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KZ Maidanek


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Die Todesfabrik: KL Majdanek

Etwa im August 1941 wurde das erste Tausend russischer Kriegsgefangener und Zivilpersonen als Arbeitskräfte in das im Bau befindliche Lager eingeliefert.

Etwa im August 1941 wurde das erste Tausend russischer Kriegsgefangener und Zivilpersonen als Arbeitskräfte in das im Bau befindliche Lager eingeliefert.

Ende 1940 erschienen auf einem riesigen unbebauten Feld, das sich rechts von der Cholmer Landstraße, zwei Kilometer von Lublin, erstreckt, einige SS-Offiziere und Landvermesser mit ihren Arbeitsgeräten. Ein paar Tage später war hier ein riesiges Grundstück vermessen, das fast das ganze Feld umfaßte und eine Gesamtfläche von fünfundzwanzig Quadratkilometer einnahm. In dem von der Gestapo angefertigten Grundriß waren sechzehn riesige Quadrate eingezeichnet, und jedes Quadrat enthielt je zwanzig gleiche Rechtecke. Diese Rechtecke bezeichneten Baracken, und die Quadrate waren die sogenannten Felder oder Sektoren, die von allen Seiten mit Stacheldraht umgeben waren. Oben auf dem Grundriß stand zuerst die später verschwundene Uberschrift: "Lager Dachau Nr. 2." Die Gestapo begann bei Lublin mit dem Bau eines riesigen Konzentrationslagers, dass seinem System nach eine genaue Kopie des berüchtigten Lagers Dachau in Deutschland darstellte, jedoch dieses an Größe mehrfach übertraf. Der Bau begann im Winter 1940/41. Anfangs wurde eine Anzahl polnischer Ingenieure und Arbeiter aus der Zivilbevölkerung zum Bau herangezogen, denen man bald darauf polnische und jüdische Kriegsgefangene als Hauptarbeitskräfte beigab, die während des deutsch-polnischen Krieges im Jahre 1939 gefangengenommen waren. Etwa im August 1941 wurde das erste Tausend russischer Kriegsgefangener und Zivilpersonen als Arbeitskräfte in das im Bau befindliche Lager eingeliefert. Zu dieser Zeit war dort das erste Feld,oder, wie die Deutschen es nannten, der "erste Block" mit zehn Baracken zur Hälfte fertiggestellt. Den ganzen Herbst 1941 und den Winter 1942 hindurch wurde der Bau fortgesetzt.


Die ersten Vierzigtausend treffen ein


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Die Zahl der mit dem Bau beschäftigten Menschen wuchs allmählich. Bald nach den Russen kamen große Gruppen politischer Gefangener, Tschechen und Polen an, sowie Menschen, die aus anderen Lagern überführt wurden, wo die meisten von ihnen schon seit 1933 gesessen hatten. Im Herbst 1941 wurden die ersten zweitausend Juden aus dem Lubliner Ghetto zur Arbeit hierhergebracht. Ihnen folgten im Dezember 1941 siebenhundert Polen aus dem Lubliner Schloß. Dann gerieten vierhundert polnische Bauern ins Lager, die dem deutschen Staat nicht rechtzeitig die Steuern bezahlt hatten. Im April 1942 kamen Transporte von zwölftausend Personen aus der Slowakei, Juden und politische Gefangene im Lager an. Den ganzen Mai hindurch trafen immer neue Transporto aus Böhmen, Österreich und Deutschland ein. Der Bau des Lagers wurde äußerst beschleunigt, und im Mai waren die Baracken Nr. 1, 2, 3 und 4 für etwa vierzigtausend Personen vollendet.

Den Monat Mai 1942 kann man als den Abschluß der ersten Etappe in der Geschichte des Lagers betrachten. Das war die Periode einer fieberhaften Bautätigkeit, in der man unermüdlich bestrebt war, den allgemeinen Unterkunftsraum zu erweitern. Als die Baracken für vierzigtausend Personen fertig und die Haupt-, Neben- und Sonderbauten errichtet waren, als alles mit doppelten Reihen Stacheldraht, zum größten Teil unter Starkstrom, umgeben war, wurde das Lager von der Gestapo als betriebsfertig bezeichnet. Es wurde auch weiterhin ausgebaut und wäre ins Endlose weitergebaut worden, hätte die Rote Armee Lublin nicht genommen. Doch das Bautempo war schon ein anderes. Vom Mai 1942 an wurde das Lager allmählich ausgebaut, ohne Hast, mit Einführung aller möglichen Vervollkommnungen. Dieses Konzentrationslager der SS, "Lublin", wie es in amtlichen Papieren genannt wurde, hieß seit Mai 1942 in nichtamtlichen Dokumenten, Briefen, sonstigen Schriftstücken und von Mund zu Mund anders, und zwar "Vernichtungslager".

Die Todesfabrik. Das Ziel: die Vernichtung möglichst vieler Häftlinge auf schnellstem Wege

Das Gesicht der 'Herrenmenschen'. Wenn sich die SS 'ergötzt', kostet das vielen Gefangenen das Leben.

Etwa im August 1941 wurde das erste Tausend russischer Kriegsgefangener und Zivilpersonen als Arbeitskräfte in das im Bau befindliche Lager eingeliefert.

Auf dem zwei Kilometer von Lublin entfernten unbebauten Feld, rechts von der Cholmer Landstraße, errichteten die Deutschen die größte "Todesfabrik" Europas, einzig und allein dazu bestimmt, auf möglichst einfache, nutzbringende und schnellste Weise eine größtmögliche Anzahl von Kriegsgefangenen und politischen Häftlingen zu vernichten. Die Organisation des Lagers war in jeder Beziehung einzig dastehend. Findet man in anderen deutschen Mordeinrichtungen alle die Elemente des Systems aus dem Lubliner "Vernichtungslager" vereinzelt vor, so haben diese grauenhaften Erzeugnisse der deutschen Tollwut sich in dieser vollständigen, sozusagen lückenlosen Form noch nie so offensichtlich unseren Blicken dargeboten wie hier in Lublin. Uns sind Stätten bekannt, wie Sabibor und Bjelshza, wo ganze Züge mit Todeskandidaten auf einer Schmalspurbahn auf ein abgelegenes ödes Feld gebracht wurden, wo man die Menschen erschoß und verbrannte.

Wir kennen solche Lager, wie Dachau und Oswiezim oder das "Großlazarett" in Slawuta, wo die Zivil-und Kriegsgefangenen durch Schläge, Hunger und Krankheiten allmählich umgebracht wurden. Aber im Lubliner "Vernichtungslager" waren alle diese Methoden kombiniert. Hier lebten in den Baracken zehntausende Gefangene, die ununterbrochen ihr Gefängnis bauten, ausbauten und umbauten.

Alle Arten der Ermordung: von der Einfachsten bis zur Raffiniertesten

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Es gab Tausende von Kriegsgefangenen, die vom Herbst 1942 an nicht zur Arbeit zugelassen wurden, deren Lebensmittelration noch kleiner war als die der anderen Gefangenen und die mit entsetzlicher Geschwindigkeit durch Hunger und Krankheiten umkamen. Es gab hier Todesfelder mit Scheiterhaufen und Leichenverbrennungsöfen, wo Tausende, ja Zehntausende von Menschen vernichtet wurden, die nur wenige Stunden oder Tage im Lager gehalten wurden, je nachdem, wie groß die Zahl der Angekommenen war und wieviel Zeit nötig war, um sie zu durchsuchen und nackt auszuziehen.

Es gab hier "Gaswagen" vom gewöhnlichen Typ und stabil gebaute, betonierte Bunker für Zyklongasvergiftungen. Hier wurden die Menschen auch auf altindische Art verbrannt, auf die allerprimitivste Weise: eine Reihe Holzscheite, darauf eine Reihe Leichen, dann wieder eine Reihe Holzscheite und wieder eine Reihe Leichen. Hier wurde die Verbrennung in primitiven Kremationsöfen vorgenommen, die wie große eiserne Kessel gebaut waren, und man benutzte auch ein besonderes vervollkommnetes Krematorium für Blitzverbrennung. Die einen wurden in Gräben erschossen, anderen wurde der Halswirbel mit einem eisernen Stock durchschlagen. Hier wurden Menschen im Wasserbecken ertränkt und auf verschiedenste Arten erhängt; es gab gewöhnliche Galgen mit einer Querstange und vervollkommnete, transportable Galgen - mit Flaschenzug und Schwungrad. Lublin war eine Todesfabrik, wo die Zahl der täglichen Todesfälle von zwei Faktoren geregelt wurde: von der Anzahl der ins Lager eingelieferten Menschen und von den in einer bestimmten Phase benötigten Arbeitskräften für den endlos fortgesetzten Bau.

Eine Vernichtungsstätte für Hunderttausende - Insgesamt 1.380 000 Menschen abgeschlachtet

Endgültige Zahlen wird man erst später genau feststellen. Aber einige vorläufige Zahlen lassen sich schon heute erkennen. Alles in allem war das Lager über drei Jahre lang in Betrieb. Als die Rote Armee nach Lublin kam, fand sie im Lager nur einige hundert Russen vor; als sie im Frühling auf Kowel vorrückte, evakuierten die Deutschen nach Zeugenaussagen zwölf- bis sechzehntausend Gefangene aus dem Lager.

Selbst wenn wir die Zahl sechzehntausend annehmen, so enthielt das Lager vor seiner Auflösung insgesamt kaum siebzehntausend Personen. Die durchschnittliche Zahl der Gefangenen betrug jedoch nach den Tagesberichten der Lagerkommandantur im Jahre 1943 ungefähr vierzigtausend Personen, die nach oben oder unten um einige Tausende sehwankte. Nehmen wir jedoch die Gesamtzahl der Menschen, die im Laufe von mehr als drei Jahren ins Lager eingeliefert wurden, so stellt sich heraus, daß zwischen der Endzahl von siebzehntausend und der Zahl der Eingelieferten ein Unterschied von 1.380 000 Häftlingen besteht. Dieser Unterschied gibt annähernd die Zahl der Menschen wieder, die unmittelbar im Lager umgebracht wurden, abgesehen von denen, die, ohne erst im Lager registriert zu werden, getötet wurden. Alle diese Angaben sind den amtlichen Rechenschaftsberichten der Verwalter des Lagers für die ganze Zeit seines Bestehens entnommen.

Ununterbrochen werden Zehntausende ins Lager gebracht

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Ein neuer Transport trifft ein. Täglich werden zehntausende ins Lager gebracht, wo sie der Vernichtung verfallen.

Ein neuer Transport trifft ein. Täglich werden zehntausende ins Lager gebracht, wo sie der Vernichtung verfallen.

Als wir von den Gefangeneneinlieferungen während der ersten Bauperiode des Lagers sprachen, verwiesen wir auf den Monat Mai 1942. Im April und Mai 1942 wurden massenhaft Juden aus den Ghettos von Lublin und Umgebung ins Lager eingeliefert. Im Laufe des Sommers kamen weitere achtzehntausend Personen aus der Slowakei und aus Böhmen an. Im Juh 1942 brachte man die erste Gruppe Polen, die beschuldigt wurden, sie seien Partisanen gewesen. Schon dieser erste Transport bestand aus fünfzehnhundert Personen. Im selben Monat wurde eine große Zahl politischer Gefangener aus Deutsehland überführt. Im Dezember 1942 brachte man einige tausend Juden und- Griechen aus dem Oswiezim-Lager bei Krakau; am 17. Jänner 1943 fünfzehnhundert Polen und vierhundert Polinnen aus Warschau. Am 2. Februar trafen neunhundertfünfzig Polen aus Lemberg ein, am 4. Februar viertausend Polen und Ukrainer aus Taloma und Tarnopol.

Im Mai 1943 kam ein Transport von sechzigtausend Menschen aus dem Warschauer Ghetto an. Den ganzen Sommer und Herbst 1943 über wurden mit Unterbrechungen von einigen Tagen Gefangenentrupps aus allen deutschen Hauptlagern Sachsenhausen, Dachau, Flossenbürg, Neuengamme, Großrosen und Buchenwald eingeliefert. Keiner dieser Transporte war unter tausend Mann stark. Die Herkunft der Neuangekommenen erfuhr man im Lager nicht nur aus ihren Erzählungen, man erkannte sie auch gleich äußerlich, denn jedes Lager hinterließ bei den Insassen seinen besonderen Stempel.

In Oswiezim zum Beispiel war es Sitte, allen Gefangenen, auch den Frauen, die Köpfe kahl zu scheren und ihnen die Gefangenennummer nicht wie anderswo um den Hals zu hängen, sondern in die Handfläche einzubrennen. Aus Buchenwald kamen Menschen an, die nur schwer Sonnenlicht vertragen konnten: in einer Filiale von Buchenwald, dem "Dora-Lager", befand sich ein in den Felsen gehauenes unterirdisches Werk, in dem die berüchtigte "V-1"-Waffe, die deutschen Flügelbomben, hergestellt wurde. Dort arbeiteten ausschließlich Slawen, hauptsächlich Polen und Russen. Sie arbeiteten ohne ans Tageslicht zu kommen und nach einem halben Jahr unterirdischer Arbelt büßten sie ihr Sehvermögen so stark ein, daß sie unverzüglich gruppenweise ins Lubliner "Vernichtungslager" geschickt wurden.

Die Personalausweise zeugen vom Umfang der Verbrechen - Ermordete aus ganz Europa

Wir haben nur einige Zahlen und Lager genannt, nicht um eine vollständige Berechnung der Umgekommenen aufzustellen, sondern um zu helfen, sich wenigstens ein ungefähres Bild von dem Geschehenen zu machen. Ergänzend noch einiges über die nationale Zugehörigkeit der hier Eingelieferten. Dte im Lager Umgebrachten waren meistenteils Polen. Unter ihnen waren Geiseln, echte und angebliche Partisanen und Angehörige von Partisanen, außerdem sehr viele Bauern, besonders solche, die aus Bezirken ausgesiedelt worden waren, in denen die deutsche Kolonisierung vor sich ging. Nach den Polen bilden Russen und Ukrainer die größte Zahl der Ermordeten. Ebenso groß ist die Zahl der von den Deutschen vernichteten Juden, die buchstäblich aus allen Ländern Europas, von Polen bis Holland, im Lager zusammengetrieben wurden. Dann folgen ansehnliche Zahlen, jede über mehrere tausend: das sind Franzosen, Italiener, Holländer und Griechen. Eine kleinere, aber ebenfalls beträchtliche Zahl entfällt auf Belgier, Serben, Kroaten, Ungarn und Spanier. Aus den gefundenen Personalausweisen ersieht man, dass hier Bürger aus aller Herren Ländern eingeliefert waren, und zwar Norweger, Schweizer, Türken und sogar Chinesen.

Pässe aus aller Herren Länder

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In einem der zahlreichen Zimmer der Lagerkanzlei, wo ein großer Haufen von Papieren, Pässen und Personalausweisen der Getöteten auf dem Boden lag, fanden wir, als wir aufs Geratewohl diese Papiere herausgriffen, im Laufe von zehn Minuten Dokumente Angehöriger fast aller europäischen Nationen. Da war der Paß von Sophia Jakowlewna Düssewitsch aus dem Dorf Konstantinowka im Kiewer Gebiet, einer ukrainischen Arbeiterin, geboren im Jahre 1917. Da war der Paß mit dem Stempel "Republique Francaise" auf den Namen Eugene Duramer, Franzose, Metallarbeiter, geboren in Le Havre am 22. September 1888. Ein von der Volksschule in Banja Luka ausgestelltes Zeugnis für Ralo Zunic, Mohammedaner, der die Schule im Jahre 1937 mit dem Zeugnis "dobar", das heißt "gut", in "Moral, Naturkunde und Geschichte" abgeschlossen hatte.

Ein in Kroatien ausgestellter Paß lautete auf den Namen Fatiranovic, geboren in Zagreb, den dieser am 2. Jänner 1941 erhielt. Da war der Faß Jakob Borchardts, geboren in Rotterdam am 10. November 1918, ein Personalausweis von Eduard Alfred Saka, geboren im Jahre 1914 in Mailand auf der Via Plimo Nr. 29, "Größe 175, Körperbau stark, besondere Kennzeichen keine". Da war ein Personalausweis, Nr. 8544, ausgestellt für Savaranti, Grieche von der Insel Kreta. Ein deutscher Reisepaß lautete auf Ferdinand Lotmann, Ingenieur aus Berlin, geboren am 19. August 1872; da war ein Arbeitsbuch mit dem Stempel "Generalgouvernement", ausgestellt für Sigmund Remak, polnischer Arbeiter, geboren am 20. März 1924 in Krakau. Da gab es eine chinesische Legitimation mit Photo und Hieroglyphen, die niemand lesen konnte. Es gab Personalausweise mit Blutflecken, andere waren durch Wasser aufgeweicht, es gab Papiere, die mitten durchgerissen, und andere, die zertrampelt waren. Dieser grauenhafte Berg von Personalausweisen war ein Grabhügel ganz Europas, eingezwängt in die vier Wände eines Zimmers.

Es läßt sich sogar schwerlich voraussagen, welche ungeheuerlichen Einzelheiten bei der eingehenden Untersuchung dieser Papiere und bei dem Verhör der unzähligen Zeugen zutage kommen werden. Möglicherweise wird man hier auf Spuren hervorragender europäischer Persönlichkeiten stoßen, die während der deutschen Herrschaft verschollen und umgekommen sind.

Betonkammern zum Vergasen der Menschen - Vom SS-Bordell in den Tod

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Im SS-Bordell. Die gefangenen Frauen werden ins Bordell gezwungen, ist ein von ihnen schwanger, kommen sie in die Gaskammer.

Im SS-Bordell. Die gefangenen Frauen werden ins Bordell gezwungen, ist ein von ihnen schwanger, kommen sie in die Gaskammer.

Geht man die Cholmer Landstraße entlang, so sieht man rechter Hand in etwa dreihundert Meter Entfernung die Umrisse einer ganzen Stadt emporwachsen: Hunderte niedriger,grauer Dächer, gebaut in genau ausgerichteten Reihen, getrennt durch Stacheldraht. Es ist eine große Stadt mit Raum für Zehntausende von Menschen. Man biegt von der Landstraße ab und fährt durch ein Tor auf die andere Seite des Stacheldrahtverhaus. Saubere Baracken mit gepflegten Vorgärten und aus Birkenholz gezimmerten Sesseln und Bänken stehen in Reihen. Das sind die Baracken der SS-Wache und der Lagerleitung. Hier ist auch das "Soldatenheim", eine etwas kleinere Baracke, in der das Bordell für die Lagerwache untergebracht war; die Frauen waren ausschließlich Gefangene, und sobald eine schwanger wurde, wurde sie umgebracht.

Dann kommen die Desinfektionskammern für die den Gefangenen abgenommenen Kleider. Durch in die Decke eingelassene Rohre wurden Desinfektionsmittel geschüttet, dann wurden die Rohre verkittet, die Türen hermetisch verschlossen, und die Desinßzierung konnte beginnen. Die Bretterwände der Baracken und die leichtgebauten, nicht mit Eisen beschlagenen Türen bezeugen, daß hier tatsächlich nur Kleiderdesinfizierungen vorgenommen werden konnten.

Doch nun öffnen wir die nächste Tür und gelangen in eine zweite Desinfektionskammer, die schon nach einem ganz anderen Prinzip gebaut ist. Ein quadratischer Raum, etwas über zwei Meter hoch, mit einer Bodenfläche von etwa sechs mal sechs Meter, Wände, Decke und Boden sind aus kompaktem, grauem Beton. Kleiderhaken wie im ersten Raum gibt es hier nicht. Alles ist kahl und leer. Der Eingang zum Raum wird von einer einzigen großen Stahltür mit riesigen Stahlriegeln von außen her hermetisch verschlossen. Die Wände dieser Betonkammern haben drei Öffnungen: zwei von ihnen bestehen aus Rohren, die von außen nach innen führen, die dritte ist ein Guckloch. Es ist ein kleines, viereckiges Fensterchen, geschützt durch ein innen in der Betonwand angebrachtes starkes und dichtes Stahlgitter. Das dicke Glas ist von außen so eingesetzt, daß man es durchs Gitter nicht erreichen kann.

Wohin sieht man durchs Guckloch? Um auf diese Frage Antwort zu bekommen, öffnen wir die Tür und treten aus der Kammer. Neben ihr ist eine zweite kleine Betonkammer angebaut, in die eben das Guckloch führt. Hier gibt es elektrisches Licht und einen Schalter. Von hier aus kann man durch das Guckloch die ganze Kammer übersehen. Auf dem Boden stehen einige runde, hermetisch verschlossene Behälter mit der Aufschrift "Zyklon" und darunter in kleiner Druckschrift: "Zur besonderen Verwendung in den Ostgebieten." Der Inhalt eben dieser Behälter wurde durch die Rohre in die benachbarte Kammer geschüttet, wenn sie voller Menschen war.

Die SS beobachtete den Todeskampf der Erstickenden durchs Guckloch

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Der Tod in der Gaskammer. Die SS beobachtete den Todeskampf der durch das Gas sterbenden Frauen und Kinder durchs Guckloch.

Der Tod in der Gaskammer. Die SS beobachtete den Todeskampf der durch das Gas sterbenden Frauen und Kinder durchs Guckloch.

Die Menschen waren nackt und so dicht aneinander gedrängt, daß sie wenig Platz einnahmen. In der Kammer mit einer Bodenfläche von etwa vierzig Quadratmeter wurden über zweihundertfünfzig Menschen zusammengepfercht. Sie wurden hineingestoßen, die Stahltür von außen verriegelt und zur besseren Abdichtung verkittet, ein Sonderkommando in Gasmasken entleerte die runden "Zyklon"-Behälter in die Rohre. In den Behältern waren blaue, harmlos aussehende kleine Kristalle, die bei Verbindung mit Sauerstoff Giftstoff aussondern, der sofort auf alle Zentren des menschlichen Körpers einwirkt. Durch die Rohre wurde "Zyklon" geschüttet, der die Erstickung leitende SS-Mann drehte den Schalter an, die Kammer wurde hell beleuchtet und er beobachtete von seinem Kommandopunkt durchs Guckloch den Erstickungsprozeß, der verschiedenen Aussagen zufolge zwei bis zehn Minuten dauerte.

Durchs Guckloch konnte er ungefährdet alles sehen, sowohl die verzerrten Gesichter der Sterbenden wie auch die fortschreitende Wirkung des Gases. Das Guckloch ist gerade in Augenhöhe eingebaut. Und wenn die Menschen starben, brauchte der Beobachter nicht hinabzusehen: sie fielen nicht um im Sterben, die Kammer war so vollgepfropft, daß auch die Toten aufrecht standen. Übrigens ist "Zyklon" wirklich ein Desinfektionsmittel. Mit ihm wurden tatsächlich in den Nebenkammern Kleider desinfiziert. Alles ist makellos, alles ist in Ordnung, alles entspricht der Wirklichkeit. Es handelt sich nur darum, wie groß die Dosis "Zyklon" ist, die in die Kammer geschüttet wird.

Das Krematorium kam mit dem Verbrennen der Leichen kaum nach

Gehen wir einige hundert Schritte weiter. Ein leerer Platz. Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, dasshier früher einmal ein Gebäude gestanden haben muss. Ja, hier war bis zum vorigen Herbst ein Krematorium. Im Herbst wurde der Bau eines anderen, vervollkommneten Krematoriums beendet, zu dem wir später kommen werden. Dass alte, primitiv gebaute Krematorium wurde zerstört, da seine Leistungsfähigkeit wesentlich hinter der rationalisierten, vervollkommneten Gaskammer zurückblieb. Jenes Krematorium bestand einfach aus einer geräumigen Baracke mit Zementboden, wo auf Ziegelfundamenten zwei riesige Eisenkessel der Länge nach aufgestellt waren. Die Verbrennung ging in diesen Kesseln viel zu langsam vor sich.

Zwar erwartete man hier nicht die endgültige Einäscherung der Leichen, doch schon der Zerfall der Leiche in morsche Knochen dauerte hier wenigstens zwei Stunden. In beide Verbrennungsräume kamen gleichzeitig je vierzehn Leichen. Das Krematorium konnte also täglich nicht mehr als hundertfünfzig Leichen verbrennen, während in der Gaskammer sogar bei nur einer, wie man sich hier ausdrückte, "Vergasung" dreihundert Personen täglich getötet wurden. Deshalb mußte vor dem Bau des neuen Krematoriums an den großen Vernichtungstagen ein bedeutender Teil der Leichen von hier mit Lastkraftwagen auf ein Feld hinter den Lagern gebracht und dort verscharrt werden.

Der elektrische Draht- Jede Fluchtmöglichkeit wird ausgeschlossen

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Der Appell. Viele Stunden täglich stehen die Häftling, in Kälte, Sturm und Regen, bis die Erschöpften zusammenbrechen und sterben.

Der Appell. Viele Stunden täglich stehen die Häftling, in Kälte, Sturm und Regen, bis die Erschöpften zusammenbrechen und sterben.

Der Zaun besteht aus zwei Reihen vier Meter hoher Pfosten mit Stacheldraht, der oben in Halbdachform nach innen gebogen ist. Beide Pfostenreihen stehen zwei Meter voneinander und quer durch diesen Zwischenraum zieht sich im Diagonal, von der Spitze des einen Pfostens bis zum Fuß des gegenüberstehenden, eine dritte Reihe Stacheldraht. Der Draht läuft über Isolationsrollen und war elektrisch geladen: durch ihn wurde ein tödlicher Starkstrom geleitet, der jede Fluchtmöglichkeit ausschloß.

Dieses elektrifizierte System war anfangs nicht eingeführt. Ursprünglich ging durch den Drahtverhau kein elektrischer Strom. Der Übergang zum elektrischen System wurde durch folgenden Vorfall hervorgeruien. Im Mai 1942 erschlug eine Gruppe russischer Kriegsgefangener, die Erschossene im naheliegenden Krempezker Wald begraben sollten, mit ihren Spaten sieben deutsche Wächter und flüchteten. Zwei von ihnen wurden gefangen, die übrigen fünfzehn entkamen. Da wurden die im Lager verbliebenen hundertdreißig Kriegsgefangenen (von den tausend im August 1941 eingelieferten Kriegsgefangenen waren nur hundertdreißig am Leben gebliebem) in den Block überführt, wo,die Häftlinge aus der Zivilbevölkerung untergebracht waren

Eines Abends, Ende Juni, entschlossen sich die russischen Kriegsgefangenen, als sie sahen, daß sie hier sowieso zugrunde gehen würden, zu einem Fluchtversuch. Einige Dutzend der Häftlinge gingen nicht mit. Die Kriegsgefangenen sammelten alle vorhandenen Bettdecken, legten sie zu je fünf Stück zusammen, breiteten sie als Brücken über den Stacheldraht aus und flohen. Die Nacht war finster, nur vier der Flüchtlinge wurden erschossen, die übrigen entkamen. Die zurückgebliebenen fünfzig Mann wurden sofort nach Entdeckung der Flucht in den Hof geführt, mußten sich auf die Erde legen und wurden aus Maschinenpistolen erschossen. Doch die Deutschen begnügten sich nicht mit dieser Strafmaßnahme. Die gelungene Flucht blieb eine Tatsache, und die Deutschen elektrifizierten eiligst vier der fünf Blocks. Nur einer der Blocks war nicht elektrifiziert; dort befanden sich Frauen, von denen man wohl schwerlich einen Fluchtversuch erwarten konnte.

Die Verbrennungsöfen - Im Nebenblock lebte keiner länger als eine Stunde

Wir gelangen zu einem anderen Nebenblock. Er ist weniger sorgfältig abgezäunt als die Wohnblocks. Daran ist übrigens nichts Erstaunliches, denn hierher kamen die Toten oder Halbtoten oder solche, die unter verstärkter Bewachung zur Tötung vorgesehen waren. Hier, hinter diesem Draht, lebte, mit Ausnahme der SS und der Leichenverbrennungsmannschaft, niemand länger als eine Stunde. Mitten auf einem leeren Feld sehen wir einen hohen viereckigen Schornstein aus Steinen mit einem anschließenden langen, niedrigen, rechteckigen Ziegelsteingebäude. Das ist das Krematorium. Es ist vollkommen erhalten geblieben.

Etwas weiter finden wir die Überreste eines großen Ziegelsteinbaus. In den wenigen Stunden, die der Lagermannschaft zwischen der Nachricht vom Durchbruch der Front und der Ankunft unserer Truppen zur Verfügung standen, versuchte sie, die Spuren zu verwischen. Sie schaffte es nicht, das Krematorium in die Luft zu sprengen, aber das Nebengebäude setzte sie in Brand. Trotzdem legen die Spuren ein beredetes Zeugnis ab. Ein fürchterlicher Leichengestank erfüllt die Luft.


Gaskammer und Leichenmagazin


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Die Nebenräume des Krematoriums bestehen aus drei Hauptkammern. Die eine Kammer ist vollgestopft mit halbverbrannten Kleidungsstücken. Das sind die noch nicht weggebrachten Kleider der letzten Gefangenen, die hier ermordet wurden. Von der Kammer nebenan ist nur ein Teil der Wand übriggeblieben. In diese Wand sind mehrere Rohre kleineren Durchmessers eingelassen als die in der Gaskammer, die wir schon gesehen haben. Das ist auch eine Gaskammer zur Vergiftung (bisher ist noch nicht aufgeklärt, ob mit "Zyklon" oder mit einem anderen Gas).

Wenn besonders viele ausgerottet werden sollten, konnte die Hauptgaskammer nicht alles bewältigen, und ein Teil der Menschen wurde hierhergeführt und unmittelbar neben dem Krematorium "vergast". Die dritte und geräumigste Kammer war offenbar für die Aufstapelung der Leichen bestimmt, die hier lagen, bis sie an die Reihe kamen, um verbrannt zu werden. Der ganze Boden ist mit halbverwesten Skeletten, Schädeln und Knochen bedeckt. Dies rührt nicht von einer planmäßigen Verbrennung her, sondern das ganze Gebäude wurde niedergebrannt; als die Deutschen die dritte Kammer anzündeten, verbrannten die dort aufgehäuften Leichen. Es sind ihrer viele, vielleicht Dutzende, vielleicht Hunderte das ist schwer zu sagen, denn diese Menge halbverwester Knochen mit Stücken halbverbrannten Fleisches daran, läßt sich nicht zählen.

Skelette von Männern, Frauen und Kindern

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Jetzt sind es nur noch wenige Schritte zum eigentlichen Krematorium. Es stellt ein großes Rechteck dar, gebaut aus feuerfesten Ziegeln, aus Dinassteinen. In diese Steinwand sind fünf große Feueröffnungen mit hermetisch verschließbaren gußeisernen Ofentüren nebeneinander eingelassen. Die runden Ofentüren stehen jetzt offen. Die tiefen Verbrennungsräume sind zur Hälfte mit verbrannten Knochen und Asche gefüllt. Vor den Ofen liegen auf dem Platz vor den Feueröffnungen halbverkohlte Menschenskelette, die die Deutschen verbrennen wollten und die nun durch die Feuersbrunst zerstört wurden. Vor drei Feueröffnungen liegen Männer- oder Frauenskelette, vor den beiden anderen liegen Skelette von Kindern im Alter von etwa zehn bis zwölf Jahren, nach der Größe zu urteilen. Vor jedem Feuerloch liegen fünf bis sechs Skelette. Das entspricht ihrem Fassungsvermögen: in jeden Verbrennungsraum wurden sechs Leichen auf einmal gestopft. Wenn die sechste Leiche nicht Platz fand, schlug die Verbrennungsmannschaft den nicht hineingehenden Körperteil, die Hand oder das Bein oder den Kopf, einfach ab und schloß darauf hermetisch die Ofentür.

Täglich 1400 Tote verbrannt

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Die 'Umsiedlung'. Unter diesem Vorwand wurden zahlreiche polnische und russische Failien in das Lager gebrcht und dort vergast.

Die 'Umsiedlung'. Unter diesem Vorwand wurden zahlreiche polnische und russische Failien in das Lager gebrcht und dort vergast.

Im ganzen gibt es dort fünf Verbrennungsräume. Ihre Leistungsfähigkeit war sehr groß. Das Krematorium war so berechnet, daß die Verbrennung der Leichen innerhalb von fünfundvierzig Minuten erfolgte. Doch allmählich lernten die Deutschen den Verbrennungsprozeß zu beschleunigen und verdoppelten durch Erhöhung der Temperatur die Leistungsfähigkeit: die Dauer der Leichenverbrennung wurde von fünfundvierzig Minuten auf fünfundzwanzig Minuten und sogar auf weniger verkürzt. Sachverständige haben bereits diese Dinassteine untersucht und an ihrer Deformierung und Strukturveränderung erkannt, daß die Temperatur hier über fünfzehnhundert Grad betrug. Als ergänzender Beweis dienen die gußeisernen Schieber, die auch deformiert und geschmolzen sind.

Nehmen wir als Durchschnitt an, daß die Verbrennung jeder Partie Leichen eine halbe Stunde dauerte, und fügen wir hinzu, daß nach übereinstimmenden Aussagen der Schornstein des Krematoriums vom Herbst 1943 an ununterbrochen Tag und Nacht rauchte und das Krematorium wie ein Hochofen keine Minute stillstand, dann ergibt sich, daß ungefähr vierzehnhundert Leichen täglich verbrannt wurden.

Die SS versuchte, die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen

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Zum Bau des Krematoriums sahen sieh die Deutsehen besonders auch durch die Vorgänge bei dem Fall "Katyn" genötigt. Sie fürchteten weitere Enthüllungen bei der Öffnung der Gruben mit den verscharrten Leichen der Ermordeten, und deshalb unternahmen sie auf dem Gelände des Lubliner Lagers vom Herbst 1943 an umfangreiche Ausgrabungen. Sie gruben aus den vielen umliegenden Gräben die halbvermoderten Leichen der Erschossenen aus und verbrannten sie im Krematorium um die Spuren endgültig zu verwischen. Die Asche und die verkohlten Knochen aus den Verbrennungsräumen des Krematoriums wurden in dieselben Gräben geschüttet, aus denen die Leichen ausgegraben wurden. Einer dieser Gräben ist schon geöffnet worden. Man fand dort eine fast meterdicke Aschenschicht.

Von den Ermordeten durfte nichts verlorengehen - Ein Schuhlager mit 820 000 Paaren

Hinter dem Lager steht noch ein unvollendeter Block. Innerhalb des Stacheldrahts sind nur Ziegelfundamente zu sehen. Die Mauern sind noch nicht errichtet; nur eine Baracke ist fertig gebaut, aber nicht mit Pritschen versehen. Sie war unbewohnt, und dennoch wurde sie vielleicht zum grauenhaftesten Zeugen dessen, was hier vor sich ging. Diese einige Dutzend Meter lange und breite Baracke ist in ihrer ganzen Ausdehnung und in halber Deckenhöhe, das heißt, über zwei Meter hoch, angefüllt mit dem Schuhzeug der hier im Laufe von drei Jahren hingerichteten Menschen. Es ist schwer, zu sagen, wieviel Paar Schuhe hier liegen. Eine spätere Zählung ergab 820 000 Paare. Das Schuhzeug hat keinen Platz in der Baracke und fällt aus Fenstern und Türen heraus.

An einer Stelle hat sein Gewicht die Wand durchgedrückt und ein Stück Wand ist zusammen mit einem Berg von Schuhen eingefallen. Hier finden wir alles: zerrissene russische Soldatenstiefel und polnische Militärstiefel, Männerschuhe und Damenhalbschuhe, Galoschen und vor allem, was das Furchtbarste ist, zehntausende Paar Kinderschuhe: Sandalen, Halbschuhe und Schuhchen für Zehnjährige, Achtjährige, Sechsjährige und Babyschuhe. Man kann sich kaum etwas Grauenvolleres vorstellen als dieses Bild.

Ein furchtbares, stummes Zeugnis für die Ermordung Hunderttausender von Männern, Frauen und Kindern! Steigt man über diesen Schuhberg hinweg und gelangt in den rechten Winkel des Schuppens, findet man sogleich die Erklärung für das Bestehen dieses ungeheuerlichen Lagerraums. Hier sind Tausende, ja Zehntausende von Sohlen und Oberleder zusammengelegt und Lederstücke einzeln gesammelt. Hier wurde der Teil des Schuhwerks, der als Fußbekleidung schon unbrauchbar war, aufgetrennt und sortiert, und die Sohlen, Absätze und Oberleder wurden gesondert abgelegt. Wie alles im Todeslager hatte auch diese Sammelstelle ihren nutzbringenden Zweck: von den Ermordeten durfte nichts verlorengehen, weder ihre Kleider noch ihr Schuhzeug, noch ihre Knochen, noch ihre Asche.

Zehntausende Frauen- und Kinderkleider

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In einem der großen Häuser in Lublin ist die letzte Abteilung des Lagers untergebracht. In Dutzenden von Räumen, in Dutzenden großer und kleiner Zimmer ist dort eine riesige Sortierungsstelle für alle Hinterlassenschaften der Ermordeten eingerichtet. In einem Zimmer sehen wir Zehntausende von Frauenkleidern, in einem anderen zehntausende Paar Beinkleider, in einem dritten zehntausende Wäschestücke, in einem vierten Tausende von Damentäschchen, in einem fünften Zehntausende von Kinderanzügen und -kleidern, in einem sechsten Rasierzeug, in einem siebenten Mützen und Hüte.

Wir sprachen mit gefangenen Deutschen, die am Krematorium und an den Leichengräben vorbeikamen. Sie stritten ihre Teilnahme an all dem ab. Sie sagten, nicht sie hätten das getan, sondern die SS. Aber als wir später einen im Lager beschäftigten SS-Mann verhörten, behauptete er, daß die Massenhinrichtungen nicht die SS, sondern der SD, das heißt die Gestapo, vollzogen hätte. Die Gestapoleute hingegen beschuldigten die SS. Wir wissen nicht, wer von ihnen die Menschen verbrannte, wer sie schlechtweg erschlug, wer ihnen die Schuhe von den Füßen zog, und wer die Damenwäsche und die Kinderkleidchen sortierte - wir wissen das nicht. Aber beim Anblick dieser Kleidersammelstelle denken wir daran, daß die Nation, die Leute hervorgebracht hat, die zu all dem fähig waren, die volle Verantwortung und auch den Fluch für die Untaten ihrer Repräsentanten auf sich nehmen muss und nehmen wird.

Die Arten der Menschenvernichtung - Grundsatz: kein Häftling darf lebend dass Lager verlassen

Das Ende der Erschöpften. Die nicht mehr voll Arbeitsfähigen werden reihenweise erhängt.

Das Ende der Erschöpften. Die nicht mehr voll Arbeitsfähigen werden reihenweise erhängt.

Die Geschichte des Lubliner "Vernichtungslagers" haben wir schon erzählt und sein heutiges Aussehen geschildert. Verweilen wir jetzt bei den Aussagen einzelner Zeugen, mit denen wir gesprochen haben. Ihre Aussagen umfassen vielleicht nur den hundertsten Teil jener Beweismittel, die später das Material für die Untersuchungskommission bilden werden. Wir sprachen mit dem russischen kriegsgefangenen Arzt Baritschew, Oberarzt im Lagerlazarett für Kriegsgefangene, und auch mit einem Heilgehilfen desselben Lazaretts, mit Ingenieuren und Arbeitern aus der Zivilbevölkerung, die beim Bau des Lagers tätig waren, und mit Lagerinsassen, sowohl Häftlingen als auch Kriegsgefangenen; wir sprachen ebenfalls mit den SS-Leuten, die das Lager bewachten. Aus all diesen Gesprächen erhielten wir ein Gesamtbild über das Leben im "Vernichtungslager", über das man hier sprechen muß.

Die erste Voraussetzung, von der die im Lager herrschenden SS-Leute ausgingen, war folgende: Alle, die ins Lager kamen, seien es Kriegsgefangene oder Häftlinge aus der Zivilbevölkerung, seien es Russen, Ukrainer, Polen, Bjelorussen oder Juden, Franzosen oder Griechen usw., sie alle werden früher oder später umgebracht werden, nie wird einer lebend aus diesem Lager herauskommen und erzählen können, was dort vor sich geht. Diese erste Voraussetzung bestimmte sowohl das Vorgehen der Wachmannschaft als auch -die Methoden für die Ausrottung der Menschen in diesem Lager. Die Toten sind stumm und können nichts mehr erzählen. Sie können von keinen Einzelheiten berichten und diese Einzelheiten mit Dokumenten belegen. Daher wird niemand Beweise in der Hand haben, und das war, nach Auffassung der Deutschen, das Wichtigste.

Der Leichengeruch soll der Bevölkerung Schrecken einflößen

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Natürlich konnten Berichte über das Lager als Ganzes, als Todeslager, zu der Bevölkerung der Umgegend dringen, aber das beunruhigte die Deutschen nicht. Sie fühlten sich in Polen wie zu Hause. Das "Polnische Generalgouvernement" war für sie ein für immer erobertes Land. Die, die hier am Leben geblieben waren, sollten vor allem vor den Deutschen Angst haben, und deshalb waren die entsetzlichen Gerüchte, die über das Lubliner Lager in ganz Polen umgingen, den Deutschen sogar erwünscht.

Der Leichengeruch, der an Tagen besonders großer Massenmorde aus dem Lager in die Umgebung drang und die Menschen sogar in Lublin zwang, sich Tücher vors Gesicht zu halten, flößte den Bewohnern der Umgebung Furcht ein. Das sollte ganz Polen eine Vorstellung vermitteln, von der Stärke der deutschen Herrschaft und von den Schrecken, denen alle, die Widerstand zu leisten wagten, ausgeliefert waren.

Die Rauchsäule, die wochen- und monatelang über dem hohen Schornstein des Hauptkrematoriums stand, war weithin sichtbar, aber das störte die Deutschen nicht. Dieser entsetzliche Rauch sollte ebenso wie der Leichengeruch der Bevölkerung Schrecken einflößen. Tausendköpfige Menschenkolonnen marschierten vor aller Augen über die Cholmer Landstraße und, hatte sich das Tor des Lubliner Lagers hinter ihnen geschlossen, kehrten sie nie wieder von dort zurück. Auch das sollte die Stärke der Deutschen beweisen, die meinten, sich alles, was ihnen beliebte, erlauben zu können und sich dafür vor niemanden verantworten zu müssen.

Methode 1: Langsamer Mord durch offene Tuberkolose

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Wir möchten unseren Bericht mit der Beschreibung der "humansten" Einrichtung des Lagers, dem Lazarett, beginnen. Alle ins Lager Eingelieferten kamen, bevor sie in die allgemeinen Baracken übergeführt wurden, laut strengster medizinischer Vorschrift für 21 Tage unter Quarantäne. Das entsprach fraglos den Erfordernissen der Hygiene. Hier muß man nur eine Kleinigkeit hinzufügen: Alle Kriegsgefangenen, die unter Qarantäne ins Lazarett kamen, wurden laut Befehl der Lagerkommandantur ausschließlich in Baracken untergebracht, in denen Kranke mit offener Tuberkulose lagen. In jede dieser schrecklich überfüllten Baracken, wo zweihundert Kranke mit offener Tuberkulose lagen, wurden noch je zweihundert Menschen hineingepiercht, die unter Quarantäne standen. Wenn man diese kleine Einzelheit berücksichtigt, so wird es verständlich, daß die Todesursache bei 70 bis 80 Prozent der Menschen, die im Lager sozusagen eines natürlichen Todes starben, Tuberkulose war.

Eigentlich war das Lazarett nichts weiter als eine Abteilung des "Vernichtungslagers". Hier wandten die Deutschen Mordmethoden an, die manchmal schneller wirkten als die in den gewöhnlichen Baracken. Wenn man überhaupt von den Methoden der Ermordung spricht, so muß bemerkt werden, daß sie äußerst mannigfaltig waren und entsprechend der Vergrößerug des Lagers progressiv zunahmen.

Methode 2: Die Entkräfteten werden reihenweise erhängt

Der erste Platz für die Massenausrottung war eine Bretterbude, die anfangs, als das Lager gebaut wurde, zwischen zwei Reihen Stacheldraht errichtet wurde. Durch diese Bretterbude lief unter der Decke ein langer Balken, an dem ständig acht Lederschlingen hingen. Hier wurden alle Entkräfteten erhängt. In der ersten Zeit gab es im Lager nicht genügend Arbeitskräfte, und die SS-Leute konnten nicht einfach zu ihrem Vergnügen töten. Sie töteten keine Gesunden. Sie erhängten nur diejenigen, die durch Hunger und Krankheiten entkräftet waren. Dabei hatten die Kriegsgefangenen eine Vergünstigung. In dieser Bretterbude wurden nur Häftlinge aus der Zivilbevölkerung erhängt. Die Gruppen der entkräfteten und zur Arbeit untauglichen Kriegsgefangenen wurden aus dem Lager herausgeführt und erschossen. Kriegsgefangene wurden nur dann erhängt, wenn keine ganze Gruppe zusammengestellt werden konnte und es sich nicht lohnte, einen oder zwei Mann in den Wald zu führen. Da wurden ein bis zwei Kriegsgefangene zusammen mit den Häftlingen erhängt.

Methode 3: Der Halswirbel wird mit einer Eisenstange durchschlagen

Bald war das erste primitive Krematorium aus zwei Öfen, von dem schon früher die Rede war, fertiggestellt. Die Gaskammer kam erst später zur Anwendung, sie war noch nicht fertiggebaut. Zu dieser Zeit war die Hauptmethode zur Ermordung der Kranken und Geschwächten folgende: An das Krematorium wurde ein kleines Zimmer mit sehr engem und niedrigem Eingang angebaut. Dieser Eingang war so niedrig, dass sich der Eintretende unbedingt bücken mußte. Zwei SS-Leute standen zu beiden Seiten der Tür und jeder von ihnen hielt eine kurze und schwere Eisenstange in der Hand. Wenn der Mensch, der durch die Tür gehen sollte," mit gebeugtem Kopf eintrat, erhielt er von einem SS-Mann einen Schlag mit der Eisenstange gegen den Halswirbel. Wenn der eine SS-Mann danebenschlug, half der andere nach. Wenn das Opfer dann noch nicht tot war, sondern nur die Besinnung verlor, hatte das keine Bedeutung. Der Gestürzte galt als tot und kam in den Verbrennungsraum des Krematoriums. Allgemein bestand im Lager folgende Regel: Wer hingefallen war und nicht mehr aufstehen konnte, galt als tot.

Methode 4: Hinrichtung durch Erschöpfung

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Manchmal wurden die erschöpften Opfer stundenlang in den Hof getrieben, damit sie in der Kälte umkamen. Hier muß noch die sogenannte Abendgymnastik erwähnt werden. Sie bestand darin, daß die Leute, die ohnehin entkräftet und durch den Arbeitstag aufs äußerste erschöpft waren, nach der abendlichen Kontrolle gezwungen wurden, anderthalb Stunden lang durch kniehohen Morast, im Winter durch den Schnee und im Sommer in der Hitze, um den ganzen Wohnblock zu rennen. Dieser Weg ist über einen Kilometer lang. Am Morgen wurden die Leichen, die am Zaun des Blocks lagen, eingesammelt.

Das waren sozusagen die üblichen, alltäglichen Tötungsmethoden. Aber die Bestien, die schon Menschenblut geschmeckt hatten, begnügten sich nicht mit gewöhnlichen Methoden. Die Ermordung ihrer Opfer war nicht nur eine Arbeit, sondern auch eine Zerstreuung. Wir wollen nicht über die "Zerstreuungen" sprechen, die in allen deutschen Lagern üblich waren, wie zum Beispiel das Schießen von den Wachttürmen auf Häftlinge, die als Zielscheiben dienten, oder das Totprügeln von Hunderten halb verhungerter Menschen, wenn sie sich auf ihnen hingeworfene Knochen stürzten. Wir erwähnen hier nur einige Zerstreuungen, die typisch für das Lubliner Lager waren.

Die tödlichen Spaße der SS - Vorgetäuschtes und wirkliches Erschiessen

Der erste "geistreiche Spaß" sah so aus: Einer der SS-Leute schikanierte irgendeinen Häftling und erklärte, daß dieser die Lagerordnung verletzt habe und deshalb erschossen werde. Der Häftling wurde an die Wand gestellt, und der SS-Mann zielte mit seinem Parabellum auf dessen Stirn. In Erwartung des Schusses schloß das Opfer in 99 Fällen von 100 instinktiv die Augen. Da schoß der SS-Mann in die Luft, während ein anderer SS-Mann, der sich inzwischen unbemerkt an den Häftling herangeschlichen hatte, ihm mit einem dicken Brett einen Schlag auf den Kopf versetzte. Der Häftling verlor die Besinnung und fiel hin. Wenn er dann ein paar Minuten später zu sich kam und die Augen öffnete, sagten die vor ihm stehenden SS-Leute lachend: "Siehst du, jetzt bist du im Jenseits. Auch auf der anderen Welt sind Deutsche. Wie du siehst, kannst du dich vor ihnen nirgends retten..." Da der blutüberströmte Mensch gewöhnlich nicht mehr die Kraft hatte, sich zu erheben, so galt er als dem Tode verfallen und wurde schließlich und endlich, nachdem man sich so ergötzt hatte, erschossen.

Ertränken im Bassin

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Der "Spaß" Nr. 2 wurde in einem großen Wasserbecken durchgeführt, das sich in einer der Lagerbaracken befand. Der Häftling, den man als Schuldigen auserkor, wurde aus gezogen und in dieses Becken gestoßen. Er versuchte, wieder nach oben zu kommen und aus dem Becken zu klettern. Die SS-Leute, die in seiner Nähe standen, stießen ihn mit ihren Stiefeln wieder ins Wasser zurück. Wenn es ihm gelang, den Schlägen zu entgehen, hatte er das Recht, wieder herauszuklettern. Dabei mußte er aber noch eine Bedingung erfüllen: Sich in drei Sekunden völlig ankleiden. Die SS-Leute kontrollierten das mit der Uhr in der Hand. Natürlich konnte sich niemand in drei Sekunden ankleiden. Und er wurde wieder ins Wasser gestoßen, wurde von neuem gequält, bis er ertrank.

Zerquetschen der Hände und Arme

Der "Spaß" Nr. 3 hatte unbedingt den Tod des Opfers zur Folge, an dem man sich ergötzte. Bevor der Beschuldigte umgebracht wurde, führte man ihn in die Wäscherei zur silbrig glänzenden Wringmaschine und zwang ihn, die Fingerspitzen zwischen die schweren Gummirolien zu stecken. Dann begann einer der SS-Leute oder auf ihren Befehl einer der Häftlinge, die Kurbel der Maschine zu drehen. Der Arm des Opfers wurde bis zum Ellbogen oder bis zur Schulter in diese Maschine gepreßt. Das Geschrei des Gemarterten war dabei der Hauptspaß. Selbstverständlich wurde ein Mensch mit zerquetschtem Arm, wie jeder andere, der nicht arbeitsfähig war, gleich nach der Marter umgebracht.

Erschlagen mit dem Zementrohr

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Die hier aufgezählten "Vergnügungen" waren sozusagen allgemein üblich. Einzelne SS-Leute ergötzten sich noch auf ihre besondere Art. Wir wollen nur ein Beispiel anführen, das von.zwei Zeugen bestätigt wird. Einer der SS-Leute, der die Arbeiter beim Bau des neuen Krematoriums bewachte, ein neunzehnjähriger Bursche, trat ohne jeden Grund an den gesündesten und hübschesten der dort Arbeitenden heran, befahl ihm, sich zu bücken und schlug ihm mit aller Kraft mit einem Knüppel auf den Hals. Als jener hinfiel, befahl der SS-Mann zwei anderen Häftlingen, den am Boden Liegenden an den Füßen zu nehmen und ihn mit dem Gesicht nach unten umherzuschleifen, damit er wieder zu sich komme.

Als man ihn jedoch hundert Meter über den gefrorenen Boden geschleift hatte, war er noch nicht zu sich gekommen und lag regungslos. Da packte der SS-Mann ein hohles Zementrohr, das für die Kanalisation bestimmt war, hob es auf und warf es dem am Boden Liegenden auf den Rücken. Dann hob er das Rohr wieder auf, warf es wieder, und das wiederholte er fünfmal. Nach dem ersten Schlag mit dem Rohr zuckte der am Boden Liegende im Todeskampf. Nach dem zweiten Schlag war er wieder reglos. Nach dem fünften Schlag befahl der SS-Mann, ihn umzudrehen, und schob ihm mit seinem Stock die Augenlider hoch. Als sich der SS-Mann überzeugt hatte, daß sein Opfer tot war, spie er aus, zündete sich eine Zigarette an und ging seines Wegs, als ob nichts geschehen wäre. Nebenbei gesagt, war das nicht nur das Resultat seiner persönlichen ungeheuerlichen Veranlagung. In den Herbst- und Wintermonaten 1943 hielt es jeder SS-Mann für seine Pflicht, damit zu prahlen, daß er am Tage nicht weniger als fünf Häftlinge umgebracht habe.

Die SS-Aufscherinnen, der Abschaum der Menschheit - Frauen zu Krüppeln geschlagen

Die SS-Furien. Die gefangenen Frauen wurden von vertierten SS-Weibern mit Peitschen vielfach zu Krüppeln geschlagen.

Die SS-Furien. Die gefangenen Frauen wurden von vertierten SS-Weibern mit Peitschen vielfach zu Krüppeln geschlagen.

Wir möchten noch über die Frauen sprechen. In manchen Monaten waren im Lager bis zu zehntausend Frauen. Sie wurden genau so wie die Männer behandelt, nur mit dem einem Unterschied, daß sie von SS-Weibern bewacht wurden. Wir wollen über eine dieser Furien erzählen, die im Unteroffiziersrang stand und Oberaufseherin der Frauenbaracken war. Leider ist es bisher noch nicht gelungen, ihren Namen festzustellen, weil sie bei allen einfach nur unter der verstümmelten deutschen Bezeichnung "Lagerseherka" bekannt war. Diese "Lagerseherka" erschien nie ohne eine Peitsche. Ein zwei Meter langer, elastischer Stahldraht, umwickelt mit Gummi und mit Leder bespannt, das war die Peitsche. Die "Lagerseherka" war eine mißgestaltete hagere Megäre, die sich durch perversen Sadismus auszeichnete und halb verrückt war. Bei der Morgen- und Abendkontrolle suchte sie unter den erschöpften und abgemagerten Frauen die hübscheste aus, die noch mehr oder minder menschlich aussah, und schlug sie grundlos mit der Peitsche auf die Brust. Wenn das Opfer, von diesem Schlag getroffen; zu Boden fiel, erhielt es einen zweiten Peitschenschlag zwischen die Beine, wohin dann ein dritter Stoß mit dem beschlagenen Stiefel folgte. Gewöhnlich konnte sich eine solche Frau nicht mehr erheben und mußte, bevor sie aufstand, noch lange auf dem Boden kriechen, wobei sie Blutspuren hinterließ. Nach einer oder zwei solcher Mißhandlungen wurden die Frauen zu Krüppeln und starben bald. Es fällt schwer, über all das zu sprechen. Es bleibt nur noch zu hoffen, daß dieses entsetzliche Geschöpf und Tausende, die ihr gleichen, beim Namen genannt, ausfindig gemacht und hingerichtet werden, also wenigstens den hundertsten Teil der verdienten Strafe büßen werden.

Massenerschiessungen, Motorenlärm und Tanzmusik übertönten die Todesschreie

Bisher sprachen wir über die Martern und den Tod jener, die eine mehr oder minder lange Zeit im Lager waren. Aber das Lager bei Lublin war eine echte Todesfabrik, und viele Menschen wurden hier sofort nach ihrem Eintreffen umgebracht. Solche sind in drei Jahren zu Hunderttausenden durch dieses Lager gegangen. Fast täglich wurden Opfer aufs Todesfeld geführt. In den Nächten ratterten innerhalb des Lagers Traktoren, eigens angekurbelt, um das Knattern der automatischen Pistolen und die Schreie der zu Tode getroffenen zu übertönen. Wenn der Traktor zu rattern begann, wußten im Lager alle, daß für Tausende die letzte Stunde geschlagen hat. Wir wollen nur ein paar Worte über eine einzige dieser Erschießungen sagen, über die größte Erschießung, die am 3. November 1943 vor sich ging.

Frühmorgens wurde die ganze Wache alarmiert und das Lager durch eine Doppelkette von Gestapoleuten abgesperrt. Von der Cholmer Landstraße zog sich durch das Lager ein endloser Menschenzug, dessen Reihen aus je fünf an den Händen zusammengebundenen Personen bestanden. Ihre Zahl betrug an diesem Tage achtzehntausend. Die eine Hälfte bestand aus Männern, die andere aus Frauen und Kindern. Die Kinder bis zu acht Jahren gingen zusammen mit den Frauen, die älteren Kinder bildeten eine Gruppe für sich. Sie gingen auch zu fünft in einer Reihe und waren ebenfalls an den Händen zusammengebunden. Zwei Stunden, nachdem die Spitze des Zuges im Lager verschwunden war, ertönte im ganzen Lager und in seiner Umgebung Musik. Aus Dutzenden von Lautsprechern schallten ohrenbetäubende Foxtrotts und Tangos. Das Radio spielte den ganzen Morgen, den ganzen Tag und die ganze Nacht.

An einem Tage 18.000 Menschen umgebracht

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Diese achtzehntausend Personen wurden auf offenem Feld neben dem neuen Krematorium erschossen. Einige zwei Meter breite und mehrere hundert Meter lange Gräben wurden ausgehoben. Zunächst wurden alle dem Tode Geweihte völlig ausgezogen und mußten sich nackt in diese Gräben legen. Kaum lag eine Reihe Menschen im Graben wurden sie aus automatischen Pistolen von oben erschossen. Dann wurde die zweite Schicht hineingelegt, und wieder begann die Erschießung. Und das dauerte so lange, bis der Graben angefüllt war. Dann mußten die am Leben Gebliebenen diesen Graben mit Erde zuschütten, und sie selbst kamen in den nächsten Graben, wo nun sie erschossen wurden. Nur die letzte Reihe der Ermordeten in dem letzten Graben wurde von den Gestapoleuten selbst zugeschüttet. Man vergrub sie so, dass sie nur mit einer dünnen Erdschicht bedeckt waren. Am nächsten Tage begann man, die Leichen der Ermordeten mit ungewöhnlicher Hast in den Öfen des neuen Krematoriums zu verbrennen. Auf diese Weise brachten die Deutschen an einem Tage achtzehntausend Menschen um.

Die Kette der Schuld schließt sich um ganz Deutschland - die Mörder fürchten die Vergeltung

Zum Schluss müssen noch zwei Deutsche erwähnt werden, oder richtiger, ein Deutscher und eine Deutsche, die gefangengenommen worden sind. Der Deutsche hatte direkt, die Deutsche indirekt damit zu tun, was im Todeslager vorging. Der Deutsche heißt Theodor Schollen. Ihn hat noch nicht die verdiente Strafe ereilt, er lebt noch. Er ist 41 Jahre alt. Geboren ist er in Düsseldorf, 1937 trat er in die Nationalsozialistische Partei, in eine SS-Abteilung ein. Im Juli 1942 kam er im Lubliner Lager an und wurde dort Rottenführer der SS. Seinem Beruf nach ist er Fleischer aus dem Berliner Schlachthaus, und im Lager übte er das Amt eines Verwalters aus. Zu seinen Pflichten gehörte es, die im Lager eintreffenden Häftlinge auszuziehen, zu durchsuchen, ihnen ihre Kleider abzunehmen, bevor sie in die Gaskammer geschickt wurden. Er nennt sich Lagerverwalter und sagt, daß er der SS-Abteilung irrtümlich in betrunkenem Zustand beigetreten sei.

Er sagt, daß er sich zu den Häftlingen äußerst human benommen hat, und plärrt, wenn bei der Gegenüberstellung die Zeugen, die durch seine Hände gegangen waren, ihn daran erinnern, wie er auf der Suche nach Brillanten, die in der Zahnhöhle versteckt sein konnten, mit einer Schlosserzange den Leuten die Zähne herausgerissen und die Goldkronen von den Zähnen gebrochen hat, die in den amtlichen Listen über die abgenommenen Gegenstände nicht geführt wurden und die er sich also aneignen konnte. Er schwört, daß er nichts weiter als Unteroffizier bei der SS war und die Menschen von dem SD, das heißt Gestapo, umgebracht wurden. Als er entlarvt wird, lügt er und vergießt so dicke Tränen, daß ihm ein naiver Mensch im ersten Augenblick glauben könnte.

Deutsche Frauen tragen mit vollem Wissen die Kleider der Ermordeten

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Das über den Deutschen. Nun zu der Deutschen. Sie heißt Edith Schostek, ist einundzwanzig Jahre alt und stammt aus Mitteldeutschland. Sie kam vor zwei Jahren nach Lublin laut Gesetz, nach dem alle deutschen Mädchen, die neunzehn Jahre alt geworden sind, für den Staat arbeiten müssen. Sie kam für ein Jahr und blieb zwei Jahre. Sie mordete nicht und schlug die Frauen nicht mit der Peitsche vor die Brust. Sie war nur eine Stenotypistin beim deutschen Direktor des Lubliner Kraftwerks, und ihre Hände sind nicht mit Blut befleckt.

Aber wie wir sie eingehend verhören, stellt sich eine Kleinigkeit heraus. Sie und ihre Schwester, die auch in Lublin arbeitete, erhielten als zusätzliche Entschädigung Kleidungsstücke aus jener Sammelstelle für die Hinterlassenschaft der Hingerichteten, die dem Leser schon bekannt ist. Sie und ihre Schwester erhielten von dort Spitzen und Schuhe. Andere erhielten vielleicht Wäsche und Kleider. Wieder andere, die Kinder hatten, bekamen Kinderhemdchen und Schuhe der ermordeten Kinder.

So schließt sich die Kette, die ganz Deutschland umspannt. An einem Ende dieser Kette steht der Henker Theodor Schollen, der den Leuten die Goldzähne herausriß und sie in die Gaskammer stieß, am anderen Ende der Kette steht Edith Schostek, die lediglich für ihre Arbeit die Kleidungsstücke der Ermordeten erhielt. Sie stehen an verschiedenen Enden der Kette, aber es ist die gleiche Kette. Mehr oder minder werden sich alle verantworten müssen. Mögen sie einander nicht die Schuld in die Schuhe schieben. Mögen sie ein für allemal begreifen: Sie alle werden für ihre Taten einstehen müssen.

Eine Kommission zur Untersuchung der Verbrechen eingesetzt - Kommunique der Agentur "Pol-Press":

Die deutschen Okkupanten haben im Vernichtungslager M a i d a n e k bei Lublin eine Massenausrottung von sowjetischen Kriegsgefangenen und in Haft befindlichen Polen, Franzosen, Tschechen, Juden, Belgiern, Ungarn, Serben, Griechen und Angehörigen anderer Nationalitäten Europas durchgeführt.

In Anbetracht dessen, daß die Deutschen in diesem Lager sowjetische Kriegsgefangene massenweise ermordet und zu Tode gequält haben, hat sich das Polnische Nationale Befreiungskomitee mit dem Vorschlag an die Sowjetregierung gewandt, eine Polnisch-Sowjetische Außerordentliche Komission zur Untersuchung der deutschen Missetaten in Lublin zu bilden und Vertreter in diese Kommission zu entsenden. Die Regierung der UdSSR hat diesen Vorschlag angenommen und die Professoren N. I. Graschtschenkow, W. I. Prosorowski und D. I. Kudrjawzew in die Kommission entsandt.

Der Polnisch-Sowjetischen Außerordentlichen Kommission gehören an:, der stellvertretende Vorsitzende des Polnischen Nationalen Befreiungskomitees Herr Witos (Vorsitzender), Pater Doktor Kruzynski, Professor Bialkowski, Staatsanwalt am Appellationsgericht Balcerzak, Professor für gerichtliche Medizin Schilling-Singalewicz, das Mitglied des Polnischen Nationalen Befreiungskommitees Dr. Sommerstein (Polen) und Professor W. I. Prosorowski, Professor N. I. Graschtschenkow und D. I. Kudrjawzew (Sowjetunion).

Die Komission hat mit der Untersuchung der faschistischen deutschen Missetaten in Lublin und mit der Feststellung und Ermittlung der Organisatoren und unmittelbaren Vollstrecker dieser Missetaten begonnen.

Der deutsche General Moser bestätigt das Grauen von Majdanek

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Neben den überlebenden Häftlingen gibt es unter denen, die nicht in den Konzentrationslagern waren, viele Tausende, die Gelegenheit hatten, sich über die Vorgänge in diesen Stätten des Grauens genau zu informieren. Einer von denen, die nicht schweigen wollen über die dort begangenen Verbrechen, ist der deutsche Generalleutnant Moser, der von 1942 bis 1944 Oberfeldkommandant von Lublin war und während dieser Zeit Zeuge der unmenschlichen Grausamkeiten der SS im Vernichtungslager Maidanek wurde. Er hat sein Wissen darüber in der folgenden Erklärung an das Oberkommando der Roten Armee niedergelegt, worin er sein Entsetzen und seinen Abscheu über die Missetaten der SS ausdrückt:

An das Oberkommando der Roten Armee

Moser, Generalleutnant. ehem. Oberfeldkommandant 372 in Lublin, Erklärung:

Ich, Hilmar MOSER, bin 1880 in Langenorla (Kreis Roda) geboren. Seit 1902 diente ich in der deutschen Wehrmacht. Zum Generalmajor wurde ich 1935 und zum Generalleutnant 1942 befördert. Für meine Kampftätigkeit wurden mir alle in Deutschland vorhandenen Auszeichnungen verliehen.

Im Laufe von 42 Jahren bin ich stets ein ehrlicher, aufrechter Soldat gewesen, Teilnehmer an zwei Weltkriegen, schwer verwundet. Ich habe keine Gründe, die schweren Verbrechen Hitlers zu verschweigen oder sie zu decken, und halte es für meine Pflicht, die ganze Wahrheit von dem sogenanten "Vernichtungslager", das von Hitler-Leuten bei Lublin, der Cholmer Chaussee entlang, errichtet wurde, zu berichten.

Ende November 1942 kam ich als Kommandant der 0. F. K. 372 in Lublin an. Mein Vorgänger, General von Altrock, wurde zirka 3 Wochen später mit seiner 0. F. K. weiter nach dem Osten vorlegt. Er teilte mir bei der Ubergabe der Dienstgeschäfte mit, daß sich in Lublin ein K.Z. befindet, das dem S.D. untersteht. Er erklärte weiter, daß es dem Oberfeldkommandanten als Wehrmachtvertreter streng verboten ist, laut Wehrmachtbefehl, das Lager zu betreten und auch danach zu fragen, was in dem Lager vor sich geht.

Kurze Zeit darauf kam der Wehrkreisbefehlshaber im Generalgouvernement, General der Infanterie Heinicke, dem die Oberfeeldkommandantur unterstellt war, nach Lublin. Er wiederholte den mir durch General von Altrock übermittelten Befehl und wies nochmals auf das strenge Verbot hin, sich um die Vorgänge im K.Z. zu kümmern. Er sagte u. a. "die Sache sei ein heißes Eisen, das man nicht berühren darf". In der ersten Zeit meiner Tätigkeit war ich viel unterwegs, um meinen Territorialbereich kennenzulernen. Ich habe mich dann bemüht, Näheres über das K.Z. zu erfahren, und habe folgendes festgestellt:

Das Lager erstreckte sich an der Südseite der Cholmer Chaussee auf mehrere Kilometer, die Tiefe betrug ebenfalls mehrere Kilometer, ich schätze, daß das Lager einen Flächeninhalt von etwa 30 Quadratkilometer hatte. In das Lager führten mehrere direkte Gleise vom Hauptbahnhof aus. Von außen war es mit dem üblichen Stacheldrahtzaun umringt, an dem entlang auf der Außenseite sehr zahlreiche Posten standen.

Seit wann das Lager bestand, ist mir nicht bekannt, ich weiß jedoch, daß es während der Zeit, wo ich in Lublin war, erheblich vergrößert worden ist. Bei Festlegung der Stellungen für den Ausbau des "Festen Platzes Lublin", die sich am Ostrand des K.Z. entlangzogen (außerhalb des Zaunes), war ich einmal innerhalb der äußeren Umzäunung, etwa 30 Meter mit einigen Offizieren, dir den Ausbau leiteten.

Eine Besichtigung des Lagers war von mir nicht beabsichtigt, und war mir, wie erwähnt, durch meine vorgesetzten Dienststellen streng verboten. Trotzdem ist mir vieles, was im Lager vorging, bekannt geworden.

Das Lager wurde in Lublin allgemein von uns das K.Z. oder Judenlager genannt, weil zunächst hauptsächlich Juden darin waren, später sind Angehörige der verschiedensten Nationen, die sogenannten politischen Verbrecher, darunter auch Deutsche, dort gewesen. Im Winter 1943/44 wurden dort zahlreiche Gefangene, darunter zu meinem größten Entsetzen Frauen und Kinder, ermordet. Die Zahlen gingen in die Hunderttausende. Die Unglücklichen sind zum Teil erschossen, zum Teil durch Gas getötet worden.

Mir wurde weiter öfters berichtet, daß die Verurteilten im "Vernichtungslager" außerordentlich schwere Arbeiten verrichten mußten, die weit über ihre Kräfte gingen, und dazu mit rohen Schlägen angetrieben wurden. Mit Empörung habe ich erfahren, daß die Gefangenen in diesem Lager vor ihrer Vernichtung noch gequält oder gemartert wurden. Unzählige Leichen sind in diesem Frühjahr wieder ausgegraben und verbrannt worden in dazu besonders errichteten Öfen, vermutlich, um die Spuren der Verbrechen, die auf Hitlers Befehl begangen wurden, zu beseitigen.

Die Riesenöfen waren aus Ziegeln und Eisen gebaut und stellten ein Krematorium mit großer Leistung dar. Der Leichengeruch ist oft in die Stadt, wenigstens in den Ostteil, gedrungen, deshalb war es sogar für wenig unterrichtete Personen klar, was an diesem entsetzlichen Ort vorging. Die Angaben von diesem grauenvollen Lager erhielt ich im Gespräch mit folgenden Persönlichkeiten: General von Altrock, mein Vorgänger als Oberfeldkommandant; General Renner, früher Kommandeur der 174. Reserve-Div. in Lublin; Major Gleisner, Kommandeur des Landesschützenbatailions 991; Dr. Klaus und Dr. Osor, Chefs der Abteilung "Ernährung und Landwirtschaft" des Distrikts, und besonders von Major Hartmann, der seit 5 Jahren mein Adjutant und Vertrauter war.

Den Major Hartmann habe ich gebeten, über die Vorgänge im Lager zu erfahren, er hat mir eingehend berichtet. Die Angaben, die ich von anderen Personen eingezogen habe, wurden krass durch den unerträglichen Leichengeruch, den ich mehrfach selbst wahrgenommen habe, ergänzt. Mir fehlen die Worte, um mein Entsetzen über die unerhörten Greueltaten zum Ausdruck zu bringen, und ich bin überzeugt, daß jeder anständige Deutsche sich von einer Regierung lossagen wird, die einen derartig organisierten Massenmord veranlaßt hat.

Daß die Tätigkeit des "Vernichtungslagers" von der Regierung Hitler aus geleitet wurde, bezeugt die Besichtigung des Lagers durch Himmler, der im Sommer 1943 in Lublin war. Ich halte es für meine unbedingte Pflicht als General und Soldat von 42 Dienstjahren, Teilnehmer an zwei Weltkriegen, schwer verwundet und schließlich als letzter Oberfeldkommandant des Distrikts Lublin mitzuhelfen, um die unerhörten Verbrechen, die im K.Z. begangen worden sind, restlos aufzudecken. Ich ersuche alle Soldaten der Wehrmacht, die in der Stadt Lublin unter meinem Befehl standen, ihre Aussagen zu machen über die Untaten im "Vernichtungslager" in Lublin, die ihnen bekannt geworden sind.

MOSER, Generalleutnant. 29. August 1944

Quellenwerk: Berichte von Überlebenden: "Die Todesfabrik - Majdanek", erschienenen 1946 im Stern-Verlag, Wien

Andreas Jordan, Dezember 2008

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