Flucht und Vertreibung der jüdischen Familie Block aus Gelsenkirchen
Der Kaufmann Siegfried Block, geboren am 7. Juli 1881 in Gelsenkirchen, heiratete die aus Altena stammende Hedwig Heinemann, geboren am 16. August 1885. Aus dieser Ehe gingen drei in Gelsenkirchen geborene Kinder hervor. Kurt, geboren am 27. Januar 1911, Ruth-Berta, geboren am 7. Juli 1912 und Hans-Helmut, geboren am 9. Februar 1914. Siegfried Blocks Name findet sich auch auf der Wahlliste vom 16. November 1930 zur Gründung der liberalen jüdischen Synagogengemeinde Gelsenkirchen. Die Kinder der Familie Block konnten 1936 Gelsenkirchen noch rechtzeitig verlassen. Siegfried Block starb in der zweiten Hälfte der Dreißiger Jahre, Hedwig Block wurde am 27. Januar 1942 aus Gelsenkirchen in das Ghetto Riga verschleppt dort wegen "Brotschmuggel" im Zentralgefängnis Riga ermordet.
Abb. 1: Siegfried und Hedwig Block um 1919.
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Abb. 2: Ruth-Berta Block um 1919
Abb. 3: Hans-Helmut Block um 1920
Abb. 4: Um 1921, Hans-Helmut Block in der elterlichen Wohnung an der Schalker Strasse 75. Schon früh spielte der musisch hochbegabte Junge Klavier und Geige. Das Klavier auf dem Foto warfen die Nazis später aus dem Fenster der Wohnung auf die Straße.
Abb. 5: Hedwig Block mit ihren Kindern Kurt, Ruth-Berta und Hans-Helmut. 1921, Urlaub auf Norderney.
Abb. 6: Die Rückseite der Fotopostkarte
Abb. 7: Kurt (?) und Hans-Helmut Block 1932 in der Essener Gruga
Abb. 8: Rückseite
Zerstörung der Existenz
Abb. 9: Das erste Möbelgeschäft der Familie Gumpel Block in Gelsenkirchen, Schalker Straße 75, um 1900
Die jüdische Familie Block lebte an der Schalker Straße 75, direkt an der Kreuzung Liboriusstraße. Im gleichen Haus betrieb die in Gelsenkirchen bekannte und angesehene jüdische Familie ein Möbelgeschäft, dass bereits 1868 von Gumpel Block an der Liboriusstraße 37 gegründet wurde. Nach dem Tod von Gumpel Block wurde der alteingesessene Familienbetrieb 1905 mit einem Neubau an der Schalker Straße 75 erweitert. Mit der Machtübergabe 1933 an die Nazis verschlechterte sich die gesamte Lebenssituation der Familie Block zusehends. Ab diesem Zeitpunkt war auch Familie Block dem ständig zunehmenden Verfolgungsdruck durch die NS-Behörden ausgesetzt. Das Geschäft wurde boykottiert, immer mehr Kunden blieben in der Folge aus. So wurde auch der Familie Block kontinuierlich die wirtschaftliche Existenzgrundlage entzogen.
Das Geschäft nebst Immobilien wurde schließlich "arisiert" - wie die Nazis die Enteignung jüdischen Eigentums beschönigend nannten - und ging 1937 in "arische Hände" über.
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Abb.10: Der 1905 errichtete Neubau des Möbelhaus Block an der Schalker Straße 75, Ecke Liboriusstraße in Gelsenkirchen, um 1927 (Zum Vergrößern anklicken)
Neue Eigentümer waren die Eheleute Theodor und Christine Ernsting, geborene Rosing, die das Möbelgeschäft der Familie Block - jetzt unter dem Namen "Rosing" - an gleicher Stelle fortführten. Unternehmen wie Rosing konnten mit der "Arisierung" ihren Profit und ihre wirtschaftliche Stellung enorm steigern. In der Festschrift zum 50. Firmenjubiläum der Firma Rosing ist von diesem dunklen Kapitel in Firmengeschichte natürlich keine Rede mehr. Ein exemplarisches Beispiel für die Skrupellosigkeit, mit der die großen und kleinen "Arisierungsgewinnler" in Gelsenkirchen und anderswo - größtenteils bis heute - dreist und plump ihre Firmengeschichte verfälschen oder auch dieses Kapitel direkt ganz verschweigen.
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Abb. 11: Das Möbelhaus der Familie Block nach der "Arisierung" im Jahr 1937
1960 wurde der "Arisierungsvorgang" in der Chronik zum → "50. Firmenjubiläum" der Firma Rosing dann so dargestellt: "(...) Bereits 1937 kauften die umsichtigen Firmeninhaber ein großes Geschäftshaus an der Schalker Straße. Damit war der entscheidende Schritt zu den Bemühungen getan, das führende Einrichtungshaus Gelsenkirchens zu werden." (...)
Abb. 12: Ruine Schalker Strasse 75
In der Firmenschrift heißt es weiter: (...)"Die weitere Entwicklung ließ sich, völlig den Erwartungen entsprechend sehr gut an, bis im Herbst 1939 der zweite Weltkrieg begann und am 5. November 1943 und am 6. November 1944 das mit so großer Mühe, aber auch mit großen Erfolgen aufgebaute Lebenswerk zweier Generationen ein Opfer der Kriegsfurie wurde." (...) Es klingt wie Hohn, die "Arisierungsgewinnler" sahen sich tatsächlich noch als Opfer und "übersahen" dabei geflissentlich, dass auch das kleine Imperium der Familie Ernsting/Rosing letztlich auf den Trümmern einer jüdischen Existenz entstanden ist. In der zweiten Hälfte der Dreißiger Jahre starb Siegfried Block. Es ist nicht auszuschließen, dass der zunehmende Verfolgungsdruck, die erlebte Enteignung und die damit einhergehenden Demütigungen und Erniedrigungen im Zusammenhang mit seinem Tod stand.
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Flucht aus Gelsenkirchen
Abb. 13: Von links: Kurt, Ruth-Berta und Hans-Helmut Block, 1936
Die Kinder der Familie Block konnten 1936 Gelsenkirchen noch rechtzeitig verlassen. Kurt und Ruth-Berta, die in Gelsenkirchen Norbert Kronenberg geheiratet hatte, konnten grade noch nach Südafrika flüchten. Der Hilfsverein der Juden in Deutschland erfuhr Dank seines weltweit verzweigten Informationsnetzes von einer drohenden Verschärfung der Einreisebestimmung Südafrikas und charterte 1936 den Dampfer "Stuttgart" [1].
Rund 540 Flüchtlinge kamen so im Oktober 1936 nur fünf Tage vor Inkrafttreten der neuen Einreisebestimmungen im Hafen von Kapstadt an, darunter auch Kurt Block und seine Schwester Ruth-Berta. Die "Stuttgart" erhielt jedoch zunächst keine Anlegeerlaubnis, schließlich wurden die Menschen doch an Land gelassen. Allerdings mußten sie in Kapstadt - gerade dem deutschen Nazi-Regime entkommen - eine schlimme Erfahrung machen: Die Flüchtlinge wurden von einem Mob südafrikanischer Nazis mit einer lautstarken antisemitischen "Protestdemonstration" empfangen.
Kurt Block heiratete in Südafrika und hatte vier Töchter, die heute in Johannesburg leben. Bis zu seinem Tod am 23. Januar 1992 lebte Kurt Block in Johannesburg, dort fand er auch seine letzte Ruhestätte. Die spätere Modedesignerin Ruth-Berta Kronenberg, geborene Block, starb 1980 in Südafrika. Sie hatte eine Tochter, die heute in England, und einen Sohn, der heute in Kanada lebt.
27. Januar 1942: Hedwig Block wird in das Ghetto Riga verschleppt
Die Witwe Hedwig Block blieb alleine in Gelsenkirchen zurück, wobei die Hintergründe dafür bisher nicht geklärt werden konnten. Bis zur Deportation "durfte" Hedwig Block weiter an der Schalker Straße 75 wohnen. Sie wurde dann am 27. Januar 1942 mit dem ersten Deportationszug zusammen mit rund 350 Menschen jüdischer Herkunft aus Gelsenkirchen in das Ghetto Riga verschleppt.[2] Das Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933-1945) nennt als Todesort von Hedwig Block das Zentralgefängnis Riga. Ihr Sohn Kurt gibt im Gedenkblatt in Yad Vashem - gestützt auf Unterlagen des Roten Kreuzes 1989 an, seine Mutter sei beim Versuch, Brot ins Lager zu schmuggeln erwischt und deshalb ermordet worden.
Abb. 14: Hedwig Block. Abb. 15: Gedenkblatt für Hedwig Block in Yad Vashem Jerusalem, eingereicht 1989 von ihrem Sohn Kurt.
Hans-Helmut Block
Der musisch hochbegabte Hans-Helmut Block spielte seit frühester Kindheit Geige, Klavier und auch Fagott. Bei einem vorübergehenden Aufenthalt vom 18. Februar 1935 bis zum 6. Juli 1935 in Berlin spielte er bei dem bekannten Musikwissenschaftler Georg Bertram am Stern'schen Konservatorium vor. Auch Bertram wurde von den Nazis verfolgt, nur weil er Jude war.[3] Am 5. September 1936 konnte Hans-Helmut Block von Gelsenkirchen zunächst nach Jerusalem flüchten. Sein Klavier haben die Nazis später aus dem Fenster der Wohnung an der Schalker Straße geworfen.
Hans-Helmut Block erhielt dann ein Stipendium an der Akademie of Music in London. Er heiratete in London, hatte drei Töchter und einen Sohn, die alle in London geboren wurden. Am 6. Januar 1963 emigrierte die Familie schließlich von London nach Israel. Als Hans-Helmut Block kurze Zeit später seine Schwester Ruth-Berta in Südafrika besuchen wollte, starb er für die Familie völlig überraschend auf der Schiffsreise am 24. Juli 1963 an einer Herzattacke. Hans-Helmut Block wurde in Südrhodesien (Später Rhodesien, heute Simbabwe) beigesetzt.
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Abb. 16: Bescheinigung für Hans-Helmut Block, ausgestellt von Georg Bertram, Pianist und Dozent am Stern'schen Konservatorium der Musik in Berlin
16. Januar 1935
Bescheinigung
Herr Hans Block aus Gelsenkirchen hat mir vorgespielt und den Wunsch geäußert, bei mir zu studieren. Ich halte ihn für außerordentlich befähigt, aber man müßte wenigstens mit einem Studium von 1-2 Jahren rechnen. Hierzu fehlen ihm leider die Mittel. Es wäre letztlich wünschenswert, wenn die in Frage kommenden Stellen ihr Interesse für den jungen Mann durch kleinere (wenn möglich aber regelmäßige)
Beiträge zum Studium beweisen würden.
Ich bin zu Auskünften gerne bereit.
Georg Bertram
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Abb. 17: Konzertprogramm Stadt Gelsenkirchen 1951/52. Hans-Helmut Block kehrte 1951 für ein Konzert im Hans-Sachs-Haus noch einmal in seine Geburtsstadt Gelsenkirchen zurück - in die Stadt, aus der man ihn einst vertrieben hatte, nur weil er Jude war. Im Programmheft (Ausschnitt Abb. 18 rechts) wird Hans Helmut Block für die 1. Matinee am 14. Oktober 1951 als Klaviersolist angekündigt.
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Abb. 19: Zeitungsartikel, Abschrift nebenstehend
Namhafter Pianist spielt
Hans Helmut Block
In der ersten Matinee mit neuer Musik, die das Städtische Orchester am nächsten Sonntag, um 11 Uhr, im Hans-Sachs-Haus veranstaltet, spielt Hans Helmut Block die Klaviersonate op. 1 von Alban Berg und das Klavierkonzert Nr. 1 von Allan Rawsthorne.
Hans Helmut Block ist gebürtiger Gelsenkirchener. Er besuchte das Realgymnasium und war gleichzeitig Schüler des städtischen Konservatoriums in der Meisterklasse für Klavier von Heinz Eccarius. Bei Paul Wibral hatte er Theorieunterricht. Schon damals hat er wiederholt öffentlich gespielt, darunter auch einmal im Hans-Sachs-Haus unter Musikdirektor Paul Belker. Nach der Reifeprüfung studierte er bis zu seiner Auswanderung im Jahre 1936 bei Professor Eduard Erdmann in Köln.
Während seiner ausgedehnten Reisen durch viele Länder der Welt fand er mit voller Überzeugung den Weg zur modernen Musik. Von Jerusalem aus wurde ihm ein Stipendium für das Studium an der Königlichen Musikhochschule in London angeboten. Seit Ende des Krieges trat Hans Helmut Block solistisch in London auf, auch im Königlichen Opernhaus (Convent Garden) mit dem Philharmonischen Orchester. Mit einem eigenen Klavier-Trio spielte er mit großem Erfolg im Londoner Rundfunk.
Wir freuen uns, den Gelsenkirchener Pianisten nach so langer Zeit in seiner Vaterstadt wieder hören zu können. Die Klavier-Sonate des Schönberg-Schülers Alban Berg (1885—1936) ist auf das Programm gesetzt, um auch diese Richtung einmal in Gelsenkirchen zu Wort kommen zu lassen. Allan Rawsthorne ist 1905 in Haslingden (Lancashire) geboren. Er studierte seit 1926 am Königlichen College für Musik in Manchester und kam 1934 mit einem Streichquartett zuerst vor das Publikum. Seine Variationen für zwei Violinen und seine "Sinfonischen Studien" für Orchester brachten ihm 1938 in London und 1939 in Warschau großen Erfolg.
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Wer kennt Ilse Meyer?
Abb. 20: Wer kennt Ilse Meyer? Foto von 1935, aus dem Nachlass der Familie Block
Rückseite des Fotos
Abb. 21: Unbekanntes Gebäude in Gelsenkirchen. Wer kann weiterhelfen? (Foto aus dem Nachlass der Familie Block)
Andreas Jordan (Gelsenzentrum e.V. - Gemeinnütziger Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Gelsenkirchen)
Quellen:
[1] Shalom Adler-Rudel, Jüdische Selbsthilfe unter dem Naziregime 1933-1939. S. 92; Leo Baeck Institut Jerusalem; J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen 1974
[2] ITS Arolsen, Dokument ID: 12852521 und Dokument ID: 12852520 – Gemeindelisten über jüdische Residenten)
[3] Bertram, Georg in: Bundesarchiv Berlin; Namensliste "nichtarischer" Musiker mit Mitgliedsnummern in der RMK 1935 (Sign.: R 56 II/15), Reichskulturkammerakte von Georg Bertram (Sign.: ehem. BDC, RK R 2, Bild-Nr. 2832-2842).
Abbildungen:
Fotos und Dokumente, soweit nicht anders angegeben, aus Privatbesitz der Familie Block/Shifron, mit freundlicher Genehmigung.
Abb. 10: Monographien deutscher Städte - Band XX: Gelsenkirchen, 1927
Abb. 11, 12: Jubiläumsschrift zum "50. Firmenjubiläum" der Firma Rosing, 1960
Abb. 15: Yad Vashem
Abb. 19: Stadtarchiv Gelsenkirchen
Andreas Jordan, Nov. 2011. Gelsenzentrum - Verein für regionale Kultur- und Zeitgeschichte Gelsenkirchen | ↑ Seitenanfang |
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