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Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht

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Zum Volkstrauertag 2009:

"Ein ehrendes Gedenken und Kranzniederlegung an den Kriegerdenkmalen der Republik gebührt auch all jenen Soldaten, die sich durch Widerstand, Fahnenflucht, Kriegsdienstverweigerung, Wehrkraftzersetzung und Kriegsverrat dem Krieg entzogen haben."

Karlheinz Klaiber

Auf der Flucht - Die abenteuerliche Geschichte eines Wehrmachts-Deserteurs

Jahrelang ist Walter B. ein "guter und treuer Soldat". Doch als er die "Hölle von Stalingrad" nur mit Glück überlebt, immer mehr die Sinnlosigkeit des Krieges und die Schreckensseiten des NS-Regimes erkennt, fasst der Oberge­frei­te der Wehrmacht 1943 in Italien den folgenschweren Entschluss, zu desertieren - obwohl ihn das den Kopf kosten kann.

Weiter auf: → resistenza.de

Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V.

Jahrzehntelang hat Ludwig Baumann als Motor der immer kleiner werdenden Schar ehemaliger Wehrmachtsdeserteure für die Aufhebung der Urteile und die juristische wie auch moralische Rehabilitierung seiner Kameraden gekämpft. Die Bundesvereinigung der Opfer der NS-Militärjustiz e. V. wurde bereits 1990 als Zusammenschluss von betroffenen Opfern gegründet. Der eingetragene Verein hat den Zweck, bundesweit für die gesellschaftliche Rehabilitierung und materielle Entschädigung der Opfer der Militärjustiz unter dem Nationalsozialismus einzutreten.

→ Kurzinformation der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e.V.

Appellhofplatz: Denkmal für die Deserteure

Der Schweizer Künstler Ruedi Baur hat das Kunstwerk am Kölner Appellhofplatz geschaffen. Es gilt Menschen wie Ludwig Baumann, für den mit der Einweihung "ein langer Traum in Erfüllung" geht. Er desertierte 1942 in Frankreich.

Ludwig Baumann hat es fast geschafft. Zusammen mit seinem Freund Kurt Oldenburg will der Marinegefreite von Bordeaux über die Grenze ins von den Nazis unbesetzte Frankreich fliehen, dann weiter nach Afrika und in die USA. Den Krieg und das Töten hinter sich lassen. Französische Freunde haben den Soldaten unauffällige Kleidung besorgt, im Waffendepot lassen sie Pistolen und Munition mitgehen. Nur wenige Meter noch bis zur Demarkationslinie, da werden sie von einer deutschen Zollstreife entdeckt und entlarvt. Am 30. Juni 1942 wird Baumann vom Marinegericht Bordeaux "wegen Fahnenflucht im Felde" zum Tod verurteilt.

Ludwig BaumannBild: Ludwig Baumann

"Zehn Monate lang habe ich in der Todeszelle gesessen", erzählt Baumann, heute 87 Jahre alt, mit leiser Stimme. "Immer an Händen und Füßen gefesselt", immer in der Angst, die Wächter könnten ihn zur Hinrichtung abholen. Von der Umwandlung der Todes- in eine zwölfjährige Zuchthausstrafe erfährt er erst Monate später. Konzentrationslager, Wehrmachtsgefängnis Torgau, Strafbataillon in Weißrussland - Baumann überlebt, aber noch Jahrzehnte verfolgen ihn die schrecklichen Kriegserinnerungen.

Es sind Menschen wie Ludwig Baumann, denen jetzt am Appellhofplatz ein Denkmal gesetzt wird: Deserteure, so genannte Wehrkraftzersetzer und Kriegsverräter, Kriegsdienstverweigerer, Opfer der NS-Justiz. Menschen, die "über Jahrzehnte kriminalisiert und von der Anerkennung als NS-Opfer ausgegrenzt wurden", wie es Werner Jung formuliert, Direktor des NS-Dokumentationszentrums. Von den schätzungsweise 30.000 Todesurteile gegen diese Personengruppe seien rund 20.000 vollstreckt worden. Gleichzeitig, und das sei "der doppelte Skandal", hätten die damaligen Richter "nach dem Krieg reibungslos Karriere gemacht".

Denkmal für Deserteure und Opfer der NS-MilitärjustizBild: Denkmal für Deserteure und Opfer der NS-Militärjustiz in Köln

"Ein langer Traum geht in Erfüllung" freut sich Baumann, der sich als Vorsitzender der "Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz" seit vielen Jahren für deren Rehabilitierung engagiert. Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes weihte es am Dienstag, am 70. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs, mit einem Bürgerfestes ein. Es steht zwischen Gerichtsgebäude, Stadtmuseum und NS-Dokumentationszentrum, wo laut Jung "die Opfer ins Zentrum der Stadt" gerückt werden.

Der Schweizer Ruedi Baur hat das Kunstwerk geschaffen, der diplomierte Grafikdesigner setzte sich in einem internationalen Wettbewerb durch. Baur entwarf eine Art Pergola, eine drei Meter hohe Metallkonstruktion. Wer darunter steht und nach oben schaut, liest einen Kettentext aus bunten, 15 Zentimeter hohen Aluminium-Buchstaben: "Hommage den Soldaten die sich weigerten zu schießen auf die Soldaten die sich weigerten zu schießen. . .auf die Menschen, die sich weigerten zu foltern die Menschen die sich weigerten zu denunzieren. . ." Es sei eine "Solidaritätskette" von den kleinen Gesten der Zivilcourage bis hin zum militärischen oder polizeilichen Ungehorsam, sagt Baur. Es gehe um die Frage: "An welcher Stelle müssen wir anfangen, Befehlen nicht zu folgen, unseren eigenen Weg zu gehen?"

"Von nationalem Rang"

Für Werner Jung ist es ein Denkmal "von nationalem Rang". Unter anderem, weil sich "erstmals in Deutschland eine Stadt durch die Auslobung eines internationalen Kunstwettbewerbs für eine würdige Erinnerung an diese Opfergruppe engagiert". Die Stadt stellte 120.000 Euro zur Verfügung, der Rat fasste die entsprechenden Beschlüsse, und die Bürgerinitiative "Projektgruppe für die Opfer der NS-Militärjustiz", die durch Recherchen und Veranstaltungen an der Entstehung beteiligt war, steuerte 15.000 Euro an Spenden bei. Das Oberverwaltungsgericht Münster verbot eine von rechten Gruppierungen geplante Demonstration gegen das Denkmal.

Von Matthias Pesch, 1. November 2009
Quelle: Kölner Stadtanzeiger online

Bild: Raimond Spekking/Wikipedia. Denkmal für Deserteure und Opfer der NS-Militärjustiz. Standort: Appellhofplatz, Ecke Neven-Dumont-Str./Burgmauer, Köln. Künstler: Ruedi Baur

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Ein Denkmal für Deserteure in Köln

Es hat lange gedauert, bis dieser Ort des Erinnerns entstehen konnte: Mehr als 60 Jahre mussten nach dem Ende des 2. Weltkriegs vergehen, bis ein Denkmal für die Deserteure errichtet wurde. Nun ist es da - unübersehbar und ungewöhnlich schwebt es seit dem 1. September über dem Kölner Appellhofplatz. Ein "Kettentext" aus bunten Aluminium-Buchstaben ist wie eine Pergola über der Straße aufgehängt und zieht direkt an einem U-Bahn-Zugang die Blicke in die Höhe. Das Objekt des Schweizer Graphikers und Typographen Ruedi Baur nimmt Beziehung zu drei markanten Kölner Bauten auf: dem Zeughaus, das als Teil des Stadtmuseums Kölner Geschichte speichert, dem Verwaltungsgericht, an dem während der NS-Zeit mindestens 123 Todesurteile gefällt wurden, und dem EL-DE-Haus, in dem die Gestapo folterte und das seit 1988 das Kölner NS-Dokumentationszentrum beherbergt. Acht Meter lang ist die bewegliche Buchstaben-Skulptur und vier Meter breit.

Ständig verändert sie Licht und Farbe, da jeder Buchstabe einzeln in dem Stahlgestell befestigt ist. Das Denkmal, so Ruedi Baur, soll an das Schicksal der Deserteure erinnern, sich aber auch in das Leben von heute einfügen. Über widerständiges Verhalten hatte er sich vor Beginn seiner Arbeit intensiv kundig gemacht. Überlebende des NS-Terrors hatten ihm berichtet, "dass man schon anfing ein Deserteur zu sein, wenn man nicht mitlachte, wenn andere lachten".

Als "Wehrkraftzersetzer", "Kriegsverräter" und "Feiglinge" wurden Soldaten verfolgt, die sich dem Kriegsdienst widersetzten oder flohen. Mehr als 30.000 Menschen wurden von deutschen Militärgerichten zum Tode verurteilt, 20.000 hingerichtet. Nach dem Krieg wurden Deserteure weiterhin verunglimpft; Überlebende mussten jahrzehntelang um Anerkennung kämpfen. Wenige Tage nach der Einweihung des Kölner Denkmals wurde endlich in Berlin ein Gesetz verabschiedet, dass alle NS-Urteile wegen „Kriegsverrats" aufhebt -späte Genugtuung für überlebende Deserteure wie Ludwig Baumann, der sich unermüdlich mit großem Engagement für die Rehabilitierung der Deserteure und den Bau des Denkmals engagiert hat.

"Hommage den Soldaten, die sich weigerten zu schießen auf die Soldaten, die sich weigerten zu töten die Menschen, die sich weigerten zu foltern die Menschen, die sich weigerten zu brutalisieren die Menschen, die sich weigerten zu diskriminieren die Menschen, die sich weigerten auszulachen die Menschen, die Zivilcourage zeigten, als die Mehrheit schwieg und folgte."

Aus: "Informationen" - Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 - ISSN 0938-8672

Was damals Recht war...

Aus der Projektbeschreibung: Ausgehend von einer Initiative ihres Beirats und gemäß ihrem gesetzlichen Auftrag, auch nicht-jüdischer Opfer des Nationalsozialismus zu gedenken, hat die Stiftung – in Kooperation mit der Stiftung Sächsische Gedenkstätten, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz e. V. – eine Wanderausstellung zur NS-Militärjustiz erarbeitet.

Die Ausstellung informiert über Unrecht und Willkür der NS-Militärjustiz und dient der gesellschaftlichen Verankerung der erst im Jahr 2002 erfolgten rechtlichen Rehabilitierung ihrer Opfer. Sie wird vom Bundesbeauftragten für Kultur und Medien finanziert.

Im Zentrum der Präsentation stehen Fallgeschichten, bei denen es nicht nur um Personen geht, die als Deserteure abgeurteilt wurden, sondern auch um so genannte Wehrkraftzersetzer und Volksschädlinge. Darüber hinaus werden Biografien von Angehörigen des Widerstandes in besetzten europäischen Ländern dargestellt. Insgesamt wurden mindestens 22.000 Menschen hingerichtet, unzählige andere starben in Lagern oder in Strafeinheiten. Die Fallgeschichten werden in Überblicksdarstellungen zur Geschichte der deutschen Militärjustiz bis 1933 eingebettet. Zum Schluss nimmt die Ausstellung die Ausgrenzung und Nichtachtung überlebender Justizopfer in den deutschen Nachkriegsstaaten in den Blick.

Bis zum 24. Mai 2009 ist die Wanderausstellung noch in Dortmund zu sehen. Mehr Informationen auf der Internetpräsenz der Stiftung "Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas" 

→ Was damals Recht war...

→ Kriegssonderstrafrechtsverordnung

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Der lange Schatten der "Kriegsverräter"

Die letzte Opfergruppe der NS-Militärjustiz soll pauschal rehabilitiert werden. In der CDU fürchten einige, es könnten echte Täter unter ihnen sein

Die Linken möchten einen historischen Streit endgültig klären, und sie erhalten - was selten passiert - dafür Sympathien bei Grünen, SPD und Teilen der CDU. Die Frage ist: Sollen nach den Deserteuren auch die so genannten "Kriegsverräter" als letzte Opfergruppe der NS-Militärjustiz pauschal und ohne Würdigung des jeweiligen Einzelfalls vom Bundestag rehabilitiert werden? Kriegsverräter - so definierte die NS-Justiz Soldaten, die sich freimütig äußerten, regimekritische Reden ihrer Kameraden deckten oder "feindlichen" Zivilisten oder Juden halfen, anstatt diese zu töten. "Im Einzelfall ist schon jetzt eine Rehabilitation ohne Weiteres möglich", sagt der Historiker Rolf-Dieter Müller vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt der Bundeswehr. Problematisch seien aber jene Fälle von "Kriegsverrat", wo deutsche Soldaten nicht aus humanitären Gründen handelten, sondern Kameraden arglistig schadeten, gar deren Tod um des eigenen Vorteils willen in Kauf nahmen oder aktiv herbeiführten.

Genau darum geht der Streit. Ein zahlenmäßig schwer einschätzbarer Teil der Unionsfraktion, darunter etwa der konservative Innenpolitiker Norbert Geis, empfindet es als moralisch und rechtsstaatlich unerträglich, mit einer allgemeinen Amnestie auch Leute in den Stand der Unschuld zu versetzen, die der Volksmund "Kameradenschweine" nennt.

Historiker Müller, der in der seit Jahren schwelenden Angelegenheit als Gutachter auftrat, hat ähnliche Bedenken: „Es sind einige Fälle von Kriegsverrat aufgearbeitet, aber insgesamt wissen wir noch zu wenig." Müller fürchtet ein fatales Signal, das über den Zweiten Weltkrieg hinausreicht: Soldaten könnten der Meinung sein, das Recht in die eigene Hand nehmen und sogar Verbrechen begehen zu dürfen, wenn sie subjektiv glauben, so einen verbrecherischen Krieg zu verkürzen.

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Jan Körte hält dies für abstrus. Es gehe allein um den NS-Vernichtungskrieg, um eine Militärgesetzgebung, die Experten samt und sonders als Terror-Justiz einstuften. Fälle echter Verbrechen gebe es nicht, und selbst Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) neige dazu, die Betroffenen zu rehabilitieren. Möglich ist das ohnehin nur posthum. Auf "Kriegsverrat" stand der Tod.

Zitat aus der WAZ vom 28.5.2009. Von Frank Stenglein

Siehe Gelsenblog: → Die pauschale Aufhebung von NS-Urteilen steht nun bevor

Das Reichskriegsgericht - erste und letzte Instanz

Reichskriegsgericht

Bild: Das ehemalige RKG heute, restauriert auf den Vorkriegszustand

Das Reichskriegsgericht (RKG) war in der Zeit des Nationalsozialismus das höchste deutsche Militärgericht. Bereits in der Zeit der deutschen Monarchie (bis 1919) gab es eine eigene Gerichtsbarkeit für Militärangehörige. Oberste Instanz war das Reichsmilitärgericht. Im Dritten Reich wurde die Militärgerichtsbarkeit - die während der Weimarer Republik nicht existierte - wieder eingeführt. Dies geschah durch einen besonderen Erlass vom 12. Mai 1933. Die Institution des RKG wurde durch einen weiteren Erlass vom 5. September 1936 am 1. Oktober 1936 gegründet.

Gedenktafel am ehemaligen Reichskriegsgericht

Bild: Gedenktafel für Karl Sack am ehemaligen Reichskriegsgericht

Im Zweiten Weltkrieg war es nicht nur für Offiziere der Wehrmacht zuständig, sondern auch Zivilisten wurden hier verfolgt. Dabei fungierte das RKG als erste und letzte Instanz unter anderem bei folgenden Anklagen:

  • Hochverrat
  • Landesverrat
  • Kriegsverrat
  • Wehrkraftzersetzung
  • Kriegsdienstverweigerung
  • Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen
  • Spionage
  • Wirtschaftssabotage

  • Gedenktafel am ehemaligen Reichskriegsgericht

    Bild: Gedenktafel am ehemaligen Reichskriegsgericht

    Durch Anwendung des NS-Strafrechtes und Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien wurde das Reichskriegsgericht zum Instrument der Herrschaftssicherung des NS-Staates. Dem Reichskriegsgericht werden für die Zeit von 1939 bis 1945 über 1.400 Todesurteile zugeschrieben. Unter anderem wurden dort Angehörige der Roten Kapelle zum Tode verurteilt.

    Der Dienstsitz des Reichskriegsgerichts war bis 1943 in der Witzlebenstraße 4-10 im Berliner Bezirk Charlottenburg. Wegen der zunehmenden Bombenabwürfe auf Berlin wurde das Reichskriegsgericht 1943 zuerst nach Potsdam und dann nach Torgau verlegt.

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    Ehre für Ludwig Baumann! - Nur zögernd wird das Unrecht der Wehrmachtsjustiz revidiert

    Am 29. Mai wird in der Oberen Rathaushalle in Bremen die Ausstellung »Was damals Recht war... Soldaten und Zivilisten vor Gerichten der Wehrmacht« eröffnet. Sie wird dann vom 30. Mai bis 28. Juni zwischen 10 und 18 Uhr in der Unteren Rathaushalle zu sehen sein. Geplant ist außerdem ein umfangreiches Begleitprogramm mit 28 Veranstaltungen. Träger dieser Aktion sind die Landeszentrale für politische Bildung und die Georg-Elser-Initiative.

    Zur Eröffnung der Wehrmachtsjustiz-Ausstellung wird der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen den Vorsitzenden des Verbandes der Opfer der Wehrmachtsjustiz, Ludwig Baumann, für seine Verdienste um die Wiederherstellung der Würde der Wehrmachtsdeserteure ehren. Eigentlich hatte ein breiter Vorbereitungskreis den Vorschlag unterbreitet, Ludwig Baumann an diesem Tag die Ehrenbürgerschaft der Stadt Bremen zu verleihen. Doch dem Antrag wurde nicht gefolgt. Die Senatsverwaltung begründete ihre Ablehnung mit dem Argument, dass seit 1945 nur Bremer geehrt würden, die sich um Bremen verdient gemacht haben.

    Lange Jahre hat Ludwig Baumann als Motor der immer kleiner werdenden Schar ehemaliger Wehrmachtsdeserteure für die Aufhebung der Urteile und die Rehabilitierung seiner Kameraden gekämpft. 25.000 von 30.000 Todesurteilen gegen Wehrmachtsdeserteure wurden in weniger als sechs Jahren vollstreckt, weniger als 4.000 Fahnenflüchtige überstanden Militärstraflager und Bewährungseinheiten. Während die Richter des Reichskriegsgerichts in der Bundesrepublik beruflich weiterkamen, galten die Wehrmachtsdeserteure bis 2002 als vorbestrafte Kriminelle. Kein Kriegsrichter wurde je von einem bundesdeutschen Gericht verurteilt. Ihre Blutgerichte galten der bundesdeutschen Justiz nicht als nationalsozialistisches Unrecht.

    Bis zum 11.09.1991 galt die Kriegssonderstrafrechtsverordnung als rechtsstaatlich. Erst seit Mai 1997 wurde der Zweite Weltkrieg als Angriffs- und Vernichtungskrieg bewertet. Und es dauerte weitere fünf Jahre, bis der Bundestag die meisten Urteile der Wehrmachtsjustiz aufhob. Doch der Kampf des 87jährigen Ludwig Baumann ist noch nicht zu Ende. Noch gilt Kriegsverrat als unehrenhaft, noch haben die Urteile der Wehrmachtsjustiz gegen Menschen Bestand, die sich geweigert haben Zivilisten zu töten, die die Waffe umgedreht und "den Feind" unterstützt haben, um dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten. Dazu werden Prof. Dr. Manfred Messerschmidt und Ludwig Baumann im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung sprechen.

    Quelle: Redaktion Bremer Antifaschist


    Anhörung zu "Kriegsverrätern"

    Am 6. März 2009 fand im Bundestag eine Anhörung der Linksfraktion zum Thema der Rehabilitierung von "Kriegsverrätern" statt. Grundtenor aller Beiträge:

    Nicht nur um den damals zu unrecht verurteilten "Kriegsverrätern" und ihren Familien gerecht zu werden, sondern auch um des Selbstverständnisses unserer heutigen Gesellschaft willen sei es dringend nötig, eine vollständige, generelle Rehabilitierung durchzusetzen. Auch Frank Schwabe, SPD, äußerte sich positiv zu diesem Anliegen und versicherte, seine Fraktion werde sich kurzfristig zu diesem Punkt verhalten. MdB Wolfgang Wieland von Bündnis 90/Die Grünen bekräftigte, dass seine Fraktion den Antrag der Linksfraktion zur Rehabilitierung sogenannter Kriegsverräter ebenfalls unterstütze.

    Quelle: Magazin der VVN-BdA für antifaschistische Politik und Kultur 'antifa'. Ausgabe Mai/Juni 2009

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    Deserteure im Zweiten Weltkrieg: Der lange Weg zur Rehabilitation

    1953 wies der Kölner Schriftsteller Heinrich Böll auf eine Gruppe von Opfern des Nationalsozialismus hin, deren Schicksal in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit in Vergessenheit geraten war:

    "Wo sind die Deserteure? Wo sind die Eltern, sind die Freunde, die Brüder und Schwestern dieser erschossenen Deserteure, deren Leiden man auf die Schwelle des Friedens häufte? (...) Und wo sind die Deserteure, die sich in den zerstörten Städten verbargen, in Dörfern und Wäldern, wartend auf die Aliierten, die für sie damals wirkliche Befreier waren? Haben sie Angst vor den gründlich ihnen eingeimpfen Phrasen, die Fahneneid, Vaterland, Kameradschaft heißen?"

    Dieser Appell Bölls verhallte 40 Jahre lang fast ungehört. Das Schweigen über die Opfer der NS-Militärjustiz und ihr Schicksal wurde im Deutschland des Wirtschaftswunders und der Wiederbewaffnung nicht gebrochen, die Unrechtsurteile der Kriegsgerichte nicht revidiert, die Verantwortlichen für tausende von Todesurteilen nach dem Krieg nicht zur Rechenschaft gezogen. Autoren des nationalsozialistischen Kriegsrechts schreiben die Geschichte der Militärjustiz und die Verurteilten galten weiterhin als vorbestraft. Im August 1939 war im nationalsozialistischen Deutschland ein neues Kriegsstrafrecht in Kraft getreten, das von führenden Militärjustizen zusammen mit der NSDAP erarbeitet worden war. Als rechtliche Grundlage des Militärstrafverfahrens enthielt sie keines der Grundprinzipien des modernen Rechtsverständnisses: Einen unabhängigen Instanzenweg zur Prüfung der gefällten Urteile oder die Trennung von Exekutive und Judikative ebensowenig wie das grundsätzliche Recht auf einen Verteidiger.

    Der Disziplinierungs- und Strafapparat der Deutschen Wehrmacht war historisch und im internationalen Vergleich beispiellos: Man schätzt, daß die Deutsche Wehrmacht während des Krieges über 1000 - 1200 Kriegsgerichte mit zeitweise über mehr als 3000 Richtern verfügte.

    In Abgrenzung von seinem Vorläufer in der Weimarer Republik war das nationalsozialistische Wehrrecht als reines Mittel militärstrategischer Interessen konzipiert. Im Rahmen der Dolchstoßlegende hatten nationalistische Kreise nach dem ersten Weltkrieg der Militärgerichtsbarkeit immer wieder vorgeworfen, durch eine angeblich zu milde Spruchpraxis Mitverantwortung für die Niederlage des Deutschen Reiches zu tragen, und Adolf Hitler hatte in seinem Buch "Mein Kampf" gefordert, Desertion in jedem Einzelfall mit dem Tode zu bestrafen. Die Militärrichter der Wehrmacht erwiesen sich als gnadenlose Vollstrecker dieser Vorgabe: Während des Zweiten Weltkrieges fällten sie mindestens 35000 Urteile gegen Soldaten, die man der Desertion beschuldigte. In etwa 65 % der Fälle lautete das Urteil: Todesstrafe.

    In diesen Fällen sind die Urteile anderer Gerichte, wie der SS- und Polizeigerichte sowie der fliegenden Standgerichte der letzten Kriegswochen noch nicht einmal mit erfasst. Die militärhistorische Forschung ist sich heute einig, daß mindestens 20000 dieser Urteile vollstreckt wurden. Die Kriegsgerichte der Wehrmacht fällten demnach mehr Todesurteile als die Sondergerichte und der berüchtigte Volksgerichtshof zusammen. Den überlebenden Opfern der Militürjustiz blieb nach dem Krieg jede moralische und finanzielle Entschädigung vorenthalten. Das Makel des Verräters wirkte fort. Nur wenige bekannten sich offen zu ihrem Handeln, wie etwa der Schriftsteller Alfred Andersch in seiner autobiographischen Erzhählung "Die Kirschen der Freiheit", die 1952 erschien. Auch die Rolle der Wehrmachtsjustiz blieb unaufgearbeitet. In einem einzigen Fall wurde gegen einen ehemaligen Stabsrichter, der noch nach der Kapitulation der Wehrmacht drei Matrosen wegen Fahnenflucht hatte hinrichten lassen, eine zweijährige Gefängnisstrafe verhängt; auch er wurde 1952 noch freigesprochen, da man ihm eine "vorsätzliche Rechtsbeugung" nicht zusprechen wollte. Sachverständiger Gutachter in diesem Verfahren war ein ehemaliger Marinerichter: Erich Schwinge, der im Wintersemester 1946/47 bereits wieder eine Professur in Marburg erhalten hatte.

    Schwinge, später Rektor der Marburger Universität, war einer der Autoren des nationalsozialistischen Kriegsstrafrechts. Als Herausgeber der einzigen Monographie zu diesem Thema war Schwinge nach dem Kriege maßgeblich verantwortlich für eine jahrzehntelange irreführende Darstellung der Rolle der NS-Militärjustiz im Nationalsozialismus.

    Gedenktafel am ehemaligen Reichskriegsgericht in Berlin

    Bild: Gedenktafel für Franz Jägerstätter am ehemaligen Reichskriegsgericht in Berlin

    Erst Anfang der 80er Jahre entspann sich eine öffentliche Debatte über die Bewertung der ungehorsamen Soldaten in Hitlers Wehrmacht: Auslöser waren zunächst kleinere Initiativen, die vielerorts antraten, dem "unbekannten Deserteur" ein Denkmal zu setzen. Dieses Ansinnen und der hefstige Widerstand, mit dem ihm zunächst in vielen Städten begegnet wurde, entfachte nun eine Debatte, die zunehmend auf auf die Felder der Wissenschaft und Politik übergriff.

    Wichtig für die Auseinandersetzung war außerdem die Gründung eines eigenen Interessenverbandes der "Opfer der NS-Militärjustiz", welcher die Forderung nach Rehabilitation der überlebenden Opfer und ihrer Angehörigen zu seinem Anliegen machte. Vier Jahrzehnte nach dem Ende des Nationalsozialismus entwickelte sich nun eine breite Kontroverse sowohl über die Rolle der Justiz in Hitlers Wehrmacht als auch über die moralische und juristische Beurteilung der Deserteure, Gehorsamsverweigerer und Wehrkraftzersetzer, die bis heute andauert.

    Auf dem Gebiet der Geschichtsforschung wurde die bisherige Einschätzung der Wehrmachtsjustiz und ihres Wirkens insbesondere durch die Forschungen von Fritz Wüllner und Manfred Messerschmidt (bis 1988 wissenschaftlicher Leiter des militärhistorischen Forschungsamtes der Bundeswehr in Freiburg) erschüttert und neu geschrieben. Auf politischer Ebene spiegelt sich die Kontroverse im Streit um die Rehabilitierung der im zweiten Weltkrieg verurteilten Soldaten und ihrer Angehörigen, der seit 1991 über 6 Jahre lang den Bundestag beschäftigte. Ursache des parlamentarischen Streits war ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 11. September 1991, welches der Witwe eines 1945 erschossenen Wehrpflichtigen Entschädigung nach dem Bundesversorgungsgesetz zugesprochen hatte. Die zuständigen Richter verlangten außerdem vom Gesetzeber eine klare rechtliche Regelung der Entschädigungsfrage.

    Im Mai 1999 beschloß der Deutsche Bundestag ein Gesetz zur Rehabilitierung der Deserteure und eine symbolische Entschädigung der Überlebenden und ihrer Angehörigen.

    Quelle: Verein zur Förderung der Friedensarbeit e. V., Budapester Straße 21, 53111 Bonn, E-Mail: desertieren@yahoo.de, www.deserteur-denkmal.de

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    Die Kirschen der Freiheit - Vorwort des Ausstellungskataloges

    Ausstellungskatalog Die Kirschen der Freiheit

    Bild: Ausstellungskatalog Die Kirschen der Freiheit, Museum Gelsenkirchen-Buer 30.10.-13.11.1988. Archiv GELSENZENTRUM

    "In der Mulde des jenseitigen Talhangs fand ich einen wilden Kirschbaum, an dem die reifen Früchte glasig und hellrot hingen. Das Gras rings um den Baum war sanft und abendlich grün. Ich griff nach einem Zweig und begann von den Kirschen zu pflücken. Die Mulde war wie ein Zimmer; das Rollen der Panzer klang nur gedämpft herein. Sie sollen warten, dachte ich. Ich habe Zeit. Mir gehört die Zeit, solange ich diese Kirschen esse. Ich taufte meine Kirschen: ciliege diserte, die verlassenen Kirschen, die Deserteurs-Kirschen, die wilden Wüstenkirschen meiner Freiheit. Ich aß ein paar Händevoll. Sie schmeckten frisch und herb."

    Aus: Alfred Andersch, Die Kirschen der Freiheit. Zürich 1952

    "Die Kirschen der Freiheit"...

    (...) mit dieser Metapher beschreibt Alfred Andersch, einer der großen deutschen Nachkriegsautoren, das Motiv seiner Fahnenflucht im Zweiten Weltkrieg. Die Desertion als eine bewußte Entscheidung für das, was allem Militärischen fremd und mit ihm unvereinbar sein muß: die Freiheit. Wir haben diese Metapher zum Titel der Ausstellung und des gesamten Projekts "Deserteure" gemacht, da sie einem bewußten und hoffnungvollen Programm von Desertion Ausdruck gibt. Gleichwohl ist uns bewußt, daß viele Deserteure dieses Bild für ihre Fahnenflucht nicht hätten wählen wollen. Oft flohen sie nicht aus einer bewußten Entscheidung heraus, viele von ihnen hatten keineswegs das hehre Ziel der "Freiheit" vor Augen, und auch das, was viele Deserteure nach ihrer Flucht erwartete, wäre schwerlich mit dem Bild von Andersch vereinbar.

    Plakat Die Kirschen der Freiheit - 1988

    Bild: Plakat Die Kirschen der Freiheit - Museum Gelsenkirchen-Buer 30.10.-13.11.1988

    Fraglos flohen viele aus nackter Angst vor dem Sterben, aus Liebe zu Frauen, Familien, Freunden, aus Unlust auch, sich dem militärischen Leben mit den dazugehörigen Opfern einzugliedern, und sicherlich auch war ihre Desertion oftmals weniger ein planmäßiger Akt als vielmehr Ergebnis eines spontanen Entschlusses, nicht selten eine Kurzschlußhandlung, bisweilen auch nur Ergebnis zufälliger Entwicklungen.

    So mancher hat uns im Verlauf unserer Vorbereitungen geraten, nur solche Deserteure positiv zu würdigen, die sich im Sinne von Andersch dem Nazi-Militär entzogen haben. Wir haben uns anders entschieden. Wir fänden es zynisch, Gefühle wie Angst abzuqualifizieren, als "niederes" Motiv geringzuschätzen, hieße das doch, von der schrecklichen Ausnahmesituation, die der Krieg darstellt, kalt zu abstrahieren. Vielmehr sehen wir Regungen wie Angst, Heimweh oder Liebesweh als positiv an, weil dem Leben zugewandt. Wären sie weiter verbreitet gewesen als der soldatische Gehorsam, hätte viel menschliches Elend verhindert werden können. Alle Deserteure haben, so glauben wir, Anspruch darauf, endlich, Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, mit ihrem Tun enttabuisiert und auch rehabilitiert zu werden. Man wird sich, will man ihr Tun heute beurteilen, fragen müssen, ob jemand, der - aus welchen Gründen auch immer - den Weg in den Abgrund nicht mitzumachen bereit war, diskriminiert werden darf gegenüber demjenigen, der - leichten oder schweren Herzens - sich der Nazi-Militärmaschinerie zur Verfügung gestellt und sich am größten und barbarischsten Vernichtungsfeldzug der menschlichen Geschichte beteiligt hat. Die Frage, wie man zu den Deserteuren des Zweiten Weltkriegs steht, beantwortet sich also letztlich daraus, wie man den Zweiten Weltkrieg bewertet. (...)

    Aktion gegen Krieg 1988: Dietmar Clermont, Karin Clermont, Marie-Cecile Duclercq, Monika Klutzny, Martina Mail, Wolfgang Pietsch, Peter Saatkamp, Klaus Seiler, Giesela Schramm

    Aus: Forum Gelsenkirchener Geschichten

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    VirtualVoices: Ihr sollt nicht vergessen sein 

    In einer der Hinrichtungsstätten des so genannten "Dritten Reichs", im Dortmunder Gerichtsgefängnis, wurden von Mai 1943 bis Anfang Januar 1945 von der NS-Militärjustiz auch zum Tode Verurteilte, die nicht aus Dortmund stammten hingerichtet. Einer dieser Männer war der am 23. Mai 1925 in Recklinghausen geborene Oskar Aschoff. Er wurde drei Wochen vor seinem 19. Geburtstag am 2. Mai 1944 um 18.11 Uhr im Gerichtsgefängnis Dortmund enthauptet. Oskar Aschoff wurde in einem Einzelgrab auf dem Dortmunder Hauptfriedhof bestattet. Heute befindet sich sein Grab auf dem Ehrenfeld der Kriegs- und Bombenopfer des Dortmunder Hauptfriedhofs.

    Oskar Aschoff, Minden 1944

    Abb.: Oskar Aschoff, 1944. Quelle: Gudrun Eussner, Nichte.

    "Ein ganz unbedarfter Junge"

    Zum Volkstrauertag: Erinnerung an den vergessenen Herforder Oskar Aschoff

    Von Kommunalarchivar Dieter Begemann

    Herford. In Wolfgang Staudtes bissiger Nachkriegs-Filmsatire "Rosen für den Staatsanwalt" wird der Gefreite Rudi Kleinschmidt von einem deutschen Kriegsgericht zum Tode verurteilt, weil er sich zwei kleine Dosen Wehrmachts-Schokolade organisiert hatte. Nicht nur die äußere Erscheinung des schmächtigen Rudi sorgt dafür, dass man an ihn denken muss, wenn man auf die Geschichte des Herforders Oskar Aschoff stößt. Auch ihm hätte man, wie der Volksmund sagt, "das Vaterunser durch die Rippen pusten" können. Als er 1943 mit 18 Jahren zu den Pionieren nach Minden eingezogen wurde, war er Maschinenarbeiter in der Herforder Bürstenfabrik König & Böschke. Aber eigentlich, so beschrieb ihn seine Schwester, "war er noch ein ganz unbedarfter Junge". In manchem eher ein schüchternes Jüngelchen.

    In Holland wollte er sich verstecken

    Mit so einem machten die Stubenältesten in der Kaserne gerne derbe Scherze. Einen wie ihn schickten sie los, um bei den Bauern in den umliegenden Dörfern etwas "zu futtern" für das Saufgelage am Wochenende zu organisieren. Als er tatsächlich mit einer dicken Mettwurst zurückkam, machten die Platzhirsche trotzdem weiter ihre Witze mit ihm. Eine solche Wurst könne er doch nur geklaut haben, behaupteten sie. Und weiter: Wenn das herauskäme, käme er vor ein Kriegsgericht.

    Oskar Aschoffs großer Bruder Heinz war schon seit 1938 beim "Barras". Von ihm wusste er, wenn das Wort "Kriegsgericht" fiel, wurde es ernst. Todernst. Er bekam Angst. Er schlich sich aus der Kaserne und stieg am Mindener Bahnhof in den Zug Richtung Holland. Seine Schwester lebte dort in Utrecht. Bei ihr wollte er sich verstecken.

    Alles hätte gut gehen können. Hätte - wenn er beim schnellen Aufbruch in der Kaserne nicht seine Uniformmütze vergessen hätte. So hatte der Pionier Oskar Aschoff keine Chance, als Feldjäger den Zug an der Grenze kontrollierten. Er wurde nach Bielefeld gebracht, zum Hauptquartier der 176. Division. Dort besaß Kriegsgerichtsrat Dr. Fritz Rheinen die juristische Deutungshoheit für "Führergehorsam" und "Manneszucht" deutscher Soldaten. In seiner Amtszeit wurden vom Kriegsgericht in der Ravensberger Straße 123 mindestens 27 Todesurteile gegen Divisionsangehörige gesprochen und vollstreckt. Die Dunkelziffer ist unbekannt. Vieles andere auch.

    Das Schriftgut des Kriegsgerichtes wurde gegen Kriegsende vernichtet. Vermutlich sollte es nicht den anrückenden Alliierten in die Hände fallen. Deshalb ist auch das Todesurteil gegen Oskar Aschoff nicht erhalten geblieben. Nicht einmal die genaue Anklage und das Datum des Urteils sind überliefert. Nur das Aktenzeichen "I 41/44" wurde später bei seiner Hinrichtung notiert. Es darf als sicher angenommen werden, dass ihm vorgeworfen wurde, er sei desertiert. Denkbar, dass ihm seine geplante Flucht ins Ausland als strafverschärfend angelastet wurde. Niemand weiß, ob auch der angebliche Wurst-Diebstahl eine Rolle spielte.

    Todesurteile gegen Soldaten sind mit dem Klischeebild einer Hinrichtung durch ein Erschießungskommando im Morgengrauen verbunden. Die Realität in Nazi-Deutschland sah anders aus. Als 1943 mit der Brutalisierung des Krieges auch die Zahl der Todesurteile gegen die eigenen Soldaten enorm anstieg, ermächtigte Hitler die militärischen Befehlshaber, selbst zu entscheiden, ob die Verurteilten erschossen, enthauptet oder erhängt werden sollten.

    Im Sinne einer Rationalisierung des Vollzugs konnten nun auch "zivile" Hinrichtungsstätten in Anspruch genommen werden. Die Bielefelder Todesurteile der 176. Division wurden ab jetzt mit der Fallbeilmaschine im Dortmunder Gefängnis vollstreckt. Die Hinrichtung Oskar Aschoffs erfolgte am 2. Mai 1944 um 18.11 Uhr. Er war an diesem Tag der fünfte von mindestens sieben Delinquenten. Vier Monate später wurde an gleicher Stelle der Herforder Heiko Ploeger ermordet.

    In "Rosen für den Staatsanwalt" wird die Hinrichtung des Rudi Kleinschmidt durch glückliche Umstände in letzter Minute verhindert. Er überlebt, aber tut sich schwer, seinen Platz im Nachkriegsdeutschland zu finden.

    Amtlich entsorgt ins Nichts

    Ein paar Jahre später trifft er den Kriegsgerichtsrat, der seinen Tod gefordert hatte, zufällig auf der Straße wieder. Längst ist der einstige Vollstrecker des Führerwillens zum gutsituierten Bundesbürger mutiert. Als demokratisch gewendeter Landgerichtsrat hat er seine blutrünstige Vergangenheit verschwiegen und verhilft nun einem gefürchteten Antisemiten zur Flucht vor der Strafverfolgung.

    Das Überlebensglück des Filmhelden Rudi K. war dem realen Oskar Aschoff nicht vergönnt. Hätte er es gehabt, hätte ihm auch Dr. Fritz Rheinen durchaus auf der Straße begegnen können. Der ehemalige Kriegsgerichtsrat fand schnell einen geachteten Platz in der Bundesrepublik. Er wurde Landgerichtsdirektor in Duisburg. Seine Personalakte hatte - ein Schelm, wer Böses dabei denkt - den Krieg nur unvollständig überstanden. Auch Oskar Aschoffs Akten wurden bereinigt.

    Ohne jeden weiteren Hinweis erhielt seine Herforder Melderegisterkarte am 30.11.1946 den Eintrag: "von Amts wegen abgemeldet." Ein 18-Jähriger, von Staats wegen ermordet, war damit amtlich entsorgt ins bürokratische Nichts. Spurlos verschwunden. Übrig blieb nur der Hinweis, für diesen Verwaltungsakt würden von den Angehörigen keine Gebühren erhoben.

    Quelle: Neue Westfälische - Herford, 17.11.2012

    Im Dortmunder Gerichtsgefängnis wurden von Mai 1943 bis Anfang Januar 1945 von der NS-Militärjustiz die hier genannten, zum Tode Verurteilten, die nicht aus Dortmund stammten, hingerichtet:

    Werner Birlemgeb. am 14. Juni 1920 in Berlin-Lichtenberg
    Heinz Werner Busch geb. am 03. Februar 1921 in Koblenz
    Wilhelm Eduard Franz Böttger geb. am 26. Juli 1902 in Düsseldorf
    Heinrich Dülks geb. am 08.September 1922 in Essen
    Johann Eschbach geb. am 30. November 1924 in Rheinberg Bezirk Köln Porz
    Heinrich Ludwig Feisel geb. am 09. September 1918 in Frankenberg
    Johann Fi**** geb. am 05. Oktober 1909 in Kellen Kreis Kleve
    Ludwig Edmund Christian Fri****geb. am 25. Juli 1903 in Dortmund-Berghofen
    August Grüters geb. am 23. November 1919 in Elberfeld
    Edmund Hackhausen geb. am 06. März 1920 in Köln-Zollstock
    Friedrich Herrmann geb. am 02.April 1914 in Düsseldorf
    Ernst Karl Hopf geb. am 30. April 1920 in Stendal
    Karl Ernst Huckschlag geb. am 23. August 1916 in Menden
    Hans August Robert Hülsmann geb. am 12. Mai 1922 in Bochum-Hordel
    Wilhelm Jülich geb. am 16. November 1912 in Köln-Lindenthal
    Harry Kurt Kö**** geb. am 23. Dezember 1922 in Gladbeck
    Leo Kaczorowski geb. am 21. März 1902 in Jellen Kreis Strasburg/Westpreußen
    Emil Kallenbach geb. am 25. Januar 1921 in Wasungen Kreis Meiningen
    Heinrich Koch geb. am 30. Dezember 1913 in Wachendorf Kreis Euskirchen
    Johann Wilhelm Kraft geb. am 11. Dezember 1905 in Wuppertal, möglw. Dortmund
    Willy Kuhweide geb. am 16. Dezember 1906 in Barmen
    Paul Kusz geb. am 03. August 1918 in Gelsenkirchen
    Phillip Johann Lenhart geb. am 27. Oktober 1919, letzte Anschrift Weiler bei Bingerbrück
    Richard Liebelt geb. am 9. Oktober 1902 in Wiesa Kreis Kamenz
    Gerhard Lindemann geb. am 15. Oktober 1918 in Wörlitz Krs. Dessau
    Heinrich Lüttgen geb. am 21. November 1913 in Düsseldorf
    Otto Malick geb. am 20. Juni 1918 in Forst
    Alfred Mannewitz geb. am 24. März 1910 in Brandenburg
    Ludwig Musielak geb. am 12. August 1912 in Oberhausen
    Gustav Möllmann geb. am 2. August 1914 in Wesel
    August Mühlbach geb. am 06. Juni 1907 Frankfurt/Main
    Gerhard Otto Müller geb. am 5. September 1918 in Wilnsdorf/Dippoldiswalde
    Franz Wilhelm Nagl geb. am 5. Februar 1916 in Gmunden/Oberdonau
    Josef Nösler geb. am 08. September 1914 in Wattenscheid
    Friedrich Prylewski geb. am 21. Oktober 1913 in Wanne-Eickel
    Walter Rachowiak geb. am 12. September 1912 in Herten
    Emil Karl Reinhold Riese geb. am 24. Januar 1906 in Essen-Altendorf
    Johann Roth geb. am 03. September 1914 in Hüls/Kempen-Krefeld
    Alfred Horst Rumey geb. am 13. Februar 1917 in Königsberg
    Wilhelm Rusche geb. am 4. Mai 1907, letzter Wohnort Mülheim/Ruhr
    Heinrich Josef Scheidtmann jun. geb. am 16. Mai 1914 in Neviges
    Johann Schröder geb. am 7. Februar 1925 in Schloß Neudorf Kreis Meseritz/Warthe
    Heinz Seidel geb. am 10. April 1921 in Seeburg bei Halle
    Heinrich Seidler geb. am 17. November 1904 in Rüttenscheid/Essen
    Rudolf Sgubisch geb. am 10. Juni 1920 in Bismarckhütte/Beuthen
    Josef Spanz geb. am 15. März 1912 in Stockigt Kreis Bitburg
    Johann Tauber geb. am 11. Feburar 1919 in Graz/Österreich
    Hermann Tegeder geb. am 08 Dezember 1919 in Remscheid
    Bernhard Thiel geb. am 1. September 1907 in Loneker Kreis Enschede
    Heinz Thomas geb. am 29. Oktober 1922 in Barmen
    Hermann Witte geb. am 1. Februar 1915, letzter Wohnort Düsseldorf
    Helmut Oskar Zehkorn geb. am 2. Oktober 1907 in Hohensalza

    Quelle: Arbeitstelle Zukunft braucht Erinnerung, Dortmund

    Eine Anzahl Dortmunder, die der Wehrmacht angehörten, kamen in Konflikt mit der Wehrmachtjustiz und wurden bei der Fahndung, während des Verfahrens oder nach einem Urteil getötet. Hier konnten von der "Arbeitstelle Zukunft braucht Erinnerung" bisher 56 Opfer namentlich ermittelt werden.Ihre genau Zahl wird wohl nicht mehr feststellbar sein.

    → "Hingerichtete Dortmunder"


    Opfer der NS-Militärjustiz, die zwischen 1939 -1945 in anderen Hinrichtungsstätten ermordet wurden

    Robert Albrecht geb. am 18. April 1907 in Dingelstädt-Eichsfeld
    Hermann Bodegeb. am 1. Februar 1911 in Broitzen/Braunschweig
    Josef Brückmanngeb. am 10. Januar 1925 in Bodenheim Kreis Oppenheimt
    Willi Dehmelgeb. am 17. April 1910 in Dortmund-Hörde
    Alfred Eckgeb. in Baldersheim
    August Fiereck geb. am 30. Dezember 1907 in Münster
    Michael Fries geb. am 31.8.1910 in Dietfurth a.d. Altmühl
    Georg Gottfried geb. in Gollachostheim
    Kurt Grabenhofer geb. am 29. Januar 1922 in Graz/Österreich
    Heinrich Greff geb. am 13. März 1921 in Klein-Blittersdorf
    Kurt Emil Hahn geb. am 16. Januar 1916 in Reppen Kreis Oschatz
    Johann Hinrich Hoops geb. am 28. Januar 1924 in Hadenfeld Kreis Steinburg
    Rudolf Kalb geb. am 7. April 1905 in Hannover
    Harald Kern geb. am 23. September 1924 in Graz/Österreich
    Dr. Prof. Werner Krauß geb. am 7. Juni 1900 in Stuttgart
    Johann Lukaschitz geb. am 25. September 1919 in Wien
    Rudolf Narkus geb. am 28. August 1912 in Dortmund-Hörde
    Adolf Pogade geb. am 13. August 1896 in Halenbeck/Ostpriegnitz
    Ludwig Rehak geb. am 16. August 1912 in Wien
    Johann Sasse geb. am 08. Feburar 1917 Seeboden, Bezirk Klagenfurt
    Gerhard Schäfer geb. am 18. Februar 1924 in Landsweiler-Reden Kreis Ottweiler
    Franz Scheider geb. am 13. Dezember 1913 in München
    Werner Spenngeb. am 8. September 1918 in Wittenberge
    Dr. Adalbert von Springer geb. am 28. September 1908 in Rzew/Galizien
    Heinz Strehlow geb. am 15. Juli 1915 in Hamburg
    Alois Valach geb. am 2. Februar 1910 in Wien
    Ferdinand Wöhrle geb. am 8. April 1917 in Wolfach/Baden
    Richard Zirngeb. am 16. Dezember 1912 in Altensteig Kreis Calw

    Die Aufzählungen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern stellt lediglich eine exemplarische Auswahl dar.
    Zusammenstellung: Karlheinz Klaiber


    Für diese Opfer der NS-Militärjustiz wurden bereits Stolpersteine verlegt

    Stolpersteine für Werner Schilling und für J. Gerhard Kratzat


    Bamberg

    Graf von Stauffenberg

    geb. 1907, erschossen 21. Juli 1944

    Widerstand
    BambergAnton Langhammergeb. 1924, erschossen am 7. April 1945Fahnenflucht
    BurgJ.Gerhard Kratzatgeb. 1909, hingerichet am 12. Juli 1944 Widerstand
    BurgWilli Max Beenkegeb.1913, ermordet am 20. März 1944 Widerstand
    ChemnitzFriedrich Olbrichtgeb. 1888, erschossen am 21. Juli 1944Widerstand
    ChemnitzArnold Wintergeb. ?, erschossen 11. Dezember 1943(2)
    CoburgGeorg Alexander Hansengeb. 1904, hingerichtet 08. September 1944Widerstand
    DithmarschenJohann Wilhelm Jaspergeb. 1899, hingerichtet 29. September 1934Widerstand
    Frankfurt/OderHerberg Jenschgeb. 1900, ermordet am 5. Juni 1944Widerstand
    HannoverRobert Gauweilergeb. 1906, erschossen am 11. Dezember 1944(2)
    HermaringenGeorg Elsergeb. 1903, erschossen am 8. April 1945Widerstand
    KielWilli Dittmangeb. 1905, hingerichtet am 1. Februar 1945Fahnenflucht
    LeipzigWerner Schillinggeb. 1917, hingerichtet 24. Juli 1944Fahnenflucht
    MeldorfJohann Wilhelm Jaspergeb. 1899, hingerichtet am 29. September 1934Widerstand
    Mönchengldb.Theo Hespersgeb. 1903, gehenkt am 9. Dezember 1943Landesverrat
    Mülheim/RuhrGünther Smendgeb. 1912, gehenkt am30. August 1944Widerstand
    Mülheim/RuhrPaul Grossgeb. 1908, hingerichet am 9. August 1943(2)
    Mülheim/RuhrPaul Weselergeb. 1901, hingerichtet am 11. August 19??Kriegsverrat
    Mülheim/RuhrJohann Hörstgengeb. 1906, ermordet 14. August 1944 Landesverrat
    NaumburgJoachim Meichßlergeb. ???, hingerichet am 29. September 1944Widerstand
    OffenburgGustav Kunzgeb. 1920, erschossen 25. April 1944Kriegsverrat
    SalzburgJohann Pichlergeb. 1899, erschossen am 28. September 1939(1)
    SalzburgJosef Wegscheidergeb. 1897, erschossen am 26, September 1939(1)
    SalzburgFranz Mittendorfergeb. 1903, hingerichet am 6. Januar 1940(1)
    StuttgartWerner Spillergeb. 1910, erschossen 19. April 1944Volksverrat
    StuttgartEmil Gärtnergeb. 1896, hingerichtet ? 1944Hochverrat
    Waren-MüritzFranz Liemandtgeb. 1899, hingerichtet 07. Dezember 1939(2)
    WürzburgAnton Kropfgeb. 1914, ermordet 9. Dezember 1939(2)

    (1) Kriegsdienstverweigerung (2) Wehrkraftzersetzung

    Diese Aufzählung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern stellt lediglich eine exemplarische Auswahl dar.
    Zusammenstellung: Karlheinz Klaiber

    Andreas Jordan, Juli 2010. Nachtrag Oskar Aschoff Okt. 2013

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