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Lied im Schutt

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Und als ich über die Straße kam,
Schutt, nichts als Schutt,
als ich über die tote Straße kam,
da stand meine Mutter und sah mich an,
und sah mich aus den Trümmern an,
und huschte und wischte hin und her,
als wenns in den alten Stuben wär,
und weinte sehr.

Und als ich über den Torweg kam,
Schutt, nichts als Schutt,
als ich über den toten Torweg kam,
da stand mein Bruder und lachte mich aus
und war von den Flammen ganz klein und kraus
und sang von unserer Kindheit ein Lied,
von der Zeiten Glück und Unterschied
ein trauriges Lied.

Und als ich über den Garten kam,
Schutt, nichts als Schutt,
als ich über den toten Garten kam,
da standen meine Schwestern drei
und fragten, ob ich es wirklich sei
oder nur die Vergangenheit,
und alle trugen ein schwarzes Kleid
wegen der toten Vergangenheit.

Und als ich über den Schulhof kam,
Schutt, nichts als Schutt,
als ich über den toten Schulhof kam,
da stand mein alter Lehrer so grau
und wusste das Gute und Böse genau
und wies mit dem Finger nach hier und dort
in der Menschheit Irrsinn und Brand und Mord

Das Gedicht "Lili Marleen", das Leip bereits 1915 verfasste, wurde im 2. Weltkrieg in der gesungenen Fassung weltberühmt.

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Textauszüge aus "Lied im Schutt" von Hans Leip, erstmals veröffentlicht am 3. November 1943 in der satirischen Zeitschrift "Simplicissimus".

Andreas Jordan, Juli 2005