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Das Buchenwaldlied

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Geschichte des Buchenwaldliedes

Buchenwaldlied

Abb.: Das Buchenwaldlied

In den nationalsozialistischen Konzentrations- lagern wurden vor allem Marschlieder gesungen, manche Lager, z. B. Dachau und Sachsenhausen, hatten ein eigenes Lagerlied. In Buchenwald mussten die Häftlinge auf Befehl und zur Freude der SS einige wenige volkstümliche Lieder singen, die unermüdlich wiederholt wurden. Besonders liebte die SS "Steht ein Dörflein mitten im Walde", ein Lied nach dem Gedicht "So einer war auch er!" von Arno Holz, das lange Zeit zum Appellablauf gehörte.

Im Dezember 1938 forderte der damalige Schutzhaftlagerführer Arthur Rödl die Häftlinge auf, ein Lagerlied für Buchenwald zu schreiben. Die beiden österreichischen Häftlinge Fritz Löhner-Beda und Hermann Leopoldi – beide erfahren im Erfinden eingängiger Texte und Melodien – schufen in kürzester Zeit das dreistrophige Buchenwaldlied.

Das sie Juden waren, wurde vertuscht. Rödl war zufrieden, ein Lied zu haben, er ließ es mit Nachdruck einüben und beim Appell und anderen Gele- genheiten singen. Als Marschlied spielte es die Lagerkapelle zum Ein- und Auszug der Arbeitskolonnen.

Eugen Kogon erwähnt das Buchenwaldlied in seinem Buch "Der SS-Statt":

"Text und Melodie mußten in der Freizeit eingeübt werden, bis es eines Abends - es war Ende Dezember 1938, erbärmlich kalt und tief verschneit - für Appellplatz losging: »Das Buchenwald-Lied!" - man kann sich vorstellen, was für ein Katzengesang das erstemal anhob. - Rödl, total besoffen, war wütend, dass es nicht viel sofort klappte und gab den Befehl, jeder Block müsse für sich allein singen, bis das Lied funktioniere. Es begann ein infernalisches Konzert. Als Rödl merkte, dass es auf diese Weise auch nicht ging, ließ diese Strophe für Strophe gemeinsam singen und so lange wiederholen, bis es anhörbar war. Nach sage und schreibe vier Stunden ließ er endlich abmarschieren, aber so, daß jeder Block in Zehnerreihen an ihm und anderen betrunkenen SS-Führern, die an dem Vergnügen teilnahmen, das neue Lied singend vorübermarschieren musste. Wehe dem Block, der nicht ganz ausgerichtet ankam oder nicht richtig sang - zurück, bis es klappte! Um 10 Uhr abends kam alles ausgehungert und steifgefroren vom Appellplatz."

 

Der ehemalige Häftling Walter Poller berichtet: "Oft mussten die Häftlingen zehn- und fünfzehn mal ansetzen, ehe der Massengesang einigermaßen klappte. Da Rödl dabei immer wieder in Wut kam und irgendeine blödsinnige Massen- oder Einzelbestrafung durchführte, organisierten wir Häftlinge die Sache so, dass nur die in der Nähe stehenden Blocks mit doppelter Vehemenz singen mussten, indes die entfernteren Blocks, zu denen der Schall erst Sekunden später gelangte, einfach nur die Lippen bewegten. Trotzdem klang der Massenchor immer noch wie ein wilder Orkan."

Wie lange das Buchenwaldlied in dieser Form gesungen wurde, ist nicht genau belegt. Ein Kommandanturbefehl vom 22. August 1939 nennt es neben dem Esterwegener Lagerlied und dem so ganannten "Judenlied" als im Lager erlaubt. Das "Judenlied", das ausschließlich von jüdischen Häftlingen gesungen werden mußte, entstand etwa 1938 und wurde von einem Häftling verfasst.

Es bestand aus fünf Strophen ununterbrochener Selbstbezichtigung und antisemitischer Klischees: "Wir haben geschoben nur, geschoben und gelogen"; "Jetzt müssen unsre verkrümmeten Maklerhände zur ersten echten Arbeit auch herbei"; "Wir sind (...) durch unsere Fratzen allgemein bekannt"; "Uns Volksbetrügern hat längst davor gegraut, was wahr geworden über Nacht", "Nun trauern unsre krummen Judennasen" usw. Außerdem wird "der Deutsche" besungen, der Juden entlarvt und durchschaut "und hinter sichren Stacheldraht" gebracht hat. Ein Überlebender berichtete von einem Abend, an dem jüdische Häftlinge dieses Lied vier Stunden lang ununterbrochen singen mußten, derweil gingen SS-Leute durch die Reihen und kontrollierten das Mitsingen

Etwa ab 1942, als der Anteil deutschsprachiger Häftlinge immer mehr abnahm, gehörte das Buchenwald- lied nicht mehr zum offiziellen Programm. Umso mehr Bedeutung erlangte es aber für einzelne Häftlings- gruppen, die es zu ihrer Selbstvergewisserung immer wieder sangen. Besonders der letzte Vers des Re- frains "...denn einmal kommt der Tag: Dann sind wir frei!" gab ihnen die Vision eines Lebens in Freiheit, für die es sich lohnt, allen Mut und alle Kraft einzusetzen

Bis heute wird das Buchenwaldlied von ehemaligen Häftlingen in Erinnerung an die Lagerzeit gesungen; es ist fester Bestandteil der Gedenkfeiern zum Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald.

Das Buchenwaldlied:


Wenn der Tag erwacht, eh' die Sonne lacht,
die Kolonnen zieh'n zu den Tages Müh'n
hinein in den grauenden Morgen.
Und der Wald ist schwarz und der Himmel rot,
und wir tragen im Brotsack ein Stückchen Brot
und im Herzen, im Herzen die Sorgen.

O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen,
weil du mein Schicksal bist.
Wer dich verließ, der kann es erst ermessen,
wie wundervoll die Freiheit ist!
O Buchenwald, wir jammern nicht und klagen,
und was auch unser Schicksal sei,
wir wollen trotzdem ja zum Leben sagen,
denn einmal kommt der Tag: Dann sind wir frei!

Und das Blut ist heiß und das Mädel fern,
und der Wind singt leis', und ich hab' sie so gern,
wenn treu sie, ja, treu sie nur bliebe!
Und die Steine sind hart, aber fest unser Tritt,
und wir tragen die Picken und Spaten mit
und im Herzen, im Herzen die Liebe.

Refrain: O Buchenwald, ...
Und die Nacht ist kurz, und der Tag ist so lang,
doch ein Lied erklingt, das die Heimat sang:
wir lassen den Mut uns nicht rauben!
Halte Schritt, Kamerad, und verlier nicht den Mut,
denn wir tragen den Willen zum Leben im Blut
und im Herzen, im Herzen den Glauben.

Refrain: O Buchenwald, ...

Text: Fritz Löhner-Beda, Melodie: Hermann Leopoldi

Geschichte des Buchenwaldliedes: Ursula Härtl, Gedenkstätte Buchenwald.
Zeitzeuge: Walter Poller, Arztschreiber in Buchenwald. Hamburg 1946, S. 129.
Judenlied, in: Konzentrationslager Buchenwald 1937-1945, Begleitband zur ständigen historischen Ausstellung, Hrsgb. Gedenkstätte Buchenwald, 2007

“Buchenwaldlied" → (MP3) taken from the Boder Collection at the USHMM, courtesy of the US Holocaust Memorial Museum (www.ushmm.org)

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Andreas Jordan, Juni 2008, überarbeitet April 2019

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