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Einer der größter Bombenangriffe auf Gelsenkirchen

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Der 6. November 1944

Foto: Tagesangriff 6. November 1944 auf Gelsenkirchen, Time over Target 14:06 Uhr, Flughöhe 19.000 ft.

Abb.: Tagesangriff 6. November 1944 auf Gelsenkirchen, Time over Target 14:06 Uhr, Flughöhe 19.000 ft. Auf dem Foto Angaben zur Abwurfmunition (Bomben) eines einzelnen Bombers: 1 HC 2000 IN, 6 ANM 59 DN, 4 GP 500 DT, 1 GP 500 LD. [1]

Die meisten Menschen saßen beim Mittagessen, es war der 6. November 1944, ein Montag, kurz vor 14 Uhr. Der Drahtfunk meldete starke feind- liche Bombenverbände auf dem Anflug auf Gel- senkirchen. Nur Sekunden später: Sirenengeheul. Um genau 13.47 Uhr wurde Fliegeralarm ausgelöst. Der Angriff wurde in mehreren Wellen von insgesamt 738 Flugzeugen geflogen. Das Ziel dieses Großangriffs waren die großen Hydrier- anlagen in Gelsenkirchen-Horst und in Scholven. Der Angriff war nicht so zielgenau wie geplant, 514 Maschinen konnten das Areal und die Umgebung der Treibstoff-Werke bombardieren, bevor der aufsteigende Rauch die Bodensicht vernebelte. Die nachfolgenden 187 Maschinen warfen Bomben auf das gesamte Stadtgebiet von Gelsenkirchen. Nach dem Bombenangriff lag die Stadt, insbesondere Alt-Gelsenkirchen, in Schutt und Asche. 518 Menschen kamen dabei um, Zigtausende wurden verletzt, darunter waren auch sehr viele Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter, denen der Zugang zu Luftschutzkellern bzw. Bunkern verboten war. Die gesamte Infrastruktur der Stadt war zusammengebrochen. In schrecklicher Erinnerung haben viele Menschen auch den Abend des 6. November 1944: Um 19.25 Uhr flogen die Briten erneut einen Angriff auf Gelsenkirchen. Dieser trieb die Menschen wieder in Bunker und die Luftschutzräume. Wieder gab es viele Zerstörungen, wieder gab es viele Tote. Auch dieser Angriff hatte augenscheinlich ausschließlich Alt-Gelsenkirchen gegolten.

Karlheinz Urmersbach erinnert sich

Der Ückendorfer Karlheinz Urmersbach, Jahrgang 1928, berichtete 65 Jahre nach den Bombenangriffen vom 6. November 1944 von seinen Erlebnissen an diesem Tag:

"Der zweite Weltkrieg ging dem Ende entgegen. Wieder einmal Fliegeralarm. Das Heulen der Sirenen brachte uns immer in Angst und Schrecken. Wenn die Menschen in die Keller liefen dachten alle nur "hoffentlich werden wir von den Bomben verschont". Es war der 6. November 1944 und im Radio wurde ein Großangriff auf Gelsenkirchen und Bochum vorausgesagt.

Ich arbeitete als Karosseriebauer-Lehrling in Schalke-Süd in der Werkstatt unseres Innungsobermeisters Robert Hübscher, auf der damaligen König-Wilhelm-Straße in Gelsenkirchen. Gegenüber auf der anderen Straßenseite waren die Werke Gute-Hoffnungshütte und Grillo-Funke. Auf diese Werke, die natürlich auch für die Rüstung des Krieges produzierten, hatten es die Flieger unter anderem besonders abgesehen. Mein Obermeister musste zum Einsatz, er war der oberste Luftschutzwart des Bezirkes. In unserer Werkstatt waren wir nur noch mit drei Lehrjungen beschäftigt, denn die älteren Gesellen waren schon alle als Soldaten zur Wehrmacht eingezogen worden. Unser jüngster Lehrling war gerade erst 14 Jahre alt.

Neugierig und mutig, wie wir damals waren schauten wir hoch zum Himmel und dort kamen sie auch schon, die viermotorigen englischen Bomber. Es war grauenhaft, das Brummen der großen Flugzeuge, die in mehreren Reihen hintereinander sehr tief angeflogen kamen. Dieses Brummen ging einem durch Mark und Bein. Aus Erfahrung wussten wir, es konnte nicht mehr lange dauern, das unheimliche Rauschen und Pfeifen der Bomben würde bald einsetzen. Jetzt bekamen wir es aber doch mit der Angst zu tun, aber bevor wir Jungen in den Luftschutzkeller liefen wunderten wir uns noch,warum unsere Abwerflack heute nicht schoss. Das waren die 10,5 und 8,8 cm Geschütze der Gelsenkirchener Luftabwehr.

Als dann die Bomben plötzlich fielen waren wir gerade im Keller angekommen und wir wussten vor Angst gar nicht in welcher Ecke des Kellers wir uns verkriechen sollten. Und dann begann es von allen Seiten her zu rumsen und zu krachen. Der Luftschutzkeller war noch zusätzlich mit dicken Holzstempeln vom Boden zur Decke abgestützt und er bebte nach allen Seiten, von oben nach unten und auch von links nach rechts. Heute frage ich mich oft, wie ein massives mehrstöckiges Haus so beben konnte ohne zusammenzufallen. Unser jüngster Lehrling kauerte unter meinem Stuhl, ich weiß gar nicht wie er überhaupt unter mir Platz gefunden hatte. Alle beteten vor Angst – hört das denn gar nicht mehr auf – es war furchtbar!

Foto: Propaganda-Broschüre des Reichsluftschutzbundes.

Abb.: Propaganda-Broschüre des Reichsluftschutzbundes.

Als es dann endlich ruhiger wurde, es war aber immer noch Vollalarm, gingen wir ganz vorsichtig aus dem Keller wieder nach oben auf die Straße. Wir hatten vorher, zwischen dem ohrenbetäubenden Getöse, ein noch lauteres Geräusch in unserem Haus vernommen. Im dritten Stockwerk des Treppenhauses brannte eine Stabbrandbombe, die durch das zersplitterte Fenster gefallen war.

Auf jeder Plattform des Treppenhauses standen nach Vorschrift einige Sandsäcke, gefüllte Wassereimer und auch Feuerpatschen für den Notfall bereit. Damit konnten wir Jungs den Brand schnell unter Kontrolle bringen und löschen und wir hatten großes Glück, dass es keine Stabbrandbombe mit Sprengsatz war, denn diese Art Brandbomben waren mit roten Ringen gekennzeichnet. Mit einer Schaufel warfen wir die gelöschte Brandbombe durch das zersplitterte Fenster in den Hof. Danach beeilten wir uns in den anderen drei Häusern nach Brandbomben zu suchen. Wir rasten die hölzernen Treppen hinauf und wieder hinunter und konnten dann völlig außer Atem feststellen, dass keine weiteren Brandbomben mehr vorhanden waren und außer einer Vielzahl von zersplitterten Fenster sonst alles soweit in Ordnung war. Diese vier Häuser standen in einem Rechteck zusammen und gehörten zum Eigentum unseres Meisters, Herrn Hübscher. Wären wir drei Jungens im Keller geblieben bis der Fliegeralarm vorbei gewesen wäre, dann hätte es wegen der brennenden Bombe im hölzernen Treppenhaus sicher schlimmer ausgesehen.

Als unser Meister vom Einsatz zurückkam, sah er sofort was vorgefallen war und er lobte uns Jungens für den großen Mut und unseren Einsatz. Natürlich waren wir Drei sehr stolz den Brand trotz des noch andauernden Fliegeralarms gelöscht zu haben. Zur Belohnung durften wir heute früher nach Hause gehen. Ich hatte mein Fahrrad dabei und raste los zu meinen Eltern. Erst jetzt auf dem Nachhauseweg sah ich die zerbombten und brennenden Häuser unserer Stadt. In der König-Wilhelm-Straße in Richtung Gelsenkirchen-Ückendorf war ich entsetzt über das Ausmaß der Zerstörung. Alle Straßenzüge, die heute Morgen noch so friedlich dastanden waren nicht mehr da, nur noch rechts und links der breiten Straße waren große Trümmerhaufen von Ziegelsteinen der ehemaligen Häuser zu sehen. Ich fuhr weinend durch die zerbombten Straßen, es war wohl der schlimmste Anblick den ich in meinem bislang noch jungen Leben erleben musste. Ich weiß bis heute noch nicht, wie ich es eigentlich geschafft habe ohne einen platten Reifen nach Hause gekommen zu sein, denn ich bin über soviel Glas und Steine gefahren und habe außer den Trümmern nichts anderes mehr gesehen. Unser Haus in der Lützowstraße hatte glücklicher Weise nichts abbekommen und die Freude darüber war natürlich Riesengroß."

Mit freundlicher Genehmigung von Karlheinz Urmersbach und seinem Sohn Klaus Urmersbach. (Alle Rechte vorbehalten)

Karlheinz Küper erinnert sich:

Foto: Typische Beladung eines britischen Bombers: 4,000 lbs HC

Abb.: Typische Beladung eines britischen Bombers: 4,000 lbs HC "Cookie", umgeben von 500 lbs "GP" Bomben.

"Mein Vater sah noch, wie unser Haus an der Kirchstraße 40 einstürzte", sagte Karlheinz Küper. Was der Vater zu dem Zeitpunkt nicht wusste: Seine Ehefrau und seine Tochter lebten. "Sie sind durch ein Loch gekrochen und haben sich so in Sicherheit bringen können", erzählte Karlheinz Küper. Sein Vater war Luftschutzpolizist und kam in dem Moment zufällig an dem Haus vorbei. Karlheinz Küper hat den "schwärzesten Tag in der Geschichte Gelsenkirchens" nicht erlebt. Er war dreizehn und in der Kinderlandverschickung, er kehrte erst nach Kriegsende 1945 nach Hause zurück. Durch die Funkmeldungen aufgeschreckt, ließen die Bürger alles stehen und liegen und rannten in Bunker und Luftschutzräume. "Kaum dort angekommen, fielen auch schon die ersten Bomben." So steht es in der Chronik der Stadt zu lesen. Spreng- und Brandbomben folgten.

Es war der schwerste Bombenangriff des Zweiten Weltkriegs auf Gelsenkirchen. Sofort zu Beginn des Angriffs durch die britische Luftwaffe brach die gesamte Gas- und Stromversorgung zusammen, das hat auch Karlheinz Küper später von seiner Familie erfahren. Die Folge: Es gab keine Luftschutzsignale mehr, und der Funkmelde- und Warndienst war ebenfalls "tot". Mit den Einschlägen war auch die Wasserversorgung zerstört worden, so dass an ein Löschen nicht zu denken war.

Auszug aus einem Bericht von Marlies Niehues aus Gelsenkirchen: "Wir waren an diesem unheilvollen 6. November 1944 im Sauerland. Aber meine Patentante, meine liebe Tante Else musste sterben. Sie war bei dem Großangriff auf Gelsenkirchen im Luftschutzkeller ihres Hauses verschüttet worden, zusammen mit ihrem Ehemann und anderen Hausbewohnern. Alle konnten herausgeholt werden. Nur sie war eingeklemmt und die Rettungsmannschaften konnten sie nicht rechtzeitig bergen. Phosphor lief in den Keller und sie verbrannte. Ihre kleine, vom Feuer verkohlte, eingeschrumpfte, verdorrte Leiche wurde später in einer Schubkarre eilig in einer Ruhepause zwischen den Angriffen zum nahe gelegenen Friedhof an der Kirchstraße gekarrt und dort irgendwann hastig bestattet".

Marlies Niehues vor dem Spitzbunker auf dem Schalker Marktplatz

Abb.: Marlies Niehues vor dem Spitzbunker auf dem Schalker Marktplatz - mit freundlicher Genehmigung von Marlies Niehues

Marlies Niehues weiter: "Im 2. Weltkrieg waren die Phosphor-Kanister berüchtigt. Diese Phos- phor-Brandbomben explodierten und verspritzten Phosphor, eine weiß-gelbliche klebrige, zäh anhaftende Masse mit Knoblauchgeruch. Selbst kleine Spritzer verursachten grausame, schlecht heilende Verbrennungen auf der Haut. Der verheerende Brand durch Phosphor-Bomben - bei der Verbrennung entwickelt der weiße Phosphor eine Temperatur bis 1300 Grad Celsius - war kaum zu löschen. Zum Löschen selbstentzündender (hypergoler) Brandmittel wie Phosphor und Napalm muss unbedingt der Zutritt des Luftsauerstoffs unterbunden werden, indem man sie mit einer Schicht Erde oder Sand gut abdeckt. Sie entzünden sich nämlich immer wieder von neuem spontan an der Luft oder auch beim Zutritt von Wasser. Es entstehen hochgiftige Dämpfe, die Verletzten haben dadurch keine Sicht mehr, können nicht atmen und erleiden furchtbare Verbrennungen".

Verladung einer 4000lb Bombe, der so genannte WohnblockknackerAbb.: Britische Soldaten bei der Verladung einer 4000lb-Bombe

Die Bombardierung an jenem Montagnachmittag dauerte 48 Minuten. In dieser Zeit haben die Briten 6460 Spreng- und 167 131 Brandbomben abgeworfen, vornehmlich auf Alt-Gelsenkirchen. Die Statistiker der Stadt errechneten später, daß 70.744 Wohnungen in 17.880 Häusern in Schutt und Asche gelegt wurden.



"Es war ganz furchtbar, überall in den Trümmern lagen Tote", die 74 Jahre alte Gelsenkirchenerin hält auch jetzt, mehr als 60 Jahre nach den schrecklichen Geschehnissen ihre Tränen nicht zurück. Ihren Namen möchte sie nicht veröffentlicht wissen. "Den Tag werde ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen", versichert die Frau. Sie hat am 6. November 1944 viele ihrer Verwandten, Freundinnen, Freunde, Klassenkameraden verloren. Sie war damals fast noch ein Kind. Als der Spuk nach einer knappen Stunde vorbei war, wagten sich die ersten Menschen aus den Luftschutzbunkern auf die Straßen. Ihnen bot sich ein Bild der Verwüstung: Trümmer überall, an vielen Stellen stieg noch dunkler Rauch auf. Dieser Satz fällt der 74-Jährigen besonders schwer: "In der ganzen Stadt stank es nach verbranntem Fleisch, ganz furchtbar".

Gräber von Opfern des Bombenkrieges auf dem Friedhof  Gelsenkirchen Horst-Süd

Abb.: Gräber von "arischen" Opfern des Bombenkrieges auf dem Friedhof Gelsen- kirchen Horst-Süd. Die im Bombenkrieg getöteten Zwangsarbeiter*innen wurden zumeist namenlos in Massengräbern - oftmals in Bombentrichtern - verscharrt.

Wie schon am Mittag waren Schalke, die Altstadt, Bulmke und Hüllen auch am Abend am schlimmsten betroffen. Dort blieben nur noch wenige Häuser unversehrt. Neustadt und Ückendorf hingegen kamen verhältnismäßig "glimpflich" davon, Rotthausen wurde fast ganz verschont.

In der Altstadt war die evangelische Kirche nach der Bombardierung am Abend des 6. November ein einziger Trümmerhaufen. Ein Volltreffer zerstörte die Fundamente, Kirchenschiff und Turm brannten vollkommen aus. Auch die benachbarte Propsteikirche stand in Flammen, der Turm stürzte auf das Kirchendach. Die Fundamente wurden nicht zerstört, so dass hier nach dem Krieg schneller mit dem Wiederaufbau begonnen werden konnte. Die evangelische Altstadtkirche verlor durch den schweren, abendlichen Luftangriff alle Pfarrhäuser, außerdem Gemeindehaus, Kindergarten, Station der Gemeindeschwestern und die Kapelle auf dem ev. Altstadtfriedhof an der Kirchstraße. Auf dem Friedhof selbst waren zahlreiche Bombentrichter. Im Krankenhaus wurde aufgrund der starken Beschädigungen sofort der Betrieb eingestellt. In der Stadt spielten sich überall erschütternde Szenen ab.

Karte eines Piloten mit der Flugroute von Linton on Ouse (UK) nach Gelsenkirchen

Karte eines Piloten der RCAF (Royal Canadian Air Force) mit der Flugroute von Linton on Ouse (UK) nach Gelsenkirchen. (408/426 Squadron (RCAF). OPS Gelsenkirchen 6. November 1944)

Allein an jenem 6. November starben im Stadtgebiet von Gelsenkirchen 518 Bürgerinnen und Bürger bei den beiden größten Luftangriffen, die Gelsenkirchen trafen. Bis zum Kriegsende starben in Gelsenkirchen mehr als 3000 Menschen im Bombenkrieg. Für die Stadt wurde ein Gesamtzerstörungsgrad von 51 Prozent errechnet, heißt es in einer Chronik der Stadt. Die Trümmermenge wurde seinerzeit auf über drei Millionen Kubikmeter geschätzt.

[1]:Die ersten von britischer Seite eingesetzten Minenbombe (Luftmine, von der deutschen Bevölkerung "Wohnblock-Knacker oder auch "Badeofen" genannt), war die HC 2000 LB Mk I, eine Minenbombe der Gewichtsklasse 2000 Pfund (tatsächliches Gewicht ca. 790 kg, d.h. 1733 lbs) mit einer Sprengladung von 625 kg Amatol. Sie hatte eine kegelförmige Spitze mit einem Kopfzünder und wurde durch einen Fallschirm gebremst und stabilisiert. Die HC 2000 LB Mk III hatte schließlich eine flach gerundete Stirnfläche mit drei Kopfzündern und ein Blechleitwerk. Die HC 2000 LB hatte einen Durchmesser von 47 cm und eine Länge des Bombenkörpers von 265,5 cm, Gesamtlänge mit Blechleitwerk (Mk III) 332,7 cm.

Quellen:
Karlheinz Urmersbach.
Als das Feuerkraut blühte - Eine Gelsenkirchener Kindheit im Deutschland des 2. Weltkriegs von Marlies Niehues-Marnach.
WAZ-Bericht vom 05. November 2004 - von Doris Justen-Ehmann.
Bombenschacht, Beladung, Luftbild: www.lancaster-archive.com
Piloten-Karte: Chris Goossens. Tetney, Lincolnshire, UK
Gräber: Gelsenzentrum e.V.

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Andreas Jordan, November 2009

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