihr Funktionsprinzip durchschaut ist, die einzige Kontermöglichkeit der Propaganda kann dann nur noch die unendliche Wiederholung sein. Nichts von dem im vorliegenden Ausschnitt der Ringsendung. Diese Sendung ist durchaus nicht rhetorisch in dem Sinne, dass ein Sachverhalt bestmöglich dargestellt wird. Hier soll niemand überzeugt werden. Das Radio im Zweiten Weltkrieg ist oft als "Propagandamittel" beschrieben worden. Das "Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda" hatte diese begriffliche Weichenstellung bereits vorgegeben, und sie ist auch in den sozialwissenschaftlichen Erklärungsversuchen, die während des Krieges von den alliierten Staaten unternommenen werden, präsent, schließlich geht es ihnen um eine Lageanalyse, die Gegenpropaganda ermöglicht. Dabei stand die Propagandakonzeption aus dem Ersten Weltkrieg Pate: Hier war die Bombardierung der Zivilbevölkerung mit "geistigen Projektilen" erstmals in großem Rahmen eingesetzt worden, wenn auch nicht mit den Mitteln des Radios. Die moralische Verwerflichkeit des Gegners und die Lauterkeit eigener Kriegführung wurde dabei nicht nur der eigenen, sondern auch den Bevölkerungen der gegnerischen und der neutralen Staaten bildhaft vor Augen geführt. Ziel war es dabei, die sogenannte Moral nicht nur der Truppe, sondern auch der Zivilbevölkerung zu stärken bzw. zu schwächen, war diese ja als Etappe und Nachschubreservoir in bisher unbekanntem Maße in die Kriegführung mit einbezogen. Die Kniffe des Reklamewesens, Plakate, Karikaturen, (Des-)Informationen und die Massenmedien Zeitung, Film und Telegraphie wurden im Sinne "geistiger Projektile" eingesetzt. Der Rückgriff auf Werte wie Kultur, Moral, Anstand stand dabei im Vordergrund, Rhetorik war unabdingbares Handwerkszeug beim Entwerfen möglichst wirksamer Propaganda. Eine Schlüsselschrift für Propaganda in diesem Sinne ist Edgar Stern-Rubarths Buch Die Propaganda als politisches Instrument von 1921. Es hat den Anspruch, die Erfahrungen mit der Propaganda im Ersten Weltkrieg auszuwerten und aus den Fehlern der deutschen Seite zu lernen. Die Propaganda, so Stern-Rubarth, sei im Ersten Weltkrieg unterschätzt und dilettantisch durchgeführt worden. Deutschland sei "einer anderen als der militärischen Waffe unterlegen" (1921: 3), eine Auffassung, die die sogenannte "Dolchstoßlegende" anklingen lässt , die Gegner hätten diese Waffe eher erkannt und besser genutzt. Stern-Rubarths Katalog der Propagandamittel geht dem gemäß davon aus, dass eine zentrale Instanz das gesamte Propagandainstrumentarium gezielt steuern und einzusetzen habe:
Offenbar sind die Strategien des Goebbelsschen Propagandaministeriums von dieser Vorlage stark inspiriert gewesen; Stern-Rubarth selbst soll nach dem Zweiten Weltkrieg ironisch kolportiert haben, dass sein Buch auf Goebbels Schreibtisch gelegen habe (so Lerg 1964: 159). Und auch viele Radiosendungen ab 1933 und im Zweiten Weltkrieg haben sich an dieser Vorlage orientiert. Die Weihnachtsschaltung dagegen verstößt gegen die Richtlinien der Propagandafibel: Sie verwendet keine politischen Schlagworte oder Tatsachenbehauptungen, vielmehr thematisiert sie sich laufend selbst etwa wenn der Sprecher die Soldaten aufruft, "Zeugnis ablegen (...) von dem umfassenden Erlebnis dieser unserer Ringsendung". Es geht auch nicht um Märtyrer für eine Sache, sondern um die "authentische", d.h. erlebbare Präsenz der entfernten Posten, die im Sound anwesend werden. Und es geht nicht explizit um Kriegsziele und die Sammlung unter einer gemeinsamen Losung, sondern vielmehr um die Schaffung jener "Brücke zwischen Front und Heimat", die vor allem in der wechselseitigen Vermittlung der unterschiedlichen Erlebniskontexte in einem gemeinsamen Augenblick besteht. Die Einbettung des Sound-Geschehens der Ringsendung in propagandistische Strategien ist dann, wie etwa in der als Ankündigung der Sendung zu lesenden Rede Hans Fritzsches des "Beauftragten für die politische Gestaltung des Großdeutschen Rundfunks" deutlich wird, ein eher rhetorisches denn konzeptionelles Moment: Nach der wechselseitigen "Kundgabe" von Leben und Erleben an der Front und in der Heimat, so Fritzsche, habe der Rundfunk "zu berichten über den Stand des großen Ringens der Nation" (Fritzsche 1942: 319). So folgt auch der eigentlichen Ringsendung eine Rede des Propagandaministers. Die Sendung selbst hingegen verbreitet keine Durchhalteparolen aus dem Propagandaministerium, vielmehr knüpft sie eher an die Sendungen des Wunschkonzerts für die Wehrmacht an, in denen Unterhaltungsmusik ohne explizit politische Parolen gesendet wurde. Was diese Schaltung von einer Weihnachtsfeier daheim oder in einem Betrieb unterscheidet ist, dass sie im Radio kommt und dass die Feier kommentiert wird. Die Teilnehmer sitzen an den Rändern und in der Mitte des eroberten Gebiets. Wo die Außenposten sitzen, wird knapp charakterisiert, wichtig scheint zu sein, dass sie genau dort draußen sitzen, am Rand der deutschen Welt sie stehen für die Front als Ganzes. Ihre Positionen stecken die Grenzen des Raumes ab, in dem die Weihnachtsfeier stattfindet: Es ist der Raum des eroberten Gebiets in den Vorstellungen der Radiohörer, es ist ihr imaginäres inneres Deutschland, und sie sind dabei und feiern mit, singen mit. Anders als bei den Propagandastrategien eines Goebbels, bei dem die Menschenmassen als Schlachtfeld der geistigen Projektile auftauchen, als das Feld, welches mit den Propagandamitteln beackert wird und dessen Ernte die Unterwerfung der Massen unter einen zentralen Willen und verstärkte Kampfkraft sind, geht es bei der Weihnachtssendung gar nicht um Überzeugung oder um das Sammeln hinter einer gemeinsamen Losung. Es geht darum, es sich zu Weihnachten zusammen mit den anderen in Stalingrad, auf Kreta, in Finnland und in Frankreich im Wohnzimmer des imaginären Deutschland gemütlich zu machen. Es geht darum, diese gemeinsame Gegenwart durch Sound wirksam und damit wirklich werden zu lassen. Der als Tondokument erhaltene Ausschnitt der Weihnachtsringsendung kann als ein Versuch verstanden werden, ein solches imaginäres "inneres Deutschland" mit Hilfe des "Erlebnisses der Ringsendung" als eine Wirklichkeit zu konstruieren, als eine "gemeinsam geteilte Gegenwart". Es ist dabei überhaupt nur die Kombination der räumlich im Prinzip unbegrenzten Ausdehnung des Radioempfangs mit der ästhetischtechnisch erzeugten territorialen Imagination eines "inneren Deutschland", welche die verstreute Masse der Hörenden durch ein solches Gemeinschaftserlebnis noch "verbinden", d.h. integrieren kann wobei die Grenzen dieser durch den Sound erzeugten territorialen Imagination weniger durch das Territorium als durch die Partizipation der Hörenden und damit: durch die Kontingenz des Radiopublikums abgesteckt sind. Diese Konstruktion greift, so die im Folgenden erläuterte These, auf die Mittel des Hörspiels und der Reportage zurück, wie sie in den Zwanziger Jahren entwickelt wurden. Es sind diese, viel mehr als die Propaganda à la Goebbels oder Stern-Rubarth, welche die Dramaturgie der Sendung ausmachen. Quelle: → Dominik Schrage: "Singt alle mit uns gemeinsam in dieser Minute".
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Andreas Jordan, Dezember 2008 |