Erinnerung im kleinen Kreis
Links: Mitglieder der jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen vor dem Gesundheitsamt
Heute Mittag wurde die Erinnerungsorte-Tafel, die Bernd Haase gestiftet hat, im kleinen Kreis vorgestellt. Im Entree des Gesundheitsamtes an der Kurt-Schumacher-Strasse 4 haben sich Angehörige der Jüdischen Gemeinde Gelsenkirchen, ausschließlich alte Menschen, und Vetreter der Stadtverwaltung, der Oberbürgermeister und Dr. Priamus, Leiter des Institus für Stadtgeschichte Gelsenkirchen (ISG) versammelt.
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Bei der kurzen Begrüßung der Anwesenden erwähnte der Oberbürgermeister, dass es nicht möglich war, die Erinnerungstafel am damaligen Wohnort der Familie Haase, Kaiserstrasse Nr. 10 (heutige Kurt-Schumacher-Strasse), anzubringen. Der Hintergrund dafür bliebt so vorerst weiter im unklaren...
Bild: Bernd und Erika Haase, im Hintergrund die von Bernd Haase gestiftete Erinnerungsorte-Tafel
Dann übergab der Oberbürgermeister das Wort an Bernd Haase, der kurz aus der Zeit seines Lebens, die er in seiner Geburtsstadt Gelsenkirchen verbrachte, erzählte. Anschließend wurde das Kaddisch gesprochen. Die Eheleute Haase werden heute weiterreisen, um an der großen Feier der Familie Haase teilzunehmen, war dies doch der Hintergrund Ihrer Reise nach Deutschland.
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Das Treffen am 20. Juli 2009
Im Gespräch, das wir mit dem Ehepaar Haase geführt haben, erzählte Bernd, dass er, am Fenster einer Wohnung stehend, beobachtet hat, wie Hitler anlässlich der Beerdigung von Emil Kirdorf in Gelsenkirchen nur wenige Meter an ihm vorüber ging. "Hätte ich ein Gewehr gehabt, so hätte ich in gut treffen können - aber damals war ich zu jung für einen Selbstmord. Ich frage mich bis heute immer wieder, was gewesen wäre, wenn..." Diese Begebenheit erzählte er uns am 20. Juli 2009 - dem Jahrestag des Attentats auf Hitler durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg.
Bild: Bernd Haase und Andreas Jordan im Gespräch
Das Ehepaar Haase besucht anlässlich der anstehenden Familienfeier in Süddeutschland zum 80ten Geburtstag von Erika Haase und Ihrem Ehejubiläum, das Ehepaar Haase ist 40 Jahre miteinander verheiratet, auch die Geburtsstadt von Bernd Haase. Wir folgten der Einladung der Eheleute Haase zu einem gemeinsamen Mittagessen im Gelsenkirchener Hotel Maritim.
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Bild: Bernd Haase signiert das Buchgeschenk
Bernd Haase überreichte mir zur Begrüßung ein Buch, 'Die "Endlösung" in Riga', dessen Entstehung er mitinitiert hatte. Bernd versah das Buchgeschenk mit einer persönlichen Widmung. Wir unterhielten uns über verschiedene Gedenkprojekte hier in Gelsenkirchen, Bernd erzählte aus der Zeit,als er hier in Gelsenkirchen mit seiner Familie lebte und von seiner Zeit in Riga, eine der vielen Mordstätten des Nazi-Regimes.
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Die jüdische Familie Haase war seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Gelsenkirchen ansässig. Bernd Haase wurde am 9. März 1926 in Gelsenkirchen geboren. Seine Eltern waren der jüdische Kaufmann Sally Haase, der am 22. Januar 1891 in Gelsenkirchen geboren wurde, seine war Mutter die aus Bonn stammende Carola Haase, geborene Cossmann. Carola Cossmann wurde sehr früh Witwe, bei der Heirat mit Sally Haase brachte sie die am 14. Oktober geborene Margot mit in die Ehe. Das Ehepaar Haase hatte noch ein weiteres Kind, Bernds Schwester Ingrid, die am 9. November 1928 ebenfalls in Gelsenkirchen geboren wurde.
Die Nazis zerstörten systematisch auch die Existenzgrundlage der Familie Haase. Die Kaufmannsfamilie Haase wohnte damals an der Kaiserstraße 10, die heutige Kurt-Schumacher-Straße. Die Nationalsozialisten zwangen Sally Haase letztendlich, das Haus zu verkaufen. Der Vater wurde schon Monate vor der so genannten "Reichskristallnacht" verhaftet und kam für mehrere Monate in ein KZ. Vater Sally Haase floh nach der Entlassung aus dem KZ nach Belgien. Tochter Margot konnte mit der Hilfe von Verwandten in die USA flüchten.
Carola Haase und ihre beiden beiden Kinder Bernd und Ingrid mussten jedoch nach Beginn des Krieges in Gelsenkirchen bleiben, die Familie hatte sich um Einreisevisa bemüht, jedoch standen sie auf der Warteliste zu weit unten. Mutter Carola mußte mit den Kindern in ein so genanntes "Judenhaus" an der Arminstrasse 15 ziehen. Hier erlebten sie die ständig zunehmende Diskriminierung im Alltag Nazi-Deutschlands in seiner ganzen unmenschlichen Härte.
Am 27. Januar 1942 wurden sie schließlich nach Riga deportiert. Alle drei überlebten das Ghetto von Riga und wurden, als die Rote Armee näher rückte, in das KZ Stutthof gebracht. Dort wurden Mutter Carola und Schwester Ingrid von den Nazis ermordet. Vater Sally, der bei dem Überfall der Nationalsozialisten auf Belgien und die Niederlande weiter nach Frankreich geflohen war, fiel den Schergen der Hitlerdiktatur in die Hände und wurde in Auschwitz ermordet. Bernd Haase wurde im März 1945 befreit und kehrte in seine Heimatstadt Gelsenkirchen zurück. 1947 gelangte er mit der Hilfe seiner Schwester Margot in die USA, wo er heute lebt.
Bild: Erinnerungsorte-Tafel für Familie Haase am Gebäude Kurt-Schumacher-Straße 4 (Gesundheitsamt)
Am Dienstag, den 21. Juli 2009 soll eine Erinnerungsorte-Tafel, die am Haupteigang des heutigen Gesundheitsamtes angebracht wurde, im Beisein der Eheleute Haase "der Öffentlichkeit übergeben" werden. Am damaligen tatsächlichen Wohnort, der ehemaligen Kaiserstrasse 10, werden im Februar 2010 die seit langer Zeit geplanten Stolpersteine für die von den Nazis ermordeten Angehörigen von Bernd Haase verlegt.
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Bilder: GELSENZENTRUM e.V., Heike Jordan