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Kriegsvergewaltigung

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Zuversicht trotzdem

Noch immer ist es ein Tabuthema: Zweieinhalb Millionen Frauen und Mädchen wurden 1945 während des Vormarsches der Roten Armee vergewaltigt. Eine von ihnen war die damals 12-jährige Ruth Irmgard Christiansen-Frettlöh. Erst im Alter von 65 Jahren machte sie eine Gesprächstherapie – und fühlte sich danach, als sei ihr ein neues Leben geschenkt wurden. Damit heute betroffene Frauen schneller Hilfe bekommen, erzählt Ruth Irmgard Christiansen-Frettlöh bei "Beckmann" zum ersten Mal ihre Geschichte. Denn immer noch wird das Verbrechen der Kriegsvergewaltigung in Konflikten rund um den Erdball totgeschwiegen. Darüber berichtet Dr. Monika Hauser. Die Trägerin des Alternativen Nobelpreises 2008 hilft seit 1993 mit ihrer Organisation "medica mondiale" kriegstraumatisierten Frauen.

Quelle: http://www.presseecho.de/vermischtes/NA3731406108.htm

Ruth Irmgard Christiansen-Frettlöh, geboren 1932 in Elbing/Westpreußen als 3. von 10 Kindern

  • 1937 Einschulung
  • 1941 Aufnahme in die Oberschule
  • 1944-1946 Unterbrechung
  • Herbst Wiederaufnahme in die Quarta der Theodor-Storm-Schule in Husum
  • 1953 bestehe ich als Erste in unserer Familientradition das Abitur
  • 1953 Aufnahme in die Höhere Handelsschule in Hamburg
  • 1954 Abbruch der Ausbildung aus Geldmangel und Aufnahme einer Arbeit als fremdsprachliche Stenotypistin und Sekretärin WS 1954
  • Aufnahme des Studiums als Werksstudentin in den Fächern Deutsch und Religion1957 Beginn des Studiums der Volltheologie - Nachprüfungen in Latein, Griechisch und Hebräisch Studienorte: Hamburg, Heidelberg und Kiel
  • 1961 erste theologische Prüfung, 1965 zweite theologische Prüfung und Promotion
  • 1963-1965 Lehrvikariat in einer Gemeinde und an der Missionsakademie als Tutorin
  • 1967-1977 Inhaberin der Pfarrstelle beim Kirchengemeindeverband in HH-Wandsbek, eingeführt in die Christuskirchengemeinde
  • 1967-1971 Sozialpädagogisches Zusatzstudium an der Universität HH
  • 1971 Wissenschaftliche Gesamtprüfung
  • ab 1977 beurlaubt aus privaten Gründen, Gasthörerin in Theologie und Gehörlosenpädagogik in Heidelberg
  • 1978 bis Ende 1979 Pastorin in Lübeck-Eichholz (kinderreicher Bezirk an der DDR-Grenze)
  • 1980-1985 Mitarbeit als Pfarrfrau
  • 988-1992 Pastorin in Hamburg-Berne
  • 1992-1995 Tätigkeit im interreligiösen Dialog
  • 1995 Pensionierung

Leseprobe: Zuversicht trotzdem oder der Versuch mit Worten Bilder zu malen

von Ruth-Irmgard Christiansen-Frettlöh

Zuversicht
obwohl mein Vater 1933 arbeitslos wurde, und er mir bald meinen Rufnamen Ruth nahm, weil es ein jüdischer sei, und ihn durch meinen zweiten Namen Irmgard ersetzte.
Zuversicht
obwohl die Rote Armee Ende Januar 1945 in meine Heimatstadt Heilsberg/Ostpr. einmarschierte, im August 1945 zwei Brüder starben, und im Januar 1946 meine Halbschwester verhungerte.
Zuversicht
obwohl wir 1946 nur unter vielen Schwierigkeiten in die Englische Besatzungszone übersiedeln durften, wo mein Vater uns ausfindig machte, als ich den 14. Geburtstag feiern und nach 2 Jahren Unterbrechung wieder zur Schule gehen durfte.
Zuversicht
obwohl ich wiederholt als Flüchtling beschimpft wurde, als das Bildungsideal siegte und ich das Abitur macheen durfte, obwohl ich darauf verzichten musste, Schauspielerin zu werden, als ich mich heimlich taufen ließ.
Zuversicht
obwohl meine erste Partnerbeziehung gelöst wurde, weil ich nicht standesgemäß wäre, als ich es wagte, als Werkstudentin nach Dienstschluss mein Studium zu beginnen und 1955 mit meinem ersten Mann eine kleine Wohnung bezog.
Zuversicht
obwohl wir keine Kinder bekamen, als ich weiter studierte in Hamburg, Heidelberg und Kiel.
Zuversicht
obwohl ich als verheiratete Frau die Zulassung zur Pastorin mehrfach erbitten musste und nicht auf das Predigerseminar durfte, als ich zum Ausgleich Tutorin für ausländische Studierende an der Missionsakademie in Hamburg wurde — mir zum Glück und zum Blick für die Nöte in der Welt.
Zuversicht
obwohl ich in meinem Berufsleben damals in einem sehr von Männern dominierten Beruf viele Verletzungen ertragen musste, als ich in der Gemeindearbeit ungewohnte Wege beschritten habe.
Viel Zuversicht
dank der beglückenden Liebe zu meinem 2. Ehemann, dem Gefängnispfarrer Dieter Frettlöh, mit dem ich mich auch für Abrüstung und Frieden einsetzte, als wir jeweils mit Rollentausch in unseren Gemeinden arbeiteten.
Zuversicht
obwohl zuerst ich an Brustkrebs, dann mein Mann an Krebs und Parkinson erkrankte, selbst noch, als mein Mann 2004 verstarb.
Zuversicht
obwohl ich wusste, dass es nicht leicht werden würde, als ich unsere Pflegetochter mit ihren drei Kindern 2006 adoptierte, um meine Stärke in ihr Leben weiterzureichen.


lch stoße an

an einen Stolperstein
eingelassen in die Straße
nicht zu vergessen was geschah
ich lese die Namen einer Familie
sie lebten in der Gerbergasse Nr. 23
eine Spur

Ohne Namen
meine schöne Frau
mit dem gelben Stern
von der Geschichte verwehte Heimat
ein Stolperstein in meinem Herzen
lässt sie leben
solange ich lebe
ich stoße an
und hoffe
dass nicht anstößig wird
und gezündelt
was aufgedeckt wurde

"Meine schöne Frau mit dem gelben Stern", gemeint ist Lucie Seelig, * 1905 in Heilsberg, Schneiderin, wohnte Lindenstraße 16, seit 1938 verschollen.

Zuversicht trotzdem von

Vor der Therapie

die erste Reise
in Wiedersehensfreude
die Wohnung
der Marktplatz
die Kirchen
Geschäfte
der Schulweg
das Schloss
die Alle
die Simser
selbst das Krankenhaus
ich tanzte im Aufwind
meiner Gefühle
eingeschlossen
die Schmerzen
zugebunden
in einem großen Sack
ekstatisch die Freude

Endlich

diesen Waldweg
wiedersehen
mit Freunden
ihn begehen
nach Jahrzehnten

grünen Atem
zu spüren
im Denken
und Fühlen
die Weite zu küren
wie Höhenluft

Erinnerungen
zulassen
am Teufelsloch
einer Sage lauschen
in polnischer Sprache
ohne Wehmut

Die Autorin findet eigene Bilder und ausgefühlte Worte, die Dinge aus ihrem eigenen Erfahrungsfeld als Frau lyrisch zu erzählen. Sie schildert in einer verknappten, starken Sprache, wie Menschen und Ereignisse sie geprägt haben.

Zuversicht trotzdem, Projekte-Verlag Cornelius GmbH, Halle 2009 ISBN: 978-3-86634-679-6

Quelle: http://www.projekte-verlag.de/verlag/autoren/christiansen-frettloeh_s1.php


Andreas Jordan, September 2009

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