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Meine Geschichte - Fred Gompertz

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MEINE GESCICHTE - FRED GOMPERTZ

Geboren am 13. April 1924 in Gelsenkirchen - geschrieben 1995 in New York

In liebender Erinnerung an Anita Löw gewidmet, eine große Vertreterin des Humanitärgedankens. Ohne sie wäre diese Geschichte nie geschrieben worden, da wir zweifelsohne in einem der Kzs umgekommen wären.

MY STORY - FRED GOMPERTZ

Am 1. September 1939 hat Hitlers Deutschland den Überfall auf Polen angefangen. Görings Luftwaffe war dabei, Warschau zu zerstören. Der 2. Weltkrieg hatte begonnen. Und in Rotterdam, Niederlanden, gingen wir vier an Bord des S.S. Statendam mit Ziel New York, USA. Wir vier – das waren: Mutter Betty, Bruder Albert, kleiner Bruder Ralph and ich, Fritz. Mein Vater Leo musste in Rotterdam bleiben, weil er im falschen Land auf die Welt gekommen war. Die damaligen amerikanischen Einwanderungsbestimmungen haben die Einwanderung auf eine bestimmte Quote beschränkt und mein Vater musste warten, bis seine deutsche „Quotennummer“ erschien. Also überquerten wir vier den Kanal und dann den Atlantik. Deutsche U-Boote waren eine große Gefahr und die Besatzung musste sehr aufpassen. Die Deutschen wollten nur töten. Ihnen war es egal, ob Flüchtlinge oder Touristen an Bord waren. Es ging nur um Vergeltung. Aber das Statendam fuhr unter niederländischer Flagge mit voller Kraft weiter durch die Wellen des Atlantiks in Richtung New York.

Zehn Tage später sahen wir die Freiheitsstatue und dann wussten wir, dass wir der Unterdrückung entkommen waren und die Freiheit erreicht hatten. Das S.S. Statendam der Holland America Line wurde in Hoboken, New Jersey, festgemacht. Das Wetter war sehr schön und es war noch ziemlich früh, als unsere amerikanische Kusine, Anita Loew, uns herzlich begrüßte und uns dann zu unserer ersten Wohnung auf Broadway/ Ecke 86th Street brachte. Anita war wunderbar und wollte, dass wir uns wie „zu Hause“ fühlen. Sie hat uns auch einige Dollar geschenkt. Und ich weiß noch, dass wir gegessen haben und ich dann die Treppe runtergegangen bin. Ich stand auf Broadway und habe nur gestaunt. Die ganze Pracht und Schönheit, die ich nur bewundern konnte. Und dann fiel mir ein, dass dies der erste Tag von Rosch Haschanah war und all die jüdischen Familien kamen gerade von der Synagoge. Es war ein wunderbarer, sonniger Tag aber doch kühl und so konnten die Frauen ihre Fuchspelz-,Nerzstolas und Jacken tragen.

Anita Loew war eine bekannte Gesangslehrerin und unter ihren Schülern waren viele berühmte Sänger. Nachts war sie in der Carnegie Hall „zu Hause“ und tagsüber war sie in ihrem Studio-Apartment auf der anderen Straßenseite, auf der 57th Street. Wir gingen so gern dahin. Es herrschte immer eine wunderbare Stimmung. Sie war ein echter Engel. Ich darf gar nicht dran denken, was passiert wäre, wenn sie nicht rechtzeitig gehandelt und unser Leben gerettet hätte. Möge sie in Frieden ruhen.

Bald fing meine Mutter Betty an für andere Menschen zu stricken und zu nähen und so konnte sie zu Hause arbeiten und einige Dollar verdienen, ohne uns alleine zu Hause zu lassen. Zusammen mit ein paar Freundinnen hat sie auch für andere Menschen gekocht. Es muss für sie sehr schwierig gewesen sein aber sie hat sich nie beschwert und ihr hat ihre neue Rolle auch gefallen. Sie gab uns ein Gefühl von Geborgenheit und Glück. Ralph und ich gingen jetzt auch zur Grundschule, wo wir Englisch lernten. Ich weiß noch, wie schwierig es war. Mein ältere Bruder Albert fand bald eine Arbeit: abends hat er Lebensmittel ausgeliefert. Nachdem er in der amerikanischen Botschaft in den Niederlanden alle Hürden der Einwanderungsbestimmungen überwunden hatte, kam ca. 6 Monate später unser Vater Leo in New York an. Er hatte Glück, weil in dem Jahr die Deutschen in die Niederlande einmarschiert sind. Die Gestapo hat bald damit angefangen alle Juden, auch unsere Großeltern und andere Familienmitglieder, zu verhaften. Nur zwei Onkel haben den Holocaust überlebt; ein Onkel hat den KZ überlebt und der andere flüchtete nach England, wo er Soldat wurde. Aber unsere → Großeltern sind im Zug Richtung Auschwitz gestorben. (Nach neuen Forschungsergebnissen wurden die Großeltern Isidor und Flora Isacson (Mütterlicherseits) am 28. Mai 1943 im Vernichtungslager Sobibor ermordet, Anm. AJ)

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Jetzt waren wir zu fünft und ohne Einkommen. Wir lebten von dem Geld, das Anita und ihre Verwandten uns gaben. Nach ein paar Wochen der Eingewöhnung, begann Vater Leo an, Leute aus Europa zu suchen, die er durch den Pelzhandel kannte und auch andere Bekannte aus Deutschland. Eine der ersten Personen, der er begegnete, war Hugo Hahn, früher Oberrabbiner in Essen. Wahrscheinlich hat er unserem Vater Tipps gegeben und auch gebeten, ihm bei der Gründung einer neuen Gemeinde zu helfen. Die neue Gemeinde sollte „Habonim“ (die Bauleute) heißen. Mit Hilfe von Hugo Hahn und Bekannten im New Yorker Pelzhandel, erhielt mein Vater finanzielle Unterstützung vom Verband des Pelzhandels. Ich glaube, dass sie sehr hilfsbereit waren und sie gaben ihm das Gefühl, Mitglied des Pelzhandels zu sein.

Kurz danach sind wir in eine sehr schöne Vierzimmerwohnung im Erdgeschoss eines Hauses an der Ecke Cabrini Boulevard und 187 Street in Washington Heights gezogen. Dieser Teil von Manhattan wurde schnell zum Deutsch-Jüdischen Stadtteil und später sprach man vom „4. Reich“. Dieser Stadtteil ist auch der höchste Punkt von Manhattan. Dort befindet sich auch Fort Tyron Park mit seinen Klostern (eine Rockerfeller-Kloster) und hier fühlten wir uns wohl. Sämtliche soziale und kulturelle Aktivitäten für neue Einwanderer fanden hier zwischen West 157 Street und Dykman Street, Broadway und dem Hudson statt.

Hier wurde der „New World Club“ gegründet sowie zahlreiche weitere Büros wie z.B. die Zeitung „Aufbau“ und die vielen neuen jüdischen Gemeinden. Es kamen Metzgereien und Bäckereien für die Einwanderer. Die Leute fühlten sich hier sicher konnten ohne Angst immer spazieren gehen. Sie trafen alte und neue Bekannten und konnten sich auf den Bänken am Hudson oder im gepflegten Tryon Park ausruhen. Auf der West 181 Street in der Nähe von Broadway stand das Kaufhaus Wertheimer und hier kauften die Einwanderer ein. Dieser Teil von Washington Heights war eine sehr schöne Gegend, wo die „Flüchtlinge“ aus dem Nazi-Deutschland, ein neues Leben in der neuen Welt aufbauen konnten.

Mein Bruder Ralph und ich haben die Grundschule weiter besucht und später die weiterführende Schule. Schließlich durfte ich die Modeschule auf der 225 West 24th Street besuchen, während Ralph weiter die George Washington High School in Upper Manhattan besuchte. Nach dem Unterricht rannte ich immer nach Hause, um in unserer kleinen Pelzfabrik in unserer Wohnung auf dem Caprini Boulevard 282 zu arbeiten. Dort machte ich kleine Änderungen und Besserungen an Pelzen von Bekannten und Nachbarn. Meistens waren das schwarze Persianerpelze, die sie aus Deutschland mitgenommen hatten und im kalten New Yorker Winter wieder brauchten. Bald erhielten wir sogar Bestellungen für maßgeschneiderte Pelzmäntel, die wir entwarfen und fertigten.

Es war das Jahr 1941/42 und ein Jahr später mussten wir einen Dachboden im sechsten Stock des Hauses 224 West 30th Street mieten. Dort gründeten wir unsere Firma, die wir L.F. Gompertz nannten, L für Leo und F für Fred. Mein Vater und ich wurden Geschäftspartner. Wir hatten einen schonen, gut ausgestatteten Verkaufsraum und wir kauften Maschinen und Geräte für eine gute Fabrik. Damals musste ich natürlich noch zur Schule gehen und jeden Tag saß ich von 9 bis 15h in der Schule. Ich habe gut gelernt und Schule und Fabrik lagen nicht weit auseinander. Zeit zum Spielen hatte ich nicht aber das hat mir gar nicht gefehlt, weil ich davor sowieso nie Fußball oder Baseball gespielt hatte. Aber ich war nicht unaktiv: während meiner Schulzeit habe ich z.B. ein Projekt „Garten des Sieges“ gegründet. Der Garten befand sich auf dem Dach unserer Schule. Während des Kriegs war es eine beliebte Freizeitbeschäftigung in den USA und ich liebte es, im Garten zu arbeiten und Blumen zu pflanzen.

Nachdem ich 1943 mein Diplom erhielt, habe ich ganztägig in unserer Fabrik gearbeitet und bald mussten wir ein paar Mitarbeiter suchen – Schneider, einen Nagler, einen Finisher und eine Sekretärin. Die Pelz-Finisherin hieß Margot Nathan. Sie heiratete Albert Gompertz. Unsere Sekretärin und Buchhalterin hieß Ellen Süsskind und später hat sie meinen besten Freund, Erich Rosenbaum geheiratet. Als ich 18 wurde habe ich Fahrstunden genommen, die Fahrprüfung bestanden und ein Auto gekauft – eine viertürige Plymouth-Limousine, Baujahr 1939. Ich fand es so schön, durch die Straßen von New York zu fahren. Da ich mit der Luftfeuchtigkeit Probleme hatte, kaufte ich eine Klimaanlage für unsere Wohnung. Ich wurde langsam echt erwachsen.

Amerika war im Krieg gegen Deutschland und Japan und Opfer mussten erbracht werden. Bald erhielt ich meine Einberufungspapiere. Darin stand, dass ich mich zuerst ärztlich untersuchen lassen müsste. Ich erzählte den Ärzten, dass ich ein Nervenproblem hatte, wahrscheinlich eine Folge der nationalsozialistischen Verfolgung. Der Ausschuss hat mich ausgemustert. Aus dem Grund, und auch weil mein Bruder Albert schon zum Kriegsdienst eingezogen worden war, kam ich in die „Kategorie 4f“. Meine Familie hat sich sehr gefreut, weil wir unsere Firma jetzt weiter ausbauen konnten

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Und ich habe weitere Möglichkeiten gesucht, um die Kriegsanstrengungen und unsere Soldaten zu unterstützen. Ich hörte, dass eine Gruppe Intellektueller und Schriftsteller eine neue Organisation gegründet hatten, das „Volunteer Land Corps“. (Während des Kriegs gab es große Probleme in der Landwirtschaft und die Mitglieder der Organisation haben in den Sommermonaten auf Bauernhöfen gearbeitet). Zu der Führung dieser Organisation gehörten die bekannte Journalistin und Kolumnistin Dorothy Thompson sowie der Schriftsteller Sinclair Lewis. Die meisten anderen waren Wissenschaftler oder Künstler und alle waren sehr kreativ. Das hat mich sehr beeindruckt und ich war sehr froh, dass ich diese Leute kennen gelernt habe. Sie hatten ein Ziel: sie wollten Menschen helfen und das Leben verbessern. Ich habe Hilfe angeboten und wurde aktives Mitglied des „Volunteer Land Corps“. Es war auch eine Möglichkeit, andere „echte“ Amerikaner in meinem Alter kennen zu lernen. Es hat mir sehr gefallen. Wir haben uns regelmäßig bei bekannten Menschen getroffen, wo wir über verschiedene Themen – Musik, Kunst, Geisteswissenschaften und Politik – gesprochen haben.

Im Sommer hat man in der Landwirtschaft geholfen. Wegen des Kriegs waren viele junge Männer beim Militär und die Landwirte hatten große Probleme. Und so habe ich auf einem Milchviehhof in der Nähe von St. Johnsbury, Vermont gearbeitet. Da lernte ich, wie man Mist schaufelt, Kühe melkt, Rinder versorgt und Heu macht. Ich sah, wie Bauern leben, wie sie vor Sonnenaufgang aufstehen, warme unpasteurisierte Milch trinken, die Ernte einbringen, wie sie morgens die Kühe auf die Wiesen und abends zurück in den Stall treiben. Es war ein Leben voller Liebe und Arbeit. Und mir hat es sehr gut gefallen. Am Wochenende trafen wir uns am Anger und alle Ehrenamtliche erzählten von ihren neuen Erlebnissen und am Lagerfeuer aßen wir „Hot Dogs“ und Hamburger. Dorothy Thompson hat uns eingeladen auf ihrem Landgut dort in der Nähe zu übernachten, wo sie, Sinclair Lewis und andere mit uns gesprochen und auch Seminare gehalten haben. Das war ein wunderbares Erlebnis und ich habe sehr viel gelernt, insbesondere über die amerikanische Kultur.

Ein Jahr später habe ich wieder auf dem Bauernhof in Vermont gearbeitet und im Winter besuchte ich die Vorträge und Sozialprogramme des Volunteer Land Corps. In der Zwischenzeit war unsere Fimra „L.F. Gompertz“ gewachsen und war zu einer sehr bedeutenden Persianerpelzfirma geworden. Unsere Firma war auch für die New Yorker Pelzgroßhandel sehr wichtig geworden. Das Exportgeschäft war sehr erfolgreich. Die wichtigsten Kunden waren in Spanien und auch Tangier, Marokko. Wir hatten so viel zu tun, dass mein Bruder Albert auch bei uns anfing. Er hatte in Allentown, Pennsylvania gearbeitet, zog aber nach Flushing, New York und wurde Teilhaber.

Jetzt war er auch Teilhaber und so hatte ich mehr Zeit für andere Aufgaben, nämlich für meine erste Liebe (Beschäftigung) – das Entwerfen. Anfang 1959 begann ich Pelzsportbekleidung zu entwerfen, die in Sportbekleidungsgeschäften, im Fachhandel und Boutiquen angeboten werden sollten. Damals schrieb „Women’s Wear Daily“, eine Modezeitschrift, dass „dieser Designer die erste Skiparka aus Pelz in Amerika entworfen hat“. Das war eine echte Premiere, weil ich die Parkas auch für das aktive Skilaufen entworfen hatte. Ich liebte das Skilaufen und die Parkas waren gegen Wind und Wetter widerstandfähig, sie waren bequem und auch sicher. Unterstützung erhielt ich bald von Hannes Schneider, „dem Vater des modernen Skilaufs“ und Olympiasieger aus Österreich.

Als erstes führte das Carroll Reed Ski Shop in North Conway, New Hampshire meine Sportbekleidung im Sortiment und bald fand man meine Sportbekleidung in vielen Geschäften in den USA. Dadurch wurde ich zu einem anerkannten und viel beschäftigten Designer. Dann machte ich den nächsten Schritt und entwarf eine Modelinie aus Pelz, die ich „Fur and Sport by Mr. Fred“ nannte. Die eingetragene Marke wurde bekannt und beliebt und war bald überall in guten Geschäften zu kaufen. Ich habe jedes Jahr sechs Kollektionen entworfen. Jede Kollektion hatte einen eigenen Stil und war preislich attraktiv.

Jedes Jahr öffnete meine erste Kollektion mit „Fur For The Real Man“ (Pelze für den echten Mann) - Mäntel, Jacken und Parkas für Männer. Anfang März kam die „Young Miss“ Kollektion, Mode für Jugendliche auch mit Pelzmode für Kinder. Im Juni kam die klassische Kollektion mit „Pelz und Sporbekleidung“ mit einer Präsentation für Handel und Presse. Die Präsentation fand meistens in unserem Geschäft statt aber manchmal im Ballsaal eines Hotels. Ich glaube, dass die beste Kollektion 1967 gleichzeitig mit der ersten Mondlandung stattfand, als ich weiße Astronautenkleidung aus Pelz zeigte. In der Presse wurde viel darüber berichtet. Kurz vor dem Jahreswechsel 1967/68 erschienen viele sehr positive Berichte über meine Kollektionen und Mitglieder der europäischen Modebranche flogen nach Amerika, um meine Kollektionen selbst zu sehen. 1968 war meine Kollektion sehr erfolgreich und viele Händler aus den ganzen USA haben uns besucht, um Exklusivvereinbarungen und Auftritte in ihren Läden auszuhandeln. Meine Kollektionen führten bekannte Geschäfte wie Bergdorf-Goodman, Saks Fifth Avenue, Lord and Taylor, B. Altmans und Bonwit Teller.

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Bonwit Teller ernannte mich zum Designer des Jahres. Ihre Geschäfte führten meine Kollektionen und normalerweise musste ich an der Eröffnungsfeier teilnehmen. Für mich waren die besten Auftritte und Präsentationen bei Joseph Magnin in San Francisco und Los Angeles und bei Kaufmann, Pittsburgh, wo ich 1965 die renommierte Modeauszeichnung erhielt.

Vor oder nach jedem Auftritt sprach man mit mir im Radio oder Fernsehen. Das erfreulichste Erlebnis war bei Magnin, weil sie die besten, großzügigsten Käufer waren. Die wunderbare Freundschaft mit Cyril Magnin und seinen Söhnen Donald und Jerry werde ich nie vergessen. Sie kamen immer zum Flughafen, um mich persönlich abzuholen und wir haben in den besten Restaurants von San Francisco gespeist und getrunken.

Cyril M. war ein sehr freundlicher, kultivierter und intelligenter Mann, der auch Berater des amerikanischen Präsidenten war und wir haben ihn oft am Flughafen abgeholt, als er aus Washington zurückkam. Donald leitete das S.F. Emporium, während Jerry die Filialen in Los Angeles und im Süden leitete. Am ersten Tag in Los Angeles ging ich zum Magnin Emporium, wo der Filialleiter mir sagte, dass Barbara Streisand angerufen hatte und ich zurückrufen müsste. Ich rief sie an und sie fragte, ob ich zu ihrem neuen Haus in Beverly Hills kommen könnte.

Mitarbeiter brachten mich zu ihrer wunderschönen Villa und Barbara Streisand bat mich, Pelze für sie zu entwerfen – wie in meiner neuesten Kollektion. Barbara hatte ich einige Jahre davor kennen gelernt, als sie meinen Laden auf der West 30th Street in New York besucht hatte. Sie hatte damals eine Wohnung auf Central Park West. Danach haben wir uns oft getroffen, sowohl zu Hause wie auch an anderen Orten, als sie bei Filmen oder im Fernsehen arbeitete. Viele Kleidungsstücke, die sie in Filmen oder auf der Bühne getragen hat, haben wir entworfen.

Eines Tages hat sie mich eingeladen, sie bei den Dreharbeiten für Funny Girl zu besuchen. Das war in der Nähe von Tarrytown, New York, ganz in der Nähe von West Point. Ich glaube, dass es ein Sonntag war und ich fuhr dahin und habe den ganzen tag bei den Dreharbeiten zugeschaut. Es war sehr interessant und dort habe ich ihre Mutter und auch ihre Schwester (die später als Sängerin auch bekannt wurde) kennen gelernt. Natürlich habe ich auch andere Schauspieler wie Walter Matthau und Omar Sharif kennen gelernt. Das war aber auch ein sehr trauriger Tag, weil an dem Tag die Trauerfeier für Bobby Kennedy in Washington stattfand.

Ich war begeistert, dass ich so berühmte Schauspieler kennen lernen durfte und so habe ich die Traurigkeit der echten Welt vergessen. Damals lernte ich viele andere berühmte Persönlichkeiten aus der Welt des Fernsehens, des Theaters und der Politik kennen. Ich habe sie immer aus beruflichen Gründen kennen gelernt. Ich habe Pelze für Lauern Bacall, Virna Lisi (die italienische Sexbombe) und viele andere entworfen. Ich habe mit allen berühmten Mannequins wie Cybil Shepherd, Verushka, Brigitte Bauer und Twiggy gearbeitet.

Die Geschichte mit Twiggy fing an dem Tag an, als sie im Flugzeug auf dem Weg nach York saß. Sie fragte, ob man eine Nachricht an Mr. Fred schicken könnte, dass sie ihn bei ihrer Ankunft in New York direkt treffen wollte. In New York sei es kalt und sie bräuchte einen Pelzmantel, Damals haben viele Frauen Miniröcke getragen, besonders Twiggy. Zusammen mit ihrem Freund Justin kam sie zu meinem Laden. Tausende von Menschen standen schon auf der Straße; sie wollten Twiggy sehen, auch wen nur flüchtig. Überall waren Polizisten, um sie zu schützen. Es hat viel Spaß gemacht. Sie hat eine Menge Kleidungsstücke anprobiert und sich in viele davon verliebt. Sie kaufte zwei oder drei Minimäntel, die man nachher auch in der Presse sehen konnte. Später hat Twiggy sie auch bei ihren Fernsehauftritten und bei Filmaufnahmen getragen.

Kurz vor oder direkt nach der Wahl von Richard Milhouse Nixon im November 1968, erhielt Lisa Curits, die wunderbare, liebenwürdige Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit meiner Firma, einen Anruf von Pat Nixon, Ehefrau des zukünftigen Präsidenten. Frau Nixon bat um einen Termin bei Mr. Fred. Sie wollte einen Pelzmantel für ihre Tochter Tricia bestellen, deren Hochzeit mit dem Enkel von General Eisenhower kurz davor stand.

Wir trafen uns in der Penthouse-Wohnung des Pierre Hotels auf der Fifth Avenue in der Nähe vom Central Park. Es war sehr schön und man bat mich, einen weißen Pelzmantel für Tricia zu entwerfen. Ich sollte entscheiden, welche Pelzart in Frage kommt. Ich wählte einen weißen Lammpelz aus China, Und ich sollte auch für die Schwester von Tricia einen Pelzmantel entwerfen. Da nahm ich einen chinesischen Lammpelz aus Tibet. Die Mäntel waren sehr schnell fertig und die Schwestern haben sie auf der Hochzeit auch getragen. In der New York Times und anderen Zeitungen auf der ganzen Welt erschienen Fotos besonders das Foto mit Pfarrer Norman Vincent Peale, der Tricia und ihren Mann geraut hat, und der als Autor des Bestsellers „The Power of Positive Thinking“ bekannt ist.

Und im Leben gibt es glückliche und traurige Ereignisse: an dem Tag bekam ich einen akuten Glaukomanfall im linken Auge. Mein Arzt Sylvan Bloomfield, sorgte dafür, dass mein Auge sediert wurde und so konnte ich an allen Veranstaltungen teilnehmen. Direkt danach musste ich aber zum Mt. Sinai Krankenhaus, wo man mich operiert hat. Aber Ende gut, alles gut. Ich habe zwar im linken Auge die Sehkraft verloren aber ich habe mich erholt und Mitte des Jahres war ich wieder voll einsatzfähig.

KAPITEL ZWEI

Es war der Anfang eines neuen Jahrzehnts – die fünfziger Jahre. Ich war 26 Jahre alt, das Leben war schön mit vielen Aktivitäten, guten Freunden und auch Freundinnen. Vielleicht hatte ich immer zu viel zu tun aber an Heiraten dachte ich nicht. Vielleicht war mir auch bewusst, dass ich zu wenig Geld hatte, um eine Familie zu ernähren. Ich hatte das ganze Leben vor mir und ich war „unzerstörbar“!

Als mein guter Freund Harry Goldsmith heiratete – bald darauf heirateten weitere Freunde – wurde mir bewusst, dass es doch ganz nett wäre, eine Familie zu gründen. Im Frühling 1952 dachte ich auch daran und am 21. Juni fuhr ich in meinem neuen Chrysler-Auto zu einem Haus am Oskwana See in den Catskill-Bergen, wo einige Freunde den Sommer verbrachten. Es war ein schöner Sommertag, und als ich ins Wohnzimmer kam, sah ich eine junge Frau. Sofort wusste ich, dass sie die Frau meiner Träume war, und dass ich sie heiraten wollte. Ich wusste auch, dass sie die Mutter meiner Kinder sein würde. Es war Liebe auf den ersten Blick.

Mit diplomatischem Geschick erhielt ich ihre Telefonnummer. Ich wusste, dass sie einen Freund hatte, der auch da war aber ich habe ihr trotzdem gesagt, dass ich sie am folgenden Tag anrufen wollte. Das habe ich auch getan (es war Montag) und am nächsten Abend haben wir uns getroffen. Ich glaube, dass ich ihr im Fort Tyron Park von meinen Gefühlen für sie und meinen Wünschen erzahlt habe. Wir parkten immer auf der „Lovers Lane“, wo die Aussicht wunderbar war und wir die Jersey Pallisades sehen konnten. In dem Sommer hatte ich eine Wohung in einem Haus am Meer gemietet und an dem drauf folgenden Sonntag fuhren Rita und ich zusammen dahin und haben den ganzen Tag dort zusammen verbracht.

Ich glaube, dass ich ihr in der drauffolgenden Woche den Heiratsantrag gemacht habe und sie hat „ja“ gesagt. So glücklich war ich noch nie gewesen. Nachdem sie meine Eltern kennen gelernt hatte, wollten wir unsere Verlobung im kleinen Kreis feiern. Ihre Mutter und jüngere Schwester Maren wohnten auf der Washington Avenue in der Nähe von 181 Street. Sie hatten auch nichts einzuwenden und so wollten wir am 1. Februar 1953 heiraten. Wir heirateten im Olcott Hotel auf der West 72nd Street in Manhattan. Unser großartiger Rabbiner Dr. Hugo Hahn hat uns getraut und der Kantor war Irwing Hirsch. Ungefähr 100 Freunde und Verwandte waren da.

Nach der Trauung und dem Essen haben wir die erste Nacht im Plaza Hotel verbracht. Danach wollten wir nach Vermont fahren. Das war damals mein Lieblingsstaat. Dort wollten wir in dem Hotel „The Lodge“ in Smugglers Notch, Stowe, Vermont unsere Flitterwochen verbringen. Ich wollte, dass Rita auch meinen Lieblingssport – das Skilaufen – lernt und wie ein Fisch im Wasser lernte sie das Skilaufen. Nur ein Problem gab es. Im Plaza Hotel habe ich die Grippe bekommen und so haben wir nicht nur eine Nacht im Plaza verbracht, sondern mehr als eine Woche. Erst als ich wieder gesund war, sind wir nach Stowe gefahren.

Unser erster Sohn, Ronald James, wurde am 2. November 1953 geboren. Wir waren gerade in eine Zweizimmerwohnung in Riverdale in der Nähe des Henry Hudson Parkways gezogen. Die Wohnung war sehr schön, die Gegend auch aber wir wussten, dass wir bald mehr Platz brauchen würden und wir fingen an, eine größere Dreizimmerwohnung zu suchen. Nach ca. drei Jahren haben wir eine auf der Park Terrace East in Manhattan, direkt am Hudson gefunden. Ronnie (so nannten wir ihn immer) war ein sehr gesundes und lebhaftes Baby und bald konnte er auch laufen. Er lief schon sehr früh, viel früher als die meisten Kinder und interessierte sich für alles. Wir waren so stolz auf ihn und nahmen ihn überall mit. Seine Mutter zeigte viel Mut und hatte nie Angst davor, etwas Neues auszuprobieren. Ich glaube, dass Ronnie auch mit in den Skiurlaub fuhr. Manchmal blieb er bei seinen Großeltern, Omi Betty und Opa Leo. Er hat uns so glücklich gemacht und hielt seine Mutter immer auf Trab.

Vier Jahre später, am 22. Februar 1957, kam unser zweiter Sohn. Wir haben ihn Jeffrey Lee genannt. Sein zweiter Name war für Leo, seinen Opa. Alle wollten sein blondes, seidiges Haar berühren und bald wurde auch er sehr neugierig. Die zwei Jungen haben sich sehr gut versanden. Jeff liebte es, als Ronnie ihm das beibrachte, was er selbst gelernt hatte. Sie machten uns so glücklich und hielten seine Mutter (und am Wochenende auch seinen Vater) auf Trab. Wir gingen oft zum Park (Isham Park und Inwood Hill Park), wir wanderten und machten viele Ausflüge – sowohl im Auto wie auch zu Fuß.

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DIE FRÜHEN JAHRE UND/ODER VOR DEM TUMULT

1924 war ein gutes Jahr. In Deutschland herrsche Frieden. Sechs Jahre davor hatte Deutschland den ersten Weltkrieg verloren und hatte in Versailles einen Friedensvertrag unterschrieben. Unter Kanzler Hindenburg wollte man die deutsche Wirtsaft wieder aufbauen. Es herrschte eine hoffnungsvolle Stimmung, als ich am 13. April 1924 das Licht der Welt erblickte. Meine Eltern, Leo und Betty, hatten 1920 geheiratet und ihr erstes Kind, auch ein Junge, wurde 1921 geboren. Sie haben ihn Albert genannt. Als ich geboren wurde, haben sich mein älterer Bruder und unsere Kinderfrau Frau Rohrbach (später erzähle ich mehr über sie) sehr gefreut. Meine Eltern besaßen ein Haus auf der Bahnhofstraße 22 in Gelsenkichen (Westfalen). Gelsenkirchen ist nicht weit von Essen entfernt. Das Ruhrgebiet liegt an der Ruhr, die in den Rhein fließt, und Köln und Düsseldorf sind auch nicht weit entfernt. Mein Vater wurde in Krefeld geboren, auch nicht weit entfernt, wo seine Familie ein großes Textilien- und Seidegeschäft hatten.

Die niederländische Grenze ist ca. eine Stunde Autofahrt entfernt. Später haben meine Großeltern mütterlichseits in den Niederlanden gewohnt. Als ich aber geboren wurde, waren die Eltern meiner Mutter, Ehepaar Isaacson, von Hamburg nach Gelsenkirchen gezogen, wo sie sich kennen gelernt und auch geheiratet haben. Ich glaube, dass sie auch eine Wohnung in Hamburg behielten, wo Tante Fella noch wohnte.

Gelsenkirchen war eine von Bergbau geprägte Industriestadt. Die Kohle brauchte man für die Stahlindustrie, an erster Stelle die Kruppwerke in Essen. In unserer Stadt wohnten ziemlich viele Juden und wir hatten eine sehr schöne Synagoge, wo ich 1937 meinen Bar Mitzvah gefeiert habe. Ich glaube mich erinnern zu können, dass, als ich im Alter von 7, 8 oder 9 war, Straßendemonstrationen stattfanden. Es waren meistens linke Sympathisanten, Sozialisten oder vielleicht Kommunisten, die die Staatspolizei (Stapo), unter dem wachsamen Auge der Mitglieder der damals noch illegalen NSDAP, dann verhaftete.

Wir wohnten auf einer großen Straße und haben die Demonstrationen und Umzüge immer gesehen. Ich weiß noch, dass wir Kinder draußen sehr vorsichtig sein mussten und durften nur mit unserer Kinderfrau, Frau Rohrbach, nach draußen gehen. Ich glaube, das war vor der Wahl und Ernennung von Hitler zum Reichskanzler im Jahre 1933. Die Nazis hatten ihn gezwungen, Hitler zum Reichskanzler zu berufen. 1934 starb Paul von Hindenburg.

Als von Hindenburg starb, war ich im „Haus Bertha“, einem Heim für jüdische Kinder. Das Haus hatte mein Vater zusammen mit anderen wohlhabenden Juden aus dem Ruhrgebiet und dem Rheinland gegründet. Das „Haus Bertha“ wurde zum Symbol der Mut der bedrohten deutschen Juden. Das Haus wurde sehr gut geführt und alle wollten ihre Kinder hinschicken. Der „Reichsbund Jüdischer Frontsoldaten“, wovon mein Vater, zusammen mit Albert Süsskind, erster Vorsitzender war, hat das Haus eingerichtet. 1994 gedenkt die evangelische Kirche Schermbeck des Heims. In Erinnerung an die Juden in Westfalen wurde in Dorsten das Jüdische Museum Westfalen gebaut. Wolfgang Bornebusch hat eine führende Rolle gespielt.

Ich könnte noch viel darüber erzählen aber jetzt will ich von unserem Zuhause in Gelsenkirchen erzählen. Meine Großeltern, die Eltern meiner Mutter, hatten einen sehr großen Fischhandel (Klein- uns Großhandel) aufgebaut. Ihre Söhne Lutz und Herbert haben da auch gearbeitet aber um 1934-35 sind sie klugerweise nach Rotterdam umgezogen. Sie hatten früher schon da gewohnt und dort wurde auch meine Mutter, ihre erste Tochter, geboren. Mit sechs Jahren ging ich zur Grundschule. Ab 1937 (ich war 13 Jahre alt) durften jüdische Schüler öffentliche Schulen nicht mehr besuchen und so ging ich zur jüdischen Schule. Der Schuldirektor hieß Weinstock.

Aus irgendeinem Grund durfte ich dann das Gymnasium (Realgymnasium, heutiges Grillo-Gymnasium, Anm. AJ) doch besuchen aber nach ca. 6 Monaten haben mir die NS-Behörden den Schulbesuch verboten. Das hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Dort musste ich Latein und Musik (Blockflöte) lernen, der Klassenlehrer hieß Spengler, ein echter Nazi im Schafspelz. Ich habe es dort gehasst. Mit 14 Jahren war ich nicht glücklich. Ich war sensibel und merkte die Unsicherheit bei uns zu Hause. Mein Vater hat ein Waisenkind adoptiert. Die Eltern in Polen hatten das Kind nach Deutschland geschickt, weil es in Polen schon Pogrome gegen Juden gab. Das Kind wohnte bei uns und wir haben uns gut verstanden. Wir hatten ein großes Haus und viele Menschen konnten da wohnen. Unser Schlafzimmer war sehr groß und wir hatten auch ein Kinderzimmer. Es gab weitere Schlafzimmer und Badezimmer, eine Bibliothek oder Herrenzimmer, ein Esszimmer und einen sehr große, formelles Saal mit Klavier und einen Teppich aus Tigerfell und Fenster mit Balkonen zur Bahnhofstrasse hin.

In der Nacht und den frühen Morgenstunden des 9. November 1938, wurde ich durch ohrenbetäubenden Lärm und zerbrechendes Glas, die eine Ewigkeit dauerte, wach. Der Schock führte zu dauerhaften Schäden meines Nervensystems. Nach dem ersten Schock habe ich mich ein wenig erholt und bin dann zum Schlafzimmerfenster gegangen. Ich habe nach draußen geschaut und bin kurz in Ohnmacht gefallen. Als ich wieder zu mir kam, sah ich Banden junger Menschen, die dabei waren, mit Brechstangen die Fenster unseres Geschäfts kaputt zu schlagen. Es waren ca. 7 Fenster, die sie zerschmetterten und sie zerschnitten all die Schaufensterpuppen und die teure Kleidung. Sie wurden von Nazis in Uniform, SA- und SS-Sturmtruppen geführt. Wahrscheinlich waren viele davon auch die Lehrer der jungen Leute, die die Drecksarbeit machten.

Oben im zweiten Stock, versteckten wir uns unter unseren Bettdecken und hörten den lauten Krach von der Straße. Wir sagten uns, dass wir kein Licht einschalten sollten, weil die Leute unten dann wissen würden, dass wir zu Hause sind und sie könnten dann Steine werden oder schießen. Wir haben darauf gewartet, dass unsere Eltern oder Kinderfrau uns was sagen aber das weiß ich nicht mehr. Anscheinend waren unsere Eltern genauso sprachlos und erschreckt wie wir und konnten wenig Hilfe anbieten. Also lagen mein kleiner Bruder Ralf, der junge aus Polen und ich da und versuchten, das Schreien des Mobs auszublenden. Sie schreien „Tod den Juden“ und sangen das Horst Wessel Lied, „Die Fahne hoch“, was zur Nationalhymne geworden war. Die echte Nationalhymne war noch immer „Deutschland, Deutschland über alles in der Welt.“ Sie schreien noch ein Lied, das jeden Umzug begleitete und zwar „Bis das Judenblut vom Messer spritzt“. Es klang wie ein Erdbeben und ging bis zum Sonnenaufgang weiter. Die „Truppen“ zogen weiter und die Polizei hat dann die Zerstörung überwacht.

Unsere Wohnung war im zweiten Stock. Im Erdgeschoß befand sich unser großes Geschäft und die Büros und Ateliers waren im ersten Stock. Es gab auch einen Hof, wo wir oft mit dem Ball spielten Der Eingang zum Hof war auf der Nebenstrasse. Wir überquerten den Hof und dann gingen wir in das Hauptgebäude rein. Eine große Wendeltreppe führte zu unserer Wohnung. Zu der Wendeltreppe gehörte ein großes Geländer und wir konnten so oft runterrutschen, wie wir wollten.

Am besagten Morgen, wahrscheinlich gegen 7h, hörten wir, wie Männer in schweren Stiefeln, die Treppe raufkamen. Als sie immer lauter klopften, wussten wir, dass die Polizei gekommen war. Warum? Um uns zu schützen? Um sich wegen der Mobs zu entschuldigen? Nein. Sie waren gekommen, um unseren Vater zu verhaften und alle Männer, die alter als 18 waren, zum Polizei- oder Gestapogebäude zu bringen.

Glücklicherweise wohnte mein Bruder Albert nicht mehr zu Hause. Er besuchte die Textilschule in Aachen, wo die Polizei ihn abgeholt hat und dann doch wieder freigelassen hat, weil er noch nicht 18 Jahre alt war. Leo, unser Vater, hatte viel Glück, weil er innerhalb von 24 Stunden freigelassen wurde. Die Männer, die nicht freigelassen wurden, kamen in KZs und die meisten sind nicht zurückgekommen. Ich glaube, dass die Nazis nur diejenigen freigelassen haben, die beweisen konnten, dass sie eine Ausreisegenehmigung (aus Deutschland) und eine Einreisegenehmigung für ein anderes Land hatten. Nur wenn die Nazis einen Vorteil für sich sahen, haben sie Geiseln freigelassen. Die Gefangenen, die nicht beweisen konnten, dass Geld für die Freilassung bezahlt würde, kamen ins KZ.

Vater hatte also Glück und war natürlich sehr klug. Er hat die „Entführer“ überzeugt, dass Geld bezahlt wird. Schließlich wurde auch Geld bezahlt; er wurde enteignet und hat das Gebäude und Immobilien in einem anderen Stadtteil, wo wir auch einen kleinen Bauernhof mit Obst- und Gemüseanbau hatten, übertragen. Offensichtlich hat er den Nazis versprochen, dass er sein Eigentum an die Partei übertragen würde. Und es war auch unser Werksleiter, Parteimitglied und Angestellter meines Vaters, der neuer Besitzer wurde. Unser Vater musste auch versprechen, dass er und seine Familie ganz schnell, innerhalb weniger Monate, verschwinden würden.

Wieder hatten wir Glück. Unsere Großeltern wohnten nämlich in den Niederlanden und im Dezember haben wir unser schönes Haus verlassen. Aber wir waren am Leben. Niederländische Freunde haben meinen kleinen Bruder Rolf abgeholt. Sie haben ihn über die Grenze gebracht und er wohnte bei sehr netten Pflegeeltern in Holland. Er hat die niederländische Sprache gelernt und hat die selbe Schule wie die Kinder der Pflegeeltern besucht. Als wir in den Niederlanden ankamen, haben die Behörden uns zuerst in einem Flüchtlingslager untergebracht, zuerst in der Nähe von Rotterdam und später in Amsterdam. Es hieß „The Lloyd Hotel“. Das war natürlich kein Hotel, sondern ein altes, baufälliges Gebäude, wo Matrosen früher mit Prostituierten geschlafen hatten. Die niederländischen Behörden haben bestimmt versucht, das Gebäude bewohnbar zu machen, aber wir hatten so gut wie nichts. Aller Räume wurden dann zu Familenzimmern und am Anfang waren sie sehr klein.

Wir bekamen Etagenbetten und einen Tisch. Sanitärräume mussten wir mit anderen Teilen. Für uns Kinder war es ein Abenteuer aber für ältere Menschen muss es schrecklich gewesen sein. Es gab einen sehr großen Speisesaal, wo wir immer gegessen haben aber ich weiß nicht mehr, wer gekocht hat. Ich denke, dass es wahrscheinlich wie beim Militär war, dass man gesagt hat, dass bestimmte Leute kochen bzw. spülen müssten. Es gab auch einen großen Freizeitraum mit Tischtennisplatten. Das war für uns die Unterhaltung. Aber wir waren in Sicherheit und wir waren der niederländischen Königin sehr dankbar. In dem Jahr durften wir auch unsere Großeltern im nahe gelegenen Ijmuiden besuchen. Sie hatten ein schönes Haus in der Nähe des Strands. Früher hatten wir den Sommer oft dort verbracht und wir liebten es. Und irgendwie haben wir uns in den acht oder neun Monaten, die mir wie eine Ewigkeit vorkamen, erholt, und als wir in Rotterdam an Bord des S.S. Statendam gingen, waren wir für das größte Abenteuer unseres Lebens bereit.

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DER MORGEN NACH DER KRISTALLNACHT, 9. NOVEMBER 1938

Fritz GompertzAbb.15: Fritz Gompertz, 1938. Fritz ist grade 14 Jahre alt. Das Foto entstand in Gelsenkirchen, Stempel auf der Rückseite: Photografeninnung, -Paßstelle-, Kreishand- werkerschaft, Gelsenkirchen, A. Frei, Bahnhofstr. 66

Gegen 8h, nachdem unser Vater ins Gefängnis geschleppt worden war, hat man uns befohlen, auf die Straße zu gehen. Erst dann haben wir die große Zerstörung unseres Hauses gesehen. Die Polizei hatte den Block umstellt, um uns „vor Plünderern zu schützen“. Dann haben sie uns befohlen, den Bürgersteig und die Straße wieder sauber zu machen, alle Glasscherben zu entfernen. Wie wir das getan haben, weiß ich nicht mehr. Aber ich weiß dass, Pöbelscharen – Schüler und SS-Verbände - uns anbrüllten und „Tod den Juden“ schrien.

Ich weiß noch, dass ich auf dem Weg zu der Nebenstraße unseren Hof überquerte und plötzlich haben mich mindestens sechs Leute plötzlich geschlagen. Ein nichtjüdischer Mitarbeiter hat mich gerettet; ansonsten hätten die Leute mich umgebracht. In dem Geschäft war die Hölle los. Rowdys randalierten und hatten angefangen, alles zu durchwühlen, was noch im Geschäft war. Im Geschäft gab es ein Hochparterre und von da konnte man den Verkaufsraum sehen. Einige unserer Mitarbeiter, die dort ihre Büros hatten, standen da.

Mein bester Freund war auch da. Er hieß Walter Lipsky und war Lehrling bei meinem Vater. Er konnte die ganze Zerstörung sehen und er hörte, wie die Nazis „Tod den Juden“ schrien. Er war nur 17 Jahre alt und war hilflos. Er hat die Rowdys angeschrien. „Schweinehunde“ schrie er. Als sie ihn hörten, rannten sie die Treppe auf. Sie hätten ihn auf der Stelle gelyncht. Aber Walter war sehr schnell und sie haben ihn nicht gefunden; er hat sich bestimmt unter einer Werkbank versteckt. Meine Gurgel zog sich zusammen, weil ich wusste, dass sie ihn umbringen würden. Alles, was ich noch weiß ist, dass einige unserer sehr anständigen nichtjüdischen Angestellten ihm geholfen haben, als er sich versteckt hat und später an dem Nachmittag haben sie ihm auch bei der Flucht geholfen. Ich habe nie echt herausgefunden, wie er es geschafft hat, nicht verhaftet zu werden aber er es ist weggekommen und seine Eltern haben ihm die Flucht nach England ermöglicht.

Viele Jahre später habe ich Walter in London wieder gesehen, wo er zum wichtigen Mitglied der britischen Gesellschaft geworden war. Das erinnert mich an die Kindertransporte. Durch die Kindertransporte konnten viele Eltern ihre Kinder nach London schicken, was auch Sicherheit bedeutete. Für die vielen Eltern und Kinder, die in einem fremden Land zu Waisen wurden, muss es ein sehr trauriges Erlebnis gewesen sein. Auch hier konnte ich glücklicherweise viele Jahre später sehen, wie klug die Eltern dieser Kinder waren. Die Kinder hatten viel Mut gezeigt und wurden britische Staatsangehörige. Einer davon wurde sogar Abgeordneter.

Aber in Gelsenkirchen hatte die SA-Männer unsere Synagoge in der Nacht in Brand gesetzt und sie brannte bis auf die Grundmauern ab. Meistens wohnten der Hausmeister und oft auch der Rabbi neben der Synagoge. Das war z.B. in der Nachbarstadt Essen der Fall. Der Rabbi war Dr. Hugo Hain. Die Männer haben ihn, seine Frau und zwei Töchtern misshandelt, als sie das schöne Gebäude berührten, ein Bethaus, das ein architektonisches Meisterwerk war. Glücklicherweise ist ihnen die Flucht doch gelungen und sie kamen nach Amerika, wo er seine Gemeinde in New York wieder aufgebaut hat. Er nannte die Gemeinde „Habonim“, die Bauleute. Dr. Hahn hat unseren Vater gebeten, ihm zu helfen und so wurde er zu einem der Gründungsmitglieder der Synagoge auf der West 66th Street in New York.

Unsere Eltern waren sehr vorausschauend, weil der Stadtteil, den sie ausgesucht hatten, und wo sie später auch ein Grundstück kaufen konnten, später auch der Standort der Julliard Musikschule wurde und dem Tempel gegenüber steht jetzt die Fernsehstadt von ABC, Channel 7. Die Immobilienpreise sind in die Höhe geschossen und trotz einer Rezession bei den Immobilen in New York, sind die Immobilienpreise in dieser Gegend stark gestiegen – dank des vorausschauenden Denkens unserer Eltern.

PELZ UND SPORT - DAS WARENZEICHEN

Fur and Sport Trademark

Für mich waren die fünfziger Jahre sehr gut. Ich habe eine schöne, intelligente, liebevolle und fürsorgliche Frau geheiratet. Ich hatte zwei gesunde und sehr nette Söhne. Meine Träume gingen echt in Erfüllung. Die Nachfrage nach meinen Kreationen begann zu wachsen und langsam wurde mein Name als wichtiger Anbieter im Modegeschäft bekannt.

Die 50er Jahre gingen zu Ende und in den 60er Jahren kam ein weiterer Traum. Ich wollte mehr als nur den Groß- und Kleinhandel. Ich wollte ein Kleidungsunternehmen, das nicht nur Pelz, sondern auch Oberbekleidung verkauft. Und ich fing an, weitere Modekollektionen und auch Hüte zu entwerfen. Ich sah die großartigen Möglichkeiten. Mein Lieblingsthema war aber noch immer Sportbekleidung und das war also der Schwerpunkt.

Mir wurde bald bewusst, dass der schwierigste Aspekt der Modebranche nicht das Entwerfen ist, wo guter Geschmack und Know-how die einzigen Voraussetzungen sind, sondern die Finanzierung. Und an einem sehr schönen Tag Anfang der 60er Jahre, sprach ich mit meinem neuen Freund, dem Sohn einer der reichsten jüdischen Familien New Yorks, Wolf Oppenheimer. Ich habe ihn zum Abendessen eingeladen- und nicht in einem feinen Restaurant, sondern bei uns zu Hause auf der Park Terrace East. Rita hat ein köstliches Essen vorbereitet und Wolf hat es sehr schön gefunden, den Abend bei uns zu verbringen. Er hat unser Leben bewundert. Er war noch eingefleischter Junggeselle. Er mochte Rita und fand es schön, mit uns befreundet zu sein.

Am folgenden Tag haben wir über meine Firma gesprochen. Seine Mutter war eine unserer besten Kundinnen und so sprachen wir über die Finanzierung einer wachsenden Firma. Ich weiß noch, wie er sagte: „Außer Geld habe ich nichts.“ Er hatte nie arbeiten müssen. Er versuchte sich ein wenig in Textilien aber seine Arbeit war die Verwaltung von Geld. Wolf hat mir geholfen, meine Firma zu gründen und er schlug den Namen „Fur & Sport“ vor. Ich habe meinen Patentanwalt sofort angerufen, den Anwalt, der einige Jahre davor die Eintragung der Marke „Mr. Fred“ vorgenommen hatte und er hat die Marke „Fur & Sport“ eintragen lassen. Ich habe es versäumt, die Marke „Mr. Fred“ als eigenes Warenzeichen weiter zu benutzen und das war wahrscheinlich der einzige Fehler, den ich damals gemacht habe. Es schien mir damals nicht nötig.

Mit dem Darlehen von Wolf, konnte ich meine Pläne fortsetzen: ich wollte das Unternehmen vergrößern und mehr Sportbekleidung- und Pelzkollektionen führen. In den frühen 60er Jahren waren meine Kollektionen sehr erfolgreich. Prominente und Mitglieder der Oberschicht haben bei mir gekauft, weil sie bei mir den Traum verwirklichen konnten, die neueste Pelzmode zu bekommen. Wahrscheinlich entstand auch deshalb der Begriff „Fun Furs“. Das war nicht allein mein Verdienst, weil Erfolg bekanntlich immer Nachahmer findet. Andere Unternehmen haben die Idee aufgenommen und Fun Furs wurden zum Symbol eines jungen, modischen Pelzmantels – meistens Imitat. Fur & Sport war erfolgreich und mit Hilfe von Wolf hat die Firma ihre Rechnungen immer bezahlt und konnte Gewinne ausweisen. Aber die Firma war noch immer eine Tochtergesellschaft von L.F. Gompetz Furs und bezahlte deshalb die Schulden der Muttergesellschaft, so dass die Firma täglich flüssig blieb.

Nach dem Tod unseres Vaters Leo, ergaben sich bei der Finanzierung der Firma viele Probleme. Fur & Sport war noch nicht stark genug, um die Schulden der Muttergesellschaft weiter zu bezahlen. Aufgrund unserer guten Geschäftsentwicklung erhielten wir von der Bank einige Darlehen aber Anfang 1972 kam der Tag der Abrechnung. Die Bank hat das Darlehen gekündigt und wir konnten nicht sofort zahlen. Wolf hat versucht uns zu helfen, sowie Fred Mathes, ein weiterer Freund und sehr netter Mensch. Aber die Wirtschaftsprüfer meinten, dies wäre nicht gut genug und sie haben meinen Bruder Albert überzeugt, das Handtuch zu werfen und Konkurs anzumelden.

Da ich Geschäftsführer war und auch den Darlehensvertrag persönlich unterzeichnet hatte, musste ich die Hauptlast trafen. Ich musste Privatinsolvenz anmelden. Wir wissen alle, was das bedeutet und welche Auswirkungen das auf das Selbstbewusstsein eines jungen Manns hat. Aber so ging es weiter und in den folgenden sieben Jahren erhielten wir keine Darlehen. Um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, bestand mein Bruder Albert darauf, mit mir zu konkurrieren und er prozessierte, um den Besitz der Handelsmarke zu erwerben. Der Richter entschied, dass uns beiden jeweils eine Hälfte der Handelsmarke gehören sollte und so besitzen wir beide zu gleichen Teilen die Handelsmarke „Fur & Sport“. 1972 ist meine Firma zur 32 East 57th Steet umgezogen und wir haben versucht, das Unternehmen dort zu betreiben. Es wurde sehr schwierig, weil die Menschen dort meine Pläne ablehnten.

Vier Jahre später erhielt ich einen Anruf von Hutchison International aus Hong Kong. Sie haben mir eine Arbeit angeboten. Ich sollte eine ihrer Fabriken leiten und die Geschäftsbereiche Pelz- und auch Lederbekleidung entwickeln. Ich sollte auch den Pelzbereich für China leiten. Das war ein herausragendes Angebot und wir haben zugesagt. Im Juli 1976 sind wir nach Hong Kong umgezogen. Unsere Söhne blieben in den USA und das fanden wir sehr schwierig. Wir wussten aber, dass wir sie oft besuchen könnten. Dieser Umzug war die beste Entscheidung und das war die dritte große Veränderung in meinem Leben. Rita war auch von der neuen Umgebung begeistert und hat dort drei glückliche Jahre verbracht. Ich hatte einen Dreijahresvertrag und 1979/80 sind wir wieder nach New York gezogen.

Fred Gompertz

Im Museum of Jewish Heritage and Memorial to the Holocaust, Battery Park City befinden sich Zeitungsartikel und Dokumente zu der Flucht der Familie. Die Artikel und Dokumente hat Herr Gompertz dem Museum geschenkt.

→ Recht und Wirtschaft: Kennkarte, Vorname, Pässe

→ Einreisegenehmigung der Familie Gompertz für die Niederlande

→ Anleitung zur Ausfüllung des Formulars zu jüdischem Besitz

→ Brief des niederländischen Generalkonsulats an Leo Gompertz

→ Reisepass von Betty Gompertz

→ Polizeilicher Bescheid zur Ausreise von Leo „Israel“ Gompertz und Betty „Sara“ Gompertz

Mit freundlicher Genehmigung von Ron und Jeff Gompertz. Deutsche Übersetzung: Patricia van den Brink.
Alle Rechte vorbehalten.

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Andreas Jordan, Mai 2017

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