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Die Kinder und Enkel der Täter

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Update Juli 2020:

Lügen über Lügen - Rainer Höß hat einfach weitergemacht

Vermutlich niemand würde sich sonderlich für den mehrfach vorbestraften Rainer Höß interessieren. Wäre da nicht dessen Großvater Rudolf Höß, Kommandant des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz, als Kriegsverbrecher 1947 zum Tode durch den Strang verurteilt und am Ort des ehemaligen Stammlagers hingerichtet. Dessen Enkel Rainer Höß (Jg. 1965) versucht seit mehr als zehn Jahren aus den Verbrechen seines Großvaters Kapital zu schlagen. (...) → Update weiterlesen

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Er hat sie alle getäuscht - Höß-Enkel als Lügner entlarvt

 Rainer Höß in Auschwitz: Abb.: Rainer Höß in Auschwitz: “Ich bin mit dem Holocaust aufgewachsen”. (Foto: Eldad Beck)

"Das ist mein Reich" - Mit diesen Worten soll Rainer Höß bei seinem Besuch 2009 im KZ Auschwitz den Bereich des Lagergeländes, auf dem die Villa des Auschwitz-Kommandanten Rudolf Höß steht, betreten haben. Begleitet wurde er seinerzeit von dem israelischen Reporter Eldad Beck, aus dessen Familie zahlreiche Angehörige in der Shoa ermordet wurden. Rainer Höß ist der Enkel von Rudolf Höß, dem Kommandant und Gründer des Vernichtungslagers Auschwitz. Höß war breits 2009 in die Schlagzeilen geraten, als er vergeblich versuchte, eine Kiste mit Fotos und Dokumenten aus dem Nachlass seines Großvaters an die Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem zu verkaufen. Der Journalist Eldad Beck, Korrespondent der größten iraelischen Tageszeitung “Yediot Ahronot” (Tel Aviv) hat jetzt in einem Artikel seine Recherergebnisse über die Machenschaften des Höß-Enkels veröffentlicht. Der angebliche, selbsternannte Aktivist gegen “Rechts” entpuppte sich als Lügner und Fantast, getrieben von seiner Geldgier. Auch in der Folgezeit nach seinem Auschwitz-Besuch versuchte Rainer Höß auf perfide Art und einem Gespinst aus Lügen Mensch zu täuschen und aus dem Leid von Millionen im Holocaust ermordeter Menschen Kapital zu schlagen. Damit ist es nun vorbei.

Der Stachel des Holocaust

Von Eldad Beck, Berlin

Es begann als unschuldige Online-Korrespondenz. Eines Tages, vor etwa sechs Monaten bekam Rena Jacob aus Wertheim, einer Stadt im südlichen Deutschland, eine Freundschaftsanfrage auf Facebook, von einem Mann, den sie vorher nicht kannte. Frau Jacob, sie ist Anfang sechzig und in vielen Fragen im Zusammenhang mit NS-Vergangenheit hier in Deutschland engagiert. Sie nahm sich die Zeit, um die Anfrage des Rainer Höß, der Enkel von Rudolf Höß (Kommandant und Gründer des Vernichtungslager Auschwitz) zu überprüfen. “Ich sah erst nach, was er so veröffentlicht auf seiner Pinnwand, hier auf Facebook”, sagte Rena. “Dann schickte er mir eine Nachricht, die von seinen Aktivitäten gegen die extreme Rechte erzählte. Dies beeindruckte mich, allein schon wegen seiner familiären Vergangenheit und ich war neugierig, weil er so viel Engagement zeigte. Ich bestätigte seine Facebookanfrage und wir korrespondierten mehrere Monate, nicht intensiv, nur hin und wieder.“

Rena Jacob hat eine recht komplizierte Lebensgeschichte. Sie ist in Folge einer verbotenen Beziehung, innerhalb der eigenen Familie, geboren. Ihr Großvater, ein sehr engagiertes Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, war in der Zeit des Nationalsozialismus, politisch verfolgt, hatte verschiedene Konzentrationslager innerhalb von elf Jahren überlebt, er war auch ihr Vater. Dass dies unter den ‚Teppich’ gekehrt wurde, versteht sich von selbst. Nach dem Tod ihrer Mutter, die an Tuberkulose starb, wuchs Rena J. bei den Großeltern auf und sie erlitt jahrelangen sexuellen Missbrauch durch den Großvater bzw. Vater. Als ihr bewusst wurde, dass seine Handlungen Unrecht waren, bedrohte sie ihn mit einem Messer, so wagte er sich nicht mehr sich ihr zu nähern. “Ich war einmal ein Opfer und ich werde niemals wieder ein Opfer werden”, erklärt Rena. Aus diesem Grund und wegen ihrer Erfahrungen mit Rainer Höß ist sie fest entschlossen, den Enkel des Kommandanten von Auschwitz in seinem Handeln zu stoppen.

Rena Jacob lernte im Laufe der Jahre schreckliche Dinge nicht zu verstecken, sondern sie eher öffentlich zu machen. Das beinhaltet sowohl ihr Kindheitstrauma, als auch das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Dahingehend wurde sie durch ihre Großeltern erzogen. Denn für sie geht es nicht um Schuld, sondern um gesellschaftliche Verantwortung im Hier und Jetzt.

Als der Enkel des Kommandanten von Auschwitz mitbekam, dass Rena J. einen Blog starten wollte, der sich mit Werten der Gesellschaft und Kultur der Erinnerung befassen würde, überredete er sie zu einer gemeinsame Webseite, über die dritten Generation nach der Zeit des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. “Er sprach eindringlich und schien ihm wichtig zu sein, etwas zu bewirken. Er erzählte mir von seiner leidvollen Kindheit als ‚Enkel’ und seinem Engagement gegen ‚Rechts’ auch verwies auf alle möglichen Arten von Interviews, mit verschiedenen Medien auf der ganzen Welt und ‚seinem’ Film. Er stellte sich als VIP dar. Doch das beeindruckte mich weniger, weitaus mehr interessierte mich sein Engagement und auch seine Kontakte. Diese stellen sich später als Schall und Rauch dar.“

Die Gemeinsame Webseite ‚Wider des Vergessens’, musste laut Rainer H. am 1. Mai d. J., dem Vorabend des Holocaust Memorial Day, fertig gestellt werden, denn auf Kanal 2 des israelischen Fernsehens lief der Dokumentarfilm von Chanoch Zeevi ‚hitlers children’, mit dem Protagonisten Rainer Höß. Dieser Film, spielt für den Enkel des Auschwitzkommandanten, eine zentrale Rolle für seine Pläne für eine bessere Zukunft. Als Rainer Höß vor zwei Jahren Yad Vashem “persönliche“ Gegenstände seines Großvaters zu verkaufen versuchte, lag es auf der Hand, dass seine finanzielle Situation sehr schwierig war, denn nach Erkenntnissen von “Yediot Ahronot”, war er zuvor im Gefängnis und musste hohe Geldstrafen wegen Urkundenfälschung, Betrug, Diebstahl, und körperlicher Gewalt bezahlen. Frühere Strafen, so scheint es, hatten (leider) keine abschreckende Wirkung auf Höß (46). Er führte seine kriminellen Tätigkeiten wieder und wieder aus, doch diesmal unter Ausnutzung seines familiären Hintergrunds und die Erinnerung an den Holocaust, die er somit pervertierte.

Kurz nachdem die neuen Webseite ins Netz ging, teilte er seine Pläne Frau Jacob hinsichtlich der Einrichtung einer Stiftung mit. Höß lud Rena J., ihren Sohn David J. (41) sowie ihren Lebenspartner Norbert N. (57) zu sich nach hause ein. Er lebt bei seiner (geschiedenen) Frau in der Nähe von Calw in Baden-Württemberg, dort zeichnete er den Angereisten einen detaillierten Plan zur Errichtung eben dieser Stiftung auf. Unter anderem, so erklärte er ihnen, sollte die Stiftung Reisen für Schüler und Studenten in ehemalige Vernichtungslager finanzieren. Rena J., ihr Sohn und ihr Lebensgefährte wandten ein, dass es besser wäre dahingehend einen Verein zu gründen, denn für die Gründung einer Stiftung benötigt man doch ein relativ großes anfängliches Kapital. Zur Beruhigung der Bedenken der drei, verwies Höß auf Bankunterlagen, die ein Kapital von knapp 10.000.000 € (Zehn Millionen) auswiesen, der sich auf den “Nachlass von Rudolf Höß” bezog – also jene persönlichen Effekte, die er an Yad Vashem zu verkaufen versuchte. Rainer Höß fügte hinzu, dass es kein Problem für ihn sei, sogar 50.000.000 € von arabischen Bekannten für diese Stiftung erhalten.

Dies erschien Rena Jacob und ihren Begleitern doch etwas zu phantastisch und es regte sich der erste Verdacht, dass diese Angelegenheit wenig real ist. Doch der Kontoauszug, den Höß Rena Jacob zusandte und wie oben erwähnt ein Guthaben von 9,75 Millionen Euro auswies, erschien erst einmal korrekt, denn es wurde eine namhafte Stuttgarter Notariatskanzlei, die das Vermögen treuhänderisch verwaltet, genannt. Bei Nachfrage in eben diesem Notariat wurde erklärt: „”Es gibt es kein solches Dokument in den Unterlagen unserer Kanzlei und wir haben auch keinen Klienten mit Namen Rainer Höß.“ Da der Notar eine Anzeige erstatten wollte, handelt es sich hier um ein schwebendes Verfahren über das an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann, “Yediot Ahronot” behält sich vor, darüber zu gegebener Zeit zu berichten.

“Mir schickte er das Dokument als Anhang an eine Mail, innerhalb von zwei Minuten”, sagt Rena. “Mit anderen Worten, wurde das Dokument im Voraus vorbereitet. Ich beschloss, mit der Beziehung zu brechen, bevor er mich um Geld bitten könnte, um die Stiftung angeblich zum Laufen zu bringen. Doch nicht das scheinbar vorsätzlich gefälschte Dokument bestärkte mich, die Verbindung abzubrechen, sondern die fortlaufenden Lügen seinerseits. Seit wir wissen, war dies Dokument gefälscht ist und es alles darauf hindeutet, dass der Mann in kriminelle Handlungen verwickelt war und scheinbar ist, sind wir froh die Angelegenheit so beendet zu haben. Doch letztendlich gaben seine Lügen den entscheidenden Ausschlag.”

Zur gleichen Zeit stellt sich heraus, dass Höß keinen Rechtsanspruch auf den Nachlass seines Großvaters hat, denn im Gegensatz zu seinen Behauptungen, steht fest, dass der gesamte Nachlass des Rudolf Höß, der Mutter von Rainer Höß, Irene, gesetzlich zusteht. Auch die Darstellung im Film „hitlers children“ ist irreführend, wenn er den Nachlass seines Großvaters dem ‚Instituts für Zeitgeschichte’ (IFZ München) überreicht, denn diese Täuschung wurde erst später entdeckt und von der wahren Erbin, der Mutter von Rainer Höß, korrigiert.

“Heute ist das Konvolut frei zugänglich für Studenten und Historiker und das ist eine erfreuliche Entwicklung”, sagte ein Institutsmitarbeiter zu ‚Yedioth Ahronoth’. Wobei zu bemerken ist, dass einer der Archivmitarbeiter anscheinend engen Kontakt mit Rainer Höß hat.

Eine weitere Deutsche wurde von Höß durch ‘Facebook’ am Holocaust-Gedenktag kontaktiert. Sie erinnert sich: “Anfangs klang er sehr sympathisch. Wir sprachen vor allem über seinen Großvater. Sehr überrascht war ich einerseits, von jemandem aus der Familie Höß zu hören, da mein Kenntnisstand dahingehend war, dass sich niemand aus dieser Familie öffentlich äußert. Dabei zeigt Herr Höß ein geringes Interesse am eigentlichen Holocaust. Andererseits zeigte er großes Interesse, sich an Vorträgen in Schulen zu beteiligen. Später begann er, über sein Privatleben zu sprechen. An einigen Stellen hatte ich das Gefühl, dass er sehr übertreibt. Er erfand mehrere solcher Geschichte wie: Der Präsident der Bundesrepublik Deutschland wird ihm das Bundesverdienstkreuz auf Empfehlung der jüdischen Gemeinde zu Berlin verleihen. Ferner erzählte er, dass er eingeladen wurde, Gruppen im ehemaligen Vernichtungslager Auschwitz führen, wobei ich wusste, dass die Gedenkstätte Auschwitz ausschließlich professionell ausgebildete Mitarbeiter beschäftigt.“

Die Frau weiter: “Er kokettiert mit seinem familiären Hintergrund und erzählt unwahre Geschichten. Er behauptet, dass über ihn ein Buch geschrieben wird und der Verlag von einer Auflage von 25 Millionen Exemplare ausgeht.“ Des Weiteren stand er via Facebook mit einem amerikanischen Juden in Kontakt, dessen Eltern den Holocaust überlebten, diesen bat Höß ihn mit wohlhabenden Juden in den USA in Verbindung zu bringen. Als dahingehend nichts kam, beschimpfe er ihn, einen Nachkomme von Überlebenden des Holocaust, mit antisemitischen Schimpfworten.

Die deutsche Journalistin Gerda-Marie Schoenfeld, die seit vielen Jahren für das Magazin ‘Stern’ schrieb und zusammen mit Rainer Höß ein Buch über seine Familie schreiben wollte, wobei sie kürzlich beschloss das Projekt aufzugeben, nachdem es ihr klar wurde, dass er ein zwanghafter Lügner ist. “Der Mann ist ein Narzisst, ein Mann, der sich selbst ein imaginäres Leben phantasiert und nur Lügen, Lügen und wiederum Lügen von sich gibt”, sagt Schoenfeld. Ergänzend fügt sie hinzu: “Aber nicht nur da liegt sein Problem, bei einem gemeinsamen Besuch in Israel, saßen wir in einem Restaurant am See Genezareth. Am Nebentisch saß ein älteres Ehepaar, die Deutsch sprachen, Überlebende des Nazi-Terrors, der Ehemann floh aus Berlin vor dem Krieg, die Frau überlebte in Bergen-Belsen. Beide sprachen darüber, was sie durchgemacht haben. Doch anstatt zuzuhören, hörte Rainer Höß, der Enkel des Kommandanten von Auschwitz, nicht auf mit einer streunenden Katze, die unter dem Tisch war, zu spielen. Dieser Mann, der mir immer sagte, er wolle Überlebende treffen, war nicht im Geringsten daran interessiert diesen Menschen zu zuhören.”

Nachdem sich Marie Schönfeld etwas beruhigte, berichtete sie weiter: “Die Situation verschlimmerte sich später noch mehr. Wir besuchten auf Einladung eines Lehrers eine Schule, deren Schüler Rainer Höß im Rahmen der Filmaufnahmen für den Film „hitlers children“ in Auschwitz kennen gelernt hatten, anwesend waren auch zwei Überlebende von Auschwitz, die über ihre Qualen im Lager erzählten. Rainer Höß behielt während der ganzen Zeit seinen Kaugummi kauend im Mund, währenddessen die beiden über die Folter, Hunger und Tod in Auschwitz sprachen. Die Verachtung, die in dieser Respektlosigkeit lag, hat mich nachhaltig erschüttert.“

Weiter erzählt Frau Schönfeld: “Während unsere Bekanntschaft überraschte er mich jedes Mal wieder mit erstaunlichen Informationen, so erzählte er: Die jüdische Bevölkerung hegt den Wunsch, ihm Rainer Höß ihm den Friedenspreis des Landes Israel zu verleihen. Ferner berichtete er, dass Elie Wiesel ihn, den Enkel des Kommandanten von Auschwitz, in Auschwitz zu sehen und kennen zu lernen wünscht.

Auf die Spitze trieb er es, in dem er erzählte, dass die Villa von Rudolf Höß in Auschwitz ihm gehört; ja und er behauptete, er habe Dokumente, die dies bewiesen. Aber, fügte er hinzu, dass die polnische Familie, die heute dort lebt, auch weiterhin dort ihr zu hause haben darf. Rainer Höß baut mit den Namen der Familie eine schreckliche neuen ‚imaginäre’ Identität. Er präsentiert sich als ein Held, bekämpft Neo-Nazis und ist auf der ganzen Welt respektiert, eine krankhafte Fantasie.”

Seit kurzem begann Höß, anderen Menschen, die mit ihm in Verbindung sind, gegenüber zu verbreiten, dass er in der Villa der Familie Höß in Auschwitz ein Museum aufbauen zu wollen, ein Museum über das ruhige, friedliche und extravagante Leben der Familie Höß in Sichtweite der Verbrennungsöfen …..Herr Höß kolportiert, dass die Leitung des Auschwitz-Museums von seiner Idee begeistert ist, auf Nachfrage teilte der Pressesprecher “Yediot Ahronot“ mit: „Ich weiß nichts über eine solche Idee. Wir haben andere Prioritäten und werden keine Villa kaufen, weder hier in Auschwitz noch sonst wo, auch werden wir kein anderweitiges Museum etablieren.“ ir wären froh nicht mehr über diesen Mann berichten zu müssen, doch leider zeigen seine Aktivitäten, dass er sich über die öffentliche Meinung hinwegsetzt.

Der Journalist Eldad Beck - akkredetiert in Berlin – der Zeitung "Yediot Ahronot" (Tel Aviv) hat den Artikel am Freitag, den 2. September 2011 veröffentlicht. (Deutsche Übersetzung von Rena Jacob)
Mit freundlicher Genehmigung von Rena Jacob und Eldad Beck

 

Die Nachkommen der Nazis - gezeichnet für Generationen

Die kinder der Nazis

Abb.: Kinder im sogennanten "Dritten Reich"

Kinder und Kindeskinder von KZ-Wächtern oder Nazi-Schreibtischtätern tun sich oft schwerer mit der Bewältigung der Vergangenheit als die Täter selbst. Der Wiener Autor Peter Sichrovsky, Sohn zurückgekehrter jüdischer Emigranten, hat Nachkommen von Nazis über ihr Leben, ihre Gedanken und Gefühle befragt. Kaum einer der Befragten hatte eine übliche Elternbeziehung. Die Lebenslüge der Hitler-Generation wirkt fort.

Über alle Schrecken dieser Welt fühlte sich Anna, geboren 1947, eigentlich aufgeklärt. Sie wußte, daß Rotkäppchen vom Wolf gefressen wurde, daß Suppenkasper verhungerte, weil er seine Suppe nicht essen wollte; sie erfuhr von den Metzeleien auf den Kreuzzügen, vom Blutrausch während der Französischen Revolution. Und, schließlich, auch vom Dritten Reich, dem Zweiten Weltkrieg, den Gaskammern, den sechs Millionen ermordeten Juden. Aber: "Wer um Gottes willen hat uns je gesagt, daß es die eigenen Eltern waren?" Die eigenen Eltern hätten es Anna jedenfalls nicht aus freien Stücken mitgeteilt, daß der Vater Leiter einer KZ-Wachmannschaft war.

Das erfuhr sie erst, als er, angezeigt von ehemaligen Häftlingen, wegen Mordes angeklagt wurde. Vom Gericht wurde der Mann freigesprochen, nicht jedoch von der eigenen Tochter. In ihr entstand "eine unendliche Lust", aus ihrem Vater herauszubekommen, was ihm das Gericht nicht nachweisen konnte: seine Taten im KZ. Alles Fragen war vergeblich. Die Eltern schwiegen. Anna: "Ich hätte genausogut ins Waschbecken sprechen können. Jedes Wort von mir wurde weggespült."

So wie Anna ging es wohl Hunderttausenden, wenn nicht Millionen von Altersgenossen - Kindern von großen und kleinen Nazi-Tätern oder auch nur Mitläufern, die vor den Greueln der Hitler-Diktatur die Augen fest geschlossen hielten. Fast ausnahmslos rannten die Jungen, wie Anna, gegen eine Mauer des Schweigens. Die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich hatten zwar mit dem diagnostischen Etikett "Unfähigkeit zu trauern" eine Erklärung geliefert für den beispiellosen Verleugnungsprozeß, der nach 1945 bei der den Nationalsozialismus tragenden Generation einsetzte. Zutiefst erschraken sie gleichwohl angesichts der Tatsache, daß die große Masse eines Volkes gegen Schuld. Scham und Trauer schlicht Abwehr setzte: einen infantilen Selbstschutz, Entlastungstechnik nicht etwa gegen ein infantiles Schulderlebnis, sondern gegen eine "reale Schuld" ungeheuerlichen Ausmaßes. Die Generation der Scham zu werden, die "Sühnedeutschen" (Mitscherlich), das überließen die Täter ihren Kindern und Enkeln, die sich schon eher der Schuld ihrer Vorfahren stellen wollten.

Vgl. DER SPIEGEL 6/1987: Gestörte Identität, stolpernder Gang"


Gab oder gibt es in Ihrer Familie NS-Täter?
Wie wurde bzw. wird in Ihrer Familie mit diesem Thema umgegangen?

→ Email an GELSENZENTRUM e.V.


 

Auszug aus einem Interview mit Dr. Manfred Beck, Kulturdezernent der Stadt Gelsenkirchen

Ein exemplarisches Beispiel aus Gelsenkirchen, Dr. Beck schildert in dem Interview u. a. auch sein Verhältnis zum eigenen Vater, der als Angehöriger der SS am Völkermord beteiligt war.

(...) Frage: Welche Gefühle haben Sie persönlich, wenn Sie über den alten jüdischen Friedhof gehen? Was empfinden Sie ?

Dr. Beck: Also wenn ich mit Einrichtungen der Jüdischen Gemeinde zu tun habe, vor allem aber an solchen Orten der Ruhe und des Nachdenkens, kommt mir vieles stark ins Bewusstsein. Ich habe eine sehr persönliche Verbindung zu dem, was im Dritten Reich mit Juden gemacht wurde, weil mein Vater als Angehöriger der SS nicht ganz unbeteiligt war.

Er war kein großes Tier, aber eben einer, die daran mitgewirkt haben, dass jüdische Menschen ermordet wurden - nicht hier in Deutschland, im Osten war er daran beteiligt -, und das ist eigentlich nie so ganz aufgearbeitet worden in meiner Familie, wie es hätte aufgearbeitet werden müssen. Das hat auch damit zu tun, dass es mit einer der Gründe war, warum ich mit diesem Vater über viele Jahre gebrochen hatte. Und daran muss ich grade an solchen Orten denken.

Zitat aus einem Interview mit Dr. Beck aus dem Jahr 2003, aus Heft 6, Jüdisches Leben in Gelsenkirchen. Verein für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Gelsenkirchen, 2003.

Dunkles Nazi-Geheimnis: Mein Opa war ein Massenmörder

Schauspieler Armin Rohde

Abb.: Der Schauspieler Armin Rohde.

"Das Geheimnis meiner Familie" heißt eine ARD-Dokumentation, für die sich Prominente auf Spurensuche in ihrem Stammbaum gemacht haben. Der Schauspieler Armin Rohde (52) stieß dabei auf die schockierende Vergangenheit seines Großvaters, auf die Geschichte eines Massenmörders. "Er war ein Denunziant und Verleumder, ein feiger Schläger und Massenmörder, ein Albtraum für seine Familie", schreibt Armin Rohde in einer Fernseh-Zeitschrift. Sein Großvater war Mitglied der SA und später der SS. Die Morde hat er im Warschauer Ghetto begangen. Doch all das weiß auch Armin Rohde erst seit den Recherchen. Denn bei ihm zu Hause wurde nie über den Vater seiner Mutter gesprochen. "Meine Eltern gingen nie darauf ein. Was genau sie wussten, weiß ich nicht." Und er hätte es womöglich nie erfahren.

Ich wusste es nicht...

Denn eigentlich wollte Rohde das Schicksal seines anderen Großvaters (Hermann, Vater des Vaters) klären, der seit 1945 in Westpreußen als im Krieg verschollen gilt. Doch er konnte die Leiche nicht finden, die Suche blieb erfolglos. Der schlichten Vollständigkeit halber habe er sich auf die Suche nach dem Großvater mütterlicherseits gemacht. Im Düsseldorfer Staatsarchiv fand er schließlich die schrecklichen Informationen in einem Stapel Akten. "Auf dem Aktendeckel steht: Anklage wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und sein Name", erinnert sich Rohde. "Anklagepunkte und Zeugenaussagen zeichneten übereinstimmend das Bild des Menschen, den ich zu Anfang beschrieben habe. Bei seinen eigenen Kameraden galt er als schießwütig." Ein Gericht sprach den Mörder in den 50er-Jahren trotzdem frei. Armin Rohde tut es nicht. "Ich stelle ihm keinen Stuhl an den Tisch meiner Familie. Ich werde seinen Namen nicht nennen. Nur noch eingesperrt in diesen Gerichtsakten soll es ihn geben. Punkt. Aus. Ende der Durchsage."

Mein Vater der Mörder - Eine Tochter klagt an

Eine Frau begab sich auf eine einzigartige Spurensuche nach den Verbrechen ihrer Eltern und erfuhr eine brutale Wahrheit: Ihr Vater war Massenmörder im Dienste der Nazis. Der dreifache Grimme-Preisträger Yoash Tatari hat Beate Niemann ein Jahr lang bei ihren Recherchen begleitet, so ist dieser beindruckende Dokumentarfilm enstanden.

Eine energische Frau vor Berliner Polizeibeamten, martialisch aufgebaut hinter Schutzschilden. Sie sind im Einsatz gegen Demonstranten, die gegen einen NPD-Aufmarsch protestieren. Die ältere Berlinerin will von den Beamten wissen, warum sie die Straße räumen soll. “Wir haben unsere Befehle!“ heißt es. Die Frau stutzt, dann sagt sie: “Das hat mein Vater auch immer gesagt. Mein Vater war auch bei der Polizei“. Damit beginnt die einzigartige Spurensuche der Beate Niemann nach den Verbrechen ihrer Eltern. Zum Beispiel am Grab der Gertrud Leon auf dem Friedhof Weissensee. Ihr hatten Beates Eltern das Haus für ein paar Mark "abgekauft". Dann wurde Frau Leon deportiert und in Auschwitz ermordet. Das war im Sommer 1942, als Beate Niemann zur Welt kam.

Frau Niemann hat diese Geschichte genau rekonstruiert. Sie weiß, dass ihre Mutter sie ein Leben lang belogen hat: "Der arme unschuldige Vater", hieß es immer in ihrer Familie, der - 1947 aus West-Berlin verschleppt - den Rest seines Lebens in DDR-Gefängnissen verbracht hatte. Beate wollte ihren Vater rehabilitieren, als sie sich nach der Wende Zugang zu den Gauck-Akten verschaffte.

Die Wahrheit war brutal: Bruno Sattler, ihr Vater, war Massenmörder im Dienste der Nazis. Beate Niemann hat sich der Geschichte ihrer Familie gestellt: Sie forscht, sucht, schreibt auf - detailversessen. Aus den Notizen ist ein Buch entstehen für ihre Kinder und Enkelkinder.

Der dreifache Grimme-Preisträger Yoash Tatari hat Frau Niemann ein Jahr lang auf ihrer unerbittlichen Spurensuche begleitet. Herausgekommen ist ein zutiefst deutsches Dokument: von Tätern und Opfern, Nazis und Kommunisten, Westdeutschen und Ostdeutschen. Der Film erzählt seine Geschichte eindringlich und rasant. Mit einer suggestiven Montage liefert Tatari Einblicke in die Verbrecherkarriere des Bruno Sattler. Ohne Kommentar, aber mit Szenen wie Keulenschläge, so unvermittelt und brutal wie die Tochter sie erlebt: Lakonische Aktennotizen eines monströsen Verbrechens.

Ohne Kommentar, aber mit Szenen wie Keulenschläge, so unvermittelt und brutal wie die Tochter sie erlebt: Lakonische Aktennotizen eines monströsen Verbrechens. "Ich will diese Verbrechereltern nicht", sagt die Tochter am Ende des Films. Aber die Zuschauer wissen: diese Frau wird weiter suchen.

Mein guter Vater. Mein Leben mit seiner Vergangenheit - Eine Täter-Biographie

Schauspieler Armin Rohde

Abb.: Die Autorin Beate Niemann

Das Buch von Beate Nieman kann man nicht genug empfehlen. Wo auch immer Kinder von NS-Tätern eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen ihrer Eltern versuchen, stoßen sie auf Schweigen. Viele sind deshalb hauptsächlich mit der Entwirrung des innerfamiliären Beziehungsgeflechts beschäftigt. Nicht selten verschwindet dabei die Auseinandersetzung mit den Verbrechen ihrer Vorfahren und der Versuch den NS-Opfern – soweit überhaupt möglich – Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

Nicht so in dem Buch von Beate Niemann. Die Autorin ist die Tochter des Berliner Kriminalpolizisten und späteren Gestapo-Chefs von Belgrad Bruno Sattler. 2005 hat sie die Ergebnisse ihrer Forschung zu den Verbrechen Ihres Vaters publiziert. Sie hat alle greifbaren Unterlagen ausgewertet, alle relevanten Archive besucht und die einschlägigen Experten befragt. Nicht zuletzt ist sie an viele Orte der Verbrechen ihres Vaters gereist und hat sich mit überlebenden Opfern getroffen.

Der 1898 geborene Sattler repräsentiert eine geradezu klassische nationalsozialistische Karriere. Er meldete sich im I. Weltkrieg freiwillig als Soldat, beendete die Schule erst nach 1918 und nahm als Mitglied des Freikorps "Brigade Ehrhardt" am Kapp-Putsch teil. Nach einem abgebrochenen Studium und verschiedenen Jobs meldete er sich 1928 zur Kriminalpolizei und entschied sich später für die Gestapo. Zunächst war er lediglich für die Verfolgung von Sozialdemokraten und Kommunisten verantwortlich. Später entwickelte er sich zu einem Massenmörder mit Einsatzorten in der Sowjetunion, Jugoslawien und Ungarn.

Besonders lehrreich ist, dass seine 1942 geborene Tochter den Leser auch an ihrer Recherche und damit an ihrer Selbstaufklärung teilhaben lässt. Die längste Zeit ihres Lebens wurde sie nämlich von ihrer Familie aber auch von ihrer Umwelt über die Verbrechen ihres Vaters getäuscht. Dass Bruno Sattler 1947 von einem Spezialkommando aus West-Berlin entführt, in der DDR verurteilt wurde und DDR-Gefängnisse bis zu seinem Tod nicht mehr verließ, bestärkte Beate Niemann in der Annahme, er wäre unschuldig. Ihre Recherche begann sie um ihn zu rehabilitieren.

Mit jedem Fortschritt ihrer Recherche fiel die Autorin dann jedoch aus ihrer eigenen, bis dahin als wahr angesehenen, Geschichte heraus. Zu guter letzt erfuhr sie, dass ihre Mutter nicht – wie sie es selbst immer wieder erzählt hatte – die vormaligen jüdischen Besitzer ihres Geburtshauses gerettet hatte. Bruno Sattler und seine Gattin hatten im Gegenteil der jüdischen Familie das Haus unter Vorspiegelung eines Aufschubs der "Evakuierung" zu einem Spottpreis abgepresst und unmittelbar nach Vertragsunterzeichnung dafür gesorgt, dass die Familie "in den Osten" deportiert wurde.

Das Buch ist nicht nur eine exemplarische Täterbiographie. Es ist auch ein exemplarisch zu nennendes Stück Selbstaufklärung. Sie erzählt ihre eigene Geschichte und die ihres Vaters nicht um für sich selbst Aufmerksamkeit zu erlangen. Sie wirbt für den Ausbruch aus den Landschaften der Lüge. Sie glaubt, dass Täterkinder nicht dazu verdammt sind das Leben ihrer Eltern weiter zu leben.

Beate Niemann: Mein guter Vater: Leben mit seiner Vergangenheit. Biografie meines Vaters als Täter. ISBN-10: 3938485035; ISBN-13: 978-3938485033


Hitlers Children

Hitlers Children

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Ein mitreißender, faszinierender Dialog zwischen den Kindern der Täter und den Kindern der Holocaust-Überlebenden. Für beide ist der Holocaust allgegenwärtig, in der Vergangenheit lebend, sind sie nicht in der Lage vorwärts zukommen. Im Laufe des Dialogs stellen sich beide der Vergangenheit um in ihrem Leben weiterzu kommen.

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V.i.S.d.P.: Andreas Jordan, September 2009. Nachtrag September 2011, überarbeitet März 2019

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