Ein Foto ging Anfang Mai durch die Presse. Springers Bild-Zeitung druckte es und die kommunistische UZ. Die sozialdemokratische Westfälische Rundschau schrieb darunter: "Bei den brutalen Angriffen der rechtsradikalen Skinheads während des NPD-Parteitages wurde auch eine unbeteiligte ältere Frau zu Boden gerissen." MARABO sprach mit der ‘unbeteiligten älteren Frau’. Es ist die 67jährige Rosa Eck aus Gelsenkirchen. Beim Gespräch dabei war ihr Freund, der 76jährige Rentner Heinrich Schmitz aus Duisburg. Auf dem Foto versucht er gerade, Rosa Eck zu Hilfe zu kommen.
MARABO: Rosa, wie kommt eine Rentnerin aus Gelsenkirchen dazu, sich im Bergischen Land von Skinheads
verprügeln zu lassen?
Rosa: Ich bin mit Hein und acht anderen Gelsenkirchener Nazi-Gegnern mit dem Auto nach Wiehl gefahren, um gegen den NPD-Parteitag zu protestieren, darum.
MARABO: Das ist nicht gerade typisch für alte Menschen hier bei uns.
Rosa: Weißt Du, 33 als die Nazis drankamen war ich siebzehn. Da war es mit meiner Jugend vorbei. Ich komm aus einem linken Elternhaus. Wir haben Geld gesammelt für Verhaftete Freunde, Flugblätter gegen die Nazis verteilt. Die machten Haussuchungen bei uns, riegelten die ganze Straße ab. Mein späterer Mann, hat 20 Monate im Zuchthaus gesessen, danach Schutzhaft und Strafbataillon. Das kann ich nicht einfach
vergessen.
MARABO: Wie kam es denn zu der Szene auf dem Foto?
Heinrich: Wir waren ziemlich früh da, haben geparkt, sind ausgestiegen und wollten den Platz suchen, auf dem die Gegenkundgebung stattfinden sollte. Einer von uns hatte eine VVN-Fahne (VVN: Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, die Red.) dabei. Die müssen die Nazis entdeckt haben. Jedenfalls stürmten plötzlich dreißig Glatzköpfe auf uns zu, rannten uns um, rissen die Fahne ab, schlugen auf uns ein und zogen sich auf Kommando zurück.
Rosa: Die Befehle gab einer mit Haaren. Das war ein Ordner von der NPD.
MARABO: Konntet Ihr Euch nicht wehren? Es waren doch sicher auch Jüngere bei Euch?
Heinrich: Das ging alles blitzschnell. Die kamen die Straße runtergelaufen und rannten uns direkt um. Außerdem, möchtest Du Dich gern mit denen prügeln?
MARABO: Nein, danke. Aber es war doch sicher Polizei da?
Rosa: Keine zwanzig Meter weg standen drei Verkehrspolizisten. Die Glatzköpfe mussten an denen vorbei. Die haben ruhig zugesehen. Als wir sie darauf ansprachen, hatten sie angeblich nichts mitgekriegt.
Heinrich: Und die anderen Polizisten hatten genug damit zu tun, Flugblätter zu verteilen. Hier, Hör mal. ‘Helfen Sie der Polizei. Bringen Sie ihren Protest in friedlicher Weise zum Ausdruck. Aus demokratischer Erfahrung wissen wir alle, dass Terror, Steine und Fäuste niemals Argumente ersetzen können. Ich rechne mit Ihrem Verständnis und vertraue ihrer Besonnenheit.’
MARABO: Seid Ihr eigentlich ernstlich verletzt worden?
Rosa: Ich habe einen Bluterguss am Knie und Hein ist mit einer Rippenprellung im Krankenhaus gewesen.
MARABO: Heinrich, in einem Flugblatt habe ich gelesen, dass Du 1934 von den Nazis verhaftet worden bist. Zuchthaus, KZ und Strafbataillon hinter Dir hast. Wie fühlt man sich, wenn einem 50 Jahre danach so was passiert?
Heinrich: 84 ist nicht 34!
Rosa: Trotzdem fühlst Du Dich zurückversetzt. Als wir 33 im Volkshaus Karneval feierten, hatte die SA alles umstellt. Da sind wir nur in großen Gruppen, nach Stadtteilen geordnet, rausgekommen.
Heinrich: Siehst Du, und genau so müssen wir das heute machen. Wir können es uns nicht mehr erlauben, bei solchen Gelegenheiten in kleinen Grüppchen anzukommen. Wir müssen uns schon vorher treffen. Denn die Nazis sind in die Offensive gegangen. In Wattenscheid mussten sie noch unter Polizeischutz über die Absperrung klettern, um ihren Parteitag abzuhalten, heute verdreschen sie Gegendemonstranten. In Wiehl hat ein NPD-Mann mir gesagt: „Das habt Ihr zehn Jahre mit uns gemacht. Damit ist jetzt Schluss!“
MARABO: In "Konkret" haben Autonome dazu aufgerufen, den Nazis was auf die Fresse zu hauen. In Hamburg sind schon Autos, mit denen Neo-Naziführer Kühnen reiste, in Flammen aufgegangen.
Rosa: Sicher, verprügeln lassen darf man sich von denen nicht.
Heinrich: Aber erstens sind wir keine Schlägertypen. Guck Dir mal unsere Jungen an. Die waren fassungslos, als dass passiert ist. Und außerdem, wir sollten die anderen nicht alle über einen Kamm scheren. Nicht jeder Skinhead ist ein Nazi. Wenn wir einfach draufschlagen, dann schweißt die das zusammen. Dabei müssen wir die Nazis unter denen isolieren.
Rosa: Rauskriegen, wo die wohnen, wo sie arbeiten. Damit sie nicht anonym bleiben.
MARABO: Ob das reicht? Du möchtest Dich zum Beispiel nicht fotografieren lassen. Soweit sind wir schon gekommen.
Rosa: Im letzten Jahr habe ich nach einem Leserbrief anonyme Anrufe bekommen. Andere Drohbriefe. Seitdem das Bild in den Zeitungen war, geht ständig das Telefon. Wenn ich mich melde, wird aufgelegt.
Heinrich: Das wichtigste sind nicht Schlägertypen, sondern ein breites Bündnis gegen die Nazis, damit sie wieder in die Defensive gedrängt werden. Die fühlen sich doch von der Bonner Wende ermuntert. Wenn Zimmermann die Traditionsverbände der SS aus dem Verfassungsschutzbericht nimmt, dann ist das Wasser auf deren Mühlen.
MARABO: Letzte Frage. Bei der nächsten Anti-NPD-Demo, macht Ihr da mit?
Rosa: Das schon. Nur sind wir beim nächsten Mal schlauer.
Das Gespräch führte Werner Schmitz für MARABO.
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