"Ohne die I.G. Farben, insbesondere ohne die I.G.-Produktion auf den Gebieten des synthetischen Gummis, des synthetischen Treibstoffs und des Magnesiums, wäre es für Deutschland ausgeschlossen gewesen, einen Krieg zu führen."
I.G. Vorstandsmitglied Heinrich Bütefisch, 1947 in Nürnberg. (Quelle: Köhler, S. 205; O.M.G.U.S., S. 15)
Einleitung
Auschwitz war die größte Massenvernichtungsfabrik in der Geschichte der Menschheit, aber das Konzentrationslager war nur ein Anhängsel. Das Hauptprojekt war IG Auschwitz, eine 100 %-ige Tochtergesellschaft von IG Farben, der größte Industriekomplex der Welt zur Herstellung von synthetischem Benzin und Gummi für die Eroberung Europas.
Auschwitz III. Blick auf die Buna-Werke. Liberation Chronicle, 1945
Am 14. April 1941 sagte Otto Ambros, Vorstandsmitglied von IG Farben und zuständig für das Auschwitz-Projekt, in Ludwigshafen zu seinen Vorstandskollegen: "Unsere neue Freundschaft mit der SS ist ein Segen. Wir haben alle Maßnahmen zur Integration der Konzentrationslager zu Gunsten unseres Unternehmens beschlossen." Die pharmazeutischen Abteilungen des IG Farben-Kartells benutzten die Opfer der Konzentrationslager auf ihre ganz eigene Weise: Tausende von ihnen starben bei Menschenversuchen, bei denen u. a. neue und unbekannte Impfstoffe getestet wurden.
Es gab keinen Ruhestandsplan für die Gefangenen von IG Auschwitz. Die, die zu schwach oder zu krank waren, um arbeiten zu können, wurden am Haupttor von IG Auschwitz aussortiert und in die Gaskammern geschickt. Selbst das chemische Gas Zyklon-B, das für die Vernichtung von Millionen von Menschen eingesetzt wurde, stammte aus den Entwicklungsabteilungen und Fabriken von IG Farben. Auszug aus einem Feldpostbrief: Ein Vater gratuliert seinem Sohn zur erfolgreichen Musterung und schildert seinerseits seine Eindrücke aus dem Arbeitslager Auschwitz. Er arbeitet dort für IG Farben.
Lieber Walter! Auschwitz, 16. 2. 42
(...) "Hier ist ein Mordsbetrieb, da wird alles auf den Kopf gestellt. Da steht schon eine ganze Ortschaft von Baracken und nicht so kleine. Es sind so durchschnittlich 12 bis 14 Zimmer in so einer Baracke und jedes einzelne ist etwa 6 - 7 m lang und etwa 4,50 bis 5 m breit. Durch die Mitte geht ein schöner breiter Flur. Wir sind 5 Herren in einem Zimmer. Jeder hat für sich einen Schreibtisch und einen Schrank zum Ablegen der Mäntel, Bürojacken und Hüte. Ein Konzentrationslager gibt es auch hier mit etwa 50.000 Sträflingen. Alle haben einen schwarzweißgestreiften Anzug an. Es sind zum größten Teil Polen, aber auch Reichsdeutsche. Bei den Polen sind sehr viele Männer aus den intelligentesten Kreisen darunter. Die werden mit Absicht hier behalten. Mit diesen Leuten kann nun schon allerhand geleistet werden, zumal viele darunter sind, die einen Beruf gelernt haben. Jeder muss dann in seinem Beruf arbeiten. Im Lager ist unter anderem eine Möbelschreinerei, Sägewerk, Betonfabrik usw. In Polen braucht einer nicht viel zu machen und schon hat er einen gestreiften Anzug. Nun Hals- und Beinbruch und herzliche Grüße, Dein Vater"
Kriegsverbrecher in der Nachkriegszeit
In der Nachkriegszeit kamen viele der NS-Verbrecher, obwohl als Kriegsverbrecher verurteilt, schnell wieder zu "Amt und Würden". Im I.G.-Farben-Prozess, dem Verfahren "Vereinigte Staaten vs. Carl Krauch et al.", wurden 23 Leitende Angestellte der I.G. Farbenindustrie AG 1947 vor das Nürnberger Kriegsverbrechergericht gestellt. 11 Angeklagte, darunter Fritz Gajewski, mussten aufgrund der Beweislage freigesprochen werden, andere erhielten Gefängnisstrafen: Otto Ambros 8 Jahre, Heinrich Bütefisch 6 Jahre, Walter Dürrfeld 8 Jahre. Sie alle bekleideten trotzdem hohe Führungspositionen in der Wirtschaft - Gajewski war u.a.Aufsichtsratsmitglied der Gelsenkirchener Bergwerke, Ambros wurde u.a. Aufsichtratsmitglied der Scholven-Chemie AG Gelsenkirchen, Bütefisch wurde u.a. Aufsichtsratsvorsitzender der Kohle-Öl-Chemie GmbH in Gelsenkirchen, Dürrfeld u.a. Vorstandsmitglied der Scholven-Chemie AG, Gelsenkirchen-Buer. Bütefisch war auch Mitglied im "Freundeskreis Reichsführer SS". Der Freundeskreis Reichsführer SS, auch Freundeskreis Himmler, ist ein Beispiel für den Zusammenhang von Großindustrie und Aufstieg der NSDAP.
Heinrich Bütefisch - Soll und Haben
Die Kreuz-Fahrt begann und endete zu Bonn am Rhein. Sie dauerte sechzehn Tage. So lange nur besaß der Essener Dr. Heinrich Bütefisch, 70, das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik. Dann mußte er den Orden nebst seidenem Halsband an den Bundespräsidenten zurückgeben, der ihm das Kreuz gerade erst verliehen hatte.
Bonns Halsband-Affäre wurde durch Alarmsignale über die politische Vergangenheit Bütefischs ausgelöst, um die sich die zuständigen Ordensverleiher bis dahin nicht gekümmert hatten. Bütefisch, heute stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzer der Ruhrchemie AG Oberhausen und Aufsichtsratsvorsitzender der Kohle-Öl-Chemie GmbH in Gelsenkirchen war einst im IG-Farben Konzern vom Laborchemiker zum Chef der mitteldeutschen Leunawerke und zum Vorstandsmitglied, in der SS zum Sturmbannführer aufgestiegen.
Seines Bundes-Kreuzes ging der ehemalige SS-Führer wegen seiner Tätigkeit verlustig, die vor 1945 mit dem Reichs-Ritterkreuz zum Kriegsverdienstkreuz belohnt und 1948 von einem alliierten Tribunal in Nürnberg mit sechs Jahren Gefängnis bestraft worden war: Bütefisch trug Mitverantwortung dafür, daß sein Chemiekonzern während des Krieges Häftlinge des KZ -Lagers Auschwitz von der SS für dortige Zweigwerke auslieh. Nürnberger Urteil: "Die Ausbeutung der Arbeit von KZ-Insassen ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit."
Den Anteil Bütefischs am Sklavenhandel zwischen der SS und den IG Farben deckten in den sechzehn Tagen zwischen Aushändigung und Rücklieferung des Bonner Ordens drei Kenner der jüngeren Geschichte auf: - ein Unbekannter "aus Süddeutschland", auf den sich das Bundespräsidialamt beruft; er habe durch einen Anruf die Recherchen des Amtes ausgelöst; - der Berliner Professor Dr. Jürgen Kuczynski, 60, Mitglied der britischen Royal Statistic Society und der SED; Kuczynski referierte am 19. März im Frankfurter Auschwitzprozeß über die Rolle des IG-Farben-Konzerns und erwähnte beiläufig auch Bütefisch; - der Westberliner "freie Publizist" Reinhard Strecker, 33, Autor eines Anti-Globke-Buches und Erforscher Ostberliner, Prager und Warschauer Archive; Strecker versorgte zunächst am 24. März subalterne Beamte in Düsseldorf und Bonn, dann am 25. März Werberliner Nachrichtenagenturen und Lübkes Pressechef Raederscheidt mit Informationen.
Bütefischs Vergangenheit ward allerdings kein Geheimnis östlicher Archivare. Sie läßt sich zum größten Teil aus den Nürnberger Prozeßakten rekonstruieren. Die ersten Fäden zwischen den Nazis und dem IG-Farben Konzern knüpfte Chemiker Bütefisch schon vor Beginn des Dritten Reiches. Sein erster NS -Gesprächspartner an einem "wunderschönen Sommertag" (Bütefisch) des Jahres 1932 war Hitler selbst. In München wurde der Konzernmanager damals im provisorischen "Führerhauptquartier" am Prinzregentenplatz empfangen. Hitler beschrieb, wie sich Bütefisch später erinnerte, "seine ökonomischen Ziele klar und überzeugend" und pries die Bedeutung der IG Farben. Abschiedswort Hitlers zu Bütefisch: "Unsere Straße ist die gleiche."
Auf der NS-Straße marschierte Bütefisch fortan in den vorderen Reihen mit, ohne je, wie gelegentlich andere Manager, aus dem Tritt zu kommen. Pflichtbewußt trat der Leuna-Chef und Benzinhersteller auch dem NS-Kraftfahrerkorps bei, und die Politik seiner Partei verfocht er auch auf der untersten Ebene - im Gemeinderat des Industriefleckens Leuna. Laut Testat des Reichssicherheitshauptamtes erweckte der SS-Sturmbannführer überall den "Eindruck eines guten Nationalsozialisten".
Erfahren Sie mehr: → Besuchsbericht KL Auschwitz von Heinrich Bütefisch Im Frühjahr 1941 wurde Bütefisch in ein Staatsgeheimnis eingeweiht, dessen Unterlagen laut Ukas "nur von Hand zu Hand" weitergegeben werden durften und "im Panzerschrank, ausnahmsweise im Stahlspind mit Kunstschloß" verwahrt werden mußten: Ein Werk für die Herstellung künstlichen Kautschuks ("Buna") und ein Hydrierwerk nebst Zulieferbetrieben sollten in der Nähe von Auschwitz gebaut und mit Arbeitskräften aus dem dortigen KZ beschickt werden. Gemeinsam mit seinem noch stärker engagierten Vorstandskollegen Dr. Otto Ambros (heute Aufsichtratsmitglied unter anderem in der Scholven-Chemie AG Gelsenkirchen in der Feldmühle AG Düsseldorf und in der bundeseigenen Bergwerkgesellschaft Hibernia AG Herne) leitete Bütefisch die Vorbereitungen im Auftrage des IG-Farben Konzerns. Nach Auschwitz wurde als "Betriebsführer von IG Auschwitz" (Ambros) der Bütefisch-Vertraute und Leuna-Werker. Dr. Walter Dürrfeld (heute Vorstandsmitglied der Scholven Chemie AG Gelsenkirchen) delegiert. Zum Verhandlungspartner auf der SS-Seite wurde der Himmler-Adjutant Karl Wolff ernannt.
Im März 1941 fuhr Büefisch mit anderen Konzernherren zu Wolffs Berliner Amtssitz an der Prinz Albrecht-Straße, um die Richtlinien für die Kooperation festzulegen. Weitere Verhandlungen führte Dürrfeld in Auschwitz und unterrichtete Ambros und Bütefisch regelmäßig. KZ-Wächter und Konzernführer kamen überein, daß zunächst 1000, später 3000 Häftlinge am Aufbau des Bunawerkes arbeiten sollten. Je Arbeitstag forderte die SS für Hilfskräfte drei, für Fachkräfte vier Reichsmark. Vergebens protestierten die Geschäftspartner gegen diesen Preis: Die SS-Führer, die für ihre eigenen Wirtschaftsbetriebe den Häftlings-Arbeitstag nur mit 30 Pfennig berechneten, waren nicht zu einer Korrektur bereit. Sie erfüllten aber andere Wünsche der Chemiemanager, denen nur an "kräftigen und arbeitsfähigen Häftlingen" sowie am "Ansporn der Häftlinge zu größerer Leistung" (Dürrfeld) lag. Vermerk der Auschwitzer IG-Farben-Leute in einem Wochenbericht: "Obersturmbannführer Maurer (sagte) zu, daß alle schwachen Häftlinge abgeschoben werden können, so daß die Gewähr für eine fast volle Leistung, verglichen mit einem deutschen Hilfsarbeiter, herausgeholt werden kann." Abgeschobene Häftlinge endeten in den Gaskammern des Lagers.
Auschwitz III. Die Buna-Werke
Zwischen dem Lagerkommandanten Höß und Dürrfeld kam es - so eine für Ambros und Bütefisch bestimmte Aktennotiz vom 27. März 1941 - zu "herzlichem Einvernehmen"; man beschloß, "sich gegenseitig jede mögliche Hilfe angedeihen zu lassen". Bald darauf, am 12. April 1941, rühmte auch Farben-Ambros die "Einschaltung des wirklich hervorragenden Betriebes des KZ-Lagers zugunsten der Buna-Werke". Die SS errichtete sogar ein Sonderlager für 8500 Häftlinge in Monowitz bei Auschwitz, um die bis dahin notwendigen Sieben-Kilometer-Märsche der Häftlinge zu vermeiden. Auch wurden einige hundert KZ-Arbeiter bereitgestellt, als unter Bütefischs Regie in der Nähe die Bergwerke "Janina" und "Fürstengrube" übernommen wurden.
Die Geschäftsbeziehungen gediehen zusehends: Wie Soll und Haben beider Partner auswiesen, strich die SS-Kasse in Spitzenmonaten aus dem Lohnfonds der IG Farben eine halbe Million, insgesamt 20 Millionen Mark für die Gestellung der KZ-Sklaven ein. Zweimal jährlich inspizierte der oberste Leunawerker und IG-Vorstand Bütefisch das Auschwitzer Werks-Gelände. Bütefisch - so später vor dem alliierten Tribunal - "besichtigte alles, was noch interessierte". Und: "Ich hatte einen sehr guten Eindruck, muß ich sagen." Von Häftlingen ließ sich der SS -Sturmbannführer berichten; "daß sie außerordentlich zufrieden und glücklich waren ihre Arbeit zu tun, bei der sie Neues lernen".
Angeklagte im IG Farben-Prozeß. Darunter Ambross, Bütefisch, Dürrfeld, Gajewski und andere. Bild: Nuernberg War Crimes Tribunal
Das Auschwitzer Kunstgummi-Idyll brachte Bütefisch gemeinsam mit 22 anderen IG-Farben-Spitzen auf die Nürnberger Anklagebank. Das alliierte Tribunal sprach elf Angeklagte frei; zu den Verurteilten aber gehörten Bütefisch ebenso wie Ambros und Dürrfeld. Sechzehn Jahre später wurde Bütefisch für sechzehn Tage Besitzer des Großen Verdienstkreuzes der Bundesrepublik. Begründung: Er habe im Aufsichtsrat der Ruhrchemie AG Oberhausen (an der die Farbwerke Hoechst, einst Teil dies IG Farben-Konzerns, mit 33 1/3 Prozent beteiligt sind) und in Gremien anderer Firmen Hervorragendes geleistet. Vorgeschlagen hatte den Essener Manager die Düsseldorfer Filiale des Bundesverbandes der Deutscher Industrie. Die nächste Instanz, das Ordensreferat der Düsseldorfer Staatskanzlei, forderte routinemäßig eine Auskunft des Verfassungsschutzes und einen Strafregisterauszug an.
Die Verfassungsschützer meldeten gegen den ehemaligen Leuna-Boß, der Mitteldeutschland noch vor dem Einmarsch der Russen verlassen hatte, keine Bedenken an. Und in dem Registerauszug war die alliierte Strafe nicht vermerkt. Das Bundespräsidialamt verzichtete traditionsgemäß auf jedwede weitere Recherche. Lübke signierte die Verleihungsurkunde, und der Orden ging nach Düsseldorf. Von dort trug Wirtschaftsminister Kienbaum das Kreuz am 11. März 1964 weiter nach Oberhausen, um dort - den ihm bis dahin unbekannten - Bütefisch zu dekorieren.
Am Karfreitag ging der wenig getragene Halsschmuck den umgekehrten Weg. Bundespräsident Lübke hatte - zum erstenmal in der bundesdeutschen Ordensgeschichte - das Ehrenzeichen zurückgefordert. Bütefisch leistete keinen. Widerstand, obwohl er Grund zum Protest gehabt hätte. Der Essener Manager mußte sich durch das Bonner Verleih-Spiel brüskiert fühlen, denn es lief nach Regeln ab, die bis dahin in ähnlichen Fällen nicht gegolten hatten. Als Handhabe diente dem Bonner Präsidialamt ein Passus im Artikel 7 des Ordens-Statuts, demzufolge "die Befugnis zum Tragen des Verdienstordens entzogen werden" kann, wenn "ein Beliehener durch sein späteres Verhalten, insbesondere durch Begehen einer entehrenden Straftat, der Auszeichnung unwürdig (ist) oder ein solches Verhalten nachträglich bekannt (wird)".
Die Anwendung dieses "Kautschuk -Artikels" auf den Chemiker Bütefisch steht im Widerspruch zur Ordens-Ausgabe an andere Manager, die unwiderrufen mit Bundesverdienstkreuzen bedacht wurden, obschon ihre Nürnberger Vorstrafen entweder von vornherein bekannt waren oder aber "nachträglich" ohne Mühe hätten festgestellt werden können. So erhielt der einstige Bütefisch-Mitangeklagte Dr. Friedrich Jähne, der damals wegen des "Verbrechens der Plünderung fremden Eigentums in den besetzten Gebieten" zu achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt wurde, 1960 den Großen Verdienstorden mit Stern. Kein Ordenskanzlist nahm in dem Fall Anstoß an der Nürnberger Vorstrafe, die Bütefisch laut offizieller Erklärung des Bundespräsidialamtes das Kreuz kostete.
Erst nach der Affäre Bütefisch entschloß sich Nordrhein-Westfalens Innenminister Willi Weyer, Dienstherr der Düsseldorfer Verfassungsschützer, in seinem Land für Gleichheit vor dem Ordensgesetz zu sorgen. Industriekapitäne mit Nürnberger Vergangenheit werden ab sofort schon in Düsseldorf von der Liste potentieller Kreuzträger gestrichen.
Quelle Feldpostbrief: www.feldpost-archiv.de "Soll und Haben", Vergl. hierzu: DER SPIEGEL 15/1964 vom 08.04.1964 Bildquellen: Auschwitz-Birkenau State Museum, Poland Angeklagte: Nuernberg War Crimes Tribunal
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