Abb.: Das geplante Thingtheater schaffte es bereits in die Stadtkarten, hier ein in den 30er Jahren gezeichneter Kartenausschnitt von Andreas Wilhelm Ballin. Das Berger Feld, ein Gelände mit wechselhafter Geschichte: Auf dieser Fläche steht heute die Veltins-Arena.
Trotz des Scheiterns der Gelsenkirchener Thingtheaterpläne stellen die über lange Zeit in gleichem Maße ernsthaft wie perspektivlos betriebenen Planungen der politisch Verantwortlichen mehr dar als bloß eine kuriose stadthistorische Fußnote. In ihnen dokumentieren sich nämlich zwei Grundelemente nationalsozialistischer Kulturpolitik in Gelsenkirchen in der Frühzeit des Dritten Reichs: Zum einen der Wille aller beteiligten Stellen, gerade die "arme" Arbeiterstadt Gelsenkirchen zu einer nationalsozialistischen Vorzeigekommune mit vollendeter Volksgemeinschaft" umzugestalten, zum anderen aber die kulturpolitische Orientierungslosigkeit der Stadtverwaltung, die zwar zu einem bedingungslosen Bruch mit den bisherigen bildungsbürgerlichen Kulturtraditionen bereit war, das dadurch entstehende konzeptionelle Vakuum allerdings nicht auszufüllen vermochte.
Die Folge dieser Orientierungslosigkeit war die Planung eines vollkommen utopischen Projektes, dessen Verwirklichung allen Verantwortlichen eigentlich von vornherein unrealistisch hätte erscheinen müssen und dessen Scheitern letztlich die Rückorientierung der Stadt zu "bewährten", bürgerlich geprägten Kulturvorstellungen beschleunigte.
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Ein eigenes, kommunales Theater hat die Stadt Gelsenkirchen vor 1935 nicht besessen. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts begnügte sich die Stadtverwaltung mit der gelegentlichen Anwerbung auswärtiger Theater- und privater Schauspieltruppen, bis man ab 1911 das Düsseldorfer Schauspielhaus zu regelmäßigen Gastspielen verpflichtete. Ähnlich war die Situation zunächst auch in Buer. Erste Theateraufführungen wurden von kommerziellen Unternehmern oder von Vereinen angeboten, bis auch die Stadt nördlich der Emscher einen kommunal organisierten Theatergastspielbetrieb einrichtete, der vor allem die kulturellen Bedürfnisse der schmalen bildungsbürgerlichen Bevölkerungsschicht der Stadt befriedigte. 1926 wurde ein Vertrag mit dem Rheinischen Städtebundtheater in Neuß geschlossen - eine Verbindung, die über die Städtevereinigung 1928 hinaus Bestand hatte und bis zur Einrichtung eines eigenen Stadttheaters durch die Gesamtstadt aufrecht erhalten wurde.
Ein ausreichendes Publikumsinteresse war in der Arbeiterstadt nördlich der Emscher offensichtlich vorhanden. Bereits 1924/25 hatten sich mit dem "Bühnenvolksbund" und der "Freien Volksbühne" zwei Besucherorganisationen etabliert, die zusammen rund 1.000 Mitglieder hatten. Nach der Städtevereinigung bespielte neben dem Neußer Theater das Düsseldorfer Schauspielhaus beide Stadtteile, bis man aus Kostengründen für die Spielzeit 1931/32 das Ensemble des Münsteraner Stadttheaters engagierte. Die Leistungen der Münsteraner ließen allerdings so stark zu wünschen übrig, dass man für die folgende Spielzeit das vereinigte Stadttheater Bochum-Duisburg unter der Leitung Saladin Schmitts verpflichtete. Die Verbindung mit Bochum blieb dann bis zur Einrichtung eines eigenen Theaters bestehen.
Erste Bemühungen, zumindest mittelfristig ein eigenes Theater aufzubauen, wurden in Gelsenkirchen bereits vor dem Ersten Weltkrieg unternommen. In einem Stadtverordnetenbeschluss vom 27.1.1911 wurde ein Theaterbaufond eingerichtet, der aus Haushaltsüberschüssen gespeist wurde und der 1914 ein Volumen von rund 1,1 Millionen Mark erreichte. In diesem Jahr wurden offiziell der Bau eines eigenen Theaters sowie die Einsetzung einer Kommission beschlossen, die die notwendigen Vorarbeiten koordinieren sollte. Krieg und Inflation verhinderten allerdings in der Folgezeit die Durchführung des Vorhabens und entwerteten den bis 1922 auf immerhin rund 10 Millionen RM angewachsenen Baufond. Der kurze wirtschaftliche Aufschwung der Jahre vor Beginn der Weltwirtschaftskrise konnte diesen Verlust nicht kompensieren, und ab 1927 hatte der praktisch leere Baufond nur noch pro forma Bestand. Die Einrichtung eines Stadttheaters, das in vielen anderen Städten des Reiches den Mittelpunkt des bildungsbürgerlichen Kulturlebens bildete, war somit in Gelsenkirchen trotz guter Vorsätze in der späten Kaiserzeit und während der Weimarer Republik an den wirtschaftlichen Problemen der Kommune gescheitert.
Das geplante Thingtheater in Buer
An der Praxis der kommunal organisierten Theatergastspiele änderte sich in den ersten Monaten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Gelsenkirchen nichts. Die Haushaltslage der Stadt war zu dieser Zeit weiterhin kritisch, und die städtisch organisierten Theatergastspiele der vereinigten Stadttheater Bochum-Duisburg fanden eine so positive Resonanz, dass der Gastspielvertrag verlängert wurde. Ein erster Impuls, das Gelsenkirchener Theaterleben umzugestalten, kam daher in dieser Zeit von außen. Er führte zur Planung des in seinen Dimensionen ehrgeizigsten Theaterprojektes für die Stadt im Dritten Reich überhaupt - der Planung eines großdimensionierten Thingtheaters in Buer.
Die Thingtheaterbewegung war ein deutsches Kulturphänomen der frühen 30er Jahre. Reichsweit verfolgten ihre Protagonisten das Ziel, monumentale, am antiken Amphitheater angelehnte Freilichtbühnen zu errichten und dort durch die Aufführung sakral-mystischer Weihespiele ein neues Theater im nationalsozialistischen Geiste zu erschaffen. Die Wurzeln dieser Theaterkonzeption waren freilich nicht genuin nationalsozialistisch. Sie lagen ebenso in der antibürgerlichen Freilicht- und Laienspielbewegung der Vorkriegszeit, die aus der Jugendbewegung hervorgegangen war, wie in neuheidnisch-völkischen Literaturansätzen, den Fest- und Weihespielen der Arbeiterbewegung und der modernen Gestaltungspraxis politischer Massenveranstaltungen. Im Nationalsozialismus wurden all diese Ansätze, für die offenbar "ein spezifisches Rezeptionsverhalten breiter Volksschichten" vorhanden war, gebündelt und zur Grundlage für eine Massenbewegung gemacht.
Die ersten konkreten Impulse zur Förderung des Thingtheaterwesens im nationalsozialistischen Staat gingen vom RMVP und hier vor allem vom Leiter der RMVP-Theaterabteilung, dem späteren Präsidenten der RThK, Otto Laubinger, aus. Kulturideologisch wurden Laubingers Bemühungen von dem Willen getragen, das "bourgeoise" Bildungstheater revolutionär umzugestalten und zum Volkstheater, zum „Theater der Fünfzig- und Hunderttausend" (Goebbels) zu machen. Dazu kam die machtpolitische Notwendigkeit, das gerade erst gegründete RMVP programmatisch von den eher elitär orientierten Kreisen Rosenbergs abzugrenzen und eigene kulturpolitische Konzepte zu entwickeln. Schon im Frühjahr 1933 hatte Laubinger daher die Präsidentschaft des gerade gegründeten "Reichsbundes der Freilicht- und Volksschauspiele e.V." (RFV) übernommen, der in der Folgezeit den organisatorischen Mittelpunkt der Thingspielbewegung bildete. In enger Kooperation mit dem RMVP, der RThK und dem Arbeitsdienst bemühten sich Laubinger und der RFV, die Thingdichtung und Thingtheateraufführungen aktiv zu fördern, den Ausbau der Thingtheaterbewegung zu kontrollieren und den Bau neuer Thingstätten voranzutreiben.
Zudem versuchte Laubinger, sein eigenes literarisches Konzept des Thingtheaters durchzusetzen, in dessen Rahmen er besonders den Volkscharakter dieses "Gegentheaters" zur bisherigen Kammerbühne zu akzentuieren suchte. Dieses Konzept blieb allerdings nicht unangefochten. So propagierten verschiedene Autoren und Theatertheoretiker eine stärkere Betonung des kultisch-religiösen Charakters des Thingtheaters, andere das chorisch-laienspielerische Element, und der Rosenberg-Kreis, der die Thingtheateridee wider Erwarten positiv aufgenommen hatte, drängte auf die Bewahrung einer klassischen dramatischen Grundlinie vor neuer Kulisse. Diese konzeptionelle Unklarheit, die Laubinger trotz seiner einflussreichen Position dauerhaft nicht überwinden konnte, führte in der Praxis zu einem Mangel an geeigneten Schauspielen für Thingtheateraufführungen. So hatten bis 1935 nur eine handvoll Stücke die Zustimmung der RThK als geeignete Thingspiele gefunden, denen eine wahre Flut unbrauchbarer Stücke gegenüberstand. Zu diesem Zeitpunkt war der Höhepunkt der Begeisterung für das neue Theaterkonzept allerdings bereits überschritten. Die nationalsozialistische Kulturpolitik hatte sich soweit konsolidiert, dass für revolutionäre Umwälzungen im Theaterwesen kaum noch Spielräume vorhanden waren. Zudem hatte nach dem Tode Laubingers 1935 ein Mitarbeiter Rosenbergs dessen Position beim RFV übernommen - eine Personalentscheidung, die die Thingtheaterbewegung stärker als bisher in den Machtkampf zwischen Goebbels und Rosenberg involvierte und die Begeisterung des Propagandaministers für den RFV stark abkühlen ließ. 1937 entzog Goebbels der Thingspielbewegung schließlich jede weitere Unterstützung und beendete somit das Experiment, ein germanisches, antiaristotelisches Theater in Deutschland zu etablieren. Von etwa 400 geplanten Thingtheatern waren bis zu diesem Zeitpunkt lediglich 40 fertiggestellt worden.
Die Stadt Gelsenkirchen wurde mit dem Thingspielgedanken des RFV bereits im Oktober 1933 erstmals konfrontiert, als sich der Bund mit einem Werbeschreiben an die Stadtverwaltung wandte und seine Zielsetzungen zu verdeutlichen suchte: "Eines der wichtigsten Instrumente zur Erfüllung unserer völkisch-kulturellen Aufgabe soll und wird dem nationalsozialistischen Staat die Bühne im Freien sein, die Massenversammlung zur Hinnahme einer theatralischen Schau - in der aus der Darstellung gegenwärtigen Schicksals [...] die geistige und politische Volkwerdung immer von neuem sich vollzieht." Diese "theatralische Schau", so wurde weiter ausgeführt, solle sich vor der Kulisse historischer Stätten, aber auch "inmitten der Arbeiterstädte" vollziehen, um eine lebensfremde Flucht in die Vergangenheit zu verhindern. Inhaltlich wollte man einerseits ein heroisches, die Leistung einzelner Helden betonendes Theater gestalten, andererseits aber auch ein Theater, das das Volk als Chor integrieren und private Gefühle ausschalten sollte. Der RFV bat die Stadt Gelsenkirchen zunächst nur um ihre Vereinsmitgliedschaft, die mit einem Jahresbeitrag von 100-200 RM verbunden sein sollte. Infolge der "katastrophalen Finanzlage" lehnte die Stadt einen Beitritt jedoch ab.
Diese ablehnende Haltung änderte sich im Frühjahr 1934, als der RFV der Stadt den Bau eines eigenen Thingtheaters nahe legte und die finanzielle Unterstützung eines möglichen Bauvorhabens durch die RMVP-Landesstelle sowie durch den Freiwilligen Arbeitsdienst in Aussicht stellte. Eilig versicherte die Stadt dem Reichsbund nun, "die ersten Vorentwürfe" für einen Thingplatz "bei Haus Berge" in Buer würden erstellt, zumal das künftige Baugebiet bereits durch den Landesleiter des RMVP besichtigt worden sei. Zudem ließ man den Bueraner Lehrer und Leiter des Heimatmuseums Schmitt ein heimatkundliches Gutachten erstellen. In diesem Gutachten betonte der Gymnasialprofessor die angeblich besonders gute topographische und historische Eignung des Geländes am Höhenrücken zwischen Emscher und Lippe und konstruierte auf die ihm eigene phantasievolle Weise eine scheinbare Thingtradition des zukünftigen Baugeländes:"Uralte ehrwürdige Geschichte weht um diese Thingstätte. [...] Reiches Volksleben hat sich um den ,Berger Thingplatz' seit Jahrtausenden abgespielt [...], hier tagte die heilige Feme, hier sah man des Bauerntums Niedergang und Auferstehen [...]. Wo einst die Wildrosse auf der Emscherbrucher Wildbahn in Rudeln dahinstrichen, werden nun bald auf der Reichsautobahn die blitzschnellen Wagen dahinsausen. Das neue Volksthing aber wird noch weiter die Erinnerung an alte Geschichte und altes Volkstum leben lassen."
Die Stadt beauftragte daraufhin einen Architekten aus Dortmund mit den Vorarbeiten, der bereits am 26.3.1934 eine erste Ideenskizze an die Landesstelle des RMVP in Münster schickte. Die wichtigste Frage der gesamten Unternehmung war allerdings noch vollkommen ungeklärt, nämlich, wer den Bau des Thingplatzes finanzieren sollte. Zwar genehmigte die Führung des Freiwilligen Arbeitsdienstes die Bereitstellung von Arbeitskräften, doch sollte die Stadt die Sachkosten für Bau und Unterbringung sowie für zusätzliche Arbeitskräfte tragen. Eine erste Kalkulation ergab die astronomische Summe von rund 1,5 Millionen RM für diese "Nebenkosten". Lakonisch vertagte man sich daher zunächst: "Vor Durchführung des Abschlusses [eines Bauvertrages mit Architekt, RMVP, Arbeitsdienst und RFV, C. S.] ist noch zu klären, wie die Stadt die erforderlichen zusätzl. Mittel aufbringt kann."
Abb.: Theatermuseum Köln, Modell des in Gelsenkirchen 1934 geplanten Thingtheaters
Die hohen Kosten für den Bau des Thingplatzes ergaben sich vor allem aus den enormen Dimensionen, die die Anlage haben sollte: Mit 200.000 Menschen hätte fast zwei Drittel aller Gelsenkirchener im Thingtheater und auf dem angegliederten Aufmarschgelände Platz gefunden. Besonders dem RFV konnte die gesamte Anlage kaum gewaltig genug sein. So kritisierte der Bund an den eingereichten Plänen des Architekten: "Aus der Fotografie von dem neuen Modell habe ich doch den Eindruck, dass die gegen den Aufmarschplatz liegende Freitreppe zu pimperlich geraten ist. [...] Als Verbindung zu dem Aufmarschgelände für 200.000 Menschen wirkt diese Treppenanlage zu klein. Auch dürfen unter dieser Treppenanlage unter keine Umständen die Aborte angebracht werden. [...] Man kann doch nicht 200.000 Menschen mit dem Blick nach dieser Treppe aufstellen, wobei sie Muse haben, währen der Festreden die beiden Überschriften ,Für Männer' ,Für Frauen' zu lesen."
Um die Kosten für die Errichtung eines Arbeitsdienstlagers abfangen zu können wurde von Seiten der Stadt überlegt, zusätzlich in der Nähe des geplanten Thingtheaters einen Flugplatz anzulegen. Der vom RFV angemahnte Baubeginn (Anfang Juli 1934) konnte allerdings angesichts der ungeklärten Finanzierung des Projektes nicht eingehalten werden, obwohl das Bauvorhaben Inzwischen durch die Presse publik gemacht worden war. Nach einer neuen Kostenberechnung musste die Stadtverwaltung eingestehen, dass die Realisierung des Baus in den geplanten Dimensionen als Arbeitsdienstmaßnahme nicht finanzierbar war. In einer gemeinsamen Sitzung aller am Projekt beteiligten Stellen wurden daher Sparmaßnahmen beschlossen: Die Arbeit sollte nun als staatliche Fürsorgemaßnahme durchgeführt werden, und der Umfang des Bauvorhabens wurde reduziert. Baubeginn sollte nun Mitte Juli 1934 sein. Anfang Juli wurden dann die Planungen noch einmal geändert und man legte einen ganz neuen Standort für das Theater und den Aufmarschplatz fest. Nun sollte "das Gelände zwischen der Verbandsstrasse, Balkenstrasse, Hafenstrasse und des Flugplatzes " bebaut werden.
(Anmerkung: Protokoll der Beigeordnetenbesprechung vom 2.7.1934, StdA Ge, Ge/0 3377. Das bezeichnete Areal wird heute von der Kurt-Schumacher-Allee, der Willy-Brandt-Allee und der Adenauer-Allee umschlossen. Der geplante Flugplatz sollte auf dem nördlichen Teil des Berger Feldes errichtet werden.)
Nach diesem Beschluss stagnierte das Unternehmen jedoch mehr und mehr. Ende August 1934 fragte die Landesstelle des RMVP daher bei der Stadt nach dem Zeitpunkt für den Baubeginn an und drängte darauf, das Projekt nicht aufzugeben: "Der Reichsbund der Freilicht- und Volksschauspiele e.V. und dessen präsidierender Vorsitzende Pg. (Parteigenosse) Laubinger wünscht, dass gerade mitten im Industriegebiet eine solche Thingstätte entsteht.
Die Antwort der Stadt war hinhaltend. Man sei zwar mit den Vorarbeiten beschäftigt, doch seien bislang weder die Kostenkalkulation abgeschlossen noch das Problem des Grunderwerbs noch die Frage der Genehmigung des Baus als Fürsorgemaßnahme geklärt. Zu diesem Zeitpunkt deutete bereits alles daraufhin, dass man seitens der Stadt auf eine Einstellung des gesamten Projektes ohne großes Aufsehen hoffte. Angesichts der weiterhin kritischen Finanzlage der Stadt und inzwischen geschätzten Gesamtkosten von 1.370.000 RM für die Anlage ist dieses Vorgehen nicht verwunderlich, zumal man ja bereits an die Öffentlichkeit gegangen war und auch auf der reichsweiten Ausstellung "Nationalsozialistische Thingstätten im Bau" in Heidelberg im Spätsommer 1934 ein mehrere Meter langes Modell des geplanten Theaters präsentiert hatte. Nur noch halbherzig wurde deshalb an den Planungen weitergearbeitet - so halbherzig, dass sich ein Mitarbeiter des Bauamtes an die Beigeordneten wandte und eine Beschwerde über ungenaue Arbeiten und Verzögerungen der Planungen innerhalb der beteiligten Amter vortrug. Dies änderte allerdings an der Stillegung des Bauvorhabens nichts mehr. Anfang 1935 gestand man sich in einem internen Aktenvermerk ein, das ganze Projekt sei "überhaupt noch vollständig unklar". Dabei blieb es dann auch. Die zeitweilig ernsthaft ins Auge gefasste Einrichtung eines nationalsozialistischen Thingtheaters in Buer wurde nicht offiziell aufgegeben, sondern einfach stillschweigend eingestellt.
Trotz des Scheiterns der Gelsenkirchener Thingtheaterpläne stellen die über lange Zeit in gleichem Maße ernsthaft wie perspektivlos betriebenen Planungen der politisch Verantwortlichen mehr dar als bloß eine kuriose stadthistorische Fußnote. In ihnen dokumentieren sich nämlich zwei Grundelemente nationalsozialistischer Kulturpolitik in Gelsenkirchen in der Frühzeit des Dritten Reichs: Zum einen der Wille aller beteiligten Stellen, gerade die "arme" Arbeiterstadt Gelsenkirchen zu einer nationalsozialistischen Vorzeigekommune mit vollendeter Volksgemeinschaft" umzugestalten, zum anderen aber die kulturpolitische Orientierungslosigkeit der Stadtverwaltung, die zwar zu einem bedingungslosen Bruch mit den bisherigen bildungsbürgerlichen Kulturtraditionen bereit war, das dadurch entstehende konzeptionelle Vakuum allerdings nicht auszufüllen vermochte. Die Folge dieser Orientierungslosigkeit war die Planung eines vollkommen utopischen Projektes, dessen Verwirklichung allen Verantwortlichen eigentlich von vornherein unrealistisch hätte erscheinen müssen und dessen Scheitern letztlich die Rückorientierung der Stadt zu "bewährten", bürgerlich geprägten Kulturvorstellungen beschleunigte.
Quelle: Zitat aus "Nationalsozialistische Kulturpolitik im Gau Westfalen-Nord" - Regionale Stukturen und lokale Milieus (1933-1945) von Christoph Schmidt. Paderborn 2006. ISBN: 3-506-72983-7 Foto: Theatermuseum Köln
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