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Deutsche Juden in den Niederlanden 1933-1945

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Zuflucht auf Zeit

Mit der Einführung und zunehmenden Verschärfung antijüdischer Maßnahmen (1) nach der Machtübergabe an die Nazis im Jahr 1933 setzte eine jüdische Massenemigration aus Deutschland ein. Rund 140.000 Juden verließen zwischen 1933 und 1937 ihr Heimatland, viele weitere flüchteten nach dem Novemberpogrom 1938 (2) (Die so genannte "Kristallnacht" vom 9. auf den 10. November 1938). Mehr als 70 Menschen aus Gelsenkirchen emigrierten in dieser Zeit in die Niederlande.

Die Niederlande stellten, nicht zuletzt bedingt durch ihre geographische und sprachliche Nähe zum "Deutschen Reich", einen wichtigen Zufluchtsort (3) für die deutschen Juden dar. Mit schätzungsweise 25.000 bis 30.000 jüdischen Flüchtlingen, die sich – teilweise nur vorübergehend – in dem kleinen Land aufhielten, rangierten die Niederlande im internationalen Vergleich auf Platz fünf der wichtigsten Zufluchtsländer. Innerhalb Europas nahmen nur Frankreich und England mehr Emigranten auf. (4)

Gern gesehen waren die jüdischen Flüchtlinge in den Niederlanden jedoch nicht. Ihre Weiteremigration war von Beginn an das erklärte Ziel der niederländischen Regierung und auch die jüdischen Hilfsorganisationen, die sich um die Neuankömmlinge kümmerten, schloss sich dieser Politik an. Insbesondere die Sorge um den eigenen, von der Weltwirtschaftskrise stark getroffenen Arbeitsmarkt führte zu einer zunehmend restriktiven Flüchtlingspolitik. (5)

Die damalige niederländische Regierung hatte, vorgeblich um die Freundschaft zu Deutschland zu bewahren, die Grenzen am 15. Dezember 1938 für Flüchtlinge geschlossen und stempelte sie so zu unerwünschten Ausländern, die keinesfalls integriert werden sollten. Auf Druck der Öffentlichkeit wurden nach dem Novemberpogrom weitere 7.000 Personen zugelassen, von denen ein Großteil (6) in dem von der niederländischen Verwaltung in der Provinz Drenthe 1939 errichteten "Zentralen Flüchtlingslager Westerbork" zentral untergebracht.

Am am 10. Mai 1940 besetzte die deutsche Wehrmacht die Niederlande. Mit der Besetzung befanden sich auch die aus Gelsenkirchen stammenden Juden - und mit ihnen viele andere Emigranten - endgültig nicht mehr im schützenden Ausland. Die nationalsozialistische Judenpolitik, der zwischen 1933 und 1940 etwa 50.000 Juden aus Deutschland und Österreich zu entfliehen suchten und deren Folgen und Auswirkungen von den Juden in den Niederlanden mit wachsender Angst beobachtet wurden, traf sie erneut. Wieder waren sie der Verfogung und Ausgrenzung ausgesetzt, der zuletzt die Deportation in die Vernichtungslager folgte. Den wenigsten gelang die erneute Flucht oder Emigration.

Esther de Leeuwe, geborene Denneboom. Emigriert in die Niederlande

Esther de Leeuwe, aus Gelsenkirchen in die Niederlande emigriert. 1943 von den Nazis im KZ Auschwitz ermordet

Nachdem die Deutschen sich in den ersten Monaten der Besatzung zurückhaltend verhielten, wurden im September 1940 alle jüdischen Zeitungen mit Ausnahme des Wochenblattes "Het Joodse Weekblad" verboten. Gleichzeitig wurde die Beteiligung von Juden an der niederländischen Zivilregierung untersagt und die Beamten hinsichtlich ihrer Abstammung überprüft. Ebenfalls im September mußten alle nichtholländischen Juden die Küstenbereiche verlassen. Betrachtet man die Situation der aus Deutschland in die Niederlande geflohenen jüdischen Menschen, so wird deutlich, daß die Gesetze und Verordnungen, die das Leben der deutschen Juden in den Niederlanden bestimmten, den Verhältnissen in Deutschland sehr schnell angeglichen wurden.

Am 22. Oktober 1940 erging ein Erlaß, nach dem alle jüdischen Betriebe, bzw. Betriebe, in denen Juden die maßgebliche Kontrolle innehatten, registriert werden mußten. Am 4. November 1940 wurde dann ein Befehl erlassen, die jüdischen Beamten vom Dienst zu suspendieren. Im Jahr 1941 wurde die Registrierung aller Juden und Personen, die einen jüdischen Großvater oder eine jüdische Großmutter hatten, befohlen.

Anfang des Jahres 1941 hatten die niederländischen Nationalsozialisten (NSB), unzufrieden über die mangelnde Beteiligung an den Regierungsgeschäften und enttäuscht über die ihrer Meinung nach zögerliche Judenpolitik der Besatzer, auf eigene Initiative in Amsterdam eine antijüdische Kampagne begonnen. Dort, insbesondere im jüdischen Viertel befand sich ein Zentrum des jüdischen Lebens in den Niederlanden. Auch hatten hier viele der Emigranten aus dem Deutschen Reich Zuflucht gefunden. Die Kampagne führte zu Widerstand seitens der Bevölkerung des jüdischen Viertels.

Die Besatzer ordneten daraufhin die Abriegelung des Viertels an und verlangten die Bildung eines Jüdischen Rates (Joodse Raad voor Amsterdam), der für Ordnung sorgen sollte. Die Mitglieder des Judenrates wurden zur Beteiligung an der Verfolgung und Unterdrückung jüdischer Mitbürger und sich in den Niederlanden aufhaltenden ausländischen (überwiegend deutschen) Juden gezwungen. Am 22. Februar 1941 kam es erneut zu Unruhen. Nach einem Attentat auf eine Gruppe der deutschen Ordnungspolizei, war das jüdische Viertel erneut abgeriegelt worden und eine Razzia durchgeführt worden. 389 Personen wurden verhaftet und zunächst in das KZ Buchenwald, später in das KZ Mauthausen deportiert. Keiner dieser Menschen überlebte.

Ebenfalls im März begann die weitere Verschärfung der antijüdischen Politik der Besatzer: Jüdische StudentInnen wurden von der Immatrikulation an den Universitäten ausgeschlossen. Im Sommer 1941 wurde den Juden das Betreten öffentlicher Plätze verboten. Eine Ausgangssperre zwischen acht Uhr abends und sechs Uhr morgens wurde verhängt, öffentliche Verkehrsmittel durften nur noch mit Sondererlaubnis benutzt werden. Im August 1941 wurde befohlen, daß jüdische Kinder nur noch besondere jüdische Schulen besuchen durften. Ab dem 15. September durften Juden nicht mehr öffentliche Gebäude betreten oder öffentliche Veranstaltungen besuchen. Andererseits durften bestimmte Plätze, Läden und andere Orte öffentlichen Lebens nur noch Juden nutzen. Jüdische Versammlungen mit mehr als 20 Personen wurden - mit Ausnahme der G'ttesdienste - untersagt.

Hermann Stern aus Gelsenkirchen. Emigriert in die Niederlande

Hermann Stern. Aus Gelsenkirchen in die Niederlande emigriert. Hermann Stern starb am 18. Juni 1941 im Alter von 60 Jahren in Hilversum. Todesanzeige in 'Het Joodsche Weekblad'

Ende 1941 begannen die Vorbereitungen für die Deportation der niederländischen Juden. Arbeitslose Juden wurden in Zwangsarbeitslager interniert. Ebenfalls 1941 wurde mit der "Arisierung" jüdischen Besitzes in den Niederlanden begonnen, dieser Prozeß erfuhr seinen Höhepunkt 1942 mit der völligen Enteignung der jüdischen Bevölkerung.

Die Verhältnisse in diesen Lagern waren katastrophal und verschlechterten sich im Lauf des Jahres 1942 noch weiter. Maßnahmen zur Konzentration der jüdischen Bevölkerung in bestimmten Gebieten fielen mit dem Beginn der Deportationen im Juli 1942 zusammen. So wurde den Juden zunächst verboten, sich in den Küstenregionen niederzulassen, später folgte die Verschleppung der jüdischen Bevölkerung aus den Provinzen. Ab dem 3. Mai 1942 galt die Kennzeichnungspflicht mit dem gelben Stern auch für die Juden in den Niederlanden.

Am 26. Juni 1942 wurde der jüdische Rat darüber informiert, daß die Juden der Niederlande in deutschen Arbeitslagern eingesetzt werden sollten. Die Juden, die sich meldeten, wurden von Westerbork aus mit dem ersten Deportationstransport am 15. Juli 1942 in das KZ Auschwitz deportiert. Die Ermordung der niederländischen Juden hatte damit begonnen. Zunächst erhielten vorwiegend junge Juden und Jüdinnen - vorwiegend deutscher Abstammung - die Benachrichtigung, sich beim Joodse Raad zum Abtransport zu melden. Als den persönlichen Benachrichtigungen nur eine kleine Anzahl von Amsterdamer Bürger/innen nachkam, wurden 540 Juden und Jüdinnen als Geiseln festgenommen, um die Bevölkerung einzuschüchtern. Dies gelang allerdings nur unzureichend.

Hermann Stern aus Gelsenkirchen. Emigriert in die Niederlande

Zugtafel: Westerbork-Auschwitz, Auschwitz-Westerbork. Zwei Jahre lang trafen die Deportationszüge nach einem festen Fahrplan oftmals montags im Lager ein, um am Dienstagmorgen mit neuen Opfern wieder in Richtung Osten abzufahren.

Die festgesetzten Quoten für die Transporte Amsterdamer Juden von Westerbork nach Auschwitz wurden in den ersten Monaten nicht erreicht. Die Quote wurde daher mit Insassen der Arbeitslager vervollständigt. Auf öffentliche Proteste reagierten die deutschen Besatzer mit weiteren Verhaftungen, Razzien und Deportationen in die Durchgangs- und Sammellager oder in die Vernichtungslager. Schätzungsweise 25.000 Juden entzogen sich der Verhaftung und Deportation 1942, indem sie sich versteckten, viele nutzten dabei ihre Kontakte zu Nichtjuden. Die HelferInnen der Untergetauchten gingen ein hohes Risiko ein. Wurden ihre Schützlinge entdeckt, drohte auch ihnen die Deportation. Etwa ein Drittel der versteckten Juden wurde durch Denunziation und bei Razzien durch die deutsche Polizei gefunden.

Werbeanzeige von Louis Vogelsang aus Gelsenkirchen, emigriert in die Niederlande

Werbeanzeige der Firma Louis Vogelsang in Het Joodse Weekblad vom 21. August 1942. Louis Vogelsang ist aus Gelsenkirchen in die Niederlande emigriert und wurde 1943 von den Nazis im KZ Sobibor ermordet

Ab April 1943 war es den Juden verboten, sich außerhalb Amsterdams in den Niederlanden niederzulassen, was der Isolation und Kontrolle der Juden diente. Am 29. September 1943 fand die letzte der Razzien statt, nur wenige der registrierten Juden waren bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht deportiert worden. Der "Joodsche Raad voor Amsterdam" (Judenrat Amsterdam) wurde aufgelöst, seine Mitglieder nach Westerbork gebracht, dort inhaftiert und zum Teil deportiert.

Werbeanzeige von Louis Vogelsang aus Gelsenkirchen, emigriert in die Niederlande

Hildegard und Herbert Isacson aus Gelsenkirchen emigrierten in die Niederlande. Über Westerbork wurden sie deportiert, Herbert überlebte und wanderte in die USA aus, Hildegard wurde im April 1945 von den Nazis im KZ Bergen-Belsen ermordet

Zwischen dem 15. Juli 1942 und dem 13. September 1944 wurden mehr als 107.000 Menschen aus den Niederlanden in die Vernichtungslager Auschwitz, Sobibor, Bergen-Belsen und Theresienstadt deportiert. Der letzte Zug vor der Befreiung der Niederlande durch die Alliierten verließ am 13. September 1944 mit 279 Juden Westerbork in Richtung Bergen-Belsen.


Deportationen aus dem "Polizeilichen Judendurchgangslager Westerbork" in die Vernichtungslager:

PersonenZielortAnzahl Züge
57.800 KZ Auschwitz65
34.313KZ Sobibor19
4.466KZ Theresienstadt6
3.724KZ Bergen-Belsen8

Insgesamt wurden von 1942 bis 1944 mehr als 101.000 Juden aus dem Durchgangslager Kamp Westerbork per Zug deportiert. Nur etwa 5.000 von ihnen überlebten.

Quellenwerke, vgl.:
(1) Zuflucht auf Zeit – Deutsche Juden in den Niederlanden 1933-1945 von Christine Kausch.
http://www.uni-muenster.de/HausDerNiederlande/zentrum/forschung/disskausch.html
(2) ebda.
(3) ebda.
(4) ebda.
(5) ebda.
(6) ebda.
http://www1.jur.uva.nl/junsv/excerpts/6451409.htm
http://www.anke-stursberg.de/seiten/annefrank/af_verfolgung3.html
http://www.gedenken-in-benelux.de/content/index.php?navID=15&aID=21
http://nl.wikipedia.org/wiki/Kamp_Westerbork


Andreas Jordan, Juni 2010

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