STOLPERSTEINE für Moritz und Toni Meyer
Moritz Meyer in Gelsenkirchen
Moritz Meyer, der in Vörden, Kreis Bersenbrück am 16. Oktober 1873 geboren wurde, war mit Toni Schönenberg, geboren am 16. Juli 1879 in Gelsenkirchen, verheiratet. Sie zogen am 24. Juni 1900 von Dortmund nach Gelsenkirchen, hier lebten sie an der Bismarckstrasse 158. Das Ehepaar Meyer hatte drei Kinder: Hans, geboren am 21. Juli 1901 und Paul, geboren am 30. April 1910. Ein Kind wurde am 28. März 1907 geboren, verstarb jedoch am nächsten Tag. Moritz Meyer war ein bekannter und angesehener Geschäftsmann. Er war Schiedsrichter in einem Fußballverein, in dem auch sein Sohn Paul spielte. Moritz Meyer war aktiv in der Gemeindearbeit tätig. Sein Name findet sich auch auf der Wahlliste vom 16. November 1930 zur Gründung der liberalen jüdischen Synagogengemeinde in Gelsenkirchen.
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Erbengemeinschaft Schönenberg
Nachdem auch die Mutter von Toni Meyer, die Witwe Emilie Schönenberg, geborene Spiegel, geboren am 7. Februar 1851 Kreis Soest am 7. November 1934 starb, ging das Eigentum an den Häusern Bismarckstrasse 156-158 und einem Acker am Sellmannshof auf die Erbengemeinschaft Schönenberg über. Moritz Meyer verwaltete den Besitz für die Erbengemeinschaft. So beantragte er unter anderem die Genehmigung, ehemalige Gewerberäume im Haus Bismarckstrasse 156 zu Wohnzwecken umbauen zu dürfen. Auflagen der Baubehörde erschwerten das Vorhaben, Moritz Meyer legte Einspruch ein.
Handschriftlicher Einspruch von Moritz Meyer gegen die Auflagen der Baubehörde
Die Erbengemeinschaft Schönenberg, bestand aus Ehefrau Kaufmann Moritz Meyer Toni Schönenberg, Gelsenkirchen, Kaufmann Ernst Schönenberg, Duisburg und Kaufmann Heinrich Schönenberg, Nürnberg. Das geht aus diesem Bescheid der Grunderwerbssteuerstelle Gelsenkirchen hervor
Das Geschäft an der Essener Strasse 38
Im Adressbuch Gelsenkirchen, Ausgabe 1934, ist der Kaufmann Moritz Meyer als Eigentümer des Hauses an der Essener Strasse 38 in Horst-Emscher verzeichnet. In dem Haus befand sich das Bekleidungs- und Kurzwarengeschäft von Moritz Meyer.
Das Haus Essener Strasse 38 im Jahre 1927
Die Essener Strasse in Gelsenkirchen-Horst Anfang der 50er Jahre. Etwa in der Bildmitte ist das Haus Nr. 38, in dem Moritz Meyer sein Geschäft hatte, zu sehen. Diese Ansichtskarte hat uns Volker Bruckmann zur Verfügung gestellt.
Essener Strasse 38 im Jahre 2010
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Anfrage von Gertrud Oberreuter an das Stadtbauamt vom 26. Februar 1938. In dem Schreiben gibt sie an, dass Haus Essener Strasse 38 in Gelsenkirchen-Horst mit Geschäft von Moritz Meyer am 15. Oktober 1937 "übernommen, bzw. gepachtet" zu haben
Kristallnacht
Auch die Familie Meyer erlebte die ständig zunehmende Diskriminierung im Alltag Nazi-Deutschlands in ihrer ganzen unmenschlichen Härte. In der so genannten "Kristallnacht" (Nacht vm 9. auf den 10. November 1938) wurde Moritz von den Nazis vorrübergehend festgenommen. Moritz wurde von Nazis gewarnt, ihm persönlich bekannte SS-Leute sagten: "Moritz, dein Leben und das deiner Familie ist in Gefahr, wenn ihr in Deutschland bleibt. Verkaufe deinen Besitz und verlasse das Land". Letztlich sah Moritz Meyer sich von den Nazis gezwungen, den gesamten Familienbesitz zu veräußern.
Flucht in die Niederlande
Familie Meyer floh am 20. März 1939 in die Niederlande. Dort lebten Moritz und Toni in Amsterdam, Eemsstraat 61. Paul gelang es, 1940 über Rotterdam in die USA zu emigrieren. Hans lebte zu der Zeit mit Tochter Helga Johanna und seiner Frau Marta Rosa in deren Heimatstadt Saarlouis. Dort hatte das Paar am 22. Dezember 1927 geheiratet, einer der Trauzeugen war Moritz Meyer.
Marta und Hans Meyer
Hans Meyer
Von links: Marta, Hans und Helga Meyer
Von links: Helga, Marta, Hans und Paul Meyer
Auch Hans verließ mit seiner Familie schließlich Deutschland und emigrierte am 18. Februar 1936 in die Niederlande. Dort wohnten sie in Amsterdam an der Hoendiepstraat 14. Im Sommer 1942 begann auch in den Niederlanden die Deportation der Juden. Hans, Marta Rosa und Helga Johanna werden über das Lager Westerbork in das KZ Auschwitz deportiert. Helga und Marta Meyer wurden am 29. Oktober 1942, Hans Meyer am 28 Februar 1943 in der Gaskammer ermordet. Am 8. April 2011 wurden für Familie Hans Meyer am letzten selbst gewählten Wohnort in Saarlouis in der Professor-Notton-Strasse 13 (in der NS-Zeit Neystrasse 2) Stolpersteine verlegt.
Moritz und Toni Meyer werden am 20. Januar 1943 in das Durchgangs- und Sammellager Kamp Westerbork/Holland eingeliefert, am 2. Februar 1943 in das KZ Auschwitz deportiert und dort am 5. Februar 1943 in der Gaskammer ermordet. Überlebende berichteten, dass Mutter Toni durch die Haftzeit und die Deportation von Westerbork nach Auschwitz so geschwächt war, das sie auf einer Bahre in die Gaskammer getragen werden mußte.
Moritz und Toni Meyer. Das Foto wurde im Juni 1941 in den Niederlanden aufgenommen
Mark A. Meyer erzählt
"Der einzige Sohn von Paul Meyer ist Mark A. Meyer. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre begann seine Spurensuche. Er schreibt an uns: "Mein Vater hat mir nur wenig von seiner Kindheit bzw. von seinen Eltern erzählt, die Erinnerungen waren für ihn zu schmerzvoll. Mein Vater ist im Februar 1940 aus den Niederlanden (Rotterdam) mit der "Volendam" in die USA emigriert.
Auszug aus der Passagierliste der "Volendam" vom 10. Februar 1940. Paul Meyer erreichte New York am 22. Februar 1940
Auf der Überfahrt lernte er Ottilie Rimpel aus Stuttgart kennen. Paul und Ottilie haben am 16. November 1940 in New York geheiratet. Am 19. Dezember 1946 wurde ich geboren. Ein Onkel meines Vater war Eigentümer eines großen Versandhandels, Spiegel Brothers in Chicago. Dort hätte mein Vater damals sofort einen Job bekommen. Mutter wollte jedoch mit mir in New York bleiben, so blieb Vater bei uns und arbeitete zunächst als Schädlingsbekämpfer in einer Konservenfabrik in New York".
Personal-Ausweis von Paul Meyer, ausgestellt am 6. Oktober 1927 vom Polizeiamt Gelsenkirchen
"Vater trat am Tag der Amerikanischen Kriegserklärung am 7. Dezember 1941 in die US-Army ein. Er nahm an der Landung in Italien 1943 und an der Schlacht um Monte Cassino teil. Nach der Kapitulation der Deutschen besuchte mein Vater Gelsenkirchen, er berichtete, das Gelsenkirchen fast völlig dem Erdboden gleichgemacht worden war. Nach dem Krieg kehrte mein Vater nach New York zurück und arbeitete in verschiedenen führenden Positionen in der Bekleidungsindustrie. 1972 ging er in den Ruhestand. Mein Vater starb am 6. Juli 1981 plötzlich und unerwartet im Schlaf.
John H. Myers, Vaters Cousin in Chicago, hat mir einige Fragen zu unserer Familie beantworten können. John ist in Bremen aufgewachsen. Mein Onkel Hans, Vaters Bruder, war mit Marta Rosa Hanau verheiratet. Tante Marta Rosa wurde am 24. März 1904 in Saarlouis geboren. Sie hatten eine Tochter, Helga Johanna, geboren am 7. März 1929 in Saarlouis. Marta Rosa ist am 20. September 1942 und Helga Johanna am am 29. Oktober 1942 in Auschwitz ermordet worden. Nach den Angaben von John Myers sind meine Großeltern 1943 in Auschwitz ermordet worden.
John erzählte mir auch, dass mein Vater viele jüdische Freunde in Gelsenkirchen hatte, einige Namen wußte er noch, da waren zum Beispiel Sigmund Halpern, Erich Buchheim, Hans Löwenberg und Willy Kaufmann. Vater hatte auch viele nicht-jüdische Freunde, leider sind ihre Namen nicht überliefert. John erinnerte sich, dass meine Großeltern neben einer Bäckerei Kaiser gewohnt haben. Im Adressbuch der Stadt Gelsenkirchen ist eine Bäckerei an der Bismarckstr. 152 verzeichnet. John sagte mir, sein Vater habe ihm einmal erzählt, das sein Bruder Moritz Gelsenkirchen nur soweit verlassen habe, dass er die Stadt noch sehen konnte. Moritz habe seine Heimatstadt Gelsenkirchen sehr geliebt.
Die damals 86jährige Zeitzeugin Frau Hühn, eine ehemalige Nachbarin meiner Großeltern, erzählte mir bei meinem Besuch in Gelsenkirchen 1996, das sie sich gut an die Familie Meyer erinnern kann. Man habe in der Nachbarschaft der Bismarckstrasse 158 geglaubt, die Meyers wären im März 1939 in eine andere, größere Stadt in Deutschland gezogen. Sie habe nicht gewußt, das die Familie Meyer damals nach Holland geflohen waren. Von heute auf morgen sei die Familie Meyer verschwunden.
Stolpersteine
Mark A. Meyer hat die Patenschaft für die STOLPERSTEINE übernommen, die in Gelsenkirchen für seine Großeltern Moritz und Toni Meyer verlegt werden. Auf Wunsch von Mark A. Meyer, der nicht persönlich bei der Stolperstein-Verlegung am 1. August 2011 anwesend sein konnte, verlas Heike Jordan an der Bismarckstrasse 152 die deutsche Übersetzung des von ihm übermittelten Textes:
"Moritz und Toni Meyer waren bekannte und beliebte Bürger Gelsenkirchens. Die Eheleute betrieben ein Kurzwarengeschäft und beteiligten sich aktiv an der Gemeindearbeit. Nach der "Kristallnacht" waren sie gezwungen, aus ihrer Heimat Deutschland in die Niederlande zu fliehen. Bis 1942 lebten sie in Amsterdam. Dann wurden sie in einem Viehwaggon nach Polen verschleppt. Toni, zu krank um slbst zu gehen, wurde nackt auf einer Bahre zusammen mit ihrem Mann Moritz in die Gaskammer von Auschitz gebracht. Dort wurden sie vom deutschen Staat ermordet, nur weil sie Juden waren.
Ich bin ihre einzige überlebende Enkel. Ich habe meine meine Großeltern niemals kennen gelernt, Ich habe niemals ihre Stimmen gehört, niemals ihre Liebe gespürt. Niemals habe ich die großen Segnungen empfangen, sowie Enkel sie von ihren Großeltern erhalten. Moritz und Toni Meyer hatten niemals ein Grab, dass ich hätte besuchen können. Keine Gedenkstätte, an der ich ihnen ein ehrendes Andenken hätte erweisen können. Für mich waren sie nur Gesichter auf einem Foto und Namen auf einer Liste von ermordeten Juden - bis heute. Die kleinen Stolpersteine, die Sie jetzt in dieser Straße verlegen, künden schweigend davon, dass hier in dieser Stadt einst zwei liebenswerte und unschuldige Menschen gelebt und gearbeitet haben, die im Namen des deutschen Volkes ermordet wurden.
Die Stolpersteine versinnbildlichen mehr als nur die NS-Opfer. Sie sind Symbole für das ehrende Andenken Deutschlands an die unschuldigen Menschen, die Opfer des Nazi-Regimes geworden sind. Stolpersteine sind wichtige Symbole, um der Wiederholung des Bösen durch die Erinnerung an größtes Unrecht, dem überwältigendem Horror des Holocaust, entgegen zu wirken. Dafür danke ich ihnen, und dafür, dass sie sich an meine Großeltern erinnern.
Stolpersteine für Moritz und Toni Meyer in Gelsenkirchen
Stolpersteine an der Bismarckstrasse 152 in Gelsenkirchen
Die Dokumente, Zeichnungen und SW-Fotos hat uns Mark A. Meyer freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
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