Die Juden in Horst (Emscher)
Ab 1890 zogen erste jüdische Kaufleute nach Horst und eröffneten Geschäfte. 1891 wird Horst als eigenständiges Amt Horst vom Amt Buer abgetrennt. Von 1891-1928 bestand das Amt Horst, 1928 wurde Horst schließlich mit Buer und Gelsenkirchen zur Stadt Gelsenkirchen zusammengeschlossen. In der Zeit der Eigenständigkeit gehörte Horst (Emscher) zum in den 1850er Jahren eingerichteten Synagogenbezirk Dorsten. 1899 werden in den Wahlisten der jüdischen Gemeinde Dorsten drei Wahlberechtigte aus Horst genannt, die an den hohen jüdischen Feiertagen den Gottesdienst der Synagoge Buer besuchten und ihre Kinder am dort stattfindenden Religionsunterricht teilnehmen ließen.
1910 gab es 47 Juden in Horst, die von dem Kaufmann Max Bechhof als 3. Vorsitzenden bei der zuständigen Synagogengemeinde in Dorsten vertreten wurden. Durch die fortschreitende Industria- lisierung kamen auch Juden aus Russisch-Polen nach Horst, so wuchs die jüdische Gemeinde bis 1926 auf 92 Mitglieder an. Obwohl es nach damaligem Recht nicht möglich war - die Einteilung und Bildung jüdischer Gemeinden oblag der Regierung - gründeten die Horster Juden eine eigene Gemeinde und teilten das dem Regierungspräsidenten 1919 mit. So gelang es den Juden aus Horst 1920, als Untergemeinde von Dorsten, eine gewisse Teilselbstständigkeit zu erreichen. Zuvor war das bereits den ebenfalls neu gegründeten Gemeinden Bottrop, Gladbeck und Buer gelungen.
Der jüdische Friedhof in Horst
1932 eklärte die junge Horster Gemeinde vor dem Hintergrund weiterer Abtrennungsverhandlungen von der Gemeinde Dorsten, das sie seit 1920 einen eigenen Friedhof als Teil des Horster Südfriedhofes eingerichtet und auch einen eigenen Betsaal auf dem Hofgelände an der Franzstrasse 3 in Horst (heute Industriestrasse 100) habe. Den Saal hatte man damals von der evangelischen Kirchengemeinde angemietet, er existiert heute jedoch nicht mehr.
Abb.: Im Bereich dieser Fläche befand sich von 1920 bis etwa Mitte der 1940er Jahre der juedische Friedhof in Horst
Auf dem jüdische Friedhof Horst sind Zeit seines Bestehens verhältnismäßig wenige Bestattungen vorgenommen worden. Bei Bombenangriffen der Alliierten in der Nacht zum 13. Juni 1944 wurde er vollends zerstört. Zeitzeugen haben berichtet, dass man in den letzten beiden Kriegsjahren dort in den Bombenkratern russische Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter verscharrt hat, die in den Horster Zwangsarbeiterlagern an der Brink- und Bruchstrasse u.a. bei eben diesem Bombenangriff zu Tode kamen.
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Auch jüdische Grabsteine sollen in die Bombenkrater geworfen und vergraben worden sein. Nach "Aufbereitung" und Planierung hat man auf dieser Fläche nach 1945 eine Gedenkstätte für dort "begrabenen" Zwangsarbeiter eingerichtet, an den jüdischen Friedhof erinnert jedoch nichts mehr.
Die Synagogengemeinde Horst
Noch 1932 wurde die Gemeinde Dorsten in selbstständige Gemeinden aufgeteilt, auch die Horster Gemeinde war mit ihren 90 Mitgliedern nun vollends selbstständig. Dem gewählten Vorstand der Synagogengemeinde Horst gehörten der Kaufmann Louis Frank, Moritz Stein, Max Bechhof und als Stellvertreter Albert Simmenauer und Schuhmachermeister Fritz Steinitz an. Die Jüdische Wohlfahrtspflege leitete Hugo Goldschmidt, den Israelitischen Männerverein Albert Simmenauer und den Frauenverein Amalie Löwenstein.
Schülerinnen und Schüler
Da es in Horst keine Israelitische Volksschule gab, besuchten die jüdischen Kinder in der Regel die öffentliche Volksschule. Wer eine weiterführende Schule wünschte, ging auf ein Gymnasium. Für Mädchen bot sich zunächst das Mädchengymnasium Gladbeck an, das z.B. 1920 Lore Bechhof und 1930 Edith Schettmar mit Erfolg besuchte. Das Realprogymnasium Horst hatte 1932 sechs jüdische Schüler. Ihren Religionsunterricht erhielten sie durch den jüdischen Studienassessor Dr. Grünewald, der auch die neun jüdischen Volksschüler in Religion unterwies.
Jüdische Geschäftsinhaber
Abb.: SA-Mann mit Boykott-Transparent vor einem Geschäft mit jüdischem Inhaber, 1933.
Nach der "Machtübernahme" bestand für Juden zunächst noch keine Verpflichtung, darauf hinzuweisen, daß der Inhaber bzw. Betreiber des Geschäfts Jude ist. Viele "arische" Geschäftsleute wiesen daraufhin, daß ihr Unternehmen "ein Deutsches" sei. In vielen
Geschäften hingen Schilder "Kommst du als Deutscher hier herein, so soll dein Gruß HEIL HITLER sein!"
Auch in Horst standen bald vor jüdischen Geschäften SA-Männer mit Schildern: "Kauft nicht bei Juden!" Trotz dieser Wachen gingen viele Horster weiterhin in jüdische Geschäfte. Manchmal fielen folgende Bemerkungen über einen solchen Wachposten: "Der? Der soll erst mal seine Schulden dort bezahlen!" In dieser Zeit kam auch der Begriff "Christlicher Jude" auf. Man meinte damit die nichtjüdischen Geschäftsleute, die zum "Vorzugspreis" jüdische Geschäfte übernommen hatten und genau das Geschäftsgebaren an den Tag legten, das man nach der Nazi-Propaganda den Juden zuschrieb.
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Abb.: Schuhgeschäft Moritz Stein an der Markenstrasse 29 in Horst, 1927
Anfang 1933 gab es in Horst noch ein blühendes Gemeinwesen. Jüdische Mitbürger waren Inhaber von Geschäften des täglichen Bedarfs, aber auch der Textil-, Schuh- und Möbelbranche, hauptsächlich befanden sich die Ladengeschäfte an der Essener Strasse und der Markenstrasse in Horst-Süd.
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Abb.: Gedächnisskizze Herman Neudorf, Geschäfte an der Markenstrasse in Horst
Der heute in den USA lebende Herman D. Neudorf hat im Jahr 2008 eine Gedächnisskizze von den Geschäften an der Markenstrasse in Horst angefertigt. Die Skizze bezieht sich auf die Zeit vor 1938.
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Inhaber oder Betreiber von Geschäften waren u.a. die Familien Simmenauer, Bechhof, Schloß, Stein, Herzberg, Hirsch, Rosenzweig, Halbeisen, Kaufmann, Berghausen, Meyer und Bieber. Familie Neudorf betrieb z.B.
ein Bekleidungsgeschäft an der Markenstrasse 19. Auch die Neudorf's wurde enteignet und deportiert, die Eltern wurden von den Nazis ermordet, einzig Sohn Hermann Neudorf überlebte die Shoa. Die allermeisten der Horster Juden wurden von den Nazis in die Vernichtungslager verschleppt und dort ermordet, ihre Spuren getilgt.
Abb.: Die Markenstrasse/Ecke Industriestrasse in Gelsenkirchen-Horst in den frühen zwanziger Jahren. Blickrichtung Schloßstrasse, damals Alleestrasse. Im Hintergrund links ist das Kaufhaus Max Bechhof, rechts das Schuhhaus Herzberg zu sehen.
Judenhäuser
Der Begriff "Judenhaus" wurde im nationalsozialistischen Deutschen Reich im Alltags- und Behördengebrauch für Wohnhäuser aus (ehemals) jüdischem Eigentum verwendet, in die ab Herbst 1939 ausschließlich jüdische Mieter und Untermieter eingewiesen wurden. Die Judenhäuser standen unter Kontrolle der Gestapo, in Horst befanden sich so genannten "Judenhäuser" an der Fischerstrasse 173, der Markenstrasse 28 und 29.
Nach der Machtübergabe an die Nazis 1933 und den sich darauhin ständig verschärfenden antijüdischen Maßnahmen des Hitler-Regimes stieg der Verlust von Mitgliedern der Horster Synagogengemeinde durch Emigration beständig an. Ab 1936 fanden in dem Betsaal an der Franzstrasse keine Gottesdienste mehr statt. Die verbliebenen Gemeindemitglieder besuchten fortan die Synagogen in Essen und Gelsenkirchen.
Nach den letzten Deportationen von Juden aus Gelsenkirchen in die Vernichtungslager im Sommer 1942 hatte auch die jüdische Gemeinde Horst aufgehört zu existieren. Heute erinnert in Gelsenkirchen-Horst nichts mehr an diese Menschen, die einst in unserer Mitte gelebt haben. Das hat sich mit der Verlegung der ersten Stolpersteine geändert.
Abb.: Horster Juden bei einem Ausflug zur Hohensyburg. Obere Reihe, von links: Herr Hirsch (Möbelgeschäfte in Gelsenkirchen und Recklinghausen), Frau Frank (Schuhhaus Essener Strasse) Herr und Frau Steinitz (Schuhhaus Markenstrasse) Mittlere Reihe, von links: Herr Futermann, (Juwelier, Essen) und seine Frau Milly, Simon Neudorf, (Bekleidungsgeschäft Markenstrasse), Herr Goldschmidt, Essener Strasse, Moritz Stein, (Schuhhaus Markenstrasse), Herr Frank (Schuhgeschäft) Unten, von links: Frieda Neudorf, Unbekannt, Betty Hirsch, Frau Goldschmidt, Frau Stein, Frau Löwenstein
Identifizierung der abgebildeten Personen im Jahr 2010 von Herman D. Neudorf, USA. (Bild: ISG-Fotosammlung)
Stolpersteine
Abb.: Stolpersteine an der Markenstrasse in Horst
Die ersten Stolpersteine in Gelsenkirchen wurden am 13. Juli 2009 im Ortsteil Horst vor dem Haus Markenstrasse 19 verlegt. Dort wohnte die jüdische Familie Neudorf. Die Stolpersteine erinnern an Simon und Frieda Neudorf, die in dem Haus einst gelebt haben.
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→ Stolpersteine zur Erinnerung an Simon und Frieda Neudorf
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