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Die Schwestern Annemarie und Margit Zorek

Artikel aus Aufbau

In dem Artikel aus der jüdischen Exil-Zeitung "Aufbau", Jahrgang 11, Ausgabe 30, Seite 20 vom 27.07.1945 wird der Tod der Schwestern Zorek erwähnt.

Annemarie Zorek wurde am 12. August 1922 in Gelsenkirchen geboren, ihre Schwester Margit wurde am 19. Mai 1924 ebenfalls in Gelsenkirchen geboren. Sie waren die Töchter von Georg Zorek, der am 30. April 1885 in Wreschen geboren wurde, (er lebte 1963 in New York) und Hedwig Zorek (geborene Cohen, geboren am 11. Juli 1889 in Gelsenkirchen, gestorben am 4. Januar 1932, beerdigt auf dem Jüdischen Friedhof in Ückendorf). Die letzte Wohnung der Schwestern war in Gelsenkirchen, Augustastraße 7. Am 27. Januar 1942 wurden Annemarie und Margit zusammen aus Gelsenkirchen nach Riga deportiert, beide Schwestern wurden am 12. Februar 1942 aus Gelsenkirchen "amtl. n. unbekannt" abgemeldet, nach Informationen der jüdischen Kultusgemeinde Gelsenkirchen wurden sie im KZ Riga-Kaiserwald im Sommer 1944 bei einer der "Aktionen" des SS-Arztes Dr. Eduard Krebsbach ermordet. (Nach dem Gedenkbuch des Bundesarchivs im Juli 1944)

Zitat aus den lebensgeschichtlichen Erinnerungen von dem aus Gelsenkirchen stammenden Herman Neudorf:

"Das war Riga..."

Der 27. Juli 1944 brachte die Antwort: Nach dem üblichen Abendapell kommt pötzlich der "Lagerarzt", SS-Sturmbannführer Krebsbach mit einem Stab hoher SS-Offiziere und inspiziert jeden eingehend. Die älteren und schlecht Aussehenden rechts in eine von Wachen gehütete Baracke, die übrigen links auf die Seite. Jeder wußte, rechts der Tod, links vorläufig das Leben. Die Baracke füllte sich. Wir mußten zusehen. Nachdem die Männer durch waren, ging er zu den Frauen. Das gleiche Bild. Die für rechts Bestimmten wurden in einer Kolonne aufgestellt und unter schärfster Bewachung auch in die Baracke geführt. Der unglückliche Zug kam an mir vorbei, es war dunkel, und ich sah, ich traute meinen Augen nicht, meine liebe Mutter war unter ihnen. Ich ging wie im Fieber. Ich glaube, ich habe die ganze Nacht geschrien. Ich weiß es nicht mehr. Im Morgengrauen versuchte ich, an diese Todesbaracke heranzukommen, aber die SS-Posten, die das Gebäude umstellt hatten, trieben mich mit Schlägen zurück.

Vom weiten blieb ich stehen starrte auf die Fenster. Und wirklich, Mutter hatte mich gesehen. Sie fragte mich: "Wohin fahren wir ?" Ich antwortete nur: "Wir sehen uns bald wieder." Worauf sie fragend antwortete: "Im Himmel?" In dem Moment traf mich ein Kolbenschlag eines Wachpostens und ich stürzte davon. Ich habe sie niemals wiedergesehen.

Später, als ich dann zum Kommandanten, SS-Sturmbannführer Sauer ging und ihn in meiner Not anflehte, mir meine Mutter zu lassen, antwortete er zynisch, ich könnte ja mitfahren, wenn ich Lust hätte. Gibt es nun in der Welt eine Strafe, die groß genug wäre, um diesen furchtbaren Grausamkeiten gerecht zu werden?

Vom Tag an war ich allein. Im Lager Strassenhof, wo sich Tante Else befand, wurden alle Personen über 30 auf die gleiche Weise fortgeschafft. Bei der Reichsbahn das gleiche. Von all diesen Unglücklichen hat man bis zum heutigen Tage nichts mehr gehört.
Nur haben sich einige dieser SS-Mörder dann später beim Saufgelage über ihre Heldentaten im Rigaer Hochwald gerühmt. Nun wurde auch für uns die Lage kritisch. Erleiden wir das gleiche Schicksal, Mann und Frau?

Annemarie und Margit Zorek sind bei einer dieser Aktionen im Sommer 1944 ermordet worden. In Ihrem Buch "Sadismus oder Wahnsinn" (In der Neuauflage "Mit Bibel und Bembel - Ein Gedenkbuch") berichtet die Autorin Jeanette Wolf von den Schwestern Annemarie und Margit Zorek:

Das Sanitätspersonal wurde von der SS strengstens überwacht, ob es bei den Kranken, den Stichtag inne hielt. Rücksichtslos wurden wir wegen jeder kleinen Verfehlung geschlagen, so z.B., wenn bei einem Kranken die Decke ein wenig verrutscht war oder nicht ganz glatt lag. Zumeist erfolgte die Bestrafung öffentlich beim Appell. Sehr häufig haben wir das Einlieferungsda-tum der Kranken geändert, denn der SS waren die Häftlinge viel zu gleichgültig, als daß sie sich genauer angesehen hätten, und so gelang es uns oft, Menschen zu retten. Sehr häufig waren Aktionen. Dann wurden die Lazarette vollständig ausgeräumt. Wohin man die Kranken brachte, wissen wir nicht, nur daß nie wieder einer zurückgekehrt ist. Himmelsfahrtskommandos nannte man die Aktionen, durch die Kranke und Schwache aus dem Lager entfernt wurden.

Unter anderem will ich nur über das Schicksal der beiden bildhübschen Schwestern Annemarie und Margit Zorek aus Gelsenkirchen berichten. Sie waren bereits vom Typhus geheilt, warteten im Lazarett nur auf ihre letzte Blutprobe, als auch sie für die Aktion aufgeschrieben wurden. Sie haben furchtbar geweint und geschrien, da sie nicht sterben wollten.
Ich habe sie im Lager einen halben Tag versteckt gehalten, doch dann entdeckte sie ein SS-Mann, und sie wurden, da die anderen schon abtransportiert waren, mit einem besonderen Auto fortgebracht, wohin, das weiß keiner.

 

Die SS-Ärzte

"Das Spritzen begann mit dem Dr. Krebsbach. Deshalb wurde er Spritzbach genannt. Es handelte sich hier um eine Spritze mit sehr großen Nadeln. Der Injektionsbehälter wurde gefüllt mit Benzin oder Phenol und die Nadel wurde dem Häftling direkt ins Herz eingeführt. Anfangs machte man das ohne Narkose. Später wurde der Häftling im Operationssaal narkotisiert. Er bekam eine Äthernarkose. Die ersten Proben machte Dr. Krebsbach selber, dann nahm sich dieser Spritzangelegenheit Dr. Richter an. Außer den Standortärzten gab es im KZ Mauthausen auch sogenannte Lagerärzte, wie Dr. Richter, Dr. Böhmichen, u.a.m. Dr. Richter machte verschiedene Versuche mit den Herzinjektionen, er studierte die Wirkung der Spritzen mit verschiedenen Flüssigkeiten und in verschiedenen Quantitäten. Ich selbst war ein paar Mal anwesend, wie Häftlinge mittels Herzinjektionen ermordet wurden, und wie ich das beobachten konnte, wurde der Häftling durch Narkose betäubt, die Nadel wurde ins Herz geführt und der Tod trat relativ schnell ein. Es ging sehr schnell. Diese Tötungsaktionen wurden zuerst im SS-Revier durchgeführt; der Häftling kam auf den Operationstisch, erhielt die Injektion, zwei Häftlinge packten den Körper, warfen ihn aus dem Fenster, dort standen die Leichenträger, stapelten die Leichen auf einen Wagen und wenn der Wagen voll war, wurden die Leichen ins Krematorium befördert".

Quelle: Frantisek Poprawka, ehemaliger Mauthausener Häftling (AMM V/3/8). Quelle: http://www.mauthausen-memorial.at


Im Jüdischen Museum Westfalen ist das Poesiealbum von Margot Spielmann, ebenfalls aus Gelsenkirchen stammend, ausgestellt. Margot Spielmann, geboren am 21. Mai 1926 in Gelsenkirchen, ledig wurde 1942 auf der Flucht festgenommen, in eine Krankenanstalt verbracht und von dort nach Auschwitz deportiert. In ihrem Poesiealbum finden sich Einträge von Annemarie und Margit Zorek.

Eintrag von Annemie Zorek

Abb.: Eintrag von Annemie Zorek im Poesiealbum von Margot Spielmann

Willst du getrost durchs Leben geh'n, blick über Dich!
Willst du nicht fremd im Leben steh'n, blick um Dich!
Willst du dich selbst in einem Werte seh'n, blick in Dich!

In freundl. Erinnerung an deine Annemie Zorek

Gelsenkirchen, den 23.10.1941

Eintrag von Margit Zorek

Abb.: Eintrag von Margit Zorek im Poesiealbum von Margot Spielmann

Wer mit dem Leben spielt,
kommt nie zurecht,
wer nicht sich selbst befiehlt,
bleibt immer Knecht.

(J. W. von Goethe)

Zur steten Erinnerung gewidmet von Deiner
Margit Zorek

Gelsenkirchen, den 28.9.41

Die Ablichtungen aus dem Poesiealbum der Margot Spielmann stellte das Jüdisches Museum Westfalen in Dorsten zur Verfügung.


Gedenkblätter in Yad Vashem für Annemarie und Margit Zorek aus Gelsenkirchen:

Gedenkblatt für Annemarie Zorek Gedenkblatt für Margit Zorek

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Andreas Jordan, März 2009

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