GELSENZENTRUM-Startseite

Der Linnenbrink Gelsenkirchen und das SS-Arbeitskommando


Das Gelsenberglager

Dieses Gelände, der Linnenbrink, ist einer der sensibelsten Orte in Gelsenkirchen. Dort befand sich im Jahr 1944 ein Außenlager des Vernichtungslagers Buchenwald.

In den Akten wird das Lager als "SS Arbeitskommando K.L. Buchenwald, Gelsenberg-Benzin A.G., Gelsenkirchen-Horst" geführt. Bei Bombenangriffen zwischen dem 11.-13. September 1944 kamen dort etwa 150 Frauen und Mädchen ums Leben. Sie gehörten zu den 2000 ungarischen Zwangsarbeiterinnen jüdischen Glaubens, die zur Zwangsarbeit auf dem Gelände der Gelsenberg-Benzin AG eingesetzt waren. Ihnen war der Zutritt zu Bunkern und Gräben von staatlicher Stelle verboten.

Nach den Bombardierungen

Bild: VirtualVoices by GELSENZENTRUMBild: Leichentransport mit Hilfe von Decken - so mussten auch die Frauen vom Gelsenberg-Lager die Toten nach dem verheerenden Bombenangriff bergen und zur Verbrennung in einen Bombentrichter werfen.


Laut den Aussagen von sechs ehemaligen Zwangsarbeiterinnen wurden die übrigen gezwungen, die sterblichen Überreste im wahrsten Sinne des Wortes einzusammeln. Durch die Explosionskraft der Bomben und durch den gezielten Tieffliegerbeschuß mit Bordkanonen wurden die Körper der Getöteten häufig auseinander gerissen, so dass die abgetrennten Gliedmaßen verstreut auf dem Feld lagen. Köpfe, Arme, Hände, Beine, Füße und Körperstücke mußten von den überlebenden Häftlingen in Decken gepackt und zur Grube transportiert werden. Ebenfalls mit Hilfe von Decken wurden die durch den Luftdruck der explodierenden Bomben Getöteten, die somit als ganze Körper erhalten geblieben waren, zur Grube getragen. Anschließend wurden die Leichen mit Holz bedeckt und verbrannt. Mit Grube sind wohl Bombentrichter gemeint, die Erfordernisse der damaligen Zeit ließen das Ausheben von Gräbern in diesem Zusammenhang nicht immer zu.

Zeugenaussagen ehemaliger Werksangehöriger stützen diese Annahme: "So hart es auch klingt: Die Opfer wurden im nächsten Bombentrichter geworfen, Verbrannt und verscharrt".

Eine der Frauen, die das Grauen im September 1944 überlebte, schilderte in einem Gespräch am 20. Januar 1983 ein Erlebniss:

(...) "Zwei Schwestern liefen in der Hoffnung, doch in den Bunker hineingelassen zu werden, während des Bombenangriffs zu diesem hin. Dort angekommen, hielt das Mädchen nur noch die Hand ihrer Schwester in der ihren". (...)

Wiedersprüchlich

Schon im Juli 1948 wurde am Linnenbrinksweg ein Mahnmal für die Opfer aufgestellt. Auf einer Karte von 1949 ist dieses Denkmal dort verzeichnet. Das Friedhofsamt der Stadt Gelsenkirchen schrieb in einem Brief vom 20. Mai 1949, daß sich im Linnenbrink drei Sammelgräber der getöteten ungarischen Jüdinnen befinden, die genauen Orte der Sammelgräber sei aber nicht mehr feststellbar. Auf Karten der Stadt Gelsenkirchen ist die Fläche des "Wäldchens" als "Altlastenverdachtsfläche" ausgewiesen.

Im Zuge der Werkserweiterung von Gelsenberg Anfang der 50er Jahre wurde dieses Denkmal auf den Friedhof Horst-Süd verbracht. Die sterblichen Überreste der Toten sollen dabei ebenfalls auf den Friedhof verbracht worden sein. Vor dem Hintergrund des Schreibens des Friedhofamtes vom 20. Mai 1949 wenig wahrscheinlich, da ja angeblich die genaue Stelle der Sammelgräber nicht mehr feststellbar war.

Der Stadthistoriker Dr. Stefan Goch ist davon überzeugt, daß sich in dem Wäldchen das Massengrab mit den 150 getöteten Zwangsarbeiterinnen befunden hat. Nach "als gesichert geltenden Augenzeugenberichten" sollen die Toten exhumiert worden und am neuen Standort des Mahnmals beigesetzt worden sein, so Goch am 18. November 2006 in der WAZ.

Zweifel an der offiziellen Darstellung

Bleibt festzuhalten: Es ist bisher nicht zweifelsfrei festgestellt worden, dass die sterblichen Überreste der Opfer tatsächlich gefunden, exhumiert und auf dem Friedhof Horst-Süd bestattet wurden. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß sich die Gräber noch immer auf dem Gelände befinden, eventuell in diesem Wäldchen. Das Gelände mit dem Wäldchen wurde der Emschergenossenschaft von der EON Montan zum Kauf angeboten. Die Emschergenossenschaft will, sollte sie Eigentümerin des Geländes werden - "mit dem Standort des ursprünglichen Grabes sensibel und pietätvoll umgehen und dort keine Baumaßnahmen durchführen" - Das erklärte Sprecher Steinbach gegenüber der WAZ am 18. November 2006. Die Deutsche BP AG Gelsenkirchen plant in diesem Bereich eine Werkserweiterung und steht in Verhandlungen mit der Eon Montan Gmbh. Eigentümer des Geländes am Linnenbrink ist die Induboden GmbH & Grundstücksgesellschaft, einem Unternehmen der Eon.


Größere Kartenansicht

Es ist heute sicherlich mit den Mitteln der Technik möglich, aufgrund von Luftbildern oder durch Bodenproben u.ä. Bodenveränderungen festzustellen, die Rückschlüsse auf eventuell vorhandene Massengräber zulassen. Doch wer sollte diese Untersuchungen bezahlen - Vielleicht das Nachfolgeunternehmen der Gelsenberg-Benzin AG, die Deutsche BP AG Gelsenkirchen? Als moralische Wiedergutmachung, in Respekt vor den Überlebenden, den Nachkommen und Angehörigen der damaligen Opfer?

Die BP, das ISG, die Gelsenberg Benzin AG und das SS-Arbeitskommando

Eine Anfrage von GELSENZENTRUM, die ungarischen Zwangsarbeiterinnen jüdischen Glaubens und die Massengräber auf dem Gelände der damaligen Gelsenberg Benzin AG betreffend, wurde von der BP Gelsenkirchen GmbH als Rechtsnachfolger der Gelsenberg am 20. März 2008 beantwortet:

(...) "Sehr geehrter Herr Jordan, besten Dank für Ihre Anfrage. Mit Herr Prof. Dr. Goch vom Institut für Stadtgeschichte haben wir vereinbart, das er sich Ihrer Fragestelle annimmt. Mit freundlichen Grüßen(...)

(Fehler wurden aus Gründen der Authentizität übernommen)

Das Institut für Stadtgeschichte antwortete dann auf meine Anfrage an die BP GmbH Gelsenkirchen:

(...) die BP Gelsenkirchen hat das Institut für Stadtgeschichte (ISG)gebeten, Ihre Anfrage zum KZ-Außenlager beim früheren Werk Gelsenberg in Gelsenkirchen-Horst zu beantworten, nachdem das ISG schon länger mit den Nachfolgefirmen der früheren Gelsenberg in Verbindung steht.

Die von Ihnen an die BP Gelsenkirchen gestellte Frage ist bereits am 19.09.2006 in der Bezirksvertretung Gelsenkirchen-West behandelt worden. Damals hat das ISG ausführlich Stellung genommen und auch auf die zahlreichen Quellen zur Geschichte dieses KZ-Außenlagers verwiesen. Daher kann ich Ihnen in der Anlage die damalige Mitteilungsvorlage und das Protokoll für die Sitzung der Bezirksvertretung zusenden. Ich hoffe, dass damit Ihre Frage umfassend beantwortet ist.(...)

Im Anhang:

→ PDF-Datei: Protokoll

→ PDF-Datei: Vorlagendokument


→ Adobe Reader zum Öffnen und Lesen von PDF-Dateien downloaden

SPD-Ratsfraktionschef Klaus Haertel sagte am 15. September im Zusammenhang mit der Norderweiterung des Werkes gegenüber der WAZ: "Es ist nicht so, dass wir auf Gedeih und Verderb BP folgen, wenn die mit den Fingern schnippen." Es bleibt dem geneigten Leser überlassen, hier seine Schlüsse zu ziehen... Die Geschichte vom Gelsenberg-Lager ist auch im Jahr 2008 noch nicht zu Ende erzählt.

Andreas Jordan, März 2008

Mr. John Chillag schrieb am 31. Juli 2008 an GELSENZENTRUM:

(...) Zwei meiner Verwandten, ungarische Jüdinnen, waren Zwangsarbeiterinnen bei der Gelsenberg Benzin AG, und sind wahrscheinlich durch Bombardierung am 11.9.1944 ums Leben gekommen. Sie waren: Paula Schwartz geboren am 30.11.1920, Häftlingsnummer 11050 und Jolán Schwartz gebeboren am 18.11.1922, Häftlingsnummer 11415. Haben Sie Informationen darüber?

Zitat aus dem Antwortschreiben von GELSENZENTRUM:

(...) Leider muß ich Ihre Vermutung bestätigen. Die von Ihnen genannten Frauen, Paula Schwartz und Jolan Schwartz sind bei den Bombadierungen zwischen dem 11. und 13. September 1944 getötet worden. Ihre Namen finden Sie in der virtuellen Gedenkstätte für die Opfer vom Gelsenberglager. (...)

→ Die Opfer vom Gelsenberg-Lager

→ Das Gelsenberg-Lager

Hintergrundgrafik: Ausstellungshalle auf dem Wildenbruchplatz in Gelsenkirchen, Sammelplatz für jüdische Menschen, die mit dem größten Departationstransport aus unserer Stadt am 27. Januar 1942 in die Todesfabriken der Nazionalsozialisten transportiert wurden. Nur einige wenige überlebten und kehrten in Ihre Heimatstadt Gelsenkirchen zurück.

Email an Andreas Jordan, Vorsitzender des Vereins GELSENZENTRUM

Andreas Jordan, August 2008