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Der Zug der Erinnerung in Gelsenkirchen

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Die Eröffnung der Ausstellung im "Zug der Erinnerung" am 17. Februar 2008 in Gelsenkirchen

Eröffnung der Ausstellung

Unter den Klängen von Klezmer-Musik, von Nobert Labatzki auf der Klarinette vorgetragen, wurde die Austellung im "Zug der Erinnerung" in Gelsenkirchen heute morgen eröffnet. Schon vor Ankunft des Zuges versammelten sich die zahlreichen Besucher auf dem Bahnsteig. Andreas Jordan begrüßte die Initiatoren und Mitarbeiter des Zuges und die Besucher. Herr Minow vom "Zug der Erinnerung" machte in seiner Rede deutlich, daß eben nicht genug getan worden ist, so wie es der Vertreter der Stadtverwaltung, Bürgermeister Hermanndung, in seiner "Ansprache" formulierte.

Worte zur Eröffnung von Andreas Jordan

"Meine Damen und Herren, mein Name ist Andreas Jordan, ich vertrete GELSENZENTRUM – ein privates Internetportal für Stadt- und Zeitgeschichte in Gelsenkirchen. Den Initiatoren und Mitarbeitern des "Zuges der Erinnerung" – ein herzliches Willkommen in Gelsenkirchen! Ich freue mich sehr, Sie alle heute Morgen hier auf dem Gelsenkirchener Hauptbahnhof begrüßen zu dürfen. Im Rahmen meiner Arbeit habe ich Überlebende des Holocaust kennen gelernt. Menschen, die als Kinder von den Nationalsozialisten aus ihrer Heimatstadt Gelsenkirchen mit der Reichsbahn in die Vernichtungslager deportiert wurden. Menschen, die diese schreckliche Zeit überlebt haben. Einer von diesen Menschen ist Herman Neudorf.

Herman Neudorf wurde am 3. Juni 1925 in Gelsenkirchen geboren und lebt heute in den USA. Herr Neudorf hat für die Eröffnung am heutigen Tage ein Geleitwort übermittelt: Lieber Andreas, Ich will sofort antworten und hier sind meine Gedanken zum "Zug der Erinnerung":

"Am 28 Oktober l938 kam ein Polizist in meine Schule, das Realgymnasium Horst - und brachte mich in das Gefängnis in Horst. Ich war gerade 13 Jahre alt. Von diesem Tag an war meine Jugend zu Ende!! Von dort schleppte man mich nach Polen und dann Riga, in das K.Z. Stutthof und nach Buchenwald wo ich dann 1945 befreit wurde. Vergeben muss man - aber vergessen ist unmöglich. Darum wünsche ich dem "Zug der Erinnerung" großen Erfolg und danke Allen, die unser Schicksal wach halten". soweit Herman Neudorf. Meine Damen und Herren, Ich danke Ihnen und übergebe Herrn Minow das Wort."

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Ansprache von Hans Rüdiger Minow, Vorstandssprecher vom Verein "Zug der Erinnerung" e.V.:

"Lieber Herr Jordan, sehr geehrter Herr Bürgermeister.

Werter Herman Neudorf in den USA, Ihnen, den Opfern, hat man in Gelsenkirchen Fürchterliches angetan - denen, die überlebten und denen, die nach der Befreiung verschollen blieben. Sie kehrten nicht zurück. Dazu gehören in Gelsenkirchen über 90 Kinder und Jugendliche. Das Verbrechen an diesen heranwachsenden Menschen zu vergessen, ist unmöglich.

Wir sind hier, um ihr Andenken zu ehren. Es schmerzt, dass die Mörder in der Nachkriegszeit frei herumliefen und sich in Gelsenkirchen, wie anderswo, der Sühne entzogen. Diese Täter haben es jahrzehntelang zu verhindern verstanden, dass an die Deportierten angemessen erinnert wird. Sie haben die Taten geleugnet und ihre Verantwortung in Abrede gestellt. Ihr Schweigen, in Gelsenkirchen wie anderswo, verhöhnte die Opfer ein weiteres Mal. Das Schweigen grenzte die Überlebenden aus, die Anspruch auf Zuwendung gehabt hätten. Dasselbe Schweigen nahm uns, den Söhnen, Enkeln und Urenkeln der Täter, die Möglichkeit zu trauern.

Die gesamte Nachkriegsgeschichte durchzieht in Gelsenkirchen, wie anderswo, das Fortwirken der Täter. Wir müssen diese Tatsache aussprechen, damit nicht neue Lügen die Runde machen, Lügen und Rechtfertigungen, wonach man doch früh, dauerhaft und intensiv alles getan habe, um sich den NS-Verbrechen zu stellen. Von solchen Rechtfertigungen ist es nur ein kleiner Schritt zum politischen Überdruss: "Genug, wir haben genug getan."

Das Gegenteil ist wahr: Wir haben nicht genug getan, wir haben uns weder früh noch dauerhaft und schon gar nicht intensiv der Opfer angenommen. Dies zeigt der ungeheure Zuspruch, den der "Zug der Erinnerung" erfährt, weil dort Trauer, Schmerz und Scham für Zehntausende nach so vielen Jahren einen Platz finden.Der "Zug der Erinnerung" fährt durch Deutschland, obwohl man ihn finanziell behindert.

Er kommt auch dorthin, wo man ihn nicht eingeladen hat. Der "Zug der Erinnerung" ist in Gelsenkirchen der über 90 Kinder und Jugendlichen wegen, die aus Ihrer Stadt stammen und die man in den Tod hat ziehen lassen. Werter Herman Neudorf in den USA, das Leid, das man Ihnen in Gelsenkirchen und Deutschland antat, als Sie l3 Jahre alt waren, das Leid, das nach Riga, in das KZ Stutthof und dann nach Buchenwald führte, ist unvergessen. Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde, die Ausstellung im "Zug der Erinnerung" ist eröffnet".

Einfahrt des Zuges in den Gelsenkirchener Hauptbahnhof

Video von der Eröffnung der fahrenden Ausstellung "Zuges der Erinnerung" im Gelsenkirchener Hauptbahnhof. Zum Starten des Films Klicken Sie unten links auf den Startbutton.


TV-Bericht vom Zug der Erinnerung in Gelsenkirchen

Medienbericht "Zug der Erinnerung" in Gelsenkirchen:

Die WAZ Gelsenkirchen veröffentlichte am 18. Februar 2008 einen Artikel zum Aufenthalt des "Zug der Erinnerung" im Gelsenkirchener Hauptbahnhof unter dem Titel "97 Leben abtransportiert". In dem Artikel wird auch vom seltsamen Gebaren der Stadtverwaltung im Zusammenhang mit der fahrenden Ausstellung "Zug der Erinnerung" berichtet.

→ 97 Leben abtransportiert

Pressemitteilung "Zug der Erinnerung" Die Linke 2008

Pressemitteilung zur Behandlung unseres Antrags zur finanziellen Unterstützung des "Zugs der Erinnerung" durch die Stadt Gelsenkirchen

Die Ausstellung "Zug der Erinnerung" will mit dieser Aktion daran erinnern, dass die Ermordung der Juden, der Sinti und Roma ohne den organisatorischen Anteil der Deutschen Reichsbahn kaum möglich gewesen wäre. Deren Rechtsnachfolgerin, die Deutsche Bahn AG, verweigert sich der Mitwirkung an dieser Sühneaktion und stellt für die Benutzung von Geleisen Gebühren in Rechnung. Wir hatten den Antrag zur finanziellen Unterstützung der Initiative "Zug der Erinnerung" in der optimistischen Einschätzung gestellt, dass dabei parteiegoistische Taktiererei ausgeschlossen sein müsse und das Anliegen breite Unterstützung finden würde – um so mehr als der Oberbürgermeister die Schirmherrschaft für die Initiative in Gelsenkirchen übernommen hatte. Wir gingen und gehen davon aus, dass der Betrag von 2.000,00 €, den der Verein aus o. a. Gründen benötigt, von der Stadt übernommen werden könnte, ja müsste. Denn sowohl der OB als auch die offizielle Stadtpolitik brüsten sich geradezu ihres antifaschistischen Eifers.

Diese optimistische Erwartung wurde leider nicht erfüllt. Die etablierten Parteien im Rat nutzten die Behandlung unseres Antrags lediglich, um der Öffentlichkeit weiszumachen, dass sie weitgehende ideelle Unterstützung geleistet hätten. Dabei übersehen die Verantwortlichen allerdings, dass sie mit ihre Weigerung zur finanziellen Unterstützung die Aktion in Gelsenkirchen zum Teil desavouieren – weil sie ihr eben nicht die volle Unterstützung zukommen lassen.

Quelle: Die Linke Ratsfraktion Gelsenkirchen. Pressemitteilung Zug der Erinnerung, 2008.

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"Zug der Erinnerung" in Gelsenkirchen

Jennifer Fischer, 8b der Gerhard-Hauptmann-Realschule, führte im Rahmen des Zeus-Projektes der WAZ ein Interview mit Andreas Jordan. "ZEUS - Zeitung und Schule" heißt das medienpädagogische Projekt, das die Journalistenschule Ruhr (JSR) zusammen mit der WAZ-Mediengruppe seit inzwischen zehn Jahren durchführt. Ziel ist es, bei Jugendlichen die Lust am Zeitunglesen zu wecken und sie dafür zu begeistern, selber Artikel zu schreiben. Das Interview findet sich auch in der März-Ausgabe der Schüler-Zeitung "GRAFFITI" , die WAZ Gelsenkirchen veröffentlichte das Interview in ihrer Ausgabe vom 30. Mai 2008.

Am 8. November startete der "Zug der Erinnerung" in Frankfurt/Main zur Fahrt durch Deutschland. Bis heute befährt er Routen, auf denen während des Zweiten Weltkriegs Kinder zur Ermordung in Vernichtungslager deportiert wurden. Auch Gelsenkirchen war eine Station. ZEUS-Reporterin Jennifer Fischer interviewte für die Schülerzeitung "GRAFFITI" Andreas Jordan vom Verein GELSENZENTRUM, der die Station in Gelsenkirchen mitorganisierte.

GRAFFITI: Wie waren die Reaktionen auf den Zug der Erinnerung insgesamt?

Jordan: Seit Start des Zuges haben die Zugbegleiter mehr als 225 000 Besucher und Besucherinnen gezählt - ein enormer Zuspruch, den die Initiatoren nie erwartet haben. In Berlin kamen am ersten Tag des Zugaufenthalts über 10 000 Menschen in den Ostbahnhof. Zur Eröffnung der Ausstellung in Gelsenkirchen schickte der 1938 aus Gelsenkirchen verschleppte Herman Neudorf Grußworte. Er lebt heute in den USA und schrieb unter anderem:

"Am 28. Oktober 1938 kam ein Polizist in meine Schule, das Realgymnasium Horst - und brachte mich ins Gefängnis in Horst. Ich war gerade 13 Jahre alt. Von diesem Tag an war meine Jugend zu Ende! Von dort schleppte man mich nach Polen, nach Riga, in das KZ Stutthof und nach Buchenwald, wo ich dann 1945 befreit wurde. Vergeben muss man - aber Vergessen ist unmöglich. Darum wünsche ich dem Zug der Erinnerung großen Erfolg und danke allen, die unser Schicksal wach halten."

GRAFFITI: Wie waren die Reaktionen auf den Zug der Erinnerung, insbesondere in Auschwitz?

Jordan: Das "Erinnern auf Rädern" fand großen Zuspruch, auch in Oswieczim (Auschwitz). Dort versammelten sich am Jahrestag der Befreiung, am 8. Mai, vor zwei Deportationswaggons der Deutschen Reichsbahn mehr als 200 Teilnehmer. Darunter waren der Direktor der Gedenkstätte Auschwitz sowie polnische Vertreter der Opferorganisationen. Luise Rauer, eine 18-jährige Schülerin aus Berlin sagte im Namen der deutschen Spurensucher unter anderem:

"Heute haben wir Auschwitz besucht. Es ist schwierig, weiche Knie in Worte zu fassen. Sprachlos stehen wir da. Fassungslos starren wir auf die Tausenden Koffer, Prothesen, Zahnbürsten und Schuhe. Plötzlich wird uns die Dimension eines solchen Vernichtungslagers bewusst. Ein Stück mehr können wir uns nun das Unfassbare vorstellen."

- Beeindruckende Worte, nicht wahr?

GRAFFITI: Warum haben Sie das Projekt unterstützt?

Jordan: Mehr als eine Million Kinder aus ganz Europa wurden von der Reichsbahn in den Tod transportiert. Etwa 140 Kinder und Jugendliche aus Gelsenkirchen wurden von den Nationalsozialisten deportiert und ermordet. Nur einige wenige überlebten das Grauen und kehrten nach Gelsenkirchen zurück - ich nenne hier Herman Neudorf, Bernd Haase, Elli Kamm (geborene Diament) und ihren Bruder Fred, sie alle waren zwischen 13 und 16 Jahre alt.

In diesem Alter wurden die Kinder von den Nazis aus ihrer Lebensmitte gerissen, in Konzentrationslager gesteckt. Sie mussten erleben, wie Ihre Angehörigen ermordet wurden. Sie haben unfassbare Dinge gesehen. Sie haben unendliche Qualen erlitten. Und Sie alle haben Ihre Erinnerungen an diese schreckliche Zeit niedergeschrieben. Für uns, für unsere Kinder und für die nachfolgenden Generationen mit der mahnenden Botschaft: Lasst es nie wieder geschehen!

GRAFFITI: Wie stand die Deutsche Bahn zu diesem Projekt?

Jordan: Über die Mitverantwortung der damaligen Deutschen Reichsbahn am Holocaust ist in den Medien berichtet worden. Die Deutsche Bahn als Nachfolgeunternehmen der ehemaligen Reichsbahn stellt maßlos hohe Finanzforderungen an den Verein "Zug der Erinnerung", verweigert jede materielle Hilfe und behindert so die Erinnerungsarbeit des "Zug der Erinnerung".

GRAFFITI: Haben sich auch Opfer den Zug angeschaut?

Jordan: An vielen Aufenthaltsorten des Zuges haben Überlebende des Holocaust die Ausstellung eröffnet. In Gelsenkirchen gab es einen Dialog, der Überlebende Herman Neudorf hatte ein Geleitwort übermittelt, welches ich auf dem Bahnhof verlesen habe.

GRAFFITI: Wie viele Stationen hat der Zug gemacht?

Jordan: Mit Ankunft der Ausstellung in Eisenach am 19. Mai 2008 hielt der "Zug der Erinnerung" auf seiner 65. Station.

GRAFFITI: Haben Sie selbst Juden getroffen?

Jordan: Ja, ich stehe mit Überlebenden des Holocaust und vielen Menschen jüdischen Glaubens im Dialog. Ehemalige Gelsenkirchener/innen jüdischen Glaubens haben uns ihre lebensgeschichtlichen Erinnerungen zur Verfügung gestellt.

GRAFFITI: Woher kannten Sie die Geschichten?

Jordan: Die Schicksale dieser Menschen sind bisher vielfach dokumentiert worden, es gibt u.a. Bücher und dokumentarische Filmberichte zum Thema Holocaust. Viele Überlebende haben ihre Erinnerungen als Zeitzeugen niedergeschrieben. Mit “Schindlers Liste”, der Schilderung des Lebens von Oskar Schindler, ist zum Beispiel Steven Spielberg ein Film gelungen, der weit mehr ist als nur ein perfektes filmisches Meisterwerk, weit mehr als nur eine Geschichtsstunde - dieser Film ist Zeitgeschichte. Es spielt keine Rolle, ob man Deutscher ist oder nicht, ob man Jude oder Nicht-Jude ist: Diesen Film sollte jeder gesehen haben, denn er zeigt die Unmenschlichkeit, die nie vergessen werden darf, und die Zivilcourage, die uns allen zum Vorbild unserer Menschlichkeit gereichen sollte.

GRAFFITI: Wie lange wird das Projekt dauern?

Jordan: Der Zug begann seine Erinnerungsfahrt am 8. November 2007 in Frankfurt, das Ziel war Oswiecim in Südpolen (früher Auschwitz), von dort aus setzt der Zug seine Fahrt fort. Bereits beim Start hatten die Initiatoren angekündigt, das am 8. Mai begangene Gedenken in Auschwitz werde "kein Schlusspunkt" sein (Das Ziel). "Auschwitz war nicht für alle das Ende", heißt es in der Programmatik. Schon jetzt gibt es so viele Anfragen von Städten und Gemeinden, dass der Zug der Erinnerung noch mindestens ein Jahr lang weiterfahren könnte. Bisher fehlt nur das Geld dazu.

Das Interview mit Andreas Jordan für die März-Ausgabe der Schülerzeitung "GRAFFITI" führte Jennifer Fischer, Klasse 8b der Gerhart-Hauptmann-Realschule.

Danksagung

Ein besonderer Dank an pito, der das Video vom Aufenthalt des Zug der Erinnerung in Gelsenkirchen gedreht und geschnitten hat, Dank an Nobert Labatzki, der der Eröffnung mit live auf der Klarinette gespielter Klezmermusik einen musikalischen Rahmen gegeben hat. Dank an Herman Neudorf in den USA, der ein Geleitwort zur Eröffnung übermittelte, Dank an das Team vom Zug der Erinnerung. Dank an das Team von GELSENZENTRUM, an alle Gelsenkirchener und Gelsenkirchenerinnen, die wir in der Ausstellung begrüßen durften.

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Andreas Jordan, März 2008

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