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Der jüdische Friedhof in Gelsenkirchen-Bulmke

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Ein Beitrag von Marlies Mrotzek

Lage und Kurzbeschreibung

Der Friedhof in Bulmke ist der älteste jüdische Friedhof auf Gelsenkirchener Stadtgebiet. [1] Er befindet sich auf dem Grundstück an der Wanner Straße/Oskarstraße. Zu beiden Straßenseiten hin ist er durch eine hohe Mauer geschützt; die an die Gärten der Anliegerhäuser angrenzenden Seiten sind von einem Eisenzaun und Buschwerk umgeben. Das Eingangstor befindet sich an der Seite Oskarstraße. Mit etwa 400 Gräbern auf 2.324 m2 ist der Friedhof dicht belegt. [2] Er wurde 1874 durch die jüdische Gemeinde von der Stadtgemeinde Gelsenkirchen gekauft und ausnahmslos bis 1927 benutzt. Die jüdische Gemeinde nannte sich nach der Einweihung der eigenen Synagoge im Jahre 1885 Synagogengemeinde Gelsenkirchen. Im Jahr 1927 erhielt die Synagogengemeinde das neue Friedhofsgelände in Ückendorf. Aber noch bis 1936 wurden Beerdigungen in Familiengräbern auf dem Friedhof in Bulmke vorgenommen.

Der älteste Grabstein datiert aus dem Jahre 1874. Die Grabsteine dokumentieren den Formenwandel der Grabsteinkunst, zweisprachige Inschriften den Wandel der hebräischen hin zur deutschen Schriftsprache. Jedoch verwittern die Steine und es ist absehbar, dass in einigen Jahren die Inschriften völlig unlesbar sein werden. Zur Wanner Straße hin befindet sich der Friedhofsteil mit Kindergräbern. Von einigen ist nur noch die Einfriedung erkennbar. Ihre Nähe zur Friedhofsmauer unterstreicht jene Hinweise, nach denen der Friedhof Ende der 20-er Anfang der 30-er Jahre an dieser Stelle um einen Landstreifen verkleinert und entsprechend die Mauer neu gezogen wurde. Auf dem gegenüberliegenden Teil befinden sich Grabdenkmäler im Andenken an Mitglieder der Synagogengemeinde, die in Konzentrationslagern umgekommen sind. Ab 1903 befand sich unmittelbar hinter dem Eingangstor eine Leichenhalle. Der genaue Zeitpunkt und die Art und Weise ihrer Zerstörung sind nicht eindeutig festzustellen. Ihre teilzerstörte Ruine wurde 1941 abgetragen. Heute erinnert an sie der unbebaute Platz hinter dem Eingangstor und Bauzeichnungen und -beschreibungen aus dem Jahre 1901.

Mit seinen zum Teil reich ornamentierten Grabsteinen ist der Friedhof das älteste materielle Zeugnis jüdischen Brauchtums in Gelsenkirchen. Von hohen Bäumen und Buschwerk umgeben ist er ein Ort der stillen Würde inmitten des Bulmker Wohngebietes mit seinen Restfabrikanlagen aus den Anfängen der Industrialisierung. Als "geschlossener" Friedhof gehört das Gelände dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden Westfalen. Für die Instandsetzung und Pflege von jüdischen Friedhöfen, auf denen keine Beerdigungen mehr vorgenommen werden, ist grundsätzlich die politische Gemeine zuständig, in welcher der Friedhof liegt. [3] Seine Pflege übernimmt die Firma Gelsengrün. [4] Der Friedhof ist seit Mitte des Jahres 1995 unter Denkmalschutz gestellt.

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Zur Geschichte des Friedhofs

Das Friedhofsgrundstück an der Wanner Straße/Ottostraße [5] wurde im Jahre 1874 durch die jüdische Gemeinde Gelsenkirchen erworben. In diesem Jahr löste sie sich von der Synagogengemeinde Wattenscheid ab. Der Erwerb eines eigenen Friedhofsgeländes war die Voraussetzung und der Beginn der Selbständigkeit der jüdischen Gemeinde in Gelsenkirchen. Max Kaufmann, der vierzig Jahre als Hauptlehrer, Kantor und Prediger in der Gemeinde wirkte, schreibt dazu in der "Festschrift anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Synagogen-Gemeinde Gelsenkirchen" aus dem Jahre 1924: "Das äußere Leben einer jeden jüdischen Gemeinde wird umgrenzt und bestimmt durch drei Begriffe: Schule, Bethaus, Friedhof. Und es ist bezeichnend, dass, wie in den Nachbarstädten Steele, Wattenscheid auch bei uns die Selbständigkeit der Gemeinde mit dem Erwerb des Friedhofs ihren Anfang nimmt. Schule und Bethaus sind längst eingerichtet, so lange kein Friedhof vorhanden ist, fehlt die Existenzberechtigung." [6]

Bis zu diesem Zeitpunkt gehörten die 306 jüdischen Einwohner von Gelsenkirchen zur Synagogengemeinde Wattenscheid und zur Hauptsynagogengemeinde Hattingen. [7] Ein Lehrer aus Wattenscheid erteilte in Gelsenkirchen den Kindern Religionsunterricht. Später wurde eine einklassige Schule eingerichtet. Sie befand sich in dem der jüdischen Gemeinde gehörenden Haus an der Neustraße 4, der heutigen Gildenstraße. [8] Die Erwachsenen besuchten bis zur Anmietung eines eigenen Betsaals im Jahre 1863 die Synagoge in Wattenscheid. "Dorthin wurden auch die Toten überführt, die auf dem alten Friedhof an der heutigen Bochumer Straße bestattet wurden." Nach der Einweihung der eigenen Synagoge am 21. und 22. August 1885 nannte sich die jüdische Gemeinde Synagogengemeinde Gelsenkirchen. [11] Als selbständige Synagogengemeinde umfasste sieden Stadtkreis Gelsenkirchen und die Gemeinden Schalke, Bismarck, Hüllen und Heßler [12], ab 1908 auch Ückendorf. [13]

Die frühesten Geländebeschreibungen datieren aus dem Jahre 1898. Es sind eine Handzeichnung des Königlichen Katasteramtes Gelsenkirchen und die Zeichnung zu einer Entwässerungsanlage. Beide Zeichnungen dokumentieren die ursprüngliche Größe des Friedhofes bei seiner Auflassung. [15]

Lageskizze

Im Jahre 1901 stellte der Vorsitzende der Synagogengemeinde Gelsenkirchen, Daniel Klestadt, ein "Conzessionsgesuch" an die Polizeibehörde des Amtes Bismarck, mit dem er um die Erlaubnis zum Neubau einer Leichenhalle auf dem Friedhof Gemeinde Bulmke nachsuchte. Bevor jedoch diese Genehmigung erteilt werden konnte, sollte noch mit der Synagogengemeinde über die Abtretung eines Landstreifens zur Ottostraße hin verhandelt werden. [16] Am 2. September des Jahres erschienen der Vertreter der politischen Gemeinde Bulmke, Amtsbaumeister Josef Keller, und Daniel Klestadt vor dem Amtmann August von Eberstein und schlössen einen Vertrag über die Abtretung des infrage kommenden Landstreifens ab.

Als Gegenleistung wurde der Synagogengemeinde gestattet, das Friedhofsgrundstück als Baugrundstück zu benutzen. Ein ähnlicher Vertrag wurde mit dem Landwirt Wilhelm Wilms geschlossen, dessen Grundstück auch an der Ottostraße lag. Landwirt Wilms musste sich außerdem verpflichten, den Bürgersteig in ganzer Straßenlänge mit Zementplatten, Bordsteineinfassungen und Gosse auszubauen bzw. die hierfür anfallenden Kosten der Gemeindekasse zu erstatten. Zehn Jahre später veränderte sich das Friedhofsgrundstück der Synagogengemeinde als Folge des am 25. Juni 1912 vom Regierungspräsidenten genehmigten Parzellentausches. Die Synagogengemeinde erwarb von der Gelsenkirchener Bergwerks AG die Parzelle Flur 1 Nr. 2254/88 und veräußerte an diese die Parzelle Flur 1 Nr. 2253/88. [17] Es bleibt unklar, auf welche Initiative hin dieser Tausch zustande kam. Anfang 1919 mahnte die Stadtverwaltung offensichtlich zum wiederholten Male. Die Abtretung eines Landstreifens sei langfristig gesehen nicht mehr zu umgehen. Die Stadt plante, die nach Wanne führende Straßenbahn zweigleisig auszubauen und die Straße neu zu pflastern.

In seinem Antwortschreiben wies der Vorstand der Synagogengemeinde auf den "religionsgesetzlichen Standpunkt", nach dem es Juden verboten ist, die Ruhe der Toten zu stören bzw. Leichen zu exhumieren. Eindringlich bat Daniel Klestadt, das religiöse Empfinden der Gelsenkirchener Bürger jüdischen Glaubens nicht zu verletzen. Die Stadtverwaltung antwortete höflich aber bestimmt. Es liege ihr fern, die religiösen Empfindungen der jüdischen Bürger zu verletzen, jedoch sei es die Pflicht der Verwaltung, die Anforderungen des öffentlichen Verkehrs zu befriedigen. Zur Zeit werde der Friedhof an der Wanner Straße noch geschont, jedoch sei der Zeitpunkt absehbar, an dem "die Toten den Lebendigen weichen müssen, damit letztere nicht vorzeitig dem Tode oder schweren Verletzungen preisgegeben werden." Auch der Polizeipräsident hatte es im "Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs" für erforderlich gehalten, die Wanner Straße in Höhe des "israelitischen Friedhofs"zu verbreitern. [18]

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Der schraffiert eingezeichnete Friedhofsteil musste 1926 zur Verbreiterung der Wanner Straße wieder abgetreten werden.

Abb.: Der schraffiert eingezeichnete Friedhofsteil musste 1926 zur Verbreiterung der Wanner Straße wieder abgetreten werden.

Es kann davon ausgegangen werden, dass die Synagogengemeinde weitere Schritte unternommen hatte, dieses zu verhindern. Von Seiten der Regierung wurde erwogen, in dieser Frage die "oberste israelitische kirchliche Behörde in der Provinz" um Stellungnahme zu bitten. Auf die Empfehlung von Moses Stern, Mitglied des Repräsentantenkollegiums, einen jüdischen Gelehrten zu befragen, wandte man sich an den Rabbiner der Kultusgemeinde Dortmund. Dieser erklärte sich zu einer Stellungnahme bereit, vorher sollten jedoch der Orts- und Gemeinderabbiner konsultiert werden.

Dr. Sigfried Galliner, RabbinerAuch Dr. Sigfried Galliner (Bild links), der seit dem Jahre 1914 Rabbiner der Synagogengemeinde Gelsenkirchen war, verwies in seinem Gutachten auf die Vorschriften des jüdischen Religionsgesetzes. Nach diesem Gesetz galt die Exhumierung als "Verletzung der Ehre der Toten". Überführungen seien nur dann erlaubt, wenn der Tote in ein Familiengrab umgebettet werde, wenn von vornherein die Absicht bestanden habe, dem Leichnam eine andere Ruhestätte zuzuweisen, oder wenn zu Lebzeiten eine spätere Verlegung verfügt worden sei. Der Dortmunder Rabbiner bestätigte dieses Gutachten und schloss sich ihm an. Die Verfügung des Regierungspräsidenten zu Arnsberg vom 23. April 1920 setzte den Verhandlungen dann ein vorläufiges Ende. Da gegen die im Jahre 1901 und 1911 förmlich festgestellten und öffentlich ausgelegten Fluchtlinienpläne von Seiten der Synagogengemeinde keine Einwände erhoben worden seien, so lautete die Begründung, dürfe der Landstreifen nun nicht mehr belegt werden. [19]

Der früheste Schriftwechsel bezüglich der Überlassung eines neuen Friedhofsgeländes auf "ewige Zeiten" datiert aus dem Jahre 1922. Die Stadtverwaltung stimmte dem Vorschlag auf Abtretung an die Synagogengemeinde eines Teils des Geländes am kommunalen Südfriedhofs in ückendorf zu. Ursprünglich war das Areal zur Erweiterung des Südfriedhofs vorgesehen. Als Voraussetzung für die Überlassung an die Synagogengemeinde galt, dass der Stadt die Selbstkosten für die Auflassung des jüdischen Friedhofsteiles erstattet wurden. [20] Die Verhandlungen über die Abtretungsbedingungen zogen sich dann ohne konkretes Zwischenergebnis bis Ende des Jahres 1924 hin. Im Dezember stimmte die Stadtverordnetenversammlung dem Verkauf des Grundstückes erneut zu, machte jedoch nun die Abtretung eines Geländestreifens von dem alten Friedhof in Bulmke und den Verzicht auf die Geltendmachung eines Notwegerechtes am neuen zukünftigen Friedhof in Ückendorf zur Bedingung. Auch Salomon Großmann, der Nachfolger des im September 1922 verstorbenen Daniel Klestadt, erhob gegen diese Bedingungen Einspruch.

Seiner Argumentation zufolge stehe die Abgabe eines Geländestreifens vom alten Friedhof in keinem Zusammenhang mit dem Ankauf eines neuen Friedhofsgrundstückes. Die Synagogengemeinde akzeptierte schließlich die Verkaufsbedingungen. In einem undatierten Vertragsentwurf über den Verkauf eines 5 Morgen oder 127,66 Ar großen Grundstückes, Gemarkung Wattenscheid, zur Anlage eines neuen jüdischen Friedhofes verpflichtet sich die Synagogengemeinde, 15 m Geländestreifen - Teile der Parzelle Gemarkung Bulmke Flur 1, Nr. 1858/88 und 1311/90 - zur Verbreiterung der Wanner Straße an die Stadt abzutreten und lastenfrei aufzulassen. [21]

Die Stadt verpflichtete sich ihrerseits, die Kosten der Exhumierung der auf dem Landstreifen liegenden etwa 30 Leichen in "pietätvoller Weise" zu übernehmen und sie auf den von der Synagogengemeinde näher zu bezeichnenden Stellen des alten Friedhofs umzubetten, die Grabeinfassungen herzustellen und vorhandene Denkmäler nach Anweisung wieder aufzurichten.

Weiterhin sollte es Aufgabe der Stadt sein, die Bäume und Sträucher nach Weisung Der Synagogengemeinde umzupflanzen und an der neuen Straßenfluchtlinie eine den baupolizeilichen Vorschriften entsprechende Mauereinfriedung zu errichten. Hierzu sollte der aus dem Abbruch der alten Mauer noch brauchbare Bauschutt verwendet werden. Dem Vorstandsprotokoll der Synagogengemeinde vom 18. November 1925 ist zu entnehmen, dass der neue Vorstand den mit der Stadtverwaltung abgeschlossenen Vertrag über den Erwerb eines neuen Friedhofsgeländes genehmigt hatte. Ob die am unteren Friedhofsteil nahe der Wanner Straße begrabenen Leichname tatsächlich umgebettet worden sind, kann mit Sicherheit nicht angenommen werden. Der Friedhofsplan und sein "Verzeichnis der auf dem jüdischen Friedhof Wanner Straße vorhandenen Grabstätten" wurde im Dezember 1983 vom Grünflächenamt der Stadt Gelsenkirchen erstellt. [22] Ganz offensichtlich aber ist der Bürgersteig in Höhe der Wanner Straße verbreitert und der Friedhof um den Geländestreifen verkleinert worden, um dessen Abtretung die Stadtverwaltung bereits in den 20er Jahren mehrfach gebeten hatte. Nach den Angaben des ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Kultusgemeinde Gelsenkirchen Kurt Neuwald soll während des Krieges eine Bombe auf die Wanner Straße in Höhe des Friedhofes gefallen sein. Seiner Meinung soll die Bombe einen Teil der Mauer und die an der Mauer liegenden ältesten Gräber beschädigt haben. Später soll dann die Friedhofsmauer um 6 m zurückgesetzt worden sein. [23]

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Vorderansicht der Leichenhalle

Abb.: Vorderansicht der Leichenhalle

Die Leichenhalle entstand nach den Plänen des Architekten F. Kindler. [24] Das Jahr ihrer Erbauung war wahrscheinlich 1904. Der Bauzeichnung und -beschreibung zufolge bestand die ebenerdig angelegte Halle aus einem 12 m langen, 8 m breiten und 10,40 m hohen Raum. Ihren Eingang bildete eine, dem Hauptgebäude vorgelagerte und nach drei Seiten offene, mit glasierten Ziegeln verzierte Vorhalle. Das eiserne Tor lag direkt an der Baufluchtlinie Oskarstraße. Die Vorderfront in Zwiebelturmform war an das Hauptgebäude angelegt, dahinter erstreckte sich ein einfache Spitzdach. Ehemalige Anwohner der Wanner Straße erinnerten sich, in der zweiten Hälfte der 30er Jahre als Kinder das Dach der Leichenhalle gesehen zu haben. Der untere Hallenteil und die sich dicht anschließenden Gräber seien, durch die Friedhofsmauer geschützt, von der Straße aus nicht sichtbar gewesen. [25]

Links die Oskarstr., etwa  der Leichenhalle

Abb.: Teil des Jüdischen Friedhofs in Bulmke-Hüllen an der Wanner-/Oskarstraße. Auf dem mit Trümmern übersäten freien Platz in der Bildmitte (links die Oskarstr.) stand die Leichen-halle. Das Foto entstand ca. 1943. Foto: © Archiv Ev. Kirchengemeinde Bulmke / Andreas Janke

Nach Zeitzeugenaussagen soll die Halle durch die Druckwirkung einer Bombe, die in den ersten Monaten des Jahres 1941 auf das Nachbargrundstück eingeschlagen war, teilzerstört worden sein. Einige Monate später drängte die Ortsgruppe der NSDAP Hüllen zum wiederholten Male auf den endgültigen Abbruch. In ihrem Schreiben an die Stadtverwaltung vom 1. April 1941 verweist die Ortsgruppe auf das weiter einstürzende Dach, dessen Dachziegel bis auf die Oskarstraße fallen und eine Gefahr für die Passanten darstellen würden.

Daraufhin forderte die Ortspolizei den Vertreter der Kultusgemeinde, Hugo Sternfeld, der in der Anordnung "Hugo Israel Sternfeld" genannt wird, [26] per "Polizeiliche Anordnung unter Androhung der zwangsweisen Ausführung" auf, "bei Vermeidung der Ausführung durch einen Dritten auf Ihre Kosten, die vorläufig auf 1.000 RM festgesetzt werden", innerhalb von vierzehn Tagen die Halle abzubrechen. Weiter heißt es in der Anordnung, das Gebäude bilde "in seinem jetzigen Zustand eine Gefahr für die Straßenbewohner" und wirke "grobverunstaltend" auf das Straßenbild. Die Firma Paul Hack übernahm dann, beauftragt von der Jüdischen Kultusgemeinde, den endgültigen Abbruch der Halle. Im Juni des Jahres 1941 ersuchte die Ortspolizei die Jüdische Kultusgemeinde um Beseitigung des Schuttes innerhalb von vierzehn Tagen.

Seitenansicht der Leichenhalle


Abb.: Seitenansicht der Leichenhalle

Nach dem Ende des Krieges richtete die Stadtkämmerei im Juni 1945 eine "Abteilung für Judenhilfe" ein. [27] Den Angaben der Stadtchronik zufolge, setzte sich diese Abteilung besonders für die Wiederherstellung der während des Nationalsozialismus verwahrlosten und zum Teil verwüsteten jüdischen Friedhöfe ein. Die jüdischen Friedhofe im Stadtgebiet sollten der Würde aller Friedhöfe entsprechend wiederhergestellt werden. Der neue Friedhof an der Osterfeldstraße war nach den Angaben der Stadtchronik bereits Ende des Jahres 1945 wieder instand gesetzt worden. Dagegen bot der alte Friedhof in Bulmke noch das Bild einer durch Schändung und Bombentrichter vollkommen zerstörten letzten Ruhestätte. [28] Die ehemalige Leichenhalle wird nicht erwähnt.

In den 50er Jahren war es Aufgabe der Jewish Trust Corporation for Germany als Beauftragte der jüdischen Gemeinden die Entschädigungsleistungen, die ihr aufgrund des Bundesgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung gegen das Land Nordrhein-Westfalen zustanden, zu ermitteln und zu beziffern. Im März 1957 wandte sich die Organisation an das Bauamt der Stadt Gelsenkirchen und bat um Mitteilung, ob Bauakten über die Leichenhalle bzw. sachdienliches Material zur Bezifferung des Totalschadens vorhanden sei. Ihr lag die Mitteilung des Kreisbeauftragten für gesperrte Vermögen in Coesfeld an den Landesbeauftragten in Düsseldorf vor, nach der die "anläßlich des Judenpogroms (die) auf dem Friedhof stehende Leichenhalle zerstört und nicht wieder aufgebaut" worden sei. Die Hausaktennotiz des Bauordnungsamtes entschied positiv. Entsprechende Bauunterlagen seien vorhanden und würden zur Einsicht bereit liegen. Mit dieser Notiz schließt die Akte. [29]

Der Artikel von Marlies Mrotzek wurde erstmalig 2003 in einer Broschüre der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit e. V. veröffentlicht. Mit freundlicher Genehmigung von Marlies Mrotzek erscheint der Artikel im GELSENZENTRUM

Fußnoten

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  • [1] Überarbeitete Fassung aus: Jüdische Friedhöfe in Gelsenkirchen, Marlies Mrotzek im Auftrag des Heimatbundes Gelsenkirchen e.V., Verein für Kulturgeschichte und Landschaftskunde, Gelsenkirchen, 1996
  • [2] Hartmut Stratmann, Günter Birkmann: Jüdische Friedhöfe in Westfalen und Lippe, Düsseldorf 1987, S. 58
  • Runderlaß des Kultusministeriums vom 20.6.1949, Ministerialblatt 1949, S. 789; vgl. Stratmann, Birkmann, 1987, S.
  • [4] Bis 1995 Grünflächenamt der Stadt Gelsenkirchen
  • [5] Zu dieser Zeit hieß die heutige Oskarstraße noch Ottostraße
  • [6] Geschichte der Synagogen-Gemeinde Gelsenkirchen und ihrer Vereine nebst 2 Abhandlungen. Festschrift anläßlich des 5Ojährigen Bestehens der Synagogen-Gemeinde Gelsenkirchen, 1924, in: Ursula Gatzemeier, 1983, a.a.O., S. 5
  • [7] Im Jahre 1875 zählte Gelsenkirchen 11.292 Einwohner, von ihnen gehörten 306 dem jüdischen Glauben an. Vgl. Bericht über die Verwaltung und den Stand der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Gelsenkirchen pro 1877-78, Gelsenkirchen, 1878, S. 27
  • [8] Nach dem Zusammenschluß von Gelsenkirchen und Buer 1928 wurde die Straße „Gildenstraße" genannt, in der Zeit des Nationalsozialismus in "Stürmerstraße" umbenannt. Nach 1945 erhielt sie wieder den Namen "Gildenstraße". Im Jahre 1993 wurde der ehemalige Standort der Synagoge, neben der sich die Schule befand, "Platz der Alten Synagoge" benannt. Vgl. Lexikon der Gelsenkirchener Straßen, Jürgen Pastowski, im Auftrag des Heimatbundes Gelsenkirchen e.V., Verein für Kulturgeschichte und Landschaftskunde, Gelsenkirchen, 1996
  • [9] Ursula Gatzemeier: Zur Geschichte der Juden in Gelsenkirchen. Von den Anfängen bis 1933, Duisburg 1983, S. 12 ff. (Schriftliche Hausarbeit zur 1. Staatsprüfung Lehramt für die Primarstufe, Universität Duisburg-Gesamthochschule)
  • [10] Geschichte der Synagogen-Gemeinde Gelsenkirchen und ihrer Vereine nebst 2 Abhandlungen, 1924, a.a.O., S. 4
  • [11] Vgl. Hartmut Stratmann: Die Synagoge in Gelsenkirchen 1885-1938. Aus der Hausakte "Gildenstraße 4/6", Heft 2 der Reihe: Jüdisches Leben in Gelsenkirchen, Gelsenkirchen, 1995
  • [12] Stadtarchiv Gelsenkirchen (STDA Ge) 4369
  • [13] STDA Ge 4367; Stadt Wattenscheid Kulturamt/Stadtarchiv A 490, A 488
  • [14] Die Abbildung erfolgte mit Genehmigung von Manfred Gast, Eigentümer des Originalfotos
  • [15] Liegenschaftsamt Gelsenkirchen: Hausaktenregistratur 63 0 Oskarstraße 4 12
  • [16] Ebd.
  • [17] Liegenschaftsamt Gelsenkirchen 0/1 2 7 9; STDA Ge 4367; Zeichnung Gemarkung Bulmke, Flur 1, angefertigt vom Städtischen Vermessungsamt am 20. November 19 (? - Das Dokument ist an dieser Stelle beschädigt). Es wird 1914 heißen.
  • [18] Liegenschaftsamt Gelsenkirchen 0/12 7 9
  • [19] Ebd.
  • [20] Ebd.
  • [21] Liegenschaftsamt Gelsenkirchen 1/6 0 3; Baufluchtlinienplan der Oskarstraße, angefertigt 1. Oktober 1908 vom Städtischen Vermessungsamt; 0/I 2 7 9; Handzeichnung nach den Katasterkarten vom 31. März 1926, angefertigt vom Preuss. Katasteramt Gelsenkirchen
  • [22] Friedhofsplan: Jüdischer Friedhof Wanner Straße. Stadt Gelsenkirchen Grünflächenamt. STA. 65/3. 12.12.1983
  • [23] Hartmut Stratmann. Besuch auf dem Friedhof der Synagogengemeinde in Gelsenkirchen Gelsenkirchen, 1987
  • [24] Liegenschaftsamt Gelsenkirchen: Hausaktenregistratur 63 0 Oskarstraße 4 12
  • [25] Die ehemaligen Anwohner der Wanner Straße hatten sich auf den Aufruf in der Tagespresse im Februar 1995 gemeldet.
  • [26] Ab dem 1. Januar 1939 trat das nationalsozialistische Gesetz über die Einführung der Zwangsvornamen Sara und Israel in Kraft
  • [27] Chronik der Stadt Gelsenkirchen 1945, S. 111
  • [28] Ebd., S. 192
  • [29 STDA] Ge Hausaktenregistratur Oskarstraße 4

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Andreas Jordan, August 2008

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