Das Wunder von Schalke - Vereinsgeschichte zwischen 1933-1945
Populärste Mannschaft der Jahre zwischen 1933 und 1945 war die so genannte "Arbeiterelf" des FC Schalke 04. Sechs ihrer sieben Meistertitel fielen in die Zeit des NS-Regimes. Die Nationalsozialisten feierten die Erfolge der Blau-Weißen Knappen mit den Idolen Ernst Kuzorra (1905-1990) und Fritz Szepan (1907-1974) stets propagandistisch als "Sieg der Arbeiterklasse".
Das "Wunder von Schalke" begann zwischen Zeche und Glückauf-Kampfbahn in Gelsenkirchen. Als Arbeiter und siegreiche Sportler sollten sie schon bald die Ideale der NS-Propaganda erfüllen. Im Mai 1927 standen sie erstmals in der Endrunde um die deutsche Meisterschaft, konnten den Titel damals allerdings noch nicht erringen. Erst ein Jahr nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten, im Juni 1934, wurden die Schalker mit einem Sieg gegen Nürnberg erstmals Deutscher Meister. Von der Ehrenloge aus verfolgte Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten das Spiel. Die Reichspropagandaleitung inszenierte anschließend einen Triumphzug für die "siegreichen Helden".
"Arisierung" der Namen
Doch es gab ein Problem: Viele Schalker Spieler trugen polnische Namen: Tibulski, Kalwitzki, Szepan, Kuzorra. Wie Zehntausende im Ruhrgebiet waren sie Nachkommen Arbeit suchender Bergleute aus polnischen Provinzen Preußens. Kurzerhand wurden die Spieler zu Masuren erklärt und damit zu "Ariern".
Jetzt konnte der Reichssportführer die Mannschaft guten Gewissens nach oben empfehlen. Bereits 1936 hieß es in dem "Buch vom Deutschen Fußballmeister": "... der fanatische Wille zum Ziel und zum Sieg, das haben die Schalker mit Adolf Hitler gemeinsam".
Fritz Szepan etwa, nebenbei auch Spielführer der deutschen Nationalelf, war bereits 1937 in die NSDAP eingetreten.
Abb.: Propagandaplakat wirbt das für das Endspiel um die Meisterschaft 1939.
Nach dem "Anschluss" Österreichs nutzten die Nationalsozialisten das Endspiel der ersten "Großdeutschen Meisterschaft" am 18. Juni 1939 im Berliner Olympia-Stadion zu einer gigantischen Propagandaveranstaltung. Nach dem 9:0 Sieg von Schalke 04 gegen Admira Wien wurden die Gelsenkirchener Spieler zu Ehrenmitgliedern der NSDAP ernannt. Gegen die Vereinnahmung durch die Nazi-Partei wehrten sich die Spieler nicht. Nach dem Sieg gegen Admira 1939 beriefen die Nazis Fritz Szepan in den "Führerrat des Fachamtes Fußball". Das Meisterschaftsendspiel 1941 in Berlin sollte ein weiterer Meilenstein für die Schalker Knappen werden. Doch es kam anders. Unerwartet gewann Rapid Wien mit 4:3. Nun jubelten die Menschen für die Wiener. Und ahnten nicht, dass kurz darauf der Wiener Torschütze Franz Binder an die Front geschickt wurde. Ein Racheakt der Nazis? Ein Jahr später wollten sie nichts dem Zufall überlassen. Für das Meisterschaftsendspiel wurde der Torwart eigens von der Front eingeflogen. Schalke siegte planmäßig gegen Vienna Wien. Zum sechsten und letzten Mal ging damit der Titel in den Jahren des "Dritten Reiches" nach Gelsenkirchen.
Abb.: Mannschaft des FC Schalke 04, 1938
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Deportiert und ermordet
Als der DFB (Deutscher Fußball Bund) im April 1933 den Ausschluss von Juden und auch Kommunisten als Spieler, Trainer und Funktionäre aus den Vereinen beschloss, "verabschiedete" der FC Schalke 04 seinen 2. Vorsitzenden, den jüdischen Zahnarzt Dr. Paul Eichengrün ebenso wie den Leiter des Presseausschusses, Franz Nathan und andere.
Im November 1938 "kaufte" Fritz Szepan das Kaufhaus Rhode & Schwarz in Gelsenkirchen-Schalke zu einem außerordentlich günstigen Preis. Die jüdischen Inhaber Sally Meyer und Julie Lichtmann werden enteignet, im Januar 1942 nach Riga deportiert und ermordet. Auch der Spieler Hermann Koriath konnte das Haus Margaretenstrasse 6 aus dem Besitz des jüdischen Bauunternehmers Max Ferse günstig "erwerben". Max Ferse und seine Frau wurden 1942 in das Ghetto Riga deportiert und dort ermordet.
Frühe Förderer und auch Amateurspieler des FC Schalke 04 jüdischer Herkunft waren ebenfalls der Diskriminierung und Verfolgung durch die Nazis ausgesetzt. So wurde der Metzgermeister August Kahn zusammen mit seiner Frau am 27. Juli 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert und dort am 11. Oktober 1944 ermordet, seine Frau starb bereits am 4. September 1942 in Theresienstadt - angeblich an Lungenentzündung. Der Metzgermeister Leopold Sauer wurde am 27. Januar 1942 zusammen mit seiner Frau in das Ghetto Riga deportiert und im März 1945 in Rieben, einem Außenlager des KZ Stutthof, ermordet. Seine Frau Auguste wurde im Dezember 1944 im KZ Stutthof ermordet. Auch die Schwiegereltern von Paul Eichengrün, Josef und Ida Schloßstein, wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert, sie kehrten von dort nicht mehr zurück. Ernst Alexander wurde in Auschwitz ermordet. Leopold Jacobs wurde ebenso zunächst in das Ghetto Riga deportiert - erlebte jedoch 1945 seine Befreiung. An viele der vorstehend genannten Menschen erinnern im öffentlichen Raum der Stadt Gelsenkirchen Gunter Demnigs Stolpersteine.
Nicht ganz freiwillige 'Vergangenheitsbewältigung'
Im Sommer 2001 sollte eine Straße am neuen Stadion nach den Plänen der Stadtverwaltung und des Vereins nach Fritz Szepan benannt werden. Dieses Vorhaben rief heftige Kritik und Widerstand in einem kleinen Teil der Bevölkerung hervor, denn einige wussten nur zu gut, dass Szepan von der "Arisierung" jüdischen Vermögens profitiert hatte, und sprachen sich daher mutig und vehemennt gegen eine derartige Ehrung aus. Eine daraufhin in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studie, die unter dem Titel "Zwischen Blau und Weiß liegt Grau - Der FC Schalke 04 in der Zeit des Nationalsozialismus" 2004 veröffentlicht wurde, bestätigte Szepans tiefe Verstrickung in die Enteignung jüdischen Vermögens. Damit waren die Pläne, eine Straße nach Szepan zu benennen, endgültig vom Tisch. Befremdlich bleibt jedoch, das der Plan, eine Straße in Gelsenkirchen nach dem Arisierungsgewinnler Szepan zu benennen, überhaupt ins Auge gefasst worden ist: Denn Szepans "Übernahme" jüdischen Eigentums war in Gelsenkirchen kein wohlgehütetes Geheimnis, sondern in weiten Kreisen der Stadtgesellschaft bekannt.
Der Fall Szepan steht exemplarisch für die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in Gelsenkirchen: Sie fand jahrzehntelang kaum statt, erst eine geplante Straßenbenennung nach einem Arisierungsgewinnler wie es Szepan war, führte hier zu einer öffentlichen Diskussion über die Mitwirkung gesellschaftlicher Gruppen an der NS-Verfolgungs- und Vernichtungspolitik, die jedoch in Gelsenkirchen vergleichsweise schnell wieder verstummte. Der tiefbraune Ungeist vergangener Zeiten bricht sich jedoch generationsübergreifend in den Köpfen allzuvieler selbsternannter "Schalke-Fans" immer wieder Bahn.
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