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Gelsenkirchen-Horst während des Krieges

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Kokerei Nordstern am Rhein-Herne-Kanal

Bild: Kokerei Nordstern am Rhein-Herne-Kanal

Wenige Jahre vor Kriegsbeginn wurde in Horst mit dem Bau des Benzinwerkes Gelsenberg begonnen. Das Werk und die Kokerei Nordstern machten Horst schon bald zu einem gesuchten Ziel feindlicher Bombenangriffe. Galt doch die Zentralkokerei Nordstern als Europas größte Kokerei, und die Gelsenberg Benzin AG mit als wichtigsterer Treibstofflieferant für die deutsche Wehrmacht und die Luftwaffe. Als man die Evakuierung von Schulkindern aus "luftgefährdeten Gebieten" vorbereitete, griff man auf Erfahrungen zurück, die man bei der Erholungsverschickung gemacht hatte. Überwiegend wird beim Stichwort "Erweiterte Kinderlandverschickung" an die Evakuierung der zehn- bis vierzehnjährigen Schüler und Schülerinnen gedacht. Organisatorisch und personell war die Hitlerjugend (HJ) dafür zuständig. Die Schüler lebten – oftmals gemeinsam mit ihren Klassenkameraden – mehrere Monate lang von ihren Familien getrennt und verbrachten eine wichtige Phase ihrer Entwicklung in einem KLV-Lager.

KLV - Kinderlandverschickung

Bild: Auf dem Gelsenkirchener Hauptbahnhof, Beginn der Kinderlandverschickung

Die ersten schweren Bombenangriffe erfolgen in der Nacht vom 17. auf den 18. Juni 1940. Dabei wird der auf dem Gelände von Gelsenberg stehende größte Gasometer der Welt - er war 145 m hoch und besaß einen Durchmesser von 81 Metern! - so schwer getroffen, daß man ihn abreißen muß -. Weitere Angriffe, meist zur Nachtzeit, gelten dem Benzinwerk selbst, doch sie haben keine großen Erfolge. Als die feindlichen Bombengeschwader ihre Flüge mit Radargerät erprobt und einexerziert haben, beginnen 1942 Angriffe am laufenden Band. Am 9. Januar 1943 gibt es stärkere und massierte Angriffe auf das Benzinwerk. Am 1. Mai 1943 setzen die Bomber zu einem Großangriff mit Brand- und Sprengbomben auf Horst-Süd an. Auf der Poststraße gibt es 18 und am Kanal 14 Tote. Jetzt beginnt man in Horst die Schulen zu schließen und die Kinder zu evakuieren.

Eine grausame Bombennacht wurde für Horst die Nacht vom 12. auf den 13. Juni 1944. Um Mitternacht heulten die Sirenen, kurze Zeit später trudelten die Bomben vom Himmel, 20 Minuten lang. Es sollten mehr als 4000 Sprengbomben schweren und schwersten Kalibers gewesen sein. Die große Mehrzahl traf den Horster Süden. Rund 150 Horster fanden den Tod, viele qualvoll unter den Trümmern der zusammengebrochenen Häuser und in den primitiveren Luftschutzkellern. Der Friedhof in Horst-Süd wurde regelrecht von einem Bombenteppich umgeflügt. Es wäre sinnlos gewesen und unmöglich, die alte Gräberordnung wiederherzustellen und die aus ihnen herausgerissenen Gebeine neu zu bestatten. Sie wurden schließlich anonym in Buer beerdigt.

12. September 1944 - Tagesangriff auf Gelsenkirchen

12. September 1944 - Tagesangriff auf die Gelsenberg Benzin AG

Den gewaltsamen Tod unzähliger Menschen, die zur Ausbeutung in der Rüstungsindustrie gegen ihren Willen nach Gelsenkirchen verschleppt worden waren, erwähnt Büscher dagegen nicht. Ganz im Sinne der NS-Ideologie werden in seinen Aufzeichnungen lediglich die "arischen" Toten erwähnt.

Das Verbot für Zwangsarbeiter aus Osteuropa, bei Bombenangriffen in Bunkern Schutz zu suchen, setzte viele von ihnen dem Tod aus. Am 1. Mai 1943 traf eine Minenbombe mit Volltreffer das Barackenlager der Gelsenberg Benzin AG an der Brink- und Bruchstraße. Fünf Baracken wurden total zerstört, sechs stark beschädigt. Außerdem wurden zwölf weitere Baracken und zwei Lazarettbaracken durch Brandbomben zerstört. Mehr als fünfzig Arbeiter fanden dabei den Tod, darunter u. a. Belgier und Ostarbeiter. Auch das Ausländerlager Industriestraße 100 in Horst brannte aus, die Arbeiter konnten sich hier retten. Bei einem Luftangriff auf das Hydrierwerk der Gelsenberg Benzin AG am 13. Juni 1944 wurde der Lagerkomplex Brink-/Bruchstraße erneut schwer getroffen. Zwangsarbeiter verschiedener Nationalitäten, darunter rund 60 sowjetische Kriegsgefangene, kamen ums Leben. Mehr dazu: Zwangsarbeit in Gelsenkirchen

Dem Angriff vom 11. September fielen 14 Horster zum Opfer, schreibt Büscher. Unerwähnt lässt er auch an dieser Stelle die Tatsache, dass bei diesem Luftangriff im Außenlager des KZ Buchenwald bei der Gelsenberg Benzin AG mindestens 160 Frauen und Mädchen umgekommenen sind, nicht zuletzt deshalb, weil diesen Gefangenen als Angehörige der jüdischen Religion der Zutritt zu Splittergräben und Luftschutzbunkern verboten war:

Heute ist nur noch wenigen Bürgerinnen und Bürgern bekannt, dass es in Gelsenkirchen im so genannten "Dritten Reich" ein Konzentrationslager gab. Das Lager befand sich in unmittelbarer Nähe der Gelsenberg Benzin AG (heute BP Gelsenkirchen GmbH in Horst) nördlich des Linnenbrinksweges. In dem Außenlager des KZ Buchenwald, NS-Bezeichnung "SS Arb. Kdo. K.L. Buchenwald, Gelsenberg Benzin AG, Gelsenkirchen-Horst", waren von Juli bis September 1944 rund 2000 jüdische Zwangsarbeiterinnen eingepfercht.

Im Vernichtungslager Auschwitz wurden im Juni 1944 2000 jüdische Mädchen und Frauen selektiert und zur Zwangsarbeit nach Gelsenkirchen verschleppt. Unter unmenschlichen Bedingungen waren sie in Gelsenkirchen hinter Stacheldraht und umgeben von Wachtürmen in Zelten untergebracht. Die weiblichen KZ-Häftlinge wurden unter anderem zur Trümmerbeseitigung (Vernichtung durch Arbeit) im Hydrierwerk der Gelsenberg-Benzin AG eingesetzt. Am 24. August 1944 wurden 520 der weiblichen KZ-Häftlinge von Gelsenkirchen weiter in das Außenlager des KZ Buchenwald in Essen an der Humboldtstrasse bei der Firma Krupp verschleppt.

Bei einem Luftangriff am 11. September 1944 auf die Gelsenberg Benzin AG wurden mindestens 150 der im Lager Gelsenkirchen verbliebenen Mädchen und Frauen getötet. Die Schwerstverletzten wurden in umliegende Krankenhäuser gebracht, wo einige Frauen an den Folgen ihrer schweren Verletzungen starben. Einige Tage nach nach dem Bombenangriff wurde das KZ-Außenlager Gelsenkirchen aufgelöst und die dort noch inhaftierten 1216 Frauen in das KZ-Außenlager Sömmerda verschleppt.

Je nach Genesungsfortschritt wurden die in den Gelsenkirchener Krankenhäusern verbliebenen Frauen dann ebenfalls nach Sömmerda gebracht. Einige der halbwegs Gesundeten wurden von der Gestapo aus den Krankenhäusern geholt und an unbekannten Orten in Gelsenkirchen erschossen. Dem Chefarzt Dr. Rudolf Bertram gelang es mit Hilfe von Krankenschwestern und Unterstützern, 17 Frauen dem Zugriff durch die Gestapo zu entziehen. Diese Frauen erlebten ihre Befreiung durch US-Truppen Anfang April 1945 im Rotthauser Krankenhaus. In einem Fragebogen der CHC (Central Historical Comission of the Central Comitee of Liberated Jews) wurde von der Stadt Gelsenkirchen mit Datum vom 31. Dezember 1946 die Zahl der Todesopfer unter den weiblichen KZ-Häftlingen, die bei dem Bombenangriff im September 1944 starben, mit 250 angegeben. Mehr dazu: Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald in Gelsenkirchen-Horst (aj)

Am 23. November zählte man 26 Tote. Den heftigsten Angriff auf den Horster Süden brachte der 28. Februar 1945. Er machte fast alle Bewohner dieses Stadtteils obdachlos. Die Straßenzüge waren in Trümmerwälle verwandelt und vom Erdboden verschwunden, die beiden Kirchen und die Vereinsheime völlig zerstört. An vielen Stellen war auch die Kanalisation getroffen worden, so daß die Abwässer in die Trümmerlandschaft flössen. Dieses brennende Horstermark war ein einmaliges Bild des Grauens.Die wenigen Menschen, die diesen Angriff überlebt haben oder jene, die wenige Tage später durch den Horster Süden über die Trümmer auf den Straßen kletterten, werden dieses Inferno nie vergessen.

Dabei war die Front im Westen bereits von Wesel bis Köln an den Rhein und auch schon darüber vorgestoßen. In Horst wurde am Abend des 28. März auf Befehl der örtlichen Parteileitung - welche irrsinnige Tat! - die Kanal- und Emscherbrücke gesprengt. Von Grafenwald und Bottrop kommend, rückte am 30. März die erste Panzerspitze der amerikanischen Truppen ins zerstörte Horst ein, der bald größere Verbände folgten, die Horst besetzten. Infolge Sprengung der Kanal- und Emscherbrücke bestand jetzt keine Verbindung mehr mit der Gelsenkirchener Verwaltung. So übertrug der amerikanische Kommandant dem Bürodirektor Kölling die vorläufige kommunale Leitung des Stadtteils Horst. Als Ende April mit Hilfe einer Fähre über den Kanal und eines Notstiegs über die Emscher eine Verbindung mit Alt-Gelsenkirchen wiederhergestellt war, wurde die Verwaltung von dort wieder zentral geführt. Doch noch gab es keine Telefon- und Postverbindung, es fuhr kein Zug und keine Straßenbahn. Nur an der Tatsache, daß nun abends nicht mehr verdunkelt wurde, merkte man, daß der Krieg zu Ende war.

Die Verdunklungsvorschriften waren am 9. Mai 1945 aufgehoben worden. Horst war ein einziges großes Trümmerfeld. Von den drei Gelsenkirchener Stadtteilen war es am meisten zerstört. Von seinen drei Kirchen konnten zwei nicht wieder aufgebaut werden, die evangelische und katholische Kirche in Horst-Süd. Die katholische Kirche in Horst-Süd war so schwer beschädigt, daß sie erst 1948 wiederaufgebaut war. Von acht Volksschulen waren fünf dem Erdboden gleichgemacht. Sie wurden nicht wiederaufgebaut. So fehlten am 1. April in Horst 121 Klassenräume, im Jahre 1949 noch 80. Die Zeche Nordstern konnte erst nach übermenschlichen Leistungen zu ihrer Instandsetzung im November 1945 die Arbeit wiederaufnehmen. Dabei benötigte man vor allem Kohle. Das Benzinwerk Gelsenberg, dem die Mehrzahl der Angriffe gegolten hatte, litt nicht nur unter seinen Bombenschäden. Es verrottete zunächst noch weiter unter einer drohenden Demontage. Interessant mag in diesem Zusammenhang der Schadensgrad an den Gebäuden in Gelsenkirchen sein. Von ihnen waren bei Kriegsende zerstört: 44,3% in Alt-Gelsenkirchen 23,4% in Buer und 54,1% in Horst.

Zurück von der Hamsterfahrt

Im Herbst 1939 war von den Nazis die Ernährungszwangswirtschaft die Lebensmittelrationalisierung eingeführt worden. In der Hippolytusschule hatte man eine Nebenstelle des Gelsenkirchener Ernährungsamtes eingerichtet. Dort wurden die Lebensmittelkarten und Scheine ausgegeben. Die allgemeine Versorgung ging so zwar knapp, jedoch verhältnismäßig reibungslos vonstatten. Das änderte sich zum Ende des Krieges, da die Beschaffungs- und Transportschwierigkeiten immer größer wurden. Mit dem Einmarsch der Alliierten und den letzten wahnsinnigen Zerstörungen der Transportwege und mit einer hermetischen Abschnürung des gesamten Ruhrgebietes kam die Lebensmittelversorgung völlig zum Erliegen. Die tägliche Kalorienzahl, welche in etwa Mengen und Wert der erhältlichen Nahrungsmittel amtlich zum Ausdruck brachten, sank von 1.513 Kalorien im Oktober 1944 auf 948 im Mai und schließlich 892 im Juni 1945 ab. So waren die Jahre 45 bis 48 ausgesprochene Hungerjahre in Horst, schlimmer noch als an den anderen Orten im Revier. Die Worte Kartoffelschnitzel, Maismehl, Büchsenfleisch, Hamsterware und Eigenheimer kennzeichnen diese Zeit. Wer sie überstand, wird sie wohl nicht vergessen.

Doch der Lage zum Trotz kamen immer mehr Menschen zurück nach Horst und immer größer wurden hier die Schwierigkeiten. Sie erreichten ihren Höhepunkt, als vornehmlich über den Horster Süden noch die größte Überschwemmungskatastrophe hereinbrach, die man in der Gemeinde jemals erlebt hatte. Am 9. Februar 1946 zerbarst auf Karnaper Gebiet der Emscherdamm.

Quelle: Joseph Büscher, 1982
Bild KLV und Hamsterfahrt: Stadtarchiv Gelsenkirchen
Bilder Tagesangriff: Links Stadtarchiv Gelsenkirchen, Rechts: Crown Copyright 1944/MOD (Ministry of Defense, UK)
Hintergrundgrafik: 303rd Bomb Group (H) Molesworth, UK

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Andreas Jordan, April 2008

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