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Stadtrat Paul Schossier

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Gelsenkirchen lässt Chance verstreichen

Nun ist es amtlich: Der Name des NS-Täters Paul Schossier als Namensgeber für eine Straße in Gelsenkirchen ist Geschichte. Am 4. November 2010 wurde die Straße von der zuständigen Bezirksvertretung Nord umbenannt, neuer Name: Josef-Sprenger-Weg.

Der Vorschlag des Gelsenzentrum e.V., der auch vom Landesverband der Sinti und Roma NRW unterstützt wurde, den ehemaligen “Paul-Schossier-Weg” nach einem Opfer des “Wirkens” von Paul Schossier, dem 9-jährigen Sinti-Mädchen Rosa Böhmer aus Gelsenkirchen zu benennen, fand weder im Rat der Stadt Gelsenkirchen noch in der Bezirksvertretung Nord eine Mehrheit.

Die Umbennenung wurde bereits 2008 von dem gemeinnützigen Verein Gelsenzentrum e.V. initiiert. OB Baranowski reagierte daraufhin und gab ein Gutachten in Auftrag, dass Paul Schossiers Beteiligung am NS-Völkermord in seiner Eigenschaft u.a. als Rechts- und Polizeidezernent bestätigte. So war Paul Schossier für die Deportation und die daran anschließende Ermordung der Gelsenkirchener Angehörigen des Volkes der Sinti und Roma im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verantwortlich.

Beschämendes Verhalten der Anwohner

Die Anwohner des "Paul-Schossier-Weges" reagierten in Kenntniss der "über das Mitläufertum hinausgehende Betätigung des Namensgebers Paul Schossier" während der Zeit des Nazi-Regimes dennoch mit Unverständnis über die Umbenennung, wie es Anwohner Heinz Hackstein in einer Bürgeranfrage darlegte. Dagegen hieß es von Seiten der Politik, die Umbenennung sei “nachvollziehbar und vernünftig, man bedauere, dass es erst so spät zu einer Umbenennung kam".

Andreas Jordan, 8. November 2010

Rosa-Böhmer-Weg nicht diskussionswürdig?

Wie es aussieht, lässt die Stadt Gelsenkirchen die Chance verstreichen, den nach dem Nazi-Schreibtischtäter Paul Schossier benannten Weg nach einem unschuldigen, neunjährigen Opfer seiner Tätigkeit umzubenennen. Der Ehrung durch die Straßenbenennung im Öffentlichen Raum, die der Nazi Paul Schossier seit 1966 erfahren hat, eine Ehrung der in Auschwitz ermordeten Rosa Böhmer, die zu den durch Schossier verfolgten Gelsenkirchener Sinti und Roma gehört, gegenüber zu stellen, wäre eine würdige und gerechte Lösung gewesen. Doch in der Beschlussvorlage der Verwaltung für den Rat der Stadt am 07. Oktober 2010, schlägt die Verwaltung vor, „... aufgrund der über das Mitläufertum hinausgehenden Betätigung des Namensgebers für das nationalsozialistische ‘Dritte Reich’...“ den Paul-Schossier-Weg in Josef-Sprenger-Weg umzubenennen.

In der Begründung findet sich noch nicht einmal ein Abwägen der verschiedenen gemachten Namensvorschläge. Auch der Vorschlag „Rosa-Böhmer-Weg“ wird komplett ignoriert. Andreas Jordan hatte in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Gelsenzentrums bereits Ende September Bezirksbürgermeister Klasmann diesen Vorschlag unterbreitet, ohne bislang eine Antwort erhalten zu haben. Auch ein Brief des Vorsitzenden des Landesverbandes der Sinti und Roma NRW, Roman Franz, an den Oberbügermeister der Stadt Gelsenkirchen, blieb offenbar ohne Wirkung.

Zwar verschwindet mit der Umbenennung der Name des Nazi-Täters endlich aus dem öffentlichen Raum, doch wird hier die Chance vertan, „… ein Zeichen dafür zu setzen, dass die Stadt Gelsenkirchen die Sinti und Roma, die Bürger dieser Stadt waren, und ihr Schicksal nicht vergisst und dass ihre Geschichte auch heute noch einen Platz in Gelsenkirchen hat.“ Mit diesen Worten befürwortet Roman Franz, der Vorsitzende des Landesverbandes der Sinti und Roma, die Umbenennung des „Paul-Schossier-Weg“ in „Rosa-Böhmer-Weg“.

Nun ist die Bezirksvertretung Nord gefragt, die am 04. November 2010 über die Beschlussvorlage abstimmen wird. Sie könnte sie ja ablehnen und einen Änderungsantrag einbringen, in dem der „Paul-Schossier-Weg“ in „Rosa-Böhmer-Weg“ umbenannt wird.

Quelle: " Der Rote Emscherbote am 9. Oktober 2010

→ Die Beschlußvorlage

Gelsenzentrum e.V. schlägt Rosa-Böhmer-Weg vor

Der gemeinnützige Verein Gelsenzentrum hat auf seiner gestrigen Mitgliederversammlung beschlossen, einen weiteren Namensvorschlag in die Diskussion um die Umbenennung des Paul-Schossier-Weg einzubringen. In einem Brief an den Bezirksbürgermeister Thomas Klasmann wird angeregt, den Weg in "Rosa-Böhmer-Weg" umzubenennen.

Das Sinti-Mädchen Rosa Böhmer, geboren am 22. September 1933 in Gelsenkirchen, wurde am 13. August 1943 in Auschwitz ermordet. Nach der zwangsweisen Auflösung der Familie Böhmer, die in Gelsenkirchen lebte, kam Rosa Böhmer zu Pflegeeltern nach Hövelhof (Paderborn). Schließlich wurde Rosa Böhmer 1942 von der Gestapo aus dem Schulunterricht geholt und nach Auschwitz deportiert. Rosa Böhmers Verfolgungsschicksal soll an die aus Gelsenkirchen verschleppten und ermordeten Sinti und Roma erinnern, an deren Demütigung, Entrechtung und Ermordung Paul Schossier beteiligt war.

Andreas Jordan, 18. September 2010.

Der "Paul-Schossier-Weg" wird umbenannt

Der Name eines NS-Täters verschwindet aus dem öffentlichen Raum
- Antrag auf Umbenennung hatte Erfolg

Die Ergebnisse einer Untersuchung des ISG zur Rolle von Straßen-Namensgebern im öffentlichen Raum der Stadt Gelsenkirchen wurden gestern der Öffentlichkeit vorgelegt. Demnach soll der in Scholven gelegene Paul-Schossier-Weg nun endlich umbenannt werden. In Sachen Paul Schossier lag der Stadtverwaltung seit Februar 2008 ein konkreter Antrag auf Umbennung vor. Die daraufhin von OB Baranowski in Auftrag gegebene Untersuchung bestätigte die im Umbenennungsantrag genannte Begründung. Bekannt war die Mittäterschaft des Stadtrates Paul Schosssier am Völkermord an den Gelsenkirchener Sinti und Roma während der NS-Zeit schon lange.

Bereits 1999 hatte Stefan Goch, Mitarbeiter des Instituts für Stadtgeschichte, in seinem Buch “Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen - Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma während des “Dritten Reiches” im Raum Gelsenkirchen” die Rolle von Paul Schossier im Zusammenhang mit der Umsetzung des so genannten “Auschwitz-Erlasses” in Gelsenkirchen beleuchtet. Geschehen ist danach erstmal nichts.

Erst nach der Veröffentlichung von neuen Rechercheergebnissen zum Fall Schossier durch den Verein Gelsenzentrum im Februar 2008 und einem Antrag auf Umbennung des Paul-Schossier-Weges durch Andreas Jordan kam dann endlich Bewegung in die Sache. Der OB reagierte und gab eine Untersuchung in Auftrag, deren Ergebnis nun die Umbennung zur Folge hat. Damit ist im Fall Paul Schossier das Fortwirken eines NS-Täters als Namensgeber einer Straße im öffentlichen Raum beendet.

Andreas Jordan, 17. September 2010.

Das Fortwirken der NS-Täter als Namensgeber im öffentlichen Raum

Auf die Bitte um Sachstandsmitteilung bezüglich der beantragten Umbenennung vom November 2008 an das Gelsenkirchener Institut für Stadtgeschichte in Sachen Paul Schossier erhielten wir im März 2009 folgende Antwort, Zitat: (...) Auf Ihre Frage nach den Ergebnissen der Recherchen zu Straßenbenennungen kann ich Ihnen mitteilen, dass die Recherchen abgeschlossen sind und derzeit verwaltungsintern ein Verfahrensvorschlag für die politischen Entscheidungsträger vorbereitet wird. Es ist also damit zu rechnen, dass zu der ganzen Angelegenheit in absehbarer Zeit natürlich auch die Öffentlichkeit informiert wird. (...)

Seitdem ist mehr als ein Jahr vergangen, die Öffentlichkeit wurde bisher nicht über die Rechercheergebnisse informiert. Die Straße, deren Umbenennung wir beantragt haben, trägt noch immer den Namen des NS-Täters Paul Schossier. Eine fortwährende Verhöhnung der mehr als 400 Opfer unter den Sinti und Roma aus Gelsenkirchen, deren Deportation und Ermordung Paul Schossier mit zu verantworten hat.

Andreas Jordan, 7. April 2010.

Paul-Schossier-Weg in Gelsenkirchen Buer-Nord - benannt nach einem NS-Täter

Paul Schossier wurde wurde am 11. Oktober 1884 in Gelsenkirchen geboren. Schossier galt schon 1966, als eine Straße in Gelsenkirchen nach Ihm benannt wurde, als äußerst umstritten, war er doch von 1942 bis 1945 Dezernent der Rechts-, Polizei, - und Kulturverwaltung in Gelsenkirchen. In dieser Funktion war er u.a. mit der Umsetzung bzw. Weitergabe von Befehlen und Anordnungen des nationalsozialistischen Massenmordes betraut.

Seit dem 3.Oktober 1966 heißt er so: Der Paul-Schossier-Weg in Buer-Nord

Der Paul-Schossier-Weg in Buer-Nord, Bild: Heinz H.

Laut Auskunft des Vermessung und Katasteramtes Gelsenkirchen vom 8. Februar 2008 wurde durch Beschluss des Haupt- und Finanzausschusses nach dem Tod von Schossier im Juli 1964 am 3. Oktober 1966 die Benennung eines Weges/Straße in Buer-Nord in "Paul-Schossier-Weg" beschlossen. Schossier galt schon seinerzeit (1966) als umstritten, war er doch von 1942 bis 1945 Dezernent der Rechts-, Polizei, - und Kulturverwaltung in Gelsenkirchen.


"Ehrendes Gedenken" in Form einer Namensgebung für Straße/Weg im öffentlichen Raum in Gelsenkirchen - für einen Mann wie Paul Schossier, der nachgewiesenermaßen zu den NS-Tätern gehört? Wir fordern die Umbennung des "Paul-Schossier-Weges".

Auszug aus dem Antrag von GELSENZENTRUM e.V. vom 6. März 2008

An die Bezirksvertretung Nord
Herrn Klassmann
Rathaus Buer
Goldbergstr. 12
45894 Gelsenkirchen

Antrag auf Umbenennung der Straße "Paul-Schossier-Weg"

Sehr geehrter Herr Klassmann,
der Paul-Schossier-Weg in Gelsenkirchen- Buer ist nach einem NS-Täter benannt. Laut Auskunft des Vermessung und Katasteramtes Gelsenkirchen vom 8. Februar 2008 wurde durch Beschluss des Haupt- und Finanzausschusses nach dem Tod von Schossier im Juli 1964 am 3.Oktober 1966 die Benennung eines Weges/Straße in Buer-Nord in "Paul-Schossier-Weg" beschlossen. Schossier galt schon seinerzeit (1966) als äußerst umstritten, war er doch von 1942 bis 1945 Dezernent der Rechts-, Polizei, - und Kulturverwaltung in Gelsenkirchen. In dieser Funktion war er u.a. mit der Umsetzung bzw. Weitergabe von Befehlen und Anordnungen des nationalsozialistischen Massenmordes betraut. (...)

(...) Wir beantragen die Umbenennung des "Paul-Schossier-Weges" in z.B. "Grit-Weißberg-Weg", alternativ in "Anne-Frank-Weg". Grit Weißberg war eine bekannte Antifaschistin aus Gelsenkirchen-Feldmark. Die auch künstlerisch tätige Pfarrersfrau hat sich um das Gemeinwohl Gelsenkirchens sehr verdient gemacht. Die weltbekannte Anne Frank gilt heute als Symbolfigur aller unschuldig Verfolgten.


Schossier und die Verfolgung von Sinti und Roma im Raum Gelsenkirchen

Personalblatt Paul Schossier, Seite 2

Personalblatt Paul Schossier. Die letztlich höchsten verantwortlichen Beamten bei der Gelsenkirchener Stadtverwaltung, über deren Schreibtisch alle wesentlichen Vorgänge gingen, waren die Dezernenten und der Oberbürgermeister als Chef der Verwaltung. In besonderer Weise verantwortlich waren natürlich die für das Polizei- und Rechtsdezernat zuständigen Beigeordneten.

In der Zeit des "Dritten Reiches" wurden diese Funktionen von dem Oberbürgermeister selbst bis 1934, dann von dem kurzzeitigen Beigeordneten Peter Stangier und anschließend vom Wohlfahrtsdezernenten Dr. Friederich Wendenburg, dann von Dr. Otto Schäfer bis 1942 und schließlich ab 1942 von Paul Schossier wahrgenommen. Wie der ganze Prozeß der Verfolgung von Sinti und Roma zeigt, waren diese leitenden städtischen Beamten in ihrer Funktion als zuständige Dezernenten in besonderer Weise an den Verfolgungsmaßnahmen beteiligt, bekannt war der ganze Vorgang allen Dezernenten, da die ihnen zugeordneten Ämter in unterschiedlicher Weise an der "Zigeunerbekämpfung" mitwirkten oder die Angelenheiten in den so genannten Beigeordnetenkonferenzen behandelt wurden.

Karteikarte in der NSDAP-Zentralkartei und in der NSDAP-Gaukartei

Karteikarte Schossier, Paul in der NSDAP-Zentralkartei und in der NSDAP-Gaukartei

Paul Schossier wurde am 11. Oktober 1884 in Gelsenkirchen geboren. Nach Abschluß der Reifeprüfung 1904 studierte Schossier rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Freiburg, München und Münster. Nach beiden juristischen Examina arbeitete er zunächst als Gerichtsassesor in Buer. Nach seiner Militärzeit und dem Bestehen des Assesorexamens war Schossier für kurze Zeit Richter am Buerschen Amtsgericht. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten blieb Paul Schossier Stadtrat in Gelsenkirchen. Bereits 1933 wurde Schossier Mitglied verschiedener NS-Organisationen, wie z.B. der NS- Volkswohlfahrt. Der Antrag auf Aufnahme in die NSDAP wurde 1937 gestellt, am 1. Oktober 1939 trat Schossier der NSDAP unter der Nummer 7.215.218 bei.

Ab 1942 übernahm Schossier auch das Rechts- und Polizeidezernat. Angesichts des Vorrückens der Allierten setzte sich Schossier nach Minden ab, Schosier später gab an, dies sei auf Weisung des damaligen Oberbürgermeisters Böhmer geschehen. Der kommisarische Oberbürgermeister beurlaubte Schossier zunächst, Schossier besorgte sich einen so genannten "Persilschein" - von Pfarrer Roosen von der Urbanus-Gemeinde. Roosen hatte bereits 1933 auf der Mai-Versammlung der Nationalsozialisten gesprochen und den Nazis somit die Unterstützung und Anpassungsfähigkeit der katholoischen Kirche signalisiert. Roosen schickte den "Persilschein" am 7. August 1945 direkt an die Militärregierung:

"Herr Beigeordneter der Stadt Gelsenkirchen, Paul Schossier, ist mir seit meiner Jugendzeit als treuer katholischer Christ bekannt, gehört zu meiner Pfarrgemeinde und hat sich stets als gläubiger Katholik betätigt. Sei korrekt katholisches Leben trennte ihn von der NSDAP. Ohne jegliches Bedenken empfehle ich ihn zur Weiterbeschäftigung in der Stadtverwaltung Gelsenkirchen und bitte, diese Weiterbeschäftigung wohlwollend zu gewähren."

Die Beurlaubung wurde rasch aufgehoben. Seitens der allierten Miltärregierung wurden dann auch keinerlei politische Bedenken gegen eine Weiterbeschäftigung erhoben. Gleichzeitig betrieb Schossier jetzt seine Versetzung in den Ruhestand aus gesundheitlichen Gründen. Am 1. April trat er dann in den Ruhestand. Paul Schossier war nach seiner Pensionierung lange Zeit Vorsitzender des Buerschen Orts- und Heimatvereins, 2. Vorsitzender des Gelsenkirchener Verkehrsvereins und Vorsitzender des Buerschen Schützenvereins. Der Bundespräsident verlieh Schossier 1962 für seine Verdienste das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Schossier starb am 24. Juli 1964 in Gelsenkirchen-Buer.

Vorschlagsbegründung zur Verleihung des Bundesverdienstkreuzes 1. Klasse

Schossier, Paul. Geboren am 11. Oktober 1884 in Gelsenkirchen, Stadtrat a. D., zuletzt wohnhaft in Gelsenkirchen, Urbanusstraße 34:

"Der Vorgeschlagene trat bereits im Jahre 1913 als Assessor in den Dienst der Stadtverwaltung Gelsenkirchen-Buer ein. Er arbeitete am Aufstieg seiner Heimatstadt entscheidend mit. Als Stadtrat hat er sich durch Erwerb bedeutenden Grundbesitzes für den heutigen Grüngürtel, vor allem des Schlosses Berge, des "weißen Schlosses von Buer", um seine Heimatstadt sehr verdient gemacht. Nach Eintritt in den Ruhestand im Jahre 1946 widmete sich der Vorgeschlagene der Wiedergründung des Gelsenkirchen-Buerer Heimatvereins. Besonderer Höhepunkt seines Schaffens war die 500-Jahr-Feier der alten Freiheit Buer im Jahre 1950. Der Vorgeschlagene hat sich stets als einer der aktivsten Mitarbeiter des Westfälischen Heimatbundes im Industriegebiet über den Ort hinaus jahrzehntelang mit großem Erfolg für die Heimatpflege eingesetzt".

Vorschlagsbegründung: BA Koblenz, B 122/38.615

Die Amtszeit des Paul Schossier

Am 12. Februar 1913 trat Schossier als Gerichtsassessor in die Stadtverwaltung Gelsenkirchen-Buer ein. Am 1. Juli 1914 wurde er Magistratsassessor. Bereits im Oktober 1914 geriet Schossier in französischer Kriegsgefangenschaft, aus der er im Februar 1920 entlassen wurde. Am 27. April 1920 wurde Schossier Magistratsrat und am 24. Mai 1921 Stadtrat und Finanzdezernent in Buer. Die beschriebenen "Ankäufe von Grundbesitz" fanden erst ab etwa 1923/24 statt: Die Ländereien sollen aus dem Besitz des "Grafen von Westerholt" stammen, sie wurden von der Stadt Buer in der Inflation unter günstigen Bedingungen angekauft. Bei der Vereinigung von Gelsenkirchen, Buer und Horst zur Großstadt Gelsenkirchen-Buer wurde Schossier zum Schul- und Kultuerdezernenten gewählt. Schossier gehörte zum Zeitpunkt seiner Wahl zum Beigeordneten 1928 der Zentrumspartei an.

Bis 1932 wurden für den Ausbau des buerschen Grüngürtels weiteres Land angepachtet: Löchterheide, Westerholter Wald, Hülser Heide. Auch diese Gebiete gehörten zum Besitz des Hauses Westerholt-Gysenberg. Nach der Machtübergabe an die Nazis gab es keine Grundstückskäufe für den Grüngürtel mehr. Laut Stefan Goch erstarben auch alle planerischen Aktivitäten in diesem Bereich der Komunalpolitik. Nach der "Machtübergabe" an die Nationalsozialisten im Jahre 1933 blieb Schossier Stadtrat. 1946 wurde der Stadtrat Paul Schossier in den Ruhestand "geschickt". Die Zeit seines "Wirkens" erscheint vor diesen Hintergründen in einem ganz anderen Licht.

Die Durchführung des Auschwitz-Erlasses in Gelsenkirchen

Stefan Goch schreibt in seinem Buch "Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen". Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma während des "Dritten Reiches" im Raum Gelsenkirchen über die Durchführung des Auschwitz-Erlasses in Gelsenkirchen:

Aufgrund des Auschwitz-Erlasses wurden auch die noch in Gelsenkirchen lebenden Sinti und Roma von Gelsenkirchen nach Auschwitz deportiert. Praktisch organisierte die staatliche Kriminalpolizei, und hier dann die Kriminalpolizeistelle Recklinghausen mit ihrer Kriminal-Inspektion III Gelsenkirchen die Deportation der "Zigeuner" nach Auschwitz. "An den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Gelsenkirchen" teilte diese Behörde am 16. März 1943 mit: "In der Anlage übersende ich Ausweispapiere von Zigeunern, die sämtlich am 10.3.43 auf Befehl des RFSS (Reichsführers-SS) vom 16.12.1942 in das Konzentrationslager Auschwitz überführt wurden." Das Schreiben ging am 19. März 1943 bei der Stadt Gelsenkirchen ein und erreichte noch am gleichen Tage das Stadtpolizeiamt, wo es dessen Leiter, Fritz Schenk, abzeichnete.

Das Schreiben der Kriminalpolizei hatte allerdings nur formalen Charakter, das örtliche Gelsenkirchener Stadtpolizeiamt (22/1) war ja an der Verfolgung und der Deportation der Sinti und Roma beteiligt. Bereits am 9. März 1943 hatte der Abteilungsleiter des Stadtpolizeiamtes, Heinrich Beßmann, die Abrechnung von Standgeldern für den Lagerplatz an der Reginenstraße abgeschlossen und in der Nachweisliste abschließend vermerkt, daß die Menschen abtransportiert und die Wagen verkauft seien.(...)

(...) Das "Wasserwerk für das nördl. westf. Kohlenrevier" schickte dann bereits am 25. März 1943 seine Rechnung, "Betr.: Gelsenkirchen, Reginenstraße (Zigeunerlagerplatz)", für den Abbau der Wasserentnahmestelle. Die Rechnung in Höhe von 13,62 RM wurde auf Anweisung von Fritz Schenk am 16. April 1943 bezahlt. Der gesamte Vermerk, der die Deportation der Sinti und Roma von dem Platz an der Reginenstraße, den Verkauf der Wohnwagen und die Beseitigung der Spuren des Platzes festhielt, wurde ordnungsgemäß den Dienstvorgesetzten des Stadtpolizeiamtes zur Kenntnisnahme vorgelegt. Der zuständige Dezernent, Paul Schossier, zeichnete das Aktenstück am 11. März 1943 mit seiner Paraphe und dem Kürzel "gesehen]" ab. Eine Paraphe des Oberbürgermeisters Böhmer findet sich auf der Verfügung nicht. Der Leiter des Stadtpolizeiamtes, Fritz Schenk, hielt allerdings handschriftlich fest, daß auch die Information des Oberbürgermeisters erledigt worden sei.

Damit hatte also die Spitze der Gelsenkirchener Stadtverwaltung zur Kenntnis genommen, daß die Bewohner des "Zigeunerlagerplatzes" an der Reginenstraße abtransportiert worden waren, der Platz aufgelöst wurde und das Eigentum dieser Menschen verscherbelt worden war. Daraus konnte die Stadtspitze nur schließen, daß diese Menschen nicht wiederkommen würden und daß überhaupt keine "Zigeuner" mehr nach Gelsenkirchen kommen sollten. Wenn die hochrangigen Mitarbeiter der Stadtverwaltung nicht naiv an eine "Umsiedlung" glaubten oder glauben wollten, konnten diese Beamten angesichts des Kenntnisstandes von hochrangigen Mitarbeitern einer Stadtverwaltung im März 1943 eigentlich nur davon ausgehen, daß die deportierten Menschen ermordet werden sollten. Zudem entsprach es der Logik der "Zigeunerpolitik" und des Deportationsbefehls, daß die Deportierten nie mehr zurückkehren würden. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte also auch bei den in Gelsenkirchen an der "Zigeunerpolitik" und an der Deportation Beteiligten klar gewesen sein, daß die abtransportierten Menschen umgebracht werden würden.

Neben dem Stadtpolizeiamt und den von diesem eingeschalteten städtischen Behörden waren auch weitere Teile der Gelsenkirchener Stadtverwaltung an der Abwicklung der Deportationen beteiligt. Beispielsweise mußte ja das Einwohnermeldeamt die Deportation in der Einwohnermeldekartei festhalten. Zwischen Anfang und Mitte März 1943 wurden die dort gemeldeten "Zigeuner" von den Beamten der Meldebehörde als "n.[ach] Auschwitz abgeschoben" registriert.(...)

Ausführungsbestimmungen zu Himmlers "Auschwitz-Befehl"

Die physische Vernichtung der deutschen "Zigeuner" wurde durch einen - mit einer komplexen Vorgeschichte verbundenen - Befehl Himmlers vom 16. Dezember 1942 eingeleitet. Er schrieb vor, "Zigeunermischlinge, Rom-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft" - jene Gruppen wurden als „zigeunerische Personen" zusammengefaßt - "nach bestimmten Richtlinien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen Dauer in ein Konzentrationslager einzuweisen." Der Radikalisierungsschub, den dieser Befehl zum Ausdruck brachte, stand in Zusammenhang mit einem Konkurrenzkampf zwischen Ritters Rassenhygienischer Forschungsstelle und dem SS-Amt "Ahnenerbe" um "Zigeunerforschung und Zigeunerpolitik", mit der sich zuspitzenden Kriegslage und der ungefähr gleichzeitig durchgeführten Deportation der letzten Juden aus dem Deutschen Reich.

Das RSHA (Reichssicherheitshauptamt) erließ am 29. Januar 1943 die Ausführungsbestimmungen zu Himmlers Befehl. Danach sollten "reinrassige" Sinti sowie die "im zigeunerischen Sinne guten Mischlinge" von einer Internierung im KZ Auschwitz ausgenommen bleiben. Dies sollte auch für einige andere Gruppen "sozial angepaßter" "zigeunerischer Personen" gelten, für die jedoch alternativ zur Deportation die Sterilisation vorgesehen war, wenn sie das Alter von zwölf Jahren erreicht hatten. Für die Zuordnung von Sinti zur Gruppe der „reinrassigen" oder „Mischlingszigeuner" rekurrierten die RSHA-Bestimmungen vom 29.1.1943 auf die "gutachtlichen Äußerungen", die die Rassenhygienische Forschungsstelle zur rassistischen Klassifikation der "Zigeuner" produzierte.

Die Praxis der Selektion für Auschwitz entsprach aber nur begrenzt den Anordnungen des RSHA. Befunde aus mehreren Städten zeigen, daß die Ausnahmebestimmungen für "reinrassige" Sinti sowie für "sozial angepaßte Zigeunermischlinge" nicht durchweg eingehalten wurden. Die örtlichen Stellen der Kriminalpolizei erblickten im Auschwitz-Erlaß des RSHA vielfach die Gelegenheit, den jeweiligen Ort völlig "zigeunerfrei" zu bekommen. Auch mehrere Zeugnisse aus Auschwitz selbst belegen, daß dort zahlreiche "sozial angepaßte Zigeuner", insonderheit Träger militärischer Tapferkeitsauszeichnungen, festgehalten wurden.

Michael Zimmermann in: Dachauer Hefte 5, Die vergessenen Lager, 1994

Die WAZ Gelsenkirchen schreibt am 7. Mai 2008, Zitat:

Der Nationalsozialismus und die Frage nach der persönlichen Verantwortung
Zum Beispiel: Paul Schossier

Bei der Auseinandersetzung mit dem "Dritten Reich" gibt es noch immer viele Lücken und offene Fragen. ISG betont intensive Beschäftigung mit der NS-Geschichte. Ergänzungen statt Umbenennungen

Im Juni wird sich Prof. Stefan Goch vom Institut für Stadtgeschichte (ISG) auf den Weg nach Berlin machen, um Nachforschungen in NSDAP-Archiven anzustellen. Im Gepäck: eine Liste mit rund 60 Namen von Gelsenkirchenern, über deren Rolle in der Nazi-Zeit noch immer nicht letzte Klarheit besteht. Ob ein spektaktulärer Fall dabei sein wird, glaubt der Wissenschaftler eher nicht. Und zu der Frage, ob es anschließend möglicherweise zu Umbenennungen von Straßen, Plätzen oder Gebäuden kommen könnte, will sich Goch unter Verweis auf die Untersuchungen und die Zuständigkeit der Politik nicht äußern: "Wir werden dem Rat nach der Sommerpause einen Beschlussvorschlag machen." Nicht auf der Liste, weil bekannt und aktenkundig ist der Fall von Paul Schossier. (...)

(...) Dass die Rolle Paul Schossiers im NS-Terrorregime erst jetzt ein öffentliches Thema wird, überrascht. Bereits 1999 hat Goch ein Buch geschrieben über die Deportation von Sinti und Roma aus Gelsenkirchen. Darin stellt er fest, dass Schossier als zuständiger Dezernent und andere Verantwortliche bei ihrer Besiegelung des Abtransports mit "hoher Wahrscheinlichkeit" gewusst hätten, dass die Deportierten umgebracht werden.

Ist Schossier tragbar als Namensgeber für eine Straße? Auch dazu hält sich Goch bedeckt. Jeder Einzelfall sei gesondert zu betrachten, sagt er. Und: Grundsätzlich halte er nicht viel von Umbenennungen. "Wo zieht man da die Grenzen?" Es sei aus seiner Sicht sinnvoller, im jeweiligen Kontext Ergänzungen vorzunehmen - zum Beispiel durch Tafeln am Straßenschild.

Dass es in Gelsenkirchen auch 63 Jahre nach dem Sieg über Nazi-Deutschland viele offene Fragen gebe, sei kein Versäumnis, so Goch, sondern auf Veränderungen in der Erinnerungskultur zurückzuführen. Die Stadt sei aktiver und "selbstkritischer" geworden. Kritik an einer zu passiven oder gar verschleiernden Rolle des ISG, wie sie bisweilen laut wird, weist Goch zurück. Gelsenkirchen brauche sich nicht zu verstecken: "Es gibt wenig Städte, die sich so intensiv mit ihrer NS-Geschichte auseinandergesetzt haben." loc

Quelle: "Der Nationalsozialismus und die Frage nach der persönlichen Verantwortung"
WAZ Gelsenkirchen am 7. Mai 2008, loc.

Kommentar von Lars-Oliver Christoph in der WAZ vom 7. Mai 2008:

Erschreckend

Welche Rolle spielten Gelsenkirchener wie Hubert Nietsch oder Paul Schossier, spielten Institutionen wie der Halfmannshof in der NS-Zeit? Eine definitive Antwort kann es nicht geben. Es kann nur um eine Annäherung gehen, um die Frage nach dem Umgang mit der persönlichen Verantwortung, um das Ringen um Positionen.

Umso erschreckender, wie ignorant sich der Halfmannshof nach außen gibt, wie sehr man sich der Verantwortung entzieht. Dass die kritische Auseinandersetzung mit negativen Seiten der eigenen Vergangenheit sogar honoriert wird, hat der FC Schalke 04 nach anfänglichen Problemen gezeigt. Stichwort: Szepan.

Auch die Gelsenkirchener Geschichten sind ein Indiz dafür, wie fruchtbar das direkte Wort, die offene Diskussion sein kann. Man muss nicht alles gut finden, was in den GG-Foren geäußert wird. Aber man muss anerkennen, dass hier Meinungen aufeinandertreffen, dass um Standpunkte gekämpft wird - auch wenn nicht alles zielführend ist und ja gar nicht sein kann.

Schließlich: Die Verdienste des Instituts für Stadtgeschichte sind unbestritten. Vieles kann sich sehen lassen. Man würde sich aber bisweilen wünschen, dass das ISG eine aktivere gesellschaftliche Rolle einnimmt, Diskussionen anstößt und den Finger in die Wunde legt.

Ein solches Institut darf weder zum Anhängsel der Verwaltung werden noch sich in den wissenschaftlichen Elfenbeinturm zurückziehen.

Bildquelle Dokumente: BA Berlin.
Quellenwerk: Stefan Goch, "Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen" - Verfolgung und Ermordung von Sinti und Roma während des "Dritten Reiches" im Raum Gelsenkirchen. Auschwitz-Erlass S.160-164ff. Erschienen bei Klartext, Essen 1999. ISBN: 3-88474-785-1.
Aufsatz von Stefan Goch im "Buersches Lesebuch", S. 191: 1000 Jahre Buer 1003-2003, Verein für Orts- und Heimatkunde e.V. in Gelsenkirchen Buer.

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Andreas Jordan, April 2010

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