Bekennende Kirche
Vorbemerkung
Bei der Planung der zweiten Auflage dieser Dokumentation erklärte sich Pfarrer i.R. Siegfried Hellmund bereit, einen Beitrag über den Evangelischen Kirchenkreis Gelsenkirchen 1933-45 zu verfassen. Pfarrer Hellmund verstarb jedoch während seiner Nachforschungen im Sommer d.J. Frau Hellmund stellte die Unterlagen ihres Mannes zur Verfügung. Die folgenden Ausführungen, die sich auf diese fragmentarischen Vorarbeiten stützen, können deswegen nur erste Anmerkungen zum Thema 'Evangelische Kirche und Nationalsozialismus in Gelsenkirchen bilden.
Die Machtübergabe an Hitler wurde von der Geistlichkeit der Katholischen wie der Evangelischen Kirche weithin begrüßt oder abwartend hingenommen. Die Hoffnung der Evangelischen Kirche, im NS-Staat eine unangefochtene und eigenständige Rolle spielen zu können, erfüllte sich jedoch nicht, denn mit Hilfe der NS-Glaubensbewegung 'Deutsche Christen' (DC) versuchten die Nationalsozialisten, die Evangelische Kirche zu vereinnahmen. Die 'Deutschen Christen' gründeten sich am 6. Juni 1932 als Zusammenschluß nationalsozialistisch orientierter Geistlicher und Gläubiger. Sie erstrebten eine deutsche Evangelische Kirche, die Nicht-Arier ausschließt und sich zu Gott und Adolf Hitler bekennt. Die bis dahin in Landeskirchen organisierte Evangelische Kirche in Deutschland sollte einem kirchlichen Führer unterstellt und nach dem Führerprinzip durchorganisiert werden, Kernpunkt der Anschauung war also die Identifikation von Nationalsozialismus und Glaubensbewegung.
Zur Eroberung der Machtstellungen in der Kirche wurden durch Reichsgesetz von den Nationalsozialisten für den 23. Juli 1933 Kirchenneuwahlen angesetzt, bei denen erwartungsgemäß die 'Deutschen Christen' siegten. Auch in Gelsenkirchen erhielten sie die Mehrheit im Synodal vorstand. Zu dieser Zeit wurde eine Umorganisierung der Gemeindegrenzen vorgenommen und damit der Kirchenkreis Gelsenkirchen den Stadtgrenzen von 1928 weitgehend angepaßt. Der Kirchenkreis und damit der Verwaltungsbereich der Synode Gelsenkirchen erstreckten sich danach auf das Stadtgebiet zuzüglich Wattenscheid und Günnigfeld.Evangelische Christen, die sich mit den Zielen der DC nicht identifizieren konnten und nicht zulassen wollten, daß sie die Evangelische Kirche vereinnahmten, gründeten am 20. Oktober 1933 den 'Pfarrernotbund', zu dem um die Jahreswende 1933/34 bereits ein Drittel der deutschen Pfarrerschaft gehörte. Führende Persönlichkeit des Bundes, aus dem sich später die 'Bekennende Kirche' entwickelte, war Pfarrer Martin Niemöller.
In Gelsenkirchen bildete sich eine Synodale Arbeitsgemeinschaft der Bekenntnispfarrer. Im Anschluß an die Dahlemer Synode 1934 wurde sie durch eine von Presbyterien und Gemeindebruderräten nach kirchlichem Notrecht gebildete Bekenntnis-Kreissynode ersetzt. Deren Arbeit wurde anfangs vor allem dadurch erschwert, daß sich die Geistlichen aus Gelsenkirchen und Buer aufgrund der vorherigen Neuordnung der Kirchenkreisgrenzen damals noch kaum kannten. Die Auseinandersetzungen zwischen DC und Bekennender Kirche kreisten immer wieder um den Führungsanspruch der DC und den Arierparagraphen, den Niemöller als 'bekenntniswidrig' bezeichnete. In der Verpflichtung des Pfarrernotbundes hieß es denn auch:
"Ich verpflichte mich, mein Amt als Diener des Wortes auszurichten allein in der Bindung an die Heilige Schrift. - Ich verpflichte mich, gegen alle Verletzung solchen Bekenntnisstandes mit rückhaltlosem Einsatz zu protestieren. - Ich weiß mich nach bestem Vermögen mit verantwortlich für die, die um solchen Bekenntnisstandes willen verfolgt werden. - In solcher Verpflichtung bezeuge ich, daß eine Verletzung des Bekenntnisstandes mit der Anwendung des Arierparagraphen im Rahmen der Kirche geschaffen ist."
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Weite Teile der evangelischen Christen lehnten die von den DC vorgenommene Vermischung von Christentum und 'völkischem Denken' ab und stellten sich auf die Seite der Bekennenden Kirche. An die Gemeindeglieder wurden als Zugehörigkeitsnachweis die sog. 'Roten Karten' ausgegeben. Allein in der Synode Gelsenkirchen waren 1935 bereits 45118 Karten unterschrieben. Sehr aktive Bekenntnisgemeinden waren Rotthausen, Schalke und Buer.
Waren die DC auch nicht stark genug, sich vollends gegen die Bekennende Kirche durchzusetzen, so hatten die Bekenntnispfarrer doch einen schweren Stand. Wiederholt kam es zu Auseinandersetzungen mit den 'Deutschen Christen', ständig waren sie in Gefahr, wegen 'staatsfeindlicher' Predigten, nicht genehmigter Versammlungen oder unerlaubter Kollekten von der Gestapo verhaftet und ins Gefängnis oder ins Konzentrationslager gebracht zu werden. Stellvertretend für zahlreiche mutige Pfarrer seien genannt: Pfarrer Rauch (Erle), Pfarrer Grolmann (Buer), Pfarrer Donner (Resse) und Pfarrer Käsemann (Rotthausen; vgl. anschließenden Bericht).
Bis in die Kriegsjahre hinein führten die Bekenntnispfarrer in Gelsenkirchen Bekenntnisgottesdienste durch. Diese mußten z.T. in Gemeindesälen stattfinden, weil die DC die Kirchen dafür nicht freigaben. Die Tätigkeit der Bekennenden Kirche hatte unstreitig einen anderen Charakter als etwa der Widerstandskampf der Arbeiterbewegung. Es bleibt aber ihr Verdienst, große Teile der evangelischen Gläubigen dem Einfluß der DC entzogen zu haben. Zahlreiche Geistliche riskierten oder verloren durch die Erfüllung dieser Pflicht ihr Leben.
Kampfzeit
Das Jahr 1933 lief zunächst ruhig an. Für den aus der Gemeinde ausgeschiedenen Pfarrer Dr. Putzien, den Nachfolger von Pfarrer Vogt, der in seine Heimatgemeinde berufen worden war, wurde Pfarrer Lic. Käsemann gewählt. Die nationale Revolution aber, die mit der Berufung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar ihren Anfang nahm, blieb auch für die Gemeinde Rotthausen nicht ohne Folgen. Das erste einschneidende Ereignis war die Auflösung der kirchlichen Körperschaften durch den Reichskommissar Dr. Jäger. Für den Kirchenkreis Essen
wurde Pfarrer Fuchs aus Essen-Kray als Kommissar eingesetzt, der einen Gemeindeausschuß, bestehend aus Pfarrer Rüter, dem Presbyter Lippka und dem Gemeindevertreter Greb, berief.
Die Neuwahlen für die kirchlichen Körperschaften fanden am 24. Juli statt. Da in unserer Gemeinde unter dem Eindruck der politischen Vorgänge nur ein Wahlvorschlag, und zwar von den Deutschen Christen, eingebracht wurde, erübrigte sich eine Wahl. Es wurden nur Deutsche Christen gewählt, auch bei den Wahlen am 30. Juli für das Presbyterium.
In dieses Jahr fällt auch die langgewünschte Umgemeindung der Kirchengemeinde von der rheinischen zur westfälischen Kirche. Sie wurde am 1. August 1933 vollzogen, einschließlich der Gemeindeteile Katernberg und Kray. Damit kehrte die Kirchengemeinde nach vierzigjähriger Unterbrechung zur Muttergemeinde zurück. Im folgenden Jahr gingen von Anfang an die kirchenpolitischen Wogen in der Rotthauser Gemeinde sehr hoch. Im Januar trat Pfarrer Lic. Käsemann bei den Deutschen Christen aus und meldete sich beim Pfarrernotbund an. "Ihm folgte im März Pfarrer Rüter. Am 27. März fand in der Größeren Gemeindevertretung eine Abstimmung über die Stellung zum Reichsbischof, zu Bischof Adler und der von dem letzteren unrechtmäßig gebildeten neuen Pro-vinzialsynode statt. Dabei erklärten sich sechsunddreißig der Anwesenden für die DC-Herrschaft und fünfzehn dagegen. Am 15. April lehnte die Gemeindevertretung es ab, weiter unter dem Vorsitz von Pfarrer Lic. Käsemann zu tagen, weil er in der letzten Sitzung den DC-Vertretern „die Bekenntnistreue abgesprochen" habe. Im August bezeichnete einer der Presbyter die Pfarrer Meyer und Käsemann als Saboteure am Volksganzen.
Da er den Ausdruck nicht zurücknahm, wurden in Zukunft die Sitzungen der Körperschaften als nicht mehr wahrhaft kirchliche nicht mit Gebet eröffnet. Überhaupt sind die Sitzungen dieses Jahres beredter Ausdruck für die Unhaltbarkeit der gesamtkirchlichen Zustände. Immer wieder kam es in den Sitzungen zu Zusammenstößen, die Anzeigen gegen die Pfarrer der Gemeinde häuften sich. Alle diese Vorgänge veranlaßten den Vorsitzenden des Presbyteriums, Pfarrer Lic. Käsemann, am 12. November auf Grund des in Dahlem verkündeten Notrechts die kirchlichen Körperschaften aufzulösen und mit dem Bruderrat der Bekennenden Gemeinde eine Neubildung derselben vorzunehmen.
Der darüber im Protokollbuch stehende Vermerk folgt im Wortlaut: Nachdem die Deutsche Evangelische Bekenntnissynode sich am 20. Oktober 1934 als die allein bekenntnisbegründete und darum rechtmäßige Kirchengewalt proklamiert und die Westfälische Bekenntnissynode dementsprechend Ausführungsbestimmungen erlassen hatte, trat in unserer Gemeinde ein Notstand ein, der sich praktisch schon längst, zumal in den letzten Vertretersitzungen, gezeigt hatte.
Das Presbyterium folgte geschlossen, die Größere Gemeindevertretung in ihrer überwiegenden Zahl dem tyrannischen und darum nicht christlichen, also nach den Bekenntnisschriften auch unrechtmäßigen DC-Kirchenregiment. Sie mußten infolgedessen als ihres Amtes verwirkt betrachtet werden, wie sich denn auch an allen wichtigen Punkten eine fernere Zusammenarbeit mit ihnen als unmöglich erwies. Der Bruderrat der Bekenntnisgemeinde, der auch als Vertreter des zahlenmäßig bei weitem überwiegenden Gemeindeteils anzusehen ist, zog daraus die Konsequenz und stellte, unter Belassung der bekenntnistreuen Mitglieder der Größeren Gemeindevertretung im Amt, eine neue Vertretung auf, die von der Westfälischen Bekenntnissynode auf Grund des Notrechtes auch als rechtmäßig bestätigt wurde. Nach zweimaliger Abkündigung am 11. und 18. November 1934 wurde diese neue Gemeindevertretung im Hauptgottesdienst des Büß- und Bettages, am 21. November 1934, unter Assistenz sämtlicher Pfarrer, vom Präses feierlich eingeführt.
Bild: Kirchenkarte der evangelischen Bekenntnisgemeinde Rotthausen
Die erwähnte Einführung konnte nur unter polizeilichem "Schutz vorgenommen werden, da die Deutschen Christen gewaltsam Verhinderung derselben angesagt hatten. Trotz aller Gegen-anstrengungen hatten die DC-Körper-schaften keinen Einfluß mehr auf den Gang der Dinge in der Gemeinde. Allmählich lösten sie sich auf. Auch das DC-Konsistorium in Münster sah sich nicht mehr in der Lage, die Dinge in Rotthausen zu ändern. Um aber wenigstens in finanzieller Hinsicht eindeutige Rechts-grundlagen zu haben, setzte das Evangelische Konsistorium im August 1935 einen Finanz-bevollmächtigten für die Gemeinde ein, dem die Rechte des Presbyteriums übertragen wurden. In der Folgezeit wurde die Gemeinde von all den staatskirchlichen Maßnahmen genau so getroffen wie jede andere Gemeinde in der Synode auch. Jedoch wurde die Gemeinde durch die Verhaftung von Pfarrer Lic. Käsemann am 18. August 1937 durch die Geheime Staatspolizei stark beunruhigt. Die Verhaftung war auf Grund einer Denunziation bei der Gestapo nach einer Predigt im Bittgottesdienst über Jesaja 26,13 und der Abkündigung einer Kollekte für die Bekennende Kirche erfolgt.
Die Erregung in der Gemeinde war sehr groß. Zu der abendlichen Gemeindebibelstunde am Verhaftungstage erschienen etwa 600 Gemeindeglieder. Das Presbyterium beschloß, während der Dauer der Verhaftung nur mit einer Glocke zu läuten und die Altarkerzen nicht anzuzünden. Als diese äußeren Zeichen für die Trauer der Gemeinde um ihren Seelsorger von der Gestapo als politische Demonstration aufgefaßt wurde, hob man diesen Beschluß wieder auf. Als am 9. September Pfarrer Lic. Käsemann wieder frei wurde, versammelte die Gemeinde sich wiederum in großer Zahl, um den so lang entbehrten Seelsorger im Gemeindehaus zu begrüßen.
Am gleichen Tage war aber Pfarrer Rüter von der Gestapo vier Stunden lang vernommen worden, weil er in einem Gottesdienst während der Verhaftung von Pfarrer Lic. Käsemann über die Geschichte von Paulus von Agrippa gepredigt hatte. Zum Glück lehnte der Untersuchungsrichter es ab, einen Haftbefehl zu erlassen. Aber ein halbes Jahr später traf ihn doch der Schlag.
Zwei Tage nach der durch Pfarrer Rüter vorgenommenen Konfirmation wurde vor dessen Haus ein Volksauflauf inszeniert, der zur "Inschutzhaftnahme" Pastor Rüters durch die Polizei führte. Er sollte in seiner Konfirmationspredigt durch einen Hinweis auf die den Kindern drohenden Gefahren durch mancherlei Verführer den Führer beleidigt haben. Jedoch wurde er schon bald wieder entlassen. Wenige Wochen später
erkrankte Pfarrer Rüter ernstlich und hat dann erst wieder zu seiner Abschiedspredigt im Oktober 1939 die Kanzel betreten. Er verließ die Gemeinde nach fast vierzigjähriger Tätigkeit, um in seine Heimat, Detmold, zurückzukehren. Zu seiner Vertretung wurde vom Bruderrat der Bekennenden Kirche der Hilfsprediger S c h u n k e aus Hemer der Gemeinde überwiesen. Ein gleichzeitig vom Konsistorium ernannter DC-Hilfsprediger konnte in der Gemeinde keinen Fuß fassen.
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Aus: Gelsenkirchen 1933-45 Angeklagt wegen Hochverrat - Beispiele der Verfolgung und des Widerstandes (Arbeitsergebnisse einen VHS-Kurses) Hartmut Hering / Marianne Kaiser
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