"Der RJF sieht die Grundlage seiner Arbeit in einem restlosen Bekenntnis zur deutschen Heimat. Er hat kein Ziel und kein Streben außerhalb dieser deutschen Heimat und wendet sich aufs schärfste gegen jede Bestrebung, die uns deutsche Juden zu dieser deutschen Heimat in eine Fremdstellung bringen will."
Dr. Leo Löwenstein
Antisemitismus und Dolchstoßlegende
Die 1918 aus dem Krieg zurückkehrenden jüdischen Veteranen sahen sich weiter den Verleumdungen aus dem rechten politischen Lager ausgesetzt, sie hätten sich vor dem Einsatz an der Front gedrückt. Obwohl von den ca. 85.000 jüdischen Frontkämpfern im Ersten Weltkrieg 12.000 den "Heldentod fürs Vaterland" starben, wurde seit Herbst 1918 von völkisch-nationalen Gruppierungen behauptet, aufgrund von "Drückebergerei" und innerer Zersetzung der Heimat trügen die Juden die Hauptschuld an der deutschen Niederlage (die so genannte "Dolchstoßlegende").
"Deutsche, denkt daran!" Antisemitische Propaganda-Postkarte, um 1923.
Mit der "Dolchstoßlegende", dem Mythos von der im Felde unbesiegten deutschen Armee, schrieb die antisemitische Propaganda den "jüdisch-revolutionären Kräften" die Schuld am Zusammenbruch des Kaiserreichs zu. Die Karikatur zeigt den Sozialdemokraten Philipp Scheidemann mit erhobenem Dolch im Rücken der Soldaten. Zustimmung erhält er vom Zentrumspolitiker Matthias Erzberger.
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Im Hintergrund sieht man "die vermögenden Juden" als vermeintliche Anstifter der Tat. Die "Dolchstoßlegende" war überaus erfolgreich im "symbolischen Bürgerkrieg" der 20er Jahre und trug zum Versinken Deutschlands in der nationalsozialistischen Barbarei maßgeblich bei.
Die "Dolchstoßlegende" war eine von führenden Vertretern der deutschen Obersten Heeresleitung (OHL)- namentlich von Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg - initiierte Verschwörungstheorie, die die Schuld an der militärischen Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg vor allem auf die Sozialdemokratie abwälzen sollte. Sie besagte, das deutsche Heer sei im Weltkrieg "im Felde unbesiegt" geblieben und habe erst durch oppositionelle "vaterlandslose" Zivilisten aus der Heimat einen "Dolchstoß von hinten" erhalten. Antisemiten und Faschisten verknüpften "innere" und "äußere Reichsfeinde" dabei zusätzlich mit der Chimäre vom "internationalen Judentum".
Diese Legende diente deutschnationalen, völkischen und anderen rechtsextremen Gruppen und Parteien zur Propaganda gegen die Novemberrevolution, die Auflagen des Versailler Vertrags, die Linksparteien, die ersten Regierungskoalitionen der Weimarer Republik und die Weimarer Verfassung. Sie gilt in der Zeitgeschichte als bewusst konstruierte Geschichtsfälschung und Rechtfertigungsideologie der militärischen und nationalkonservativen Eliten des Kaiserreichs, die dem Nationalsozialismus wesentliche Argumente lieferte und seinen Aufstieg entscheidend begünstigte.
Bild: Vom Reichsbund jüdischer Frontsoldaten als Antwort auf die Anschuldigungen fehlenden Patriotismus herausgegebener Handzettel, um 1920.
Zur Abwehr dieser Angriffe wurde im Februar 1919 in Berlin ein jüdischer Soldatenbund gegründet, der sich 1920 zusammen mit anderen Ortsgruppen zum Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF) zusammenschloss. Initiator war der Hauptmann der Reserve Dr. Leo Löwenstein (1879-1956). Erste und zentrale Aufgabe des Bundes war die Wahrung der Ehre des jüdischen Frontsoldaten.
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Abb.: In der Pogromnacht 1938 zerstörte 'Ehrentafel', "Die Israelitische Gemeinde Gelsenkirchen - Ihren im Weltkrieg 1914-1918 gefallenen Söhnen - Als Zeichen Dankbarer Erinnerung". Die Bronzetafel war eine Spende der Moses Stern AG, Gelsenkirchen.
Der RjF betonte die Soldatenehre und vertrat ein ausgesprochen deutsch-nationales Judentum. Ideologisch stand er dem "Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens" nahe, der den Zionismus ablehnte und sich zur deutschen Nation bekannte. In Zusammenarbeit mit dem Zentralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens sollte den antisemitischen Agitatoren durch gezielte Aufklärung über den Einsatz jüdischer Soldaten im Krieg der Wind aus den Segeln genommen werden. Gleichzeitig wollte man den Veteranen eine "Heimat" bieten und sie auch bei Bedarf in sozialen Fragen beraten und unterstützen. Auch mit der verbandseigenen Wochenzeitung "Der Schild" versuchte der RjF, dem in der Weimarer Republik herrschenden Antisemitismus entgegenzuwirken. In einigen Städten des Deutschen Reichs aktivierte der RjF Selbstschutzeinheiten, um die jüdische Bevölkerung vor antisemitischen Übergriffen schützen zu können. Vereinzelt kam es dabei zu Kooperationen mit dem "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold".
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"(...) Geradezu als "Treppenwitz der Geschichte" mutet die Tatsache an, daß der jüdische Jagdflieger Fritz Beckhardt seine Maschine mit dem Hakenkreuz als Glücksbringer versah, lange bevor dieses von den Nationalsozialisten als Symbol ihrer Bewegung vereinnahmt wurde (...)" Zitat aus "Deutsche Jüdische Soldaten 1914-1945", Seite 48. Hrg. Militärgeschichtliches Forschungsamt
Neben einem Gedenkbuch "Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen 1914-1918" mit den Namen der 12.000 gefallenen Juden gab der RjF 1924 eine Neuauflage des Buches "Jüdische Flieger im Weltkrieg" von Felix Aaron Theilhaber heraus, auf dem Titel das Flugzeug des Kampffliegers Fritz Beckhardt, das mit einem Hakenkreuz verziert war.
Im Unterschied zu den Zionisten strebte der RjF die Assimilation der Juden in die deutsche Gesellschaft an. Dieses Ziel sollte unter anderem dadurch gefördert werden, dass Juden Ausbildungen in Berufen vermittelt wurden, die ihnen jahrhundertelang versperrt gewesen waren, vor allem in der Landwirtschaft, aber auch im Handwerk.
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Viele Soldaten folgten den Aufrufen und traten dem neuen Bund bei. Die schlechten Erfahrungen, die sie im Laufe des Krieges, insbesondere im Zusammenhang mit der "Judenzählung", mit einem ständig wachsenden Antisemitismus, der zudem nach Kriegsende schlimmer denn je zu sein schien, gemacht hatten, ließ sie die Notwendigkeit einer Interessenvertretung erkennen. Für den RjF war es daher zutiefst schockierend, als deutsche Juden unmittelbar nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 für "wehrunwürdig" erklärt wurden.
Ab 1936 durfte sich der RjF politisch nicht mehr betätigen, sondern mußte sich auf die Betreuung jüdischer Kriegsopfer beschränken. Der RjF hatte im Zeitraum seines Bestehens von 1919/20 bis zu seiner im Jahre 1938 im Zusammenhang mit der Pogromnacht erfolgten Auflösung stets zwischen 30.000 und 40.000 Mitglieder, der Verband vertrat also mehr als die Hälfte der überlebenden jüdischen Frontsoldaten.
Zunächst geehrt - dann verfolgt und ermordet
Verleihungsurkunde "Ehrenkreuz für Frontkämpfer" aus dem Jahr 1935 für den jüdischen Kaufmann Max Schloss aus Gelsenkirchen-Horst.
Im März 1934, gut ein Jahr nach der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten, unternahm der RjF-Vorsitzende Löwenstein, einen letzten verzweifelten Versuch, die Entlassung der jüdischen Soldaten aus der Reichswehr abzuwenden. Doch sein Appell an den Reichspräsidenten und Obersten Befehlshaber der Reichswehr, Paul von Hindenburg, blieb erfolglos. Mit der von Reichswehrminister Werner von Blomberg am 28. Februar 1934 angeordneten Anwendung des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" auf Soldaten mussten außer den ehemaligen Frontkämpfern sämtliche jüdischen Soldaten die Armee verlassen. Lange Zeit herrschte unter den jüdischen Soldaten noch die Hoffnung, von Diskriminierungen im Nationalsozialismus verschont zu werden. In der Tat bekamen sie noch 1934/35 zusammen mit anderen Soldaten das "Ehrenkreuz für Frontkämpfer". Hindenburg stiftete die Auszeichnung, "der Führer" verlieh sie. Die Ehre hat den Soldaten nichts genützt: Die meisten von ihnen wurden von den Nazis ermordet, nur wenige konnten sich ins Ausland retten.
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Bild: Öffentliche Zurückweisung von Anschuldigungen: Anzeige 1933, geschaltet von jüdischen Geschäftsleuten in einer Gelsenkirchener Tageszeitung
Das "Gesetz zur Wiedereinführung der Wehrpflicht" vom März und das "Reichsbürgergesetz" vom September 1935 brachte den vollständigen Ausschluss der deutschen Juden sowohl vom Wehrdienst als auch von den Rechten als Staatsbürger. Mit den Gesetzen des Jahres 1935, die auch die bis dahin geltenden Ausnahmen für ehemalige Frontkämpfer wegfallen ließen, ging die fast 150-jährige Geschichte jüdischer Soldaten in deutschen Armeen zu Ende. Jene jüdischen Veteranen, die im Verlauf der deutschlandweiten Pogrome des 9./10. November 1938 verhaftet und in Konzentrationslager verschleppt worden waren, wurden wegen ihres Status als "Frontkämpfer" des Ersten Weltkriegs zwar zunächst wieder entlassen, viele von ihnen wurden jedoch später erneut verschleppt und in den Vernichtungslagern ermordet.
So endete die Geschichte deutscher jüdischer Soldaten in den Judenlagern, Ghettos und KZs. Auch auf den Ehrenmalen im ganzen Land wurde das Andenken an ihre soldatischen Leistungen und an die Opfer, die sie auf den Schlachtfeldern für ihr deutsches Vaterland erbracht hatten, getilgt. Für alle Zeit wollten die Nazis die Erinnerung an die Existenz jüdischer Soldaten in deutschen Armeen auslöschen.
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Reichsbund jüdischer Frontsoldaten, Ortsgruppe Gelsenkirchen
Brief von Leo Gompertz, Vorsitzender der Reichsvereinigung jüdischer Frontsoldaten (RjF) Ortsgruppe Gelsenkirchen vom 2. Oktober 1937 an Willy Cohen anlässlich der Barmitzwah von dessem Sohn Rudolf.
Herrn Willy Cohen
Gelsenkirchen
Schwindtstr. 4
Gelsenkirchen, 2. Oktober 1937
Liebe Familie Cohen, lieber Kamerad!
Die Barmitzwah Ihres Sohnes Rudolf gibt uns wiederum willkommenen Anlass, unsere guten Wünsche, die wir für Sie, Ihre Frau und Kinder stets hegen, besonders zu bekräftigen.
Mögen die guten Wünsche, die der Barmitzwoh für Sie heute an heiligster Stelle herabflehte, sich in vollem Maße erfüllen.
Im Glauben unserer Väter möge unser junger Freund Rudolf heranreifen zum Manne, der sich stets seiner Verpflichtung zum angestammten Glauben und zum Elternhause bewußt bleibt. Trotz allen Zeitgeschehens möge er wissen, das die Schwere der Tage nur überwunden werden kann, wenn man fest auf dem Boden der Tatsachen steht. In Treue zum Glauben und heiliger Erinnerung, daß 12.000 unserer Besten ihr Leben opferten, möge auch er sich stets verpflichtet fühlen, seine ganze Persönlichkeit einzusetzen für die Ehre unseres Glaubens.
Die Dir, lieber Barmitzwoh, in der Anlage überreichten "Kriegsbriefe gefallener Deutscher Juden" sollen Dir Heldenmut vor Augen führen und Dich stets daran erinnern, daß auch Dein Vater sein Leben für Deutschland einsetzte.
Mit herzlichen Kameradengrüßen
REICHSBUND JÜDISCHER FRONTSOLDATEN E.V.
Ortsgruppe Gelsenkirchen
Leo Gompertz, Vorsitzender
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Im 1. Weltkrieg gefallene jüdische Frontsoldaten mit Wohnort Gelsenkirchen:
Name, Vorname | Geburtsdatum/Ort | Todesdatum | Einheit |
Blum, Josef | 23.03.1895 in Orkenthal/Koblenz | 29.09.1915 | Inf. Pion. Kp. I. R. 16 |
Cahn, Bernhard | 28.06.1882 in Euskirchen | 10.10.1917 | Etap. Hilfskp. 23 |
Coppel, Moritz | 11.10.1881 in Moers | 14.09.1914 | 5. R. I. R. 56 |
Ferse, Erich | 18.07.1892 Gelsenkirchen | 17.02.1915 | 5. I. R. 28 vermisst |
Goldschmidt, Hermann | 11.07.1891 Raboldshausen/Kassel | 19.02.1918 | 8. R. I. R. 61 |
Goldschmidt, Willy | 25.12.1886 Raboldshausen/Kassel | 04.02.1919 | Überplanmäß. Btt. E. |
Gottschalk, Hugo | 14.11.1887 in Gelsenkirchen | 20.08.1915 | 1. I. R. 365 |
Guthmann, Alfred | 25.12.1898 in Gelsenkirchen | 31.05.1918 | 6. L. Fußa. Btl. 44 |
Herzfeld, Friedrich | 28.02.1891 in Bochum | 31.05.1918 | 5. I. R. 19 |
Heymann, Friedrich | 22.03.1894 in Gelsenkirchen | 26.04.1918 | 11. R. I. R. 78 |
Heymann, Max | 28.07.1894 in Gelsenkirchen | 30.03.1918 | 3. M. G. K. I. R. 444 |
Heymann, Paul | 21.09.1889 in Schneidemühl | 28.02.1916 | 8. I. R. 159 |
Hirsch, Walter | 21.12.1899 in Herne | 18.08.1918 | 8. I. R. 67 |
Jansen, Kurt | 27.08.1896 in Geseke | 15.10.1916 | 3. M. G. K. I. R. 225 |
Jojse, Benjamin | 20.10.1898 in Warschau | 16.02.1917 | 7. I. R. 477 |
Kahn, Julius | 21.02.1882 in Hungen | 27.05.1915 | 7. R. I. R. 46 |
Lewin, Moritz | 28.02.1896 in Bischofsburg | 07.08.1917 | 4. I. R. 358 |
Lichtmann, Bernhard | 15.12.1879 in Gelsenkirchen | 06.04.1918 | 10. R. I. R. 107 |
Loschinsky, Leopold | 07.12.1898 in Hohensalza | 29.11.1918 | Pion. Kp. 274 |
Löw, Julius | 20.04.1896 in Mogendorf | 11.04.1918 | 1. I. R. 193 |
Markus, Hans | 20.07.1880 in Seeben | 30.06.1915 | Feld M. G. Zug 199 |
Meyer, Sally Salomon | 02.03.1883 in Launersum | 10.01.1915 | Überpl. Btt. G. d. Festg. Metz |
Neumann, Hermann | 24.03.1884 in Eickfier | 16.08.1915 | 8. R. I. R. 1 |
Perlstein, Emil | 24.09.1897 in Dorsten | 10.04.1918 | 7. R. I. R. 202 |
Philippsohn, Rudolf | 08.03.1890 in Gelsenkirchen | 04.05.1915 | 7. I. R. 46 |
Posner, Kurt | 16.03.1893 in Gelsenkirchen | 05.12.1917 | 3. Schweres Res. Reiter R. 2 |
Schlosstein, Heinrich | 28.08.1896 in Gelsenkirchen | 14.12.1916 | 3. M. G. K. R. I. R. 225 |
Schöneberg, Ernst | 23.02.1890 in Gelsenkirchen | 15.06.1918 | 12. I. R. 461 |
Stern, Julius | 04.04.1887 in Heppenheim | 23.12.1914 | 5. R. I. R. 46 |
Süßenwein, Leopold | 26.03.1895 in Schutschenhofen | 19.01.1915 | 1. Res. Pion. R. 19 |
Vogelsang, Herz | 08.08.1882 in Gelsenkirchen | 05.07.1918 | 11. I. R. 335 |
Wallerstein, Erich | 11.10.1890 in Gelsenkirchen | 02.12.1914 | 11. Grd. R. 9 |
Winter, Paul | 05.12.1890 in Gelsenkirchen | 03.07.1916 | 4. R. I. R. 110 |
Wolff, Ernst | 16.05.1896 in Gelsenkirchen | 08.08.1918 | 11. R. I. R. 265 |
Quellen: Gedenkbuch "Die jüdischen Gefallenen des deutschen Heeres, der deutschen Marine und der deutschen Schutztruppen 1914-1918", Hrsg. Reichsbund jüdischer Frontsoldaten (RjF), 1932.
Michael Berger "Eisernes Kreuz und Davidstern - Die Geschichte Jüdischer Soldaten in Deutschen Armeen", Berlin 2006.
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