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Die Gegenwart der Vergangenheit - Haus der Wannsee-Konferenz

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"Nach der Befreiung war ich wie ein Stein..."

"Als der Krieg zu Ende war, wollte ich Selbstmord begehen. Ich habe es nicht getan, weil ich der Mutter noch erzählen musste, was mit meiner Schwester passiert ist. Sie war in den letzten Tagen in Bergen-Belsen gestorben."

Esther Reiss, geboren 1923, Überlebende des Ghettos Lodz und der Lager Auschwitz und Bergen-Belsen

"Mir war, als müsse jeder uns Fragen stellen, uns an den Gesichtern ablesen, wer wir waren, demütig unseren Bericht anhören. Aber niemand sah uns in die Augen, niemand nahm die Herausforderung an: Sie waren taub, blind und stumm, eingeschlossen in ihre Ruinen, wie in eine Festung gewollter Unwissenheit, noch immer stark, noch immer fähig zu hassen und zu verachten, noch immer gefangen und verstrickt in ein Gewirr von Überheblichkeit und Schuld."

Primo Levi, geboren 1919, Überlebender des Lagers Auschwitz

"Es dauerte mindestens sechs Monate nach meiner Befreiung, bis ich sagen konnte: "Ja, ich bin frei". Ich trug andere Kleidung. Mein Haar war wieder gewachsen. Ich hatte keinen Hunger mehr. Aber ich traute niemandem."

Alfred Silberstein, geboren 1927, Überlebender der Lager Auschwitz und Mittelbau-Dora

"In dem Viertel, wo wir lebten, hat man überhaupt nicht davon gesprochen. Warum hat man nicht davon gesprochen? Weil – wir lebten im Marais, im jüdischen Viertel von Paris, und alle meine Freunde hatten etwas durchgemacht. Auch wenn es nicht alles das gleiche war, aber ich habe nie mit Freunden darüber gesprochen. Ich hatte Freunde, die wussten überhaupt nicht, dass ich im Lager gewesen war."

Alexandre Halaunbrenner, geboren 1931, überlebte im Versteck in Frankreich

"Die wirkliche Bedeutung der Befreiung ist mir erst mit dem Fischer-Prozess 1966 bewusst geworden. Angesichts der dort verhandelten Verbrechen ist mir deutlich geworden, von welchem grauenvollen Schicksal ich tatsächlich befreit worden war."

Willi Frohwein, geboren 1923, Überlebender der Lager Auschwitz, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen

"Ich habe hier 18 Bücher über das Dritte Reich veröffentlicht, und das alles hatte keine Wirkung. Du kannst dich bei den Deutschen tot dokumentieren, es kann in Bonn die demokratischste Regierung sein und die Massenmörder gehen frei herum, haben ihr Häuschen und züchten Blumen."

Joseph Wulf, geboren 1912, Überlebender des Lagers Auschwitz

"Wenn ich ständig mit diesen Gedanken gelebt hätte, hätte ich vielleicht gar nicht weiterleben können – und schon gar nicht in Deutschland. Wie mir ging es vielen Überlebenden und deren Nachkommen. Das Verdrängen des Erlebten, das Schweigen, wurde für sie zum vermutlich überlebensnotwendigen Selbstschutz."

Ignatz Bubis, geboren 1927, Überlebender eines Arbeitslagers in Tschenstochau

"Nun ist aber (...) diese Möglichkeit unmittelbarer Wiedergutmachung dadurch begrenzt, dass hohe Güter wie Leben und Freiheit unersetzlich, andere wie Ehre, Gesundheit nur unvollkommen wieder herstellbar sind, dass sogar, genau besehen, eine Wiederherstellung des vor der Verletzung bestehenden Zustandes nirgends voll möglich ist."

Lothar Kreyssig, geboren 1898, leistete als Richter Widerstand gegen die "Euthanasie"-Morde

"Ich weiß es nicht, manchmal versuche ich nicht darüber nachzudenken, woran mein Vater teilgenommen haben kann."

Gunter Demnig, geboren 1947, Sohn eines Angehörigen der Wehrmacht

"Eines Abends – ich war fünf oder sechs Jahre alt – wollte mein Vater etwas essen und nahm sich Brot. Nie schnitt er Brot, sondern brach immer große Stücke ab, die er sich in den Mund stopfte. Eine Gewohnheit, die er aus dem Holocaust, dem Konzentrationslager mitgebracht hatte. An diesem Abend blieb ihm das Brot im Hals stecken. Er lief blau an. Meine Mutter schickte mich zum Arzt. Ich rannte und dachte die ganze Zeit, wenn ich zurückkomme, ist er tot. Seitdem stottere ich."

Yehuda Poliker, geboren 1950, Sohn griechischer Überlebender des Lagers Auschwitz

"Wenn ich schlechte Noten bekommen oder etwas verbrochen hatte, sagte sie (meine Mutter): "Schade, dass ich aus Auschwitz herauskam, um das zu erleben".

Yaakov Gilad, geboren 1951, Sohn einer Überlebenden der Lager Majdanek, Auschwitz und Neustadt-Glewe

"Jüdisch zu sein und deutsch, das kann es nach der Schoa eigentlich nicht geboren n. Und doch. Ich bin die Tochter von einer deutschen Jüdin und ihrem gojisch-deutschen Geliebten. Gemeinsam haben meine Eltern die Nazizeit überlebt und mir beigeboren acht, es mit den anderen Deutschen nicht zu verderben. Nachgeboren rene der Täter, Mitläufer und Mitwisser haben sich solche Mühe gegeboren n, alles richtig zu machen: von ihrer Vergangenheitsbewältigung bis zur Klezmermusik."

Viola Roggenkamp, geboren 1948, Tochter einer jüdischen Mutter und eines nichtjüdischen Vaters

"Ja, diese Schuld meines Vaters gehört zu meinem Leben. Ich lebe und deshalb habe ich Verantwortung. Ich kann das nur aushalten, indem ich bereit bin, mich dieser Vergangenheit immer wieder zu stellen und damit dieses entsetzliche Geschehen ernstnehme. Es geht um gemordetes Leben in physischer wie psychischer Sicht. Meine Herausforderung ist es, dieses Bewusstsein in meinem Alltag umzusetzen, und zu versuchen, Vorurteilen, Missachtung und Zerstörung von Menschlichkeit etwas entgegenzusetzen."

Ulrike Krüger, geboren 1944, Tochter von Wolfram Sievers, Geschäftsführer der "Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe e. V." der SS

"Die Vergangenheit, ob wir sie nun am eigenen Leib erlebt haben oder am Leib unserer Eltern, lässt alles andere verblassen, und was sich noch zittrig zu Wort melden möchte, an Privatem und Innerlichkeit, verstummt gänzlich, angesichts des Grauens."

Gila Lustiger, geboren 1963, Tochter eines Überlebenden des Lagers Auschwitz

"Der Nationalsozialismus lastet auf uns allen. Er vergeht nicht, und in einigen dunklen Ecken sieht man, dass der Reiz der Volksgemeinschaft auch jetzt noch verlockend wirkt. Die Verbrechen sind in allgemeiner Erinnerung, die Frage, ‚wie war es möglich’ wird nicht verjähren und jegliches Ausweichen in "Normalität" ist vergeboren ich."

Fritz Stern, geboren 1926, rettete sich mit seiner Familie durch Emigration

"Nach der Befreiung war ich wie ein Stein: Ich fühlte gar nichts. Dann kamen Schmerz und Trauer wegen all derer, die nicht mehr waren."

Halina Birenbaum, geboren 1929, Überlebende des Warschauer Ghettos und der Lager Majdanek, Auschwitz und Neustadt-Glewe

"Als ich drei oder vier Jahre alt war und geschlagen wurde oder Schmerzen hatte, weinte ich nie, weil ich mir sagte, dass ich das nicht darf. Was ist es denn? Es ist nichts im Vergleich zu dem, was meine Eltern erlitten haben – und ich wollte sie nicht traurig machen."

Etgar Keret, geboren 1967, Sohn von Überlebenden des Warschauer Ghettos

"Als ich fünfzehn war, fragte einer meiner Mitschüler im Geschichtsunterricht plötzlich, ob ich eigentlich ‚mit dem Himmler’ verwandt sei. Ich bejahte, mit einem Kloß im Hals. Es war mucksmäuschenstill in der Klasse. Alle waren hellwach und gespannt. Die Lehrerin aber wurde nervös und machte weiter, als sei nichts geschehen. Sie verpasste eine Chance, begreiflich zu machen, was uns, die Nachgeboren renen, mit diesen ‚alten Geschichten’ überhaupt noch verbindet."

Katrin Himmler, geboren 1967, Großnichte von Heinrich Himmler

"Wenn wir mit rechten Schülern in der Schule diskutiert haben, habe ich mich immer persönlich angegriffen gefühlt. Bei vielen Äußerungen dachte ich, sie wissen gar nicht, was sie da sagen. Außerdem hatte ich das Gefühl meinen Großvater verteidigen zu müssen."

Anke Knitter, geboren 1977, Enkelin eines Überlebenden der Lager Auschwitz, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen

Hintergrundgrafik: Haus der Wannsee-Konferenz. Auf der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942 kamen 15 hochrangige Vertreter von nationalsozialistischen Reichsbehörden und Parteidienststellen zusammen, um unter Vorsitz von SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich den begonnenen Holocaust an den Juden im Detail zu organisieren und die Zusammenarbeit aller Instanzen dabei sicherzustellen. Hauptzweck der Konferenz war entgegen verbreiteter Meinung nicht, den Holocaust zu beschließen – diese Entscheidung war mit den seit Monaten stattfindenden Massenmorden in vom Deutschen Reich besetzten geboren eten faktisch schon gefallen –, sondern die Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas zur Vernichtung in den Osten in den Grundzügen zu organisieren und zu koordinieren.

Die Teilnehmer legten den zeitlichen Ablauf für die weiteren Massentötungen fest, grenzten die dafür vorgesehenen Opfergruppen genauer ein und einigten sich auf eine Zusammenarbeit unter der Leitung des Reichssicherheitshauptamts, das Heydrich führte. In diesem Gebäude, der ehemaligen Villa Marlier, befindet sich heute eine Gedenk- und Bildungsstätte.

Quelle: Dauerausstellung - Raum 15 im Haus der Wannsee-Konferenz, Berlin. März 2006

Andreas Jordan, September 2008

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