Massenexekution im Westerholter Wald
Ein Schweizer namens Gretler, der CIC (amerikanische Militärpolizei) angehörend, gab uns die ersten Anweisungen für unsere Tätigkeit innerhalb der Kriminalpolizei. Er gab die Anordnung, unserer Abtei- lung, dem 5. KK, jegliche Unterstützung durch andere Polizeibeamte zu geben, die weiter Dienst versehen durften, und ebenso der Militärpolizei, uns jegliche Unterstützung bei unserer Arbeit zu gewähren.
Abb.: Polizeipräsidium Gelsenkirchen um 1928. Hier begann 1945 der Todesmarsch in Richtung Westerholter Wald. (Foto: ISG)
"Eine der ersten Aufgaben unserer Abteilung war die Aufklärung der Ermordung von 25 russischen Mädchen und Männern im Alter von 19 bis 25 Jahren. Sie waren am Karfreitag, kurz vor dem Einmarsch der Amerikaner in Buer, in den frühen Morgenstunden ohne Fußbekleidung aus dem Polizeigefängnis Buer über die Goldbergstraße in den Westerholter Wald geführt und an einem Bombentrichter in der Nähe der unter Naturschutz stehenden Buche durch Genickschuß ermordet worden. Die in dieser Sache inhaftierten Kriminalbeamten erzählten:
"Wir wurden abkommandiert zur Begleitung eines Gefangenentransportes nach Recklinghausen. Es handelte sich um im Polizeigefängnis einsitzende junge russische Fremdarbeiter beiderlei Geschlechts. Es ging über die Goldbergstraße in den Westerholter Wald. Zugegen war die gesamte Gestapo, angeführt von ihrem Leiter Marx. (...) Als wir ungefähr 100 Meter im Wald waren, versuchten einige der Gefangenen nach links und rechts auszubrechen. Von hinten erfolgte gleich der Ruf: "Kripo zurück!" Ich glaube, daß der Ruf von Marx kam. Wir sprangen sofort zurück, um das hintere Ende der Doppelreihe zu erreichen, in der die Gefangenen marschierten.
In dem Moment wurde auch schon von dem Gestapobeamten, der den Zug beendete, geschossen, und zwar mit der Maschinenpistole. Wir, die Kripo, haben nicht geschossen. Wir hatten unsere Pistolen in den Gesäßtaschen. Uns wurde auch nicht befohlen, daß wir unsere Pistolen bereit halten oder eventuell gebrauchen sollten. Ich und die drei Kripobeamten waren sehr aufgeregt und haben uns sofort von dieser Stelle entfernt. Ich kann mich nicht entsinnen, Schreie gehört zu haben, und es war unser Wunsch, so schnell wie möglich den Wald zu verlassen."
Bei einer Exhumierung wurde eindeutig Tod durch Genickschuss festgestellt. Es gab eine Untersuchung und Ermittlungen, zu einer strafrechtlichen Verfolgung kam es in dieser Sache jedoch nicht, denn die Gestapo-Verbrecher und alle anderen Kriminalpolizisten sowie die schwer belasteten Faschisten aus Gelsenkirchen bekamen den Befehl, sich nach Neu-Beckum abzusetzen. Die Fahndung nach den Hauptverbrechern in dieser Sache blieb ohne Erfolg und wurde bald darauf zu den Akten gelegt."
Quelle: "Für uns begann harte Arbeit - Gelsenkirchener Nachkriegslesebuch". Frauenarbeitskreis in der Evangelischen Jugend, S. 98 und Jürgen Dzudzek/Hartmut Hering S. 247. Herausgeber: Hartmut Hering, Hugo Ernst Käufer und Michael Klaus. Asso Oberhausen 1986. ISBN 3-921541-63-8
Nachtrag zu Erschießung von Zwangsarbeitern im Westerholter Wald
Ausgelöst durch den Hinweis eines Bürgers an die Strafverfolgungsbehörden, der sich auf die obige Veröffentlichung auf unserer Internetpräsenz bezog, wurde 2016 ein Vorermittlungsverfahren eingeleitet. Auf meine Nachfrage zum Ermittlungsstand im Jahr 2018 teilte mir der zuständige Oberstaatsanwalt Andreas Brendel, Leiter der "Zentralstelle im Lande Nordrhein-Westfalen für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen" in Dortmund im Juni 2018 mit, "das ein Verfahren der Staatsanwaltschaft Essen in dieser Sache am 9.6.1961 eingestellt worden ist". Eine erneute Überprüfung der Einstellung des damaligen Verfahrens durch Oberstaatsanwalt Brendel ergab, das sich, Zitat: "keine Anhaltspunkte dafür ergeben haben, das die damaligen Erschießung mit mordqualifizierenden Merkmalen durchgeführt worden ist. Da in heutigen Ermittlungsverfahren nur noch Mord verfolgt werden kann (nicht Totschlag), hatte ich keine Veranlassung, das Verfahren der Staatsanwaltschaft Essen wieder aufzunehmen." Vor diesem Hintergrund habe ich daraufhin im September 2018 mehrere 100 Seiten Ermittlungsakten (LA NRW, Abt. Rheinland) zu diesem Verfahren ausgewertet.
Nach den dabei gewonnen Erkenntnissen steht nunmehr fest, dass die Haupttäter,
→ Walter Marx (Gestapo-Außenstelle Gelsenkirchen-Buer) und Otto Noack (Kriminalinspektion Gelsenkirchen-Buer), von einem sowjetischen Militärgerichten nach Kriegsende u.a. wegen der Erschießung von elf Zwangsarbeitern am 28.3.1945 im Westerholter Wald zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind, Noack befand sich von 1945 bis 1955, Marx von 1947 bis 1955 in Haft.
Andreas Jordan, September 2009. Nachtrag September 2018 |
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