Lynchjustiz durch die Gelsenkirchener Bevölkerung in Buer - Resse
Morde an abgestürzten bzw. abgeschossenen Fliegern und Besatzungen alliierter Bomber war in Nazi-Deutschland in den letzten beiden Kriegsjahren weit verbreitet, im Ruhrgebiet häuften sich die Fälle im Oktober 1944 und Februar/März 1945. Exemplarisch sei hier die Tötung von F/L Norman Coatner Cowley in Gelsenkirchen genannt, die Indentität des Piloten konnte erst viele Jahrzehnte nach dem Prozess gegen die an der Tötung Beteiligten geklärt werden:
Am 27. Februar 1945 stürzte gegen 14:30 Uhr über Gelsenkirchen ein englischer Lancaster-Bomber ab. Laut der Aussage von Heinrich Langer "(...) auf dem Zechengelände der Zeche Ewald 3/4 Buer Resse, Nord-Östlich der Bahngleise, nahe bei den beiden Wasserkühlern. (...)." Der Pilot, der mit dem Fallschirm abgesprungen war, wurde festgenommen und sollte dem Fliegerhorst Buer zugeführt werden. (Laut der Aussage von Albert Meier soll es sich bei dem Festgenommenen um den Piloten gehandelt haben) Es wurde ganz im Sinne des so genannten "Fliegerbefehls" Albert Hoffmanns befohlen, den Engländer nicht mit dem Auto, sondern zu Fuß zum Fliegerhorst Buer zu bringen, damit "er dort nicht lebend ankommt". So wurde Cowley durch die Strassen Richtung Fliegerhorst Buer geprügelt. Der englische Flieger starb kurz darauf an den Folgen der schweren Misshandlungen.
Angehörige gesucht
9.7.2018: Wir suchen nun nach Angehörigen des damals 22jährigen Flight Lieutenant (F/L) Norman Coatner Cowley, Royal Air Force (RAF), 186 Squadron. Cowley stammt aus Boston (Lincolnshire) an der Ostküste Englands, denn schon bald soll in Gelsenkirchen ein Stolperstein an Norman Coatner Cowley erinnern. Info: a.jordan(ätt)gelsenzentrum.de
2018, 9th July: Can someone please help us to find descendants of F/L N.C. Cowley?
During the last two years of World War II lynch law practised by NS officials or some individual
„Volksgenossen“ (fellow citizens following the Nazi regime) against shot-down or crashed allied pilots was quite common in Nazi-Germany, also in Gelsenkirchen. Shortly before the end of World War II a pilot having survived the shooting down of his aircraft above the city of Gelsenkirchen, became a victim of lethal battering by NS henchmen.
On 27th February, 1945 against 2.30 h p.m. a British Lancaster bomberpilot got under heavy Flak fire and was finally shot down. According to Heinrich Langer who witnessed the scene on the premises of the coal pit EWALD 3/4 in Gelsenkir- chen-Buer-Resse, north-easterly of the traintracks adjacent to the two water coolers gave evidence in 1946:“ The pilot who parachuted down was seized and was supposed to be delivered to the airbase of Buer. According to the witness Albert Meier it was the pilot himself who got caught. Strictly according to the command („Fliegerbefehl“) of Albert Hoffmann it was ordered NOT to take the arrestee to the airbase by car but he should walk on foot „so that he will not arrive there alive“. So the airman was chased and beaten through the streets in the direction of the airbase, and succumbed to his injuries shortly after.
Looking for next of Kin/Relatives
It took many decades following the process to find the final proof of identity of the victim: Mr. Flight Lieutenant (F/L) NORMAN COATNER COWLEY, member of the Royal Air Force (RAF), 186 Squadron. Cowley originates from Boston (Lincolnshire) at the East coast of England. Now we are seeking relatives, as in due course a so-called „Stolperstein“ (stone of remembrance) will be installed in Gelsenkirchen (Germany) in memory of Norman Coatner Cowley. Info: a.jordan(ätt)gelsenzentrum.de
(Translation: Claudia Thul)
|
Abb.: Rundschreiben von Martin Bormann
Nach einem geheimen Erlass der Reichsminister des Inneren und der Justiz vom 7. Mai 1943 wurden Sterbefälle von abgeschossenen ausländischen Fliegern standesamtlich nicht beurkundet. Anweisung des südwestfälischen Gauleiters und Reichsverteidigungskommissars Albert Hoffmann vom 25. Februar 1945:
(...) "Sämtliche Jabo-Piloten, die abgeschossen werden, sind grundsätzlich der Volksempörung nicht zu entziehen." (...). Das hieß nichts anderes, als das die Besatzungen im Falle eines Absturzes der "Rache" der "Volksgemeinschaft" ausgesetzt waren und mündete in den allermeisten Fällen im staatlich legitimierten Mord an den überlebenden Piloten und Besatzungsmitgliedern der abgestürzten bzw. notgelandeten alliierten Bomber.
|
Der Fall Buer-Resse: Ermittlungs- und Strafprozess
1946 wurde nach einem Hinweis von Josef Pilgram aus Gelsenkirchen von Seiten der englischen Mili- tärgerichtsbarkeit ein Verfahren wegen Mordes eingeleitet. So konnten Beteiligte ermittelt werden, zwei der Haupttäter wurden des Mordes angeklagt. Im nachfolgenden Prozess konnte den Beschuldigten der Mord nicht nachgewiesen werden, so wurden lediglich die Haupttäter Engel und Siebert zu jeweils sechs Monaten Gefängnis verurteilt.
Auflistung der Zeugen
Auszüge aus den Aussagen von Zeugen und Beteiligten
Aussage Heinrich Langer:
Aussage Albert Meier, 1. u. 2. Teil:
Aussage Overrath, Hanna-Josefine; geborene Otto:
Abb.: Res.-Lazarett Gelsenkirchen-Buer (Marienhospital)
Auszug aus der Aussage der Overrath, Hanna-Josefine; geborene Otto: (...) "Ich interssierte mich für das Schicksal des Fliegers und habe erfahren, von einer Pflegerin des Marienhospitals in Buer, dass er dort angeblich an Nierenbluten gestorben sein soll. Diese Pflegerin ist mir nicht per Namen bekannt, jedoch kenne ich sie dem Ansehen nach. Weiter ist mir von diesem Vorfall nichts bekannt." (...)
|
Aussage Hugo Ernst Ludwig Angenendt:
Quelle: WO 309 Case 96. Report by War Crimes Investigation Unit BAOR Buer-Resse, Ermittlungsakte, National War Archive, UK.
Mord verjährt nicht
Im Zweiten Weltkrieg gab es in Deutschland weit mehr Lynchmorde an alliierten Fliegern als bisher bekannt. Täter waren zumeist nicht "empörte Bombenopfer" wie die NS-Propaganda glauben machen wollte, sondern NS-Funktionsträger wie NSDAP-Kreisleiter, SA und Angehörige von Gestapo und Kripo. In vereinzelten Fällen wurden die Morde von Soldaten der Wehrmacht verübt. Die örtliche Bevölkerung war bei einer Reihe von Fliegermorden ebenfalls beteiligt.
"Noch im Sinkflug feuerte der von deutscher Flak getroffene Jagdbomber der U. S. Air Force aus allen Rohren. Auf dem Fuhrwerk des Schustermeisters Dominikus Thomas sank dessen fünfjähriges Enkelkind tot zusammen. Von Sinnen zerrte der Großvater kurz darauf den Piloten aus der notgelandeten Maschine und erschlug ihn mit einer Hacke. Nach Kriegsende stellten die Amerikaner Thomas vor Gericht; am 12. Januar 1946 starb er am Galgen."
Bis heute kursiert diese dramatische Begebenheit aus der Endphase des Zweiten Weltkriegs im badischen Bruchsal. Doch der Fall trug sich völlig anders zu, als er sich im kollektiven Gedächtnis festgesetzt hat: Der Schuster erschlug den Mörder seines Enkelkindes nicht im Affekt, sondern erschoss den 28-jährigen Piloten Charles Hollerbeck auf Geheiß eines Gendarmen hinterrücks in einer Kiesgrube - so erinnert sich jedenfalls Fritz Vincken, der damals als Zwölfjähriger zufällig Zeuge der Exekution wurde. Vincken, der heute auf Hawaii lebt, hat sich auch die angeblich aus dem Washingtoner Nationalarchiv verschwundene Prozessakte besorgt; sie enthält das eigenhändig unterzeichnete Geständnis von Thomas.
Vielerorts haben die Deutschen ein finsteres Kapitel aus der Endphase des Zweiten Weltkriegs verdrängt oder wie in Bruchsal einfach geschönt. Immer noch hält sich hartnäckig die Legende, lediglich in Einzelfällen hätten "empörte Opfer der Luftangriffe" Selbstjustiz geübt.
Tatsächlich, so haben Historiker und Heimatforscher herausgefunden, wurden vermutlich Hunderte von wehrlosen kriegsgefangenen Fliegern auf Befehl der Nazis systematisch massakriert. Über 160 erschossene, erschlagene oder gehenkte Piloten und Besatzungsmitglieder allein in den letzten 15 Monaten des Krieges haben die Schwerter Lokalhistoriker Wilhelm Wachholz und Gerd Viebahn dokumentiert. Zu den für Deutschland belegten Fällen kommen mindestens 33 weitere mit wenigstens 48 Opfern in den von der Wehrmacht besetzten Gebieten. Der Archivar Thomas Adam vom Stadtarchiv Bruchsal hält sogar "deutlich über 500 Fälle" für belegt. Bisher gingen Fachleute von nur gut 100 Fällen aus.
Je länger der Krieg dauerte, desto entfesselter reagierten die Volksgenossen an der Heimatfront. Der "blutigste Monat" war der März 1945, in den nach Schätzung Adams bis zu 30 Prozent aller Flieger-Lynchmorde fielen. Doch schon Anfang August 1944 wurden etwa auf Borkum 7 amerikanische Flieger abgeschlachtet; in Mecklenburg Ende Juni 1944 sogar 15 Überlebende zweier bei Waren/Müritz und Fürstenberg/Havel abgestürzter Bomber.
Auf Grund von Unterlagen aus dem britischen Public Record Office hält Wachholz bisher unaufgeklärte Fälle von Lynchjustiz an feindlichen Fliegern in über 30 deutschen Städten und Gemeinden für wahrscheinlich - dort leben womöglich heute noch unerkannte Mörder.
Es war die NS-Führung, die, wie der Berliner Historiker Jens-Wolfgang Kleist formuliert, ab Ende Mai 1944 ein "systematisch betriebenes Mordprogramm" für gefangene Flieger auflegte. Der "Volkszorn" diente meist nur als Vorwand; das von den Nazis selbst 1934 ratifizierte Genfer Kriegsgefangenen-Abkommen - dessen Artikel 2 Vergeltungsmaßnahmen verbietet - wurde gezielt gebrochen.
Schon 1940, lange vor Beginn des alliierten "Luftterrors", hatte Führer-Stellvertreter Rudolf Heß gefordert, Feindflieger müssten notfalls "unschädlich gemacht" werden. Hitler selbst ließ mit Beginn der großen alliierten Luftoffensive am 21. Mai 1944 alle Hemmungen fallen. Eine "Führer-Weisung" vom gleichen Tag befahl, in bestimmten Fällen "abgeschossene feindliche Flieger ohne Standgericht zu erschießen"; in einen Leitartikel seines Propagandaministers zum "Luftterror" diktierte Hitler tags darauf einen Passus, wonach, notierte Goebbels, "die deutsche Reichsregierung Erwägungen anstelle, diese Piloten nicht mehr vor der Wut des Volkes zu beschützen". Es sei "zu viel von uns verlangt, wenn man von uns forderte, dass wir deutsche Soldaten zum Schutz für Kindermörder einsetzen", verkündete Hitlers Sprachrohr daraufhin im Reichsfunk. Spätestens jetzt wussten alle, was zu tun war. NSDAP-Reichsleiter Martin Bormann ließ die Gau- und Kreisleiter in einem geheimen Rundschreiben (Nr. 125/44) vom 30. Mai wissen, dass in Fällen von Lynchjustiz an alliierten Fliegern von "polizeilicher und strafrechtlicher Verfolgung der dabei beteiligten Volksgenossen abgesehen wurde"; Justizminister Otto Thierack ordnete an, dies auch künftig so zu halten. "Es wird sicherlich sehr bald in Deutschland das große Pilotenjagen einsetzen", notierte Goebbels zufrieden.
Am Tag der alliierten Invasion in der Normandie vereinbarten Hermann Göring, Joachim von Ribbentrop sowie Heinrich Himmler und dessen Adlatus Ernst Kaltenbrunner, Chef des Reichssicherheitshauptamts, im österreichischen Kleßheim, dass für feindliche Flieger "Lynchjustiz als die Regel zu gelten habe". Kaltenbrunner erklärte sich bereit, die "Übergabe an den SD zur Sonderbehandlung" sicherzustellen.
Die Wehrmacht mochte nicht nachstehen: In einem Geheimbefehl untersagte das Oberkommando Soldaten, sich gegen die Bevölkerung zu stellen, wenn die "in berechtigter Empörung über anglo-amerikanische Terrorflieger zur Selbsthilfe" greife. Schon zuvor hatte SS-Chef Himmler dekretiert, Deutsche, "die sich aus böser Absicht oder falsch verstandenem Mitleid gegenüber gefangenen Fliegern würdelos verhalten", mit "Einweisung in ein Konzentrationslager", zumindest aber mit "Schutzhaft nicht unter 14 Tagen" zu bestrafen - ihm war zu Ohren gekommen, dass mancherorts gefangene Piloten von der Zivilbevölkerung freundlich behandelt würden.
Stele in Schloßvippach zum Gedenken an den ermordeten
kanadischen Flieger Thomas M. Draper.
Zu den Lynchmorden kam es denn auch "weit weniger durch betroffene Zivilisten", hat Wachholz festgestellt, die meisten Täter stammten aus den Reihen der Gestapo, des Sicherheitsdienstes, der SS, SA, Polizei oder Wehrmacht. Wo es sich um Zivilisten handelte, waren es fast immer fanatische Nazi-Funktionäre. Im bayerischen Attenkirchen etwa erschlug der stellvertretende NSDAP-Kreisleiter von Freising einen gefangenen US-Piloten in dessen Arrestzelle mit einem Hammer, während sein Chef vor dem Fenster den Motor auf hohen Touren laufen ließ. Einen zweiten alliierten Flieger hatte er kurz zuvor im Wald erschossen. Bei Weimar streckte der Landrat des Kreises am 8. März 1944 ohne zu zögern den mit dem Fallschirm aus seiner brennenden Lancaster abgesprungenen Briten Appleyard nieder. Im Nachbarort erschoss er aus seinem Auto heraus kurz darauf Appleyards kanadischen Crew-Kameraden Thomas M. Draper.
|
Über 150 Deutsche wurden nach 1945 von den Alliierten wegen der Fliegermorde vor Gericht gestellt und hingerichtet. Die weitaus größere Zahl der Verbrechen blieb jedoch ungesühnt oder gar unentdeckt. Wachholz: "Mancher alliierte Flieger, der offiziell beim Absturz seiner Maschine oder beim Absprung tödlich verletzt worden sein soll, ist womöglich von fanatisierten Männern umgebracht worden."
Wie R. S. Howe, ein weiteres Besatzungsmitglied der über Weimar abgeschossenen Lancaster. Der Engländer, der einige Tage von mitleidigen Bürgern gepflegt worden war, bekam Besuch von einem SS-Arzt aus dem nahen KZ Buchenwald. Der, so Augenzeugen, verpasste ihm eine Injektion und ließ ihn mit der Diagnose Lungenentzündung in ein Krankenhaus bringen. Wenig später war auch Howe tot.
Bis heute sorgen die lang verschwiegenen Mordtaten in deutschen Gemeinden für Unruhe. In Bruchsal wurde im vergangenen Sommer ein Skelett gefunden; Gerüchte wollten von einem 1945 in der Nähe erschlagenen US-Piloten wissen. Da Mord nicht verjährt, nahm die Kriminalpolizei Ermittlungen auf; die U. S. Army rückte mit einem neunköpfigen Team an, um den Toten zu identifizieren. Doch die Knochen gehörten keinem Flieger - sie waren schon 800 bis 1000 Jahre alt.
Vgl. Hans Michael Kloth, 19. November 2001; Erstveröffentlichung in DER SPIEGEL 47 / 2001. (Willi Wachholz, geboren am 6. Januar 1933 in Westhofen, starb am 28. Juni 2013 in Berlin-Zehlendorf)
Tödliche Jagd - Fliegerlynchmorde in Rüsselsheim
Nach einem alliierten Luftangriff fielen Rüsselsheimer Bürger 1944 über kriegsgefangene US-Piloten her. Sechs Männer starben. Ein Überlebender kommt nun zurück. Sidney Eugene Brown aus Florida ist bisher nur einmal in Rüsselsheim gewesen, am 26. August 1944, und er wird diesen Samstag nie vergessen.
Der amerikanische Bomberpilot, von den Deutschen abgeschossen, marschierte zusammen mit sieben Kameraden unter Bewachung zweier Wehrmachtssoldaten durch die Opelstadt. In der Nacht zuvor hatte die britische Royal Air Force mit 400 000 Brandbomben dort einen mörde- rischen Feuersturm entfacht, mindestens 198 Menschen waren dabei umgekommen. Eine aufgebrachte Menge entdeckte den kleinen Trupp feindlicher Piloten und erschlug sechs von ihnen. Nur Brown und sein Kumpel William Adams konnten entkommen.
Im April bekam Brown, 76, eine Einladung, an die Stätte dieser grausamen Erinnerungen zurückzukehren. Rüsselsheim wollte nach langem Schweigen über den Lynchmord offiziell des Verbrechens gedenken. Am kommenden Wochenende wird der ehemalige Pilot an der Veranstaltung unter dem Motto "Erinnerung, Versöhnung" teilnehmen, den Bürgern für Fragen zur Verfügung stehen und mit ihnen in der Kirche beten. Nur einen Moment hatte Brown gezögert, ob er wirklich kommen und vielleicht einigen Leuten begegnen sollte, die ihm 1944 nach dem Leben getrachtet hatten.
Es war damals der erste Einsatz des 19-jährigen Schulabgängers. Um 2.20 Uhr waren die Flieger im englischen Stützpunkt North Pickenham geweckt worden. Der B-24-Bomber mit dem aufgemalten Witzkaninchen und dem Schriftzug "Wham! Bam! Thank you Ma''am!" stieß an der Südküste Englands zu den anderen fast 2100 Flugzeugen, die an diesem Tag ihre tödliche Fracht über Weimar, Leipzig oder Hannover abwerfen sollten - der größte Formationsflug des Zweiten Weltkriegs. Bei Osnabrück wurde Browns Flugzeug abgeschossen, die Besatzung rettete sich mit Fallschirmen und wurde gefangen genommen.
Sie waren trainiert, bei Verhören wenig preiszugeben. Sie wussten jedoch nicht, dass in Deutschland Lynchstimmung wegen des alliierten Bombenterrors herrschte. Im Mai 1944 hatte Propagandaminister Joseph Goebbels gegen die Piloten gehetzt, es sei "zu viel von uns verlangt, wenn man von uns forderte, dass wir deutsche Soldaten zum Schutz für Kindermörder einsetzen". Über 100 Fälle von Lynchjustiz hat es nach Schätzung des Berliner Historikers Jörg Friedrich während des Zweiten Weltkriegs gegeben. Die Besatzung der abgeschossenen B-24 sollte mit dem Zug in das Verhörzentrum in Oberursel bei Frankfurt gebracht werden. Bei jedem Halt bespuckten Passanten die Männer oder drohten mit Fäusten. In Rüsselsheim ging es nicht weiter. Der Angriff auf die Stadt hatte auch die Bahngleise zerstört; die Gefangenen mussten durch das Zentrum laufen, um im Osten die unzerstörten Schienen zu erreichen. Der Weg führte direkt in den Tod.
Es roch noch nach verbranntem Fleisch, als Brown in die volle Mainzer Straße einbog. Die Menschen kehrten gerade aus den Bunkern in ihre Wohnungen zurück oder suchten eine neue Unterkunft. Nach Recherchen des amerikanischen Wissenschaftlers August Nigro schrie zuerst die 38-jährige Käthe R.: "Da sind die Terrorflieger! Schlagt sie tot, sie haben unsere Wohnung zerstört." Dann nahm sie ein Stück Dachschiefer und warf es dem Piloten an den Kopf. NSDAP-Ortsgruppenleiter Josef Hartgen zog seine Pistole Kaliber 6,35 mm und schoss in die Luft. Die letzte Hemmschwelle fiel.
Ob einige Dutzend oder gar Hunderte Rüsselsheimer sich an der tödlichen Jagd beteiligten, wurde nie endgültig geklärt. Mit Knüppeln, Metallstangen, Steinen, Dachziegeln aus den Schutthaufen der zerbombten Häuser schlugen die Menschen auf die Soldaten ein. Als der Schullehrer Christoph Keil dazwischengehen wollte, schrie ihn der Eisenbahner Johann O. an: "Mach dich fort, sonst bekommst du es auch noch!"
An der Ecke Taunus-/Grabenstraße zerrte der Mob den verletzten William Dumont von der Schulter von Adams, der Dumont getragen hatte, und schlug dem Verwundeten den Schädel ein. Nach einigen hundert Metern stellten die Mörder auch ihre anderen Opfer; als sich keiner mehr regte, feuerte Hartgen auf die Köpfe der Männer.
Brown bekam eine Flasche auf den Kopf und stellte sich tot, Adams war ohnmächtig. Als Einwohner sie und die anderen zum Friedhof gekarrt hatten, gab es neuen Luftalarm. Brown und Adams nutzten die Gelegenheit, verbanden notdürftig ihre Wunden und kletterten über die Friedhofsmauer. Vier Tage konnten sie sich verstecken. "Wir wollten in die Schweiz fliehen", so Brown. Am Rhein wurden sie gefasst und für den Rest des Krieges als Kriegsgefangene interniert.
Im Juli 1945 stellten die Amerikaner in einem der ersten Kriegsverbrecherprozesse einige Rüsselsheimer Lynchmörder vor ein Militärgericht - sieben wurden zum Tode und drei weitere zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Brown erfuhr davon erst, als er längst wieder in den USA war. Gegen Deutschland und die Deutschen hatte er nie Hassgefühle, sagt er heute. Seine Familie fuhr Volkswagen. "Das hätten wir nie gemacht, wenn wir die Deutschen verabscheuen würden."
Vgl. Klaus Wiegrefe. Erstveröffentlichung in DER SPIEGEL 34/2001 vom 20.08.2001.
Andreas Jordan, September 2009. Überarbeitet und ergänzt März 2019 | ↑ Seitenanfang |
|