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Gelsenkirchen-Horst nach der Machtübergabe


Wilhelm Podschwadek, geboren am 30. Mai 1880 in Langenwalde, war Polizeihauptwachtmeister in Gelsenkirchen-Horst. Podschwadek wurde 1934 wegen seiner Zugehörigkeit zur SPD und zum Reichsbanner wegen "politischer Unzuverlässigkeit" aus dem Polizeidienst entlassen.

Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30.1.1933 änderte sich auch in Horst vieles. So zum Beispiel wurden den Polizeistreifen SA-Männer mit weißer Armbinde und dem Aufdruck "Hilfspolizei" beigegeben. Die Begriffe "Unmittelbarer Verwaltungszwang" und "Schutzhaft" erfuhren eigenwillige und willkürliche Auslegungen. Vor der Reichstagswahl im März 1933 erlebte ich ein Beispiel dafür: Vor dem CENTRAL- Kino im März 1933 passierte folgendes: Es standen dort einige Männer der SPD - unter ihnen Fritz Naujoks - und verteilten Flugblätter. Plötzlich erschien eine Polizeistreife - einschließlich Hilfspolizei - und einige SA-Männer. Die SA-Männer stürzten sich auf die SPD-Leute und nahmen ihnen nicht nur die Flugblätter weg, sondern schlugen kräftig auf sie ein. Zur "Abwendung der Gefahr für Leib und Leben" dieser wehrlosen Menschen mußten sie von der Polizei in Schutzhaft genommen werden.

Wie oben bereits erwähnt, war nun eine wesentlich Veränderung eingetreten. Im Gegensatz zu früher entschied kein Haftrichter mehr, ob die Voraussetzungen für die "Schutzhaft" überhaupt vorlagen und wie lange diese Haft andauern sollte. Die inhaftierten Personen wurden nämlich vor kein Gericht, sondern in ein Konzentrationslager (KZ) der SA gebracht. Dort sollten sie "umerzogen" werden. Viele dieser Inhaftierten starben meist an "akuten" Erkrankungen. Soweit sie die "Umerziehung" überlebten, schwiegen sie über ihren Aufenthalt im KZ. Viele "alter Kämpfer" der SA erlebten jetzt ihre große Zeit. Jetzt endlich konnten sie "Macht ausüben!"

Das änderte sich jedoch nach dem sogenannten "Röhm-Putsch" im Jahre 1934. Die Spitze der SA wurde ohne jegliches Gerichtsverfahren einfach "liquidiert"! Mit ihr eine ganze Reihe anderer mißliebiger Personen auch von Zentrumsleuten. Eine Hinrichtung ohne Gerichtsurteil ist nun mal Mord! Der Rechtsstaat war dahin! In Horst gingen nicht nur vielen SPD-Anhängern, sondern auch manchen NSDAP-Leuten die Augen auf ... Doch für eine Umkehr war es jetzt zu spät.

Den parteiinternen Kampf um die Vormachtstellung der SA hatte die SA verloren. Sieger waren Heinrich Himmler und seine SS. Himmler wurde neben seinem Amt als "Reichsführer der SS" auch "Chef der Deutschen Polizei". Die Polizeibeamten bekamen Angleichungsdienstgrade der SS. Aus Deutschland war ein SS-Staat geworden. Die SS aber war wegen ihres "Elitedenkens" nun auch manchem Horster Bürger salonfähig geworden. Man trat ihr bei oder förderte sie wenigstens. Aber die SA brauchte man auch noch. Besonders für spontane "Volkserhebungen". Ihren spektakulärsten Auftritt hatte sie anläßlich der so genannten "Kristallnacht". Da stürzten sich die SA-Männer gegen jüdische Synagogen und Geschäfte, um sie zu plündern, um sie in Brand zu stecken. Kein Polizist war da, um einen Personen- oder Objektschutz zu übernehmen.

Die Überwachungsmethoden durch SS, Gestapo und Polizei wurden jetzt feiner, engmaschiger, lebensgefährlicher. Das bekamen etliche Horster Bürger zu spüren. Auch der Horster Probst Wenker. Dennoch wurden hinter der vorgehaltenen Hand manche politischen Witze erzählt. Allerdings durfte man dabei an keinen "falschen" politischen Freund geraten. Man wäre wegen "zersetzender politischer Äußerungen" einfach "reif" geworden. Das hieß Tod, Qual, KZ, lebenslängliche Schäden für die Gesundheit, Ende der Karriere oder wie auch immer. So wirkte sich die "Machtergreifung" bei uns in der alten "Freiheit Horst" aus. Die Freiheit war passe.

Quelle: Wilhelm Podschwadek in "Festchronik 700 Jahre Freiheit Horst" von Joseph Büscher. Gelsenkirchen 1982

→ Dokumente zur Verfolgung von Wilhelm Podschwadek

Email an Andreas Jordan, Vorsitzender des Vereins GELSENZENTRUM

Andreas Jordan, August 2008