Im Massengrab
Massenerschiessung unter NS-Besatzung in Osteuropa
Zalman Teichmann war ein Talmudschüler aus Tuska in der Karpato-Ukraine. Teichmann wurde zum jüdischen Arbeitsdienst zwangsverpflichtet. In seinem erschütternden Bericht beschreibt Zalman Teichmann, wie er, bereits niedergeschossen, einem Massengrab in Cservenka entfliehen konnte.
Zeithistorischer Hintergrund: Eine Kolonne von etwa 1800 Männern befand sich im September 1944 auf einem Todesmarsch in Richtung Ungarn. Die Männer waren zuvor in der Kupfermine von Bor als so genannte "Arbeitsdienstmänner" - Sklavenarbeiter - eingesetzt. Am 6. Oktober 1944 erreichte die Kolonne Cservenka (Tscherwenka, Cruenka) und wurde in zwei Gruppen aufgeteilt. Eine 1000 Mann starke Gruppe wurde in der dortigen Ziegelei von der SS erschossen, rund 800 Männer mussten ihren Weg fortsetzten. Zwei Tage später erreichten sie Oszivac, dort wurde auch diese Gruppe von einer Kavallerie-Einheit der SS umzingelt, die Männer mussten sich auf den Boden legen und wurden erschossen.
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So empfing auch ich die Gabe, die Kugel...
Die Gefangenen waren so schwach und erschöpft, daß sie sich hinsetzten. Keiner hatte genug Kraft, zu gehen oder zu reden. Sie seufzten, verfluchten sich und hofften nur auf einen baldigen Tod, weil sie es nicht länger ertragen konnten. Einige meinten, daß wir auf der Stelle erschossen würden, aber wir konnten das kaum glauben. Jemand sagte: "Die Luft ist voller Pulver." Sofort widersprachen ihm zwanzig andere: "Schämst du dich nicht, so zu reden? Glaubst du ernsthaft, die Deutschen denken jetzt an so etwas, da die Russen nur noch zwanzig Kilometer entfernt sind?" Gespräche dieser Art wurden den ganzen Freitag lang geführt. Den ganzen Tag über feuerten die SS-Leute in die Luft, als ob sie Zielübungen machten oder sich vergnügen wollten. Der Zweck war, die Einwohner der Umgebung an das Geräusch von Schüssen zu gewöhnen, damit es nicht weiter auffiele, wenn es Ernst wurde. Schließlich konnte man nicht dreitausend Menschen auf einmal erschießen.
Es wurde Abend, und die Gefangenen legten sich hin, um zu schlafen. Am Morgen lief das Gerücht um, daß unser ungarischer Leutnant ins deutsche Hauptquartier nach Sombor gefahren sei und erklärt habe, er könne mit so vielen Kranken nicht weitermarschieren, es sei denn, sie bekämen etwas zu essen. Die Deutschen erwiderten, so wollte das Gerücht wissen, daß sie für die Juden keine Lebensmittel hergeben würden und daß sie auch den Weitermarsch nicht erlaubten, damit der Rückzug nicht gestört werde. Das erzählten sich die Juden.
Als wir am Samstagmorgen aufstanden, hörten wir die lauten Rufe der SS-Leute, die uns befahlen herauszukommen. Wir gingen, und sofort wurden fünfzig Menschen weggeführt, einige mit ihren Bündeln und einige ohne. Danach begann die SS uns zu quälen, sie ließ uns von einem Platz zum anderen rennen, um uns zu ermüden. Wenn jemand hinfiel, wurden die hinter ihm Laufenden aufgehalten und geschlagen. Die Gefangenen schrien, weinten und verfluchten den Tag, an dem sie geboren waren. Eine Stunde lang wurden wir so herumgejagt, bis wir außer Atem waren. Dann wurden wir in einen kleinen Schuppen gestoßen, zehn mal fünf Meter groß, in dem gewöhnlich Ziegel zum Trocknen gelagert wurden. Etwa vierhundert bis fünfhundert Menschen drängten sich in diesem kleinen Raum, sie stießen aneinander, ohne Luft und unfähig, sich zu bewegen. Es war verboten, einen Laut von sich zu geben oder auch nur einen Seufzer. Wer von der SS gehört wurde, bekam mit einem Gewehrkolben Schläge auf den Kopf, bis das Blut floß. Mehrere fielen in Ohnmacht, aber niemand bemerkte es. Die Gefangenen verloren die Nerven, und keiner achtete mehr auf sich. Ein toter Körper war uns nichts anderes als ein Stück Holz oder ein Ziegel. Die Menschen hatten keine Skrupel, auf Leichen zu treten. Nach einer Stunde ließen sie uns in Frieden. Fünfzehn bis zwanzig Menschen blieben liegen, als ob sie tot seien.
Später wurde versucht, sie wieder zu beleben. Einige waren noch am Leben, und andere starben, und jeder kümmerte sich wieder um sich selbst. Um zwei Uhr nachmittags wurde ein neuer Befehl gegeben: Aufstehen, herauskommen, in Reihen aufstellen! Die SS ging hinein, um nachzuprüfen, ob jemand sich versteckt hatte. Viele waren zu schwach, um aufzustehen, aber als die Schläge auf ihre Köpfe regneten, mußten sie hinausgehen. Als alle Gefangenen draußen standen, schrien die SS-Leute den Befehl, daß jede Kompanie sich getrennt in Zehnerreihen aufstellen sollte. Wir hatten Angst, daß jeder Zehnte umgebracht würde. Die SS-Leute tobten — schlimmer als wilde Tiere im Dschungel — und schlugen uns ununterbrochen. Einer von ihnen rief: "Ich brauche fünfzig kräftige Männer, Freiwillige." Aber wer fühlte sich noch gesund? Wer hatte noch genug Kraft, zu arbeiten? Niemand meldete sich. Der SS-Mann kam näher, wählte selbst starke, gesünder aussehende Männer aus, einen nach dem anderen, bis er fünfzig zusammen hatte, und führte sie fort, wir wußten nicht wohin. Dann hörten wir einen SS-Mann den Befehl schreien: "Alle Nicht-Juden zu mir kommen!" Die getauften Juden mit ihren weißen Armbinden traten vor und wurden mit den Worten "Ihr seid auch halbe Juden" zurückgeschickt. Die SS-Leute meinten die Adventisten und zogen sie aus den Reihen heraus. Nun erst begannen die Menschen zu begreifen, daß es Ernst würde. Sie wünschten nur, daß alles so schnell wie möglich vorbei wäre, denn sie konnten es nicht länger ertragen.
So standen wir in Zehnerreihen von drei Uhr bis neun Uhr abends. Es war uns verboten, uns zu setzen, wir mußten in "Rührt-Euch"-Stellung sechs Stunden stehen. Und das, nachdem achtzig Prozent von uns seit vier oder fünf Tagen nichts gegessen hatten. Um neun Uhr wurde uns gesagt, wir könnten schlafen gehen. Die Freude war groß, und wir alle legten uns hin. Nach neun Uhr kam einer der fünfzig Männer zurück und fiel auf sein Lager und brach in Tränen aus. Wir fragten ihn: "Warum weinst du so?" Er antwortete, er habe sehr hart gearbeitet. Er wollte die schlechte Nachricht nicht weitergeben, daß Munition, Kugeln, herbeigeschafft worden waren. Um halb elf am Abend — es war die Nacht vor Hashana Rabba (7. Oktober 1944) — hörten wir Schreie und Seufzer und Schüsse, und uns blieb das Herz stehen.
Die Ziegelfabrik war groß. Jede Kompanie hatte ihren eigenen Platz, und wir waren alle ziemlich weit voneinander entfernt. Von ferne hörten wir Rufe. Plötzlich kamen sie näher, wir hörten Rufe: "Aufstehen! Raus!" Alle fingen an zu rennen. Viele von uns waren nackt oder nur im Hemd, weil sie geschlafen hatten. Die SS-Männer leuchteten mit Taschenlampen in alle Ecken und schlugen jedem, den sie noch drinnen fanden, mit ihren Gewehrkolben den Schädel ein. Als alle draußen waren, begannen die Greuel des vergangenen Morgens von neuem. Ungefähr tausend Menschen mußten rennen, bis sie außer Atem waren. Eine ganze Stunde lang mußten sie rennen, dann wurden sie für eine halbe Stunde in einen engen Raum gestoßen, dann wieder herausgerufen und in einen anderen Raum gezwängt, der noch enger als der erste war. Siebenhundert bis achthundert Menschen auf so kleinem Platz zusammengepfercht! Die Gefangenen waren wie aneinandergeschweißt, Fuß an Fuß, Leib an Leib oder Rücken an Rücken. Die Leiden waren fürchterlich. Der Raum hatte drei Wände, die vierte Seite war offen. Dort standen etwa zwanzig SS-Leute wie eine Mauer. Sie sagten, daß jeder erschossen würde, der auch nur einen Zentimeter unter dem Dach hervorkäme. Sie verboten uns wieder, zu reden oder in unserer Pein auch nur zu seufzen. Sie redeten und schrien in solcher Wut, daß unsere Herzen weinten. Jene, die Schuhe hatten, traten auf die Zehen der Barfüßigen, und wir konnten uns keinen Millimeter rühren. Einmal flüsterte einer der Gefangenen zu einem Freund. Ein SS-Mann fragte, wer gesprochen habe. Keiner meldete sich. Darauf schlug er mehrere Gefangene mit seinem Gewehr, und einer der Männer verlor ein Auge, aber wir durften nicht weinen. Einer der SS-Leute sagte: "Achtung! Jeder, der eine Uhr, goldene oder silberne Ringe hat, muß sie sofort abgeben. Auch ungarisches Geld." Zornig fügte er hinzu: "Daß keiner denkt, ich scherze." Er sagte, anschließend würde eine Kontrolle durchgeführt. Alle, bei denen man etwas fände, würden erschossen. Die Gefangenen begannen, ihr Eigentum herauszugeben. Ein SS-Mann sagte, er könne nicht glauben, daß unter so vielen Menschen nur so wenige eine Uhr besäßen, und fügte hinzu: "Seht euch bloß vor. Ich kriege euch noch." Einer der Juden wandte sich an seine Kameraden: "Laßt euch nicht lange zureden, gebt ihnen eure Sachen; es kommt sowieso nicht mehr darauf an." So gaben die Gefangenen mehr Uhren und Silber heraus. Ein SS-Mann kam und verlangte mehr. Sonst würde er schießen, sagte er. Also gaben wir mehr. Da sahen wir schon, wie weit es mit uns gekommen war. Aber wir glaubten immer noch nicht an ein allgemeines Massaker, wie es später stattfand.
Einer der SS-Leute forderte noch eine Uhr, da einer seiner Kameraden noch keine bekommen hätte. Wenn er sie nicht bekäme, würde das zehn Menschenleben kosten. Es war keine Uhr mehr da. So wählte er die ersten zehn aus. Dann sagte er: "Das ist nicht genug", und nahm noch weitere zehn. Er führte die zwanzig Mann in einen anderen Hof. Unmittelbar darauf hörten wir Schüsse — und nun wußten wir, wohin wir geraten waren. Viele von uns waren bereits geistesgestört. Nach zwei Minuten kamen die SS-Männer zurück und führten weitere zwanzig Männer ab. Wir waren auf allen Seiten von SS umgeben, damit wir nicht weglaufen sollten. Ein Gefangener wich etwas zurück, als die Reihe an ihn kam. Sofort schlugen sie ihm den Schädel ein. Stellt euch vor, was die Gefangenen in diesem Augenblick gefühlt haben. Aber G'tt sei Dank behielt ich einen klaren Kopf. Das war mein Glück.
Alle drei Minuten kam die SS und führte mehr Leute ab. Schließlich kam ich an die Reihe. Es war die zehnte Gruppe, ungefähr zwanzig Leute. Es gab keine Gnade, wir mußten gehen. Sechs SS-Leute begleiteten uns. Während wir gingen, musterte ich die zwanzig, um zu sehen, ob ein Orthodoxer darunter war, den ich kannte. Und wirklich fand ich einen guten Freund, einen sehr frommen Juden. Ich nahm ihn beiseite, und zusammen begannen wir unter Tränen das Beichtgebet zu flüstern. Dann sprachen wir das "Höre Israel". Wir hatten gerade geendet, da standen wir schon vor der Grube. Wir waren in der dritten Reihe — in jeder Reihe zwei. Wir standen und warteten. Der SS-Mann sagte: "Worauf wartet ihr?" Sie hatten keine Zeit, die Nacht war kurz. Die Grube war etwa vierzig bis fünfzig Meter lang, acht bis zehn Meter breit und anderthalb Meter tief. Man hatte sie vor langer Zeit gegraben, weil man Erde für die Ziegelfabrikation brauchte. Die Arbeitsmethode der "Todesengel" war folgende. Auf jeder Seite der Grube standen vier SS-Leute. Zwei von ihnen führten die Opfer heran, und zwei erschossen sie. An jede Seite der Grube wurden jeweils zwanzig Gefangene geführt. Jene, die rechts standen, wurden vor die Mörder auf der rechten Seite geführt, und die, die links standen, vor die Mörder auf der linken Seite.
Schließlich kam die Reihe an meinen Freund. Als wir uns verabschiedeten, gaben wir uns die Hand und segneten einander: "G'tt" sei mit dir. Eine gute Reise zu denen, die für die Heiligung Seines Namens getötet wurden." Wer getötet wird, weil er Jude ist, wird sicher nicht die Hölle kennenlernen. Ein SS-Mann packte ihn und ein anderer mich. Sie stießen uns an den Rand der Grube und drehten uns um, damit die Kugeln uns von hinten träfen. Der SS-Mann trat zurück, und mein Freund wurde sofort erschossen. Sie feuerten aus einer Entfernung von drei Metern. Er fiel in die Grube. Da ich hinter dem SS-Mann stand, konnte ich alles sehen. Dann machten sie es mit mir genauso. Ein SS-Mann kam an mich heran, brachte mich in die richtige Stellung und trat beiseite. So empfing auch ich die Gabe, die Kugel...
Ich wurde mit solcher Gewalt niedergeworfen, daß ich dachte, ich sei bereits im Jenseits. Zwei oder drei Minuten lang wußte ich nicht, was geschehen war. Glücklicherweise hatte die Kugel meinen Körper sofort wieder verlassen. Mein Blut floß wie aus einem Wasserhahn. Später fühlte ich mich etwas besser, aber ich war immer noch verwirrt. Die Kugel hatte mich im Nacken getroffen, zwei oder drei Zentimeter unter dem Ohr, und war direkt neben der Nase wieder ausgetreten. Da der Schuß von der Seite gekommen war, fiel ich auf die rechte Seite der Grube. Dann hörte ich einen der SS-Leute zu dem Mann hinter ihm sagen, er solle mich richtig in die Grube werfen, um Platz für die anderen zu schaffen. Er packte mich bei den Füßen, aber es ging nicht. Der SS-Mann sagte zu ihm: "Warum packst du ihn nicht am Kopf?" Er zog mich am Kopf hoch und warf mich auf die bluttriefenden Körper, von denen einige noch schwach atmeten. Als er mich hineinwarf, stieß er mich heftig, und in diesem Augenblick merkte ich, daß ich noch nicht tot war. Ich fiel etwa zwei Meter vom Rand entfernt in die Grube, auf einen großen Leichenhaufen. Dort lag ich zwei oder drei Minuten, während die Mörder ihre Anstrengungen verdoppelten. Lachend sagten sie: "Kannst du nicht schneller gehen? Du wirst es gleich können." Nach dem Erschießen sagte einer: "Jetzt kannst du es."
Von der anderen Seite hörte ich, wie ein Mann, auf den sie bereits geschossen hatten, auf Ungarisch um eine zweite Kugel bat. Er bekam sie sofort. Glaubt mir, mein Überleben in diesem Augenblick hing nur von meiner Geistesgegenwart ab. Ich dachte: "Habe ich nicht wenigstens einen ruhigen Tod verdient? Habe ich nicht genug gelitten? Ich bin so und so verloren. Ich bin erschossen worden, ich bin tot, aus. Alle meine Leiden sind vorbei." Ein ruhiger Tod war das, was ich mir in diesem Augenblick als größtes Glück wünschte. So wollte ich auch um eine weitere Kugel bitten, aber ich hatte den Mund noch nicht aufgemacht, als mir ein anderer Gedanke kam: Eine Kugel ist genug! Bis zum Morgen werde ich auf jeden Fall tot sein. Und wenn nicht — sie werden uns alle am Morgen beerdigen. Wenn ich nicht sterbe, dann kann ich immer noch um eine weitere Kugel bitten, damit ich nicht lebendig begraben werde. Andere Gedanken kamen. Vielleicht wird G'tt mir helfen? Ich bewegte mich und glitt näher an die Innenseite der Grube, in die Nähe der Öffnung, damit nicht eine verirrte Kugel, die für einen anderen bestimmt war, mich traf.
Es war Nacht, und Kugelsplitter regneten auf die Leichen in der Grube herunter. Mit allerletzter Kraft stieß ich einen Körper beiseite und legte mich auf den Grund, in den Schlamm, der dort durch das viele vergossene Blut entstanden war. Ich wagte nicht, auf einem Toten zu liegen. Er war noch etwas warm und wurde erst allmählich kälter, bis er ganz kalt war. Aber meine Füße ruhten auf einem Toten. Um nicht allzuviel Blut zu verlieren, hatte ich mich so gelagert, daß meine Wunden hochlagerten. Plötzlich sah ich, wie mehrere SS-Leute die Grube mit Taschenlampen ableuchteten, um zu sehen, ob noch einer am Leben war. Wenn sie jemand noch lebendig fanden, sagten sie: "Der atmet noch", und jagten ihm sofort eine Kugel in den Leib. Sie bemerkten mich nicht, und falls sie mich entdeckten, sahen sie wahrscheinlich eine so fürchterliche Wunde, daß sie nicht annehmen konnten, ich sei noch am Leben.
Jede Minute wurde ein Mensch erschossen. Das Schießen machte mich benommen und bewußtlos. Ich litt mehr darunter als unter den Schmerzen meiner Wunde. Es brannte höllisch, aber ich fühlte keinen großen Schmerz. Ab und zu versuchte ich mich zu bewegen, um endlich zu sterben. Ich versuchte den Atem anzuhalten, aber umsonst. Es ist nicht so einfach zu sterben. (Noch vier Wochen später hörte ich Tag und Nacht den Lärm der Schüsse, die Todeskrämpfe, das Stöhnen und die Schreie. In meinem Kopf war ein ständiges Summen.) Ihr müßt wissen, als sie auf mich schössen, war es zwischen zwölf und halb ein Uhr nachts, und die Erschießungen gingen ohne Pause noch fünf Stunden weiter. Ich hörte, wie ein SS-Mann zu einem anderen, der schoß, sagte: "Paß doch auf, die Leute fallen ja, bevor sie getroffen sind." So war es tatsächlich. Sie schauten nach und fanden einen Mann, der nicht getroffen worden war. Darauf sagte einer der SS-Leute: "Werft Handgranaten auf die Toten, wir wollen sichergehen." Das taten sie und rissen so die Leichen in Stücke. Unglücklicherweise traf mich ein Splitter am Fuß. Er verletzte mich unterhalb der Zehen, etwa sechs oder sieben Zentimeter von der Ferse. Ein halber Zentimeter mehr, und der ganze Fuß wäre verloren gewesen. Der Splitter saß in meinem Fuß. Ich litt unbeschreibliche Schmerzen und konnte mich nur mühsam beherrschen, nicht laut aufzuschreien. Den Schmerz der Kopfwunde spürte ich kaum, aber der Fuß - das war entsetzlich!
Ich quälte mich ungefähr eine halbe Stunde, dann schlief ich ein. In meinem Fieber war ich völlig bewußtlos und merkte nicht, wie die Zeit verging. Der Morgen kam. Ich fühlte mich besser. Kein Geräusch war zu hören, der Platz war verlassen. Ich versuchte mich aufzusetzen, aber ich fiel zurück. Ich dachte: "Vielleicht kann ich weglaufen?" Ich legte mich wieder hin. Es hatte keinen Zweck! Mein Blut floß immer noch. Viel davon hatte ich geschluckt, weil ich es nicht ausspucken konnte. Mein ganzer Körper und meine Kleider waren blutgetränkt. Nach einigen Minuten hörte ich Leute kommen und sprechen. Sofort schloß ich die Augen. Ich fürchtete, daß die SS käme und im Tageslicht alles sehen würde. Ich hatte Angst, daß sie wieder auf mich schießen würden. Obwohl ich ganz sicher war, daß ich nicht überleben würde, versuchte ich mein Leben zu erhalten. Ich weiß nicht, ob das Leben so kostbar ist, daß man versuchen soll, sich so daran zu klammern; besonders jemand wie ich, der annahm, daß er, selbst wenn er gerettet werden sollte, kein menschliches Wesen mehr sein würde, G'tt behüte. Ich dachte auch daran, daß jenen, die für die Heiligung Seines Namens getötet werden, zugesagt ist, nicht zur Hölle zu fahren. Trotzdem hing ich am Leben.
Ich schloß die Augen, aber irgendwie sah ich Leutnant Liebmann, den Kommandanten der 69. Kompanie, auf die Grube zukommen, in seiner Begleitung Feldwebel Potoy von der 3. Kompanie. An der Grube angekommen, bewegte er seinen Kopf hin und her, als ob er uns zunickte. Vielleicht würde er Mitleid zeigen, wenn er sah, daß einige noch am Leben waren? Auf Ungarisch sagte er: "Ihr unglücklichen Menschen. Wer von euch noch Kraft hat und denkt, er kann davonkommen — lauft so schnell wie möglich. Vielleicht könnt ihr euer Leben retten." Dann gingen sie weiter.
Und wirklich, von den tausend oder eintausendfünfhundert Menschen in der Grube standen drei auf, die nicht zu schwer verwundet worden waren. Ich hatte mehrere Male versucht aufzustehen und war wieder zurückgefallen. Dann dachte ich: wie der Leutnant gesagt hat, gibt es noch eine Chance. Wenn ich sie nicht nutze, bin ich verloren. Ich nahm also meine letzten Kräfte zusammen und erhob mich mühsam. Ich sah die aufeinandergetürmten Leichen und versuchte, Bekannte ausfindig zu machen. Aber so, wie die Menschen jetzt am Morgen aussahen, konnte ich niemand erkennen. Da waren nur Blut und bläulicher Schmutz, die Nacken waren geschwollen. Bei einem Mann war der Hals dicker als der Kopf.
Unter Schwierigkeiten gelang es mir, aus der Grube zu klettern. Ich mußte auf mehrere Leichen treten, aber ich konnte nicht mehr auf meinen Füßen stehen. Ich hinkte, bei jedem Schritt lief ein Schaudern durch meinen Körper, so sehr schmerzte mein Fuß. Das Blut auf meinem Gesicht war geronnen. Kann man das alles mit Worten beschreiben? Ich war völlig erschöpft. Mein Mund war voll geronnenem Blut, das auch meine Kehle verstopfte, und ich blutete immer noch weiter. Ich spürte mein Herz nicht mehr. Ich ging nur schwerfällig und mit äußerster Anstrengung. Als ich aus dem Hof wankte, stieß ich auf Volksdeutsche Zivilisten, Frauen mit kleinen Kindern. Sie sahen mich, meine blutigen Kleider und das Blut, das aus meiner Wunde rann. Durch Gesten fragte ich sie, wohin ich gehen sollte. Sie hatten noch genug menschliches Gefühl, um mir zu sagen, daß ich dieselbe Richtung nehmen sollte wie die drei anderen, die ungefähr zehn Minuten vor mir gegangen waren.
So machte ich mich auf den Weg. Ich sah die Adventisten und die ungarischen Soldaten in Reihen aufgestellt. Sie gingen nach Hause. Die Juden waren ermordet, jetzt konnten sie besser marschieren. Ich sah, daß in den letzten Reihen sechs oder sieben Juden mitmarschierten. Einige waren verwundet und verbunden, andere waren nicht verletzt. Einer von ihnen war ein junger Mann aus meiner Kompanie. Dieser Mann, Winkler, sah mich, streckte seine Arme aus und fragte: "Bist du Teichmann?« Und er begann sich auszuziehen. Er zog sein Hemd aus und gab es mir als Verband für meinen Kopf. Er war nicht verwundet. Kaum hatte ich das Hemd um meinen Kopf gebunden, da war es schon durchblutet. Einige der Juden entfernten den gelben Stern von ihren Kleidern, um nicht erkannt zu werden. Da sagte Hauptfeldwebel Talos: "Juden, lauft sofort weg! Es ist mir gleich, wohin — lauft zurück zur Grube oder versteckt euch zwischen den Häusern. Die SS kommt..." Sofort liefen alle, jeder in die Richtung, die ihm am besten schien, einer nach rechts und ein anderer nach links. Die SS-Leute waren ungefähr zweihundert Meter entfernt, und als sie die Menschen laufen sahen, rannten sie ihnen nach. Stellt euch vor, mit meinem verwundeten Fuß konnte ich doch nicht laufen. Sie schossen hinter uns her. Ich bin sicher, sie zielten auf mich. Die Kugeln flogen rechts und links vorbei und über unsere Köpfe. G'tt allein hat uns geschützt. Drei von uns liefen in ein Kornfeld, wo man uns nicht sehen konnte. Es war wahrhaftig ein großes Wunder, daß wir dem Tod entkamen, besonders ich, der keinen Schritt noch weiter gehen konnte. Aber es ging um Leben und Tod, und trotz der fürchterlichen Schmerzen rannte ich zwischen den Maisstielen und Stoppeln — mit einem Granatsplitter im Fuß.
Mein Blut floß, und die Wunde brannte. Offenbar wurde einer der Flüchtenden getroffen, und einige andere rannten zur Grube zurück. Die ganze Zeit blieb ich zurück, während die anderen riefen: "Los, weiter!" Aber ihr Gewissen verbot ihnen, mich zurückzulassen. Ich war sehr schwach, schwer verwundet, ich konnte mich kaum weiterschleppen; Blut und Schweiß liefen an mir herunter, und trotzdem rannten wir. Wir hörten die Rufe der SS-Leute. Sie verfolgten uns mehr als zwei Kilometer durch das Kornfeld und schossen die ganze Zeit. Wir verließen das Feld und rannten zwischen Häusern weiter. Zuletzt erreichten wir den Hof eines Volksdeutschen, aber wir wußten nicht, was für einer er war. Er konnte uns der SS übergeben, doch G'tt war mit uns.
Wir liefen, bis die SS unsere Spur verlor und wir sie nicht mehr hören konnten. Dann gingen wir langsamer weiter, bis wir ungefähr sechs oder sieben Kilometer von Crvenka entfernt waren. Wir gingen durch die Felder und durch den Wald. Ich schleppte mich unter großen Schwierigkeiten vorwärts, und die zwei, die mit mir gingen, waren ziemlich ärgerlich. Aber sie ließen mich nicht im Stich. Allerdings wußten sie, daß wir durch eine von Serben bewohnte Gegend gingen und daß ich als einziger die Sprache ein wenig kannte.
Wir kamen an ein Kornfeld, und durch Gesten — ich konnte immer noch nicht sprechen — gab ich ihnen zu verstehen, daß wir bis zum Einfall der Nacht hier bleiben sollten. Sobald es dunkel wäre, würden wir weitergehen. Sie hatten die Absicht, den Adventisten und den ungarischen Offizieren zu folgen, aber ich war damit nicht einverstanden. Ich hielt sie zurück und gab ihnen zu verstehen, daß ich nicht mitkommen würde — sie könnten machen, was sie wollten. (Hätte ich sie nicht zurückgehalten und wäre ich ihrem Rat gefolgt, so hätten wir ein schreckliches Schicksal erlitten. Ein Serbe erzählte mir später, daß mehrere Juden, die mit jenen marschierten, dann erschossen wurden.) So lagen wir im Kornfeld. Es war ein sehr schlechter Tag. Um sieben Uhr ging die Sonne auf. Anfangs dachte ich, daß der Sonnenschein gut für meine Wunden wäre, und hatte ein angenehmes Gefühl, aber die Sonne trocknete mein Blut zu schnell. Ich wagte nicht aufzustehen, aus Furcht, gesehen zu werden. Und so blieb ich liegen. Ich litt fürchterliche Schmerzen. Jede Minute wechselte ich meine Lage.
Wie gewöhnlich war der Boden am Morgen feucht, und ich legte meinen bloßen, verwundeten Kopf auf die feuchte Erde. Ich hatte nichts, was ich unter den Kopf hätte tun können. Auch die Maisblätter waren feucht. Den ganzen Tag über lag ich in Agonie — gewiß, daß ich den Abend nicht mehr erleben würde. Ich werde diesen Tag nie vergessen — und nie die Qual und den Schrecken, die ich durchlebte. Ich war völlig erschöpft und ausgetrocknet wie ein Stein. Die Erde drehte sich vor meinen Augen.
Aber die Gefahr war noch nicht vorbei. Ein neuer Zwischenfall ereignete sich um halb elf vormittags. Während wir ganz still lagen, sah Abramovicz, einer meiner Kameraden, einen Hund mit einem hübschen Lederhalsband. Er erschrak, aber er sagte uns nichts. Der Hund kam näher und schnüffelte. Er war etwa drei Meter von uns entfernt. Plötzlich hörten wir eine Sirene — Alarm in Crvenka! Der Hund hob seinen Kopf, erschrak und lief fort. Abramovicz schaute ihm nach und erblickte einen SS-Mann in ungefähr dreihundert Meter Entfernung. Er durchsuchte die Felder nach Juden. Stellt euch vor, wenn er uns gefunden hätte!...Es wurde Abend. Es war dunkel, und wir gingen weiter.
Wenn mir jemand zu diesem Zeitpunkt einen Tropfen Wasser gegeben hätte, ich hätte ihm jede mögliche Belohnung versprochen. Während wir gingen, sahen wir in der Ferne einen offenen Bauernhof. Wir gingen hinein, und ich trat sofort zum Brunnen. Das bißchen Wasser, das ich fand, machte mich glücklicher als aller Reichtum auf Erden. Oberflächlich wusch ich meine Wunden, und meine Lebensgeister erwachten wieder, aber meinen Durst konnte ich nicht stillen. Ich konnte meinen Mund nicht um einen Millimeter öffnen, er war voll Blut, flüssigem und geronnenem Blut, und Fleisch und Haut um den Mund herum waren wund, als ob sie in kleine Stücke zerschnitten worden seien. Die Kugel hatte drei Zähne herausgebrochen, sie hingen im Zahnfleisch und schwammen in meinem Mund hin und her. Aber ich konnte sie nicht herausnehmen, weil ich den Mund nicht aufmachen konnte. So wanderte ich durch die dunkle Nacht weiter. Mein verwundeter Fuß blutete die ganze Zeit. Der Granatsplitter war immer noch darin, und ich hatte keinen Verband. Wir gingen weiter, wateten durch den Schmutz, zwischen Steinen und Dornen.
Endlich kamen wir an ein Haus, in dem Licht brannte. Einer von uns klopfte an die Tür. Eine Frau kam ans Fenster: "Wer seid ihr?" — "Wir kommen aus Crvenka." Sie wußte Bescheid. Einer von uns bat sie, uns einzulassen. Die Frau war Ungarin. Sie sagte, sie habe Angst vor der SS, aber sie würde ihren Mann fragen und tun, was ihm richtig erscheine. Der Mann kam, öffnete die Tür und ließ uns ins Haus. Er gab uns ausgezeichnetes Essen: Butter, Milch, Käse und Schinken mit wunderbarem weißem Brot. Meine beiden Kameraden begannen zu essen, wenn auch sehr langsam, denn nach sechs oder sieben Tagen ohne jede Nahrung ist es nicht einfach, zu essen. Unglücklicherweise konnte ich nicht das geringste essen. Sie hatten Mitleid mit mir und sagten, ich solle wenigstens versuchen, etwas Milch zu schlucken. Aber ich konnte den Mund nicht öffnen. Ich nahm einen Löffel und steckte den Griff unter großen Schwierigkeiten zwischen meine gesunden Zähne, vielleicht einen Millimeter weit. So versuchte ich, meinen entzündeten Mund zu öffnen. Ich verschüttete ungefähr einen Liter Milch — vielleicht ein Viertel davon konnte ich schlucken. Dann führte uns der Bauer in den Stall, machte ein Bett aus frischem Heu und gab uns Decken und Säcke. Meine Kameraden legten sich hin. Aber ich konnte meinen verwundeten Kopf nicht legen. So saß ich die ganze Nacht an eine Wand gelehnt. Stellt euch vor, was für eine Nacht ich verbrachte — von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens.
Es war kaum Morgen geworden, da kam der Bauer in den Stall und brachte frischgemolkene Milch, Käse und Brot. Er gab uns etwas Proviant mit auf den Weg und acht Pengö. Er begleitete uns etwa zwei Kilometer und sagte, wir brauchten keine Angst zu haben, aber wir sollten nicht auf den Straßen gehen. Die Straßen seien voll von Deutschen. Er riet uns, nur durch die Felder zu gehen. Auf den Höfen in dieser Gegend seien nur Serben, die uns helfen würden. Wir gingen weiter. Mein Verband war völlig durchgeblutet, und ich hatte nichts, um ihn zu erneuern. Endlich verließen wir die Felder und gingen auf einem Pfad. Ein Wagen mit zwei Männern und zwei Frauen fuhr an uns vorbei. Sofort gingen wir ins Feld zurück, weil wir Angst hatten.
Aber einer von ihnen rief uns auf Ungarisch nach: "Ihr könnt euch verstecken, aber ich habe euch schon gesehen. Ich bin ein Deutscher, aber nicht so wie die in Crvenka." Er hatte Mitleid mit uns und bat uns, näher zu kommen. Als er sah, daß wir Angst hatten, brach er fast in Tränen aus und beschwor, daß er ein guter Mensch sei und gegen Hitler. Wir kamen näher, und er nahm etwas aus seinem Sack. Wir erschraken, weil wir dachten, es sei ein Gewehr. Da streichelte er uns und sagte: "Kinder, habt keine Angst." Er gab uns Weißbrot und Trauben, und meine Kameraden erzählten ihm unsere Geschichte, während die Leute im Wagen uns durch Gesten ermunterten. Ich sah, wie die deutsche Frau mich betrachtete und ihre Augen sich mit Tränen füllten. Sie wischte die Tränen fort, und ich dachte: Wie muß ich wohl ausschauen, wenn eine deutsche Frau meinetwegen weint? Auch mir kamen die Tränen. Die Frau nahm ihren seidenen Schal ab und gab ihn mir, denn mein Verband war blutdurchtränkt. Sie sagten, wir sollten keine Angst haben und weiter durch die Felder gehen. Dort lebten nur Serben. Wir gingen bis zehn Uhr. Plötzlich hörten wir zwei Männer reden. Wir erschraken sehr und warfen uns zwischen den Maisbüscheln auf die Erde. Sie kamen auf uns zu. Meine Kameraden hatten große Angst, aber ich gab ihnen durch Gesten zu verstehen, daß sie ruhig sein könnten, denn ich hörte, daß die zwei Männer serbisch sprachen. Sie kamen näher und näher. In gebrochenem Ungarisch riefen sie: "Wo seid ihr, wir suchen euch. Wir wollen euch nichts antun, G'tt behüte, wir wollen euch retten." Sie sagten, sie seien serbische Partisanen und hätten bereits zwei unserer Leute gerettet. Jetzt wollten sie uns helfen. Sie kamen zu uns heran, schüttelten unsere Hände und weinten.
Zalman Teichmann, Temesvar, Ende 1944.
Erstveröffentlichung in deutscher Sprache im Bertelmann-Lesering, Buch Nr. 149, 1961
Siehe auch: Nathan Eck, The March of Death from Serbia to Hungary (September 1944) and the Slaughter of Cservenka, Yad Vashem Studies, 2 (1958), pp. S.255-294. Translation of Zalman Teichman's testimony in Yiddish; YVA, 03/124.
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