Die Zahl der mit dem Bau beschäftigten Menschen wuchs allmählich. Bald nach den Russen kamen große Gruppen politischer Gefangener, Tschechen und Polen an, sowie Menschen, die aus anderen Lagern überführt wurden, wo die meisten von ihnen schon seit 1933 gesessen hatten. Im Herbst 1941 wurden die ersten zweitausend Juden aus dem Lubliner Ghetto zur Arbeit hierhergebracht. Ihnen folgten im Dezember 1941 siebenhundert Polen aus dem Lubliner Schloß. Dann gerieten vierhundert polnische Bauern ins Lager, die dem deutschen Staat nicht rechtzeitig die Steuern bezahlt hatten. Im April 1942 kamen Transporte von zwölftausend Personen aus der Slowakei, Juden und politische Gefangene im Lager an. Den ganzen Mai hindurch trafen immer neue Transporto aus Böhmen, Österreich und Deutschland ein. Der Bau des Lagers wurde äußerst beschleunigt, und im Mai waren die Baracken Nr. 1, 2, 3 und 4 für etwa vierzigtausend Personen vollendet. Den Monat Mai 1942 kann man als den Abschluß der ersten Etappe in der Geschichte des Lagers betrachten. Das war die Periode einer fieberhaften Bautätigkeit, in der man unermüdlich bestrebt war, den allgemeinen Unterkunftsraum zu erweitern. Als die Baracken für vierzigtausend Personen fertig und die Haupt-, Neben- und Sonderbauten errichtet waren, als alles mit doppelten Reihen Stacheldraht, zum größten Teil unter Starkstrom, umgeben war, wurde das Lager von der Gestapo als betriebsfertig bezeichnet. Es wurde auch weiterhin ausgebaut und wäre ins Endlose weitergebaut worden, hätte die Rote Armee Lublin nicht genommen. Doch das Bautempo war schon ein anderes. Vom Mai 1942 an wurde das Lager allmählich ausgebaut, ohne Hast, mit Einführung aller möglichen Vervollkommnungen. Dieses Konzentrationslager der SS, "Lublin", wie es in amtlichen Papieren genannt wurde, hieß seit Mai 1942 in nichtamtlichen Dokumenten, Briefen, sonstigen Schriftstücken und von Mund zu Mund anders, und zwar "Vernichtungslager". Die Todesfabrik. Das Ziel: die Vernichtung möglichst vieler Häftlinge auf schnellstem Wege
Eine Vernichtungsstätte für Hunderttausende - Insgesamt 1.380 000 Menschen abgeschlachtetEndgültige Zahlen wird man erst später genau feststellen. Aber einige vorläufige Zahlen lassen sich schon heute erkennen. Alles in allem war das Lager über drei Jahre lang in Betrieb. Als die Rote Armee nach Lublin kam, fand sie im Lager nur einige hundert Russen vor; als sie im Frühling auf Kowel vorrückte, evakuierten die Deutschen nach Zeugenaussagen zwölf- bis sechzehntausend Gefangene aus dem Lager. Selbst wenn wir die Zahl sechzehntausend annehmen, so enthielt das Lager vor seiner Auflösung insgesamt kaum siebzehntausend Personen. Die durchschnittliche Zahl der Gefangenen betrug jedoch nach den Tagesberichten der Lagerkommandantur im Jahre 1943 ungefähr vierzigtausend Personen, die nach oben oder unten um einige Tausende sehwankte. Nehmen wir jedoch die Gesamtzahl der Menschen, die im Laufe von mehr als drei Jahren ins Lager eingeliefert wurden, so stellt sich heraus, daß zwischen der Endzahl von siebzehntausend und der Zahl der Eingelieferten ein Unterschied von 1.380 000 Häftlingen besteht. Dieser Unterschied gibt annähernd die Zahl der Menschen wieder, die unmittelbar im Lager umgebracht wurden, abgesehen von denen, die, ohne erst im Lager registriert zu werden, getötet wurden. Alle diese Angaben sind den amtlichen Rechenschaftsberichten der Verwalter des Lagers für die ganze Zeit seines Bestehens entnommen.
Die Personalausweise zeugen vom Umfang der Verbrechen - Ermordete aus ganz EuropaWir haben nur einige Zahlen und Lager genannt, nicht um eine vollständige Berechnung der Umgekommenen aufzustellen, sondern um zu helfen, sich wenigstens ein ungefähres Bild von dem Geschehenen zu machen. Ergänzend noch einiges über die nationale Zugehörigkeit der hier Eingelieferten. Dte im Lager Umgebrachten waren meistenteils Polen. Unter ihnen waren Geiseln, echte und angebliche Partisanen und Angehörige von Partisanen, außerdem sehr viele Bauern, besonders solche, die aus Bezirken ausgesiedelt worden waren, in denen die deutsche Kolonisierung vor sich ging. Nach den Polen bilden Russen und Ukrainer die größte Zahl der Ermordeten. Ebenso groß ist die Zahl der von den Deutschen vernichteten Juden, die buchstäblich aus allen Ländern Europas, von Polen bis Holland, im Lager zusammengetrieben wurden. Dann folgen ansehnliche Zahlen, jede über mehrere tausend: das sind Franzosen, Italiener, Holländer und Griechen. Eine kleinere, aber ebenfalls beträchtliche Zahl entfällt auf Belgier, Serben, Kroaten, Ungarn und Spanier. Aus den gefundenen Personalausweisen ersieht man, dass hier Bürger aus aller Herren Ländern eingeliefert waren, und zwar Norweger, Schweizer, Türken und sogar Chinesen.
In einem der zahlreichen Zimmer der Lagerkanzlei, wo ein großer Haufen von Papieren, Pässen und Personalausweisen der Getöteten auf dem Boden lag, fanden wir, als wir aufs Geratewohl diese Papiere herausgriffen, im Laufe von zehn Minuten Dokumente Angehöriger fast aller europäischen Nationen. Da war der Paß von Sophia Jakowlewna Düssewitsch aus dem Dorf Konstantinowka im Kiewer Gebiet, einer ukrainischen Arbeiterin, geboren im Jahre 1917. Da war der Paß mit dem Stempel "Republique Francaise" auf den Namen Eugene Duramer, Franzose, Metallarbeiter, geboren in Le Havre am 22. September 1888. Ein von der Volksschule in Banja Luka ausgestelltes Zeugnis für Ralo Zunic, Mohammedaner, der die Schule im Jahre 1937 mit dem Zeugnis "dobar", das heißt "gut", in "Moral, Naturkunde und Geschichte" abgeschlossen hatte. Ein in Kroatien ausgestellter Paß lautete auf den Namen Fatiranovic, geboren in Zagreb, den dieser am 2. Jänner 1941 erhielt. Da war der Faß Jakob Borchardts, geboren in Rotterdam am 10. November 1918, ein Personalausweis von Eduard Alfred Saka, geboren im Jahre 1914 in Mailand auf der Via Plimo Nr. 29, "Größe 175, Körperbau stark, besondere Kennzeichen keine". Da war ein Personalausweis, Nr. 8544, ausgestellt für Savaranti, Grieche von der Insel Kreta. Ein deutscher Reisepaß lautete auf Ferdinand Lotmann, Ingenieur aus Berlin, geboren am 19. August 1872; da war ein Arbeitsbuch mit dem Stempel "Generalgouvernement", ausgestellt für Sigmund Remak, polnischer Arbeiter, geboren am 20. März 1924 in Krakau. Da gab es eine chinesische Legitimation mit Photo und Hieroglyphen, die niemand lesen konnte. Es gab Personalausweise mit Blutflecken, andere waren durch Wasser aufgeweicht, es gab Papiere, die mitten durchgerissen, und andere, die zertrampelt waren. Dieser grauenhafte Berg von Personalausweisen war ein Grabhügel ganz Europas, eingezwängt in die vier Wände eines Zimmers. Es läßt sich sogar schwerlich voraussagen, welche ungeheuerlichen Einzelheiten bei der eingehenden Untersuchung dieser Papiere und bei dem Verhör der unzähligen Zeugen zutage kommen werden. Möglicherweise wird man hier auf Spuren hervorragender europäischer Persönlichkeiten stoßen, die während der deutschen Herrschaft verschollen und umgekommen sind.
Dann kommen die Desinfektionskammern für die den Gefangenen abgenommenen Kleider. Durch in die Decke eingelassene Rohre wurden Desinfektionsmittel geschüttet, dann wurden die Rohre verkittet, die Türen hermetisch verschlossen, und die Desinßzierung konnte beginnen. Die Bretterwände der Baracken und die leichtgebauten, nicht mit Eisen beschlagenen Türen bezeugen, daß hier tatsächlich nur Kleiderdesinfizierungen vorgenommen werden konnten. Doch nun öffnen wir die nächste Tür und gelangen in eine zweite Desinfektionskammer, die schon nach einem ganz anderen Prinzip gebaut ist. Ein quadratischer Raum, etwas über zwei Meter hoch, mit einer Bodenfläche von etwa sechs mal sechs Meter, Wände, Decke und Boden sind aus kompaktem, grauem Beton. Kleiderhaken wie im ersten Raum gibt es hier nicht. Alles ist kahl und leer. Der Eingang zum Raum wird von einer einzigen großen Stahltür mit riesigen Stahlriegeln von außen her hermetisch verschlossen. Die Wände dieser Betonkammern haben drei Öffnungen: zwei von ihnen bestehen aus Rohren, die von außen nach innen führen, die dritte ist ein Guckloch. Es ist ein kleines, viereckiges Fensterchen, geschützt durch ein innen in der Betonwand angebrachtes starkes und dichtes Stahlgitter. Das dicke Glas ist von außen so eingesetzt, daß man es durchs Gitter nicht erreichen kann. Wohin sieht man durchs Guckloch? Um auf diese Frage Antwort zu bekommen, öffnen wir die Tür und treten aus der Kammer. Neben ihr ist eine zweite kleine Betonkammer angebaut, in die eben das Guckloch führt. Hier gibt es elektrisches Licht und einen Schalter. Von hier aus kann man durch das Guckloch die ganze Kammer übersehen. Auf dem Boden stehen einige runde, hermetisch verschlossene Behälter mit der Aufschrift "Zyklon" und darunter in kleiner Druckschrift: "Zur besonderen Verwendung in den Ostgebieten." Der Inhalt eben dieser Behälter wurde durch die Rohre in die benachbarte Kammer geschüttet, wenn sie voller Menschen war.
Gehen wir einige hundert Schritte weiter. Ein leerer Platz. Verschiedene Anzeichen deuten darauf hin, dasshier früher einmal ein Gebäude gestanden haben muss. Ja, hier war bis zum vorigen Herbst ein Krematorium. Im Herbst wurde der Bau eines anderen, vervollkommneten Krematoriums beendet, zu dem wir später kommen werden. Dass alte, primitiv gebaute Krematorium wurde zerstört, da seine Leistungsfähigkeit wesentlich hinter der rationalisierten, vervollkommneten Gaskammer zurückblieb. Jenes Krematorium bestand einfach aus einer geräumigen Baracke mit Zementboden, wo auf Ziegelfundamenten zwei riesige Eisenkessel der Länge nach aufgestellt waren. Die Verbrennung ging in diesen Kesseln viel zu langsam vor sich. Zwar erwartete man hier nicht die endgültige Einäscherung der Leichen, doch schon der Zerfall der Leiche in morsche Knochen dauerte hier wenigstens zwei Stunden. In beide Verbrennungsräume kamen gleichzeitig je vierzehn Leichen. Das Krematorium konnte also täglich nicht mehr als hundertfünfzig Leichen verbrennen, während in der Gaskammer sogar bei nur einer, wie man sich hier ausdrückte, "Vergasung" dreihundert Personen täglich getötet wurden. Deshalb mußte vor dem Bau des neuen Krematoriums an den großen Vernichtungstagen ein bedeutender Teil der Leichen von hier mit Lastkraftwagen auf ein Feld hinter den Lagern gebracht und dort verscharrt werden.
Die Verbrennungsöfen - Im Nebenblock lebte keiner länger als eine StundeWir gelangen zu einem anderen Nebenblock. Er ist weniger sorgfältig abgezäunt als die Wohnblocks. Daran ist übrigens nichts Erstaunliches, denn hierher kamen die Toten oder Halbtoten oder solche, die unter verstärkter Bewachung zur Tötung vorgesehen waren. Hier, hinter diesem Draht, lebte, mit Ausnahme der SS und der Leichenverbrennungsmannschaft, niemand länger als eine Stunde. Mitten auf einem leeren Feld sehen wir einen hohen viereckigen Schornstein aus Steinen mit einem anschließenden langen, niedrigen, rechteckigen Ziegelsteingebäude. Das ist das Krematorium. Es ist vollkommen erhalten geblieben. Etwas weiter finden wir die Überreste eines großen Ziegelsteinbaus. In den wenigen Stunden, die der Lagermannschaft zwischen der Nachricht vom Durchbruch der Front und der Ankunft unserer Truppen zur Verfügung standen, versuchte sie, die Spuren zu verwischen. Sie schaffte es nicht, das Krematorium in die Luft zu sprengen, aber das Nebengebäude setzte sie in Brand. Trotzdem legen die Spuren ein beredetes Zeugnis ab. Ein fürchterlicher Leichengestank erfüllt die Luft.
Die Nebenräume des Krematoriums bestehen aus drei Hauptkammern. Die eine Kammer ist vollgestopft mit halbverbrannten Kleidungsstücken. Das sind die noch nicht weggebrachten Kleider der letzten Gefangenen, die hier ermordet wurden. Von der Kammer nebenan ist nur ein Teil der Wand übriggeblieben. In diese Wand sind mehrere Rohre kleineren Durchmessers eingelassen als die in der Gaskammer, die wir schon gesehen haben. Das ist auch eine Gaskammer zur Vergiftung (bisher ist noch nicht aufgeklärt, ob mit "Zyklon" oder mit einem anderen Gas). Wenn besonders viele ausgerottet werden sollten, konnte die Hauptgaskammer nicht alles bewältigen, und ein Teil der Menschen wurde hierhergeführt und unmittelbar neben dem Krematorium "vergast". Die dritte und geräumigste Kammer war offenbar für die Aufstapelung der Leichen bestimmt, die hier lagen, bis sie an die Reihe kamen, um verbrannt zu werden. Der ganze Boden ist mit halbverwesten Skeletten, Schädeln und Knochen bedeckt. Dies rührt nicht von einer planmäßigen Verbrennung her, sondern das ganze Gebäude wurde niedergebrannt; als die Deutschen die dritte Kammer anzündeten, verbrannten die dort aufgehäuften Leichen. Es sind ihrer viele, vielleicht Dutzende, vielleicht Hunderte das ist schwer zu sagen, denn diese Menge halbverwester Knochen mit Stücken halbverbrannten Fleisches daran, läßt sich nicht zählen.
Jetzt sind es nur noch wenige Schritte zum eigentlichen Krematorium. Es stellt ein großes Rechteck dar, gebaut aus feuerfesten Ziegeln, aus Dinassteinen. In diese Steinwand sind fünf große Feueröffnungen mit hermetisch verschließbaren gußeisernen Ofentüren nebeneinander eingelassen. Die runden Ofentüren stehen jetzt offen. Die tiefen Verbrennungsräume sind zur Hälfte mit verbrannten Knochen und Asche gefüllt. Vor den Ofen liegen auf dem Platz vor den Feueröffnungen halbverkohlte Menschenskelette, die die Deutschen verbrennen wollten und die nun durch die Feuersbrunst zerstört wurden. Vor drei Feueröffnungen liegen Männer- oder Frauenskelette, vor den beiden anderen liegen Skelette von Kindern im Alter von etwa zehn bis zwölf Jahren, nach der Größe zu urteilen. Vor jedem Feuerloch liegen fünf bis sechs Skelette. Das entspricht ihrem Fassungsvermögen: in jeden Verbrennungsraum wurden sechs Leichen auf einmal gestopft. Wenn die sechste Leiche nicht Platz fand, schlug die Verbrennungsmannschaft den nicht hineingehenden Körperteil, die Hand oder das Bein oder den Kopf, einfach ab und schloß darauf hermetisch die Ofentür.
Nehmen wir als Durchschnitt an, daß die Verbrennung jeder Partie Leichen eine halbe Stunde dauerte, und fügen wir hinzu, daß nach übereinstimmenden Aussagen der Schornstein des Krematoriums vom Herbst 1943 an ununterbrochen Tag und Nacht rauchte und das Krematorium wie ein Hochofen keine Minute stillstand, dann ergibt sich, daß ungefähr vierzehnhundert Leichen täglich verbrannt wurden.
Zum Bau des Krematoriums sahen sieh die Deutsehen besonders auch durch die Vorgänge bei dem Fall "Katyn" genötigt. Sie fürchteten weitere Enthüllungen bei der Öffnung der Gruben mit den verscharrten Leichen der Ermordeten, und deshalb unternahmen sie auf dem Gelände des Lubliner Lagers vom Herbst 1943 an umfangreiche Ausgrabungen. Sie gruben aus den vielen umliegenden Gräben die halbvermoderten Leichen der Erschossenen aus und verbrannten sie im Krematorium um die Spuren endgültig zu verwischen. Die Asche und die verkohlten Knochen aus den Verbrennungsräumen des Krematoriums wurden in dieselben Gräben geschüttet, aus denen die Leichen ausgegraben wurden. Einer dieser Gräben ist schon geöffnet worden. Man fand dort eine fast meterdicke Aschenschicht. Von den Ermordeten durfte nichts verlorengehen - Ein Schuhlager mit 820 000 PaarenHinter dem Lager steht noch ein unvollendeter Block. Innerhalb des Stacheldrahts sind nur Ziegelfundamente zu sehen. Die Mauern sind noch nicht errichtet; nur eine Baracke ist fertig gebaut, aber nicht mit Pritschen versehen. Sie war unbewohnt, und dennoch wurde sie vielleicht zum grauenhaftesten Zeugen dessen, was hier vor sich ging. Diese einige Dutzend Meter lange und breite Baracke ist in ihrer ganzen Ausdehnung und in halber Deckenhöhe, das heißt, über zwei Meter hoch, angefüllt mit dem Schuhzeug der hier im Laufe von drei Jahren hingerichteten Menschen. Es ist schwer, zu sagen, wieviel Paar Schuhe hier liegen. Eine spätere Zählung ergab 820 000 Paare. Das Schuhzeug hat keinen Platz in der Baracke und fällt aus Fenstern und Türen heraus. An einer Stelle hat sein Gewicht die Wand durchgedrückt und ein Stück Wand ist zusammen mit einem Berg von Schuhen eingefallen. Hier finden wir alles: zerrissene russische Soldatenstiefel und polnische Militärstiefel, Männerschuhe und Damenhalbschuhe, Galoschen und vor allem, was das Furchtbarste ist, zehntausende Paar Kinderschuhe: Sandalen, Halbschuhe und Schuhchen für Zehnjährige, Achtjährige, Sechsjährige und Babyschuhe. Man kann sich kaum etwas Grauenvolleres vorstellen als dieses Bild. Ein furchtbares, stummes Zeugnis für die Ermordung Hunderttausender von Männern, Frauen und Kindern! Steigt man über diesen Schuhberg hinweg und gelangt in den rechten Winkel des Schuppens, findet man sogleich die Erklärung für das Bestehen dieses ungeheuerlichen Lagerraums. Hier sind Tausende, ja Zehntausende von Sohlen und Oberleder zusammengelegt und Lederstücke einzeln gesammelt. Hier wurde der Teil des Schuhwerks, der als Fußbekleidung schon unbrauchbar war, aufgetrennt und sortiert, und die Sohlen, Absätze und Oberleder wurden gesondert abgelegt. Wie alles im Todeslager hatte auch diese Sammelstelle ihren nutzbringenden Zweck: von den Ermordeten durfte nichts verlorengehen, weder ihre Kleider noch ihr Schuhzeug, noch ihre Knochen, noch ihre Asche.
In einem der großen Häuser in Lublin ist die letzte Abteilung des Lagers untergebracht. In Dutzenden von Räumen, in Dutzenden großer und kleiner Zimmer ist dort eine riesige Sortierungsstelle für alle Hinterlassenschaften der Ermordeten eingerichtet. In einem Zimmer sehen wir Zehntausende von Frauenkleidern, in einem anderen zehntausende Paar Beinkleider, in einem dritten zehntausende Wäschestücke, in einem vierten Tausende von Damentäschchen, in einem fünften Zehntausende von Kinderanzügen und -kleidern, in einem sechsten Rasierzeug, in einem siebenten Mützen und Hüte. Wir sprachen mit gefangenen Deutschen, die am Krematorium und an den Leichengräben vorbeikamen. Sie stritten ihre Teilnahme an all dem ab. Sie sagten, nicht sie hätten das getan, sondern die SS. Aber als wir später einen im Lager beschäftigten SS-Mann verhörten, behauptete er, daß die Massenhinrichtungen nicht die SS, sondern der SD, das heißt die Gestapo, vollzogen hätte. Die Gestapoleute hingegen beschuldigten die SS. Wir wissen nicht, wer von ihnen die Menschen verbrannte, wer sie schlechtweg erschlug, wer ihnen die Schuhe von den Füßen zog, und wer die Damenwäsche und die Kinderkleidchen sortierte - wir wissen das nicht. Aber beim Anblick dieser Kleidersammelstelle denken wir daran, daß die Nation, die Leute hervorgebracht hat, die zu all dem fähig waren, die volle Verantwortung und auch den Fluch für die Untaten ihrer Repräsentanten auf sich nehmen muss und nehmen wird. Die Arten der Menschenvernichtung - Grundsatz: kein Häftling darf lebend dass Lager verlassen
Die erste Voraussetzung, von der die im Lager herrschenden SS-Leute ausgingen, war folgende: Alle, die ins Lager kamen, seien es Kriegsgefangene oder Häftlinge aus der Zivilbevölkerung, seien es Russen, Ukrainer, Polen, Bjelorussen oder Juden, Franzosen oder Griechen usw., sie alle werden früher oder später umgebracht werden, nie wird einer lebend aus diesem Lager herauskommen und erzählen können, was dort vor sich geht. Diese erste Voraussetzung bestimmte sowohl das Vorgehen der Wachmannschaft als auch -die Methoden für die Ausrottung der Menschen in diesem Lager. Die Toten sind stumm und können nichts mehr erzählen. Sie können von keinen Einzelheiten berichten und diese Einzelheiten mit Dokumenten belegen. Daher wird niemand Beweise in der Hand haben, und das war, nach Auffassung der Deutschen, das Wichtigste.
Natürlich konnten Berichte über das Lager als Ganzes, als Todeslager, zu der Bevölkerung der Umgegend dringen, aber das beunruhigte die Deutschen nicht. Sie fühlten sich in Polen wie zu Hause. Das "Polnische Generalgouvernement" war für sie ein für immer erobertes Land. Die, die hier am Leben geblieben waren, sollten vor allem vor den Deutschen Angst haben, und deshalb waren die entsetzlichen Gerüchte, die über das Lubliner Lager in ganz Polen umgingen, den Deutschen sogar erwünscht. Der Leichengeruch, der an Tagen besonders großer Massenmorde aus dem Lager in die Umgebung drang und die Menschen sogar in Lublin zwang, sich Tücher vors Gesicht zu halten, flößte den Bewohnern der Umgebung Furcht ein. Das sollte ganz Polen eine Vorstellung vermitteln, von der Stärke der deutschen Herrschaft und von den Schrecken, denen alle, die Widerstand zu leisten wagten, ausgeliefert waren. Die Rauchsäule, die wochen- und monatelang über dem hohen Schornstein des Hauptkrematoriums stand, war weithin sichtbar, aber das störte die Deutschen nicht. Dieser entsetzliche Rauch sollte ebenso wie der Leichengeruch der Bevölkerung Schrecken einflößen. Tausendköpfige Menschenkolonnen marschierten vor aller Augen über die Cholmer Landstraße und, hatte sich das Tor des Lubliner Lagers hinter ihnen geschlossen, kehrten sie nie wieder von dort zurück. Auch das sollte die Stärke der Deutschen beweisen, die meinten, sich alles, was ihnen beliebte, erlauben zu können und sich dafür vor niemanden verantworten zu müssen.
Wir möchten unseren Bericht mit der Beschreibung der "humansten" Einrichtung des Lagers, dem Lazarett, beginnen. Alle ins Lager Eingelieferten kamen, bevor sie in die allgemeinen Baracken übergeführt wurden, laut strengster medizinischer Vorschrift für 21 Tage unter Quarantäne. Das entsprach fraglos den Erfordernissen der Hygiene. Hier muß man nur eine Kleinigkeit hinzufügen: Alle Kriegsgefangenen, die unter Qarantäne ins Lazarett kamen, wurden laut Befehl der Lagerkommandantur ausschließlich in Baracken untergebracht, in denen Kranke mit offener Tuberkulose lagen. In jede dieser schrecklich überfüllten Baracken, wo zweihundert Kranke mit offener Tuberkulose lagen, wurden noch je zweihundert Menschen hineingepiercht, die unter Quarantäne standen. Wenn man diese kleine Einzelheit berücksichtigt, so wird es verständlich, daß die Todesursache bei 70 bis 80 Prozent der Menschen, die im Lager sozusagen eines natürlichen Todes starben, Tuberkulose war. Eigentlich war das Lazarett nichts weiter als eine Abteilung des "Vernichtungslagers". Hier wandten die Deutschen Mordmethoden an, die manchmal schneller wirkten als die in den gewöhnlichen Baracken. Wenn man überhaupt von den Methoden der Ermordung spricht, so muß bemerkt werden, daß sie äußerst mannigfaltig waren und entsprechend der Vergrößerug des Lagers progressiv zunahmen. Methode 2: Die Entkräfteten werden reihenweise erhängtDer erste Platz für die Massenausrottung war eine Bretterbude, die anfangs, als das Lager gebaut wurde, zwischen zwei Reihen Stacheldraht errichtet wurde. Durch diese Bretterbude lief unter der Decke ein langer Balken, an dem ständig acht Lederschlingen hingen. Hier wurden alle Entkräfteten erhängt. In der ersten Zeit gab es im Lager nicht genügend Arbeitskräfte, und die SS-Leute konnten nicht einfach zu ihrem Vergnügen töten. Sie töteten keine Gesunden. Sie erhängten nur diejenigen, die durch Hunger und Krankheiten entkräftet waren. Dabei hatten die Kriegsgefangenen eine Vergünstigung. In dieser Bretterbude wurden nur Häftlinge aus der Zivilbevölkerung erhängt. Die Gruppen der entkräfteten und zur Arbeit untauglichen Kriegsgefangenen wurden aus dem Lager herausgeführt und erschossen. Kriegsgefangene wurden nur dann erhängt, wenn keine ganze Gruppe zusammengestellt werden konnte und es sich nicht lohnte, einen oder zwei Mann in den Wald zu führen. Da wurden ein bis zwei Kriegsgefangene zusammen mit den Häftlingen erhängt. Methode 3: Der Halswirbel wird mit einer Eisenstange durchschlagenBald war das erste primitive Krematorium aus zwei Öfen, von dem schon früher die Rede war, fertiggestellt. Die Gaskammer kam erst später zur Anwendung, sie war noch nicht fertiggebaut. Zu dieser Zeit war die Hauptmethode zur Ermordung der Kranken und Geschwächten folgende: An das Krematorium wurde ein kleines Zimmer mit sehr engem und niedrigem Eingang angebaut. Dieser Eingang war so niedrig, dass sich der Eintretende unbedingt bücken mußte. Zwei SS-Leute standen zu beiden Seiten der Tür und jeder von ihnen hielt eine kurze und schwere Eisenstange in der Hand. Wenn der Mensch, der durch die Tür gehen sollte," mit gebeugtem Kopf eintrat, erhielt er von einem SS-Mann einen Schlag mit der Eisenstange gegen den Halswirbel. Wenn der eine SS-Mann danebenschlug, half der andere nach. Wenn das Opfer dann noch nicht tot war, sondern nur die Besinnung verlor, hatte das keine Bedeutung. Der Gestürzte galt als tot und kam in den Verbrennungsraum des Krematoriums. Allgemein bestand im Lager folgende Regel: Wer hingefallen war und nicht mehr aufstehen konnte, galt als tot.
Manchmal wurden die erschöpften Opfer stundenlang in den Hof getrieben, damit sie in der Kälte umkamen. Hier muß noch die sogenannte Abendgymnastik erwähnt werden. Sie bestand darin, daß die Leute, die ohnehin entkräftet und durch den Arbeitstag aufs äußerste erschöpft waren, nach der abendlichen Kontrolle gezwungen wurden, anderthalb Stunden lang durch kniehohen Morast, im Winter durch den Schnee und im Sommer in der Hitze, um den ganzen Wohnblock zu rennen. Dieser Weg ist über einen Kilometer lang. Am Morgen wurden die Leichen, die am Zaun des Blocks lagen, eingesammelt. Das waren sozusagen die üblichen, alltäglichen Tötungsmethoden. Aber die Bestien, die schon Menschenblut geschmeckt hatten, begnügten sich nicht mit gewöhnlichen Methoden. Die Ermordung ihrer Opfer war nicht nur eine Arbeit, sondern auch eine Zerstreuung. Wir wollen nicht über die "Zerstreuungen" sprechen, die in allen deutschen Lagern üblich waren, wie zum Beispiel das Schießen von den Wachttürmen auf Häftlinge, die als Zielscheiben dienten, oder das Totprügeln von Hunderten halb verhungerter Menschen, wenn sie sich auf ihnen hingeworfene Knochen stürzten. Wir erwähnen hier nur einige Zerstreuungen, die typisch für das Lubliner Lager waren. Die tödlichen Spaße der SS - Vorgetäuschtes und wirkliches ErschiessenDer erste "geistreiche Spaß" sah so aus: Einer der SS-Leute schikanierte irgendeinen Häftling und erklärte, daß dieser die Lagerordnung verletzt habe und deshalb erschossen werde. Der Häftling wurde an die Wand gestellt, und der SS-Mann zielte mit seinem Parabellum auf dessen Stirn. In Erwartung des Schusses schloß das Opfer in 99 Fällen von 100 instinktiv die Augen. Da schoß der SS-Mann in die Luft, während ein anderer SS-Mann, der sich inzwischen unbemerkt an den Häftling herangeschlichen hatte, ihm mit einem dicken Brett einen Schlag auf den Kopf versetzte. Der Häftling verlor die Besinnung und fiel hin. Wenn er dann ein paar Minuten später zu sich kam und die Augen öffnete, sagten die vor ihm stehenden SS-Leute lachend: "Siehst du, jetzt bist du im Jenseits. Auch auf der anderen Welt sind Deutsche. Wie du siehst, kannst du dich vor ihnen nirgends retten..." Da der blutüberströmte Mensch gewöhnlich nicht mehr die Kraft hatte, sich zu erheben, so galt er als dem Tode verfallen und wurde schließlich und endlich, nachdem man sich so ergötzt hatte, erschossen.
Der "Spaß" Nr. 2 wurde in einem großen Wasserbecken durchgeführt, das sich in einer der Lagerbaracken befand. Der Häftling, den man als Schuldigen auserkor, wurde aus gezogen und in dieses Becken gestoßen. Er versuchte, wieder nach oben zu kommen und aus dem Becken zu klettern. Die SS-Leute, die in seiner Nähe standen, stießen ihn mit ihren Stiefeln wieder ins Wasser zurück. Wenn es ihm gelang, den Schlägen zu entgehen, hatte er das Recht, wieder herauszuklettern. Dabei mußte er aber noch eine Bedingung erfüllen: Sich in drei Sekunden völlig ankleiden. Die SS-Leute kontrollierten das mit der Uhr in der Hand. Natürlich konnte sich niemand in drei Sekunden ankleiden. Und er wurde wieder ins Wasser gestoßen, wurde von neuem gequält, bis er ertrank. Zerquetschen der Hände und ArmeDer "Spaß" Nr. 3 hatte unbedingt den Tod des Opfers zur Folge, an dem man sich ergötzte. Bevor der Beschuldigte umgebracht wurde, führte man ihn in die Wäscherei zur silbrig glänzenden Wringmaschine und zwang ihn, die Fingerspitzen zwischen die schweren Gummirolien zu stecken. Dann begann einer der SS-Leute oder auf ihren Befehl einer der Häftlinge, die Kurbel der Maschine zu drehen. Der Arm des Opfers wurde bis zum Ellbogen oder bis zur Schulter in diese Maschine gepreßt. Das Geschrei des Gemarterten war dabei der Hauptspaß. Selbstverständlich wurde ein Mensch mit zerquetschtem Arm, wie jeder andere, der nicht arbeitsfähig war, gleich nach der Marter umgebracht.
Die hier aufgezählten "Vergnügungen" waren sozusagen allgemein üblich. Einzelne SS-Leute ergötzten sich noch auf ihre besondere Art. Wir wollen nur ein Beispiel anführen, das von.zwei Zeugen bestätigt wird. Einer der SS-Leute, der die Arbeiter beim Bau des neuen Krematoriums bewachte, ein neunzehnjähriger Bursche, trat ohne jeden Grund an den gesündesten und hübschesten der dort Arbeitenden heran, befahl ihm, sich zu bücken und schlug ihm mit aller Kraft mit einem Knüppel auf den Hals. Als jener hinfiel, befahl der SS-Mann zwei anderen Häftlingen, den am Boden Liegenden an den Füßen zu nehmen und ihn mit dem Gesicht nach unten umherzuschleifen, damit er wieder zu sich komme. Als man ihn jedoch hundert Meter über den gefrorenen Boden geschleift hatte, war er noch nicht zu sich gekommen und lag regungslos. Da packte der SS-Mann ein hohles Zementrohr, das für die Kanalisation bestimmt war, hob es auf und warf es dem am Boden Liegenden auf den Rücken. Dann hob er das Rohr wieder auf, warf es wieder, und das wiederholte er fünfmal. Nach dem ersten Schlag mit dem Rohr zuckte der am Boden Liegende im Todeskampf. Nach dem zweiten Schlag war er wieder reglos. Nach dem fünften Schlag befahl der SS-Mann, ihn umzudrehen, und schob ihm mit seinem Stock die Augenlider hoch. Als sich der SS-Mann überzeugt hatte, daß sein Opfer tot war, spie er aus, zündete sich eine Zigarette an und ging seines Wegs, als ob nichts geschehen wäre. Nebenbei gesagt, war das nicht nur das Resultat seiner persönlichen ungeheuerlichen Veranlagung. In den Herbst- und Wintermonaten 1943 hielt es jeder SS-Mann für seine Pflicht, damit zu prahlen, daß er am Tage nicht weniger als fünf Häftlinge umgebracht habe. Die SS-Aufscherinnen, der Abschaum der Menschheit - Frauen zu Krüppeln geschlagen
Massenerschiessungen, Motorenlärm und Tanzmusik übertönten die TodesschreieBisher sprachen wir über die Martern und den Tod jener, die eine mehr oder minder lange Zeit im Lager waren. Aber das Lager bei Lublin war eine echte Todesfabrik, und viele Menschen wurden hier sofort nach ihrem Eintreffen umgebracht. Solche sind in drei Jahren zu Hunderttausenden durch dieses Lager gegangen. Fast täglich wurden Opfer aufs Todesfeld geführt. In den Nächten ratterten innerhalb des Lagers Traktoren, eigens angekurbelt, um das Knattern der automatischen Pistolen und die Schreie der zu Tode getroffenen zu übertönen. Wenn der Traktor zu rattern begann, wußten im Lager alle, daß für Tausende die letzte Stunde geschlagen hat. Wir wollen nur ein paar Worte über eine einzige dieser Erschießungen sagen, über die größte Erschießung, die am 3. November 1943 vor sich ging. Frühmorgens wurde die ganze Wache alarmiert und das Lager durch eine Doppelkette von Gestapoleuten abgesperrt. Von der Cholmer Landstraße zog sich durch das Lager ein endloser Menschenzug, dessen Reihen aus je fünf an den Händen zusammengebundenen Personen bestanden. Ihre Zahl betrug an diesem Tage achtzehntausend. Die eine Hälfte bestand aus Männern, die andere aus Frauen und Kindern. Die Kinder bis zu acht Jahren gingen zusammen mit den Frauen, die älteren Kinder bildeten eine Gruppe für sich. Sie gingen auch zu fünft in einer Reihe und waren ebenfalls an den Händen zusammengebunden. Zwei Stunden, nachdem die Spitze des Zuges im Lager verschwunden war, ertönte im ganzen Lager und in seiner Umgebung Musik. Aus Dutzenden von Lautsprechern schallten ohrenbetäubende Foxtrotts und Tangos. Das Radio spielte den ganzen Morgen, den ganzen Tag und die ganze Nacht.
Diese achtzehntausend Personen wurden auf offenem Feld neben dem neuen Krematorium erschossen. Einige zwei Meter breite und mehrere hundert Meter lange Gräben wurden ausgehoben. Zunächst wurden alle dem Tode Geweihte völlig ausgezogen und mußten sich nackt in diese Gräben legen. Kaum lag eine Reihe Menschen im Graben wurden sie aus automatischen Pistolen von oben erschossen. Dann wurde die zweite Schicht hineingelegt, und wieder begann die Erschießung. Und das dauerte so lange, bis der Graben angefüllt war. Dann mußten die am Leben Gebliebenen diesen Graben mit Erde zuschütten, und sie selbst kamen in den nächsten Graben, wo nun sie erschossen wurden. Nur die letzte Reihe der Ermordeten in dem letzten Graben wurde von den Gestapoleuten selbst zugeschüttet. Man vergrub sie so, dass sie nur mit einer dünnen Erdschicht bedeckt waren. Am nächsten Tage begann man, die Leichen der Ermordeten mit ungewöhnlicher Hast in den Öfen des neuen Krematoriums zu verbrennen. Auf diese Weise brachten die Deutschen an einem Tage achtzehntausend Menschen um. Die Kette der Schuld schließt sich um ganz Deutschland - die Mörder fürchten die VergeltungZum Schluss müssen noch zwei Deutsche erwähnt werden, oder richtiger, ein Deutscher und eine Deutsche, die gefangengenommen worden sind. Der Deutsche hatte direkt, die Deutsche indirekt damit zu tun, was im Todeslager vorging. Der Deutsche heißt Theodor Schollen. Ihn hat noch nicht die verdiente Strafe ereilt, er lebt noch. Er ist 41 Jahre alt. Geboren ist er in Düsseldorf, 1937 trat er in die Nationalsozialistische Partei, in eine SS-Abteilung ein. Im Juli 1942 kam er im Lubliner Lager an und wurde dort Rottenführer der SS. Seinem Beruf nach ist er Fleischer aus dem Berliner Schlachthaus, und im Lager übte er das Amt eines Verwalters aus. Zu seinen Pflichten gehörte es, die im Lager eintreffenden Häftlinge auszuziehen, zu durchsuchen, ihnen ihre Kleider abzunehmen, bevor sie in die Gaskammer geschickt wurden. Er nennt sich Lagerverwalter und sagt, daß er der SS-Abteilung irrtümlich in betrunkenem Zustand beigetreten sei. Er sagt, daß er sich zu den Häftlingen äußerst human benommen hat, und plärrt, wenn bei der Gegenüberstellung die Zeugen, die durch seine Hände gegangen waren, ihn daran erinnern, wie er auf der Suche nach Brillanten, die in der Zahnhöhle versteckt sein konnten, mit einer Schlosserzange den Leuten die Zähne herausgerissen und die Goldkronen von den Zähnen gebrochen hat, die in den amtlichen Listen über die abgenommenen Gegenstände nicht geführt wurden und die er sich also aneignen konnte. Er schwört, daß er nichts weiter als Unteroffizier bei der SS war und die Menschen von dem SD, das heißt Gestapo, umgebracht wurden. Als er entlarvt wird, lügt er und vergießt so dicke Tränen, daß ihm ein naiver Mensch im ersten Augenblick glauben könnte.
Das über den Deutschen. Nun zu der Deutschen. Sie heißt Edith Schostek, ist einundzwanzig Jahre alt und stammt aus Mitteldeutschland. Sie kam vor zwei Jahren nach Lublin laut Gesetz, nach dem alle deutschen Mädchen, die neunzehn Jahre alt geworden sind, für den Staat arbeiten müssen. Sie kam für ein Jahr und blieb zwei Jahre. Sie mordete nicht und schlug die Frauen nicht mit der Peitsche vor die Brust. Sie war nur eine Stenotypistin beim deutschen Direktor des Lubliner Kraftwerks, und ihre Hände sind nicht mit Blut befleckt. Aber wie wir sie eingehend verhören, stellt sich eine Kleinigkeit heraus. Sie und ihre Schwester, die auch in Lublin arbeitete, erhielten als zusätzliche Entschädigung Kleidungsstücke aus jener Sammelstelle für die Hinterlassenschaft der Hingerichteten, die dem Leser schon bekannt ist. Sie und ihre Schwester erhielten von dort Spitzen und Schuhe. Andere erhielten vielleicht Wäsche und Kleider. Wieder andere, die Kinder hatten, bekamen Kinderhemdchen und Schuhe der ermordeten Kinder. So schließt sich die Kette, die ganz Deutschland umspannt. An einem Ende dieser Kette steht der Henker Theodor Schollen, der den Leuten die Goldzähne herausriß und sie in die Gaskammer stieß, am anderen Ende der Kette steht Edith Schostek, die lediglich für ihre Arbeit die Kleidungsstücke der Ermordeten erhielt. Sie stehen an verschiedenen Enden der Kette, aber es ist die gleiche Kette. Mehr oder minder werden sich alle verantworten müssen. Mögen sie einander nicht die Schuld in die Schuhe schieben. Mögen sie ein für allemal begreifen: Sie alle werden für ihre Taten einstehen müssen. Eine Kommission zur Untersuchung der Verbrechen eingesetzt - Kommunique der Agentur "Pol-Press":Die deutschen Okkupanten haben im Vernichtungslager M a i d a n e k bei Lublin eine Massenausrottung von sowjetischen Kriegsgefangenen und in Haft befindlichen Polen, Franzosen, Tschechen, Juden, Belgiern, Ungarn, Serben, Griechen und Angehörigen anderer Nationalitäten Europas durchgeführt. In Anbetracht dessen, daß die Deutschen in diesem Lager sowjetische Kriegsgefangene massenweise ermordet und zu Tode gequält haben, hat sich das Polnische Nationale Befreiungskomitee mit dem Vorschlag an die Sowjetregierung gewandt, eine Polnisch-Sowjetische Außerordentliche Komission zur Untersuchung der deutschen Missetaten in Lublin zu bilden und Vertreter in diese Kommission zu entsenden. Die Regierung der UdSSR hat diesen Vorschlag angenommen und die Professoren N. I. Graschtschenkow, W. I. Prosorowski und D. I. Kudrjawzew in die Kommission entsandt. Der Polnisch-Sowjetischen Außerordentlichen Kommission gehören an:, der stellvertretende Vorsitzende des Polnischen Nationalen Befreiungskomitees Herr Witos (Vorsitzender), Pater Doktor Kruzynski, Professor Bialkowski, Staatsanwalt am Appellationsgericht Balcerzak, Professor für gerichtliche Medizin Schilling-Singalewicz, das Mitglied des Polnischen Nationalen Befreiungskommitees Dr. Sommerstein (Polen) und Professor W. I. Prosorowski, Professor N. I. Graschtschenkow und D. I. Kudrjawzew (Sowjetunion). Die Komission hat mit der Untersuchung der faschistischen deutschen Missetaten in Lublin und mit der Feststellung und Ermittlung der Organisatoren und unmittelbaren Vollstrecker dieser Missetaten begonnen.
Neben den überlebenden Häftlingen gibt es unter denen, die nicht in den Konzentrationslagern waren, viele Tausende, die Gelegenheit hatten, sich über die Vorgänge in diesen Stätten des Grauens genau zu informieren. Einer von denen, die nicht schweigen wollen über die dort begangenen Verbrechen, ist der deutsche Generalleutnant Moser, der von 1942 bis 1944 Oberfeldkommandant von Lublin war und während dieser Zeit Zeuge der unmenschlichen Grausamkeiten der SS im Vernichtungslager Maidanek wurde. Er hat sein Wissen darüber in der folgenden Erklärung an das Oberkommando der Roten Armee niedergelegt, worin er sein Entsetzen und seinen Abscheu über die Missetaten der SS ausdrückt:
Quellenwerk: Berichte von Überlebenden: "Die Todesfabrik - Majdanek", erschienenen 1946 im Stern-Verlag, Wien
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