Else Klein erzählt vom Bombenkrieg
Sandy schreibt: Dieses Bild zeigt deutlich wie schwer Bergmannsglück im Januar 1945 getroffen worden war.
Das Bild zeigt die Bergmannsglückstraße 21-25. Im Haus Nr. 23 hatten meine Eltern gewohnt. Später wohnten Sie im Haus Nr. 19 bis 1968. Hinter den Häusern sieht man den Kühlturm mit dem zerbomten Turbinenhaus. Ganz im Hintergrund das Hydrierwerk Scholven. Die Wohnhäuser sind nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut worden.
|
(...) August und Elisabeth, die seit einiger Zeit eine Wohnung in Gelsenkirchen-Buer in der Nähe der Schachtanlage Bergmannsglück hatten, kamen mit Karl-Dieter, und wir hatten viel Freude mit den beiden Kleinen. Heinke saß im Laufställchen, Karl-Dieter hielt sich außen an den Stäben fest und aß eine Birne. Doch er wollte Heinke daran teilhaben lassen, und so kratzte er mit seinem Fingerchen immer etwas ab und schob es Heinke in den Mund. Es war ein köstlicher Anblick.
Es wurde Herbst, der Oktober war vorbei, die Luftangriffe wurden immer heftiger, doch auch die Abwehr bemühte sich, es den fremden Flugzeugen schwerer zu machen, ihre Ziele zu finden. Eines Nachts wurde von allen FLAK-Stellungen aus künstlicher Nebel versprüht. Das gesamte Ruhrgebiet versank in dichtem Nebel. Die Sicht am Boden war nicht einmal mehr 5 Meter weit, und so mancher, der in d e r Nacht nach Hause wollte fand seinen Weg nicht wieder. Selbst einige der Flaksoldaten fanden nicht zurück zu den Apparaten, an denen sie die Vernebelung wieder abstellen konnten. So kam der 5. November heran. Es wurde der schwärzeste Tag für unsere Familie, doch davon ahnten wir am Morgen noch nichts. Es war ein für November ungewöhnlich schöner Tag.
Tante Auguste in Recklinghausen hatte Geburtstag, und Mama meinte beim Frühstück, wir sollten doch hinfahren, um ihr zu gratulieren. " Nehmen wir doch Elisabeth und Karl-Dieter auch mit" sagte ich. Also, mal eben in Buer anrufen. Da ist Augsut am Apparat, der in der Frühstückspause kurz mal nach Hause gekommen war, es waren ja nur ein paar Schritte. Elisabeth, die im März ihr zweites Kind erwartet, hat seit kurzem eine Putzhilfe, die ihr freitags zur Hand geht. Und es ist Freitag! Das mag der Hauptgrund gewesen sein, der sie veranlaßte, die Einladung, mitzufahren, abzulehnen. Mama und ich wollen mit Heinke trotzdem fahren. Zum Bahnhof Gladbeck West ist es ja nicht weit, und wir beschließen, den Zug einige Minuten nach 13 Uhr nach Recklinghausen zu nehmen. Wir sind schon unterwegs, als es plötzlich Fliegeralarm gibt. Mama möchte trotzdem fahren, doch ich will zurück, ich habe große Angst.
Wir kehren also um, und als wir zu Hause ankommen, telefoniert Papa gerade mit August, und ich höre noch wie er sagt:" Sie kommen zurück, Else kennt sich mit dem Drahtfunk besser aus, sie kann ihn eben einstellen." ( Der Drahtfunk, den wir übers Radion empfangen konnten, gab ständig Luftlagemeldungen durch, und hielt uns so ein wenig auf dem Laufenden über das Ausmaß der Gefahr, in der wir schwebten.) Ich stelle den Drahtfunk ein, während Papa noch mit August darüber redet, daß er am Morgen zur Musterung für den Kriegsdienst gewesen sei, aber als untauglich eingestuft wurde. Da kommt die Meldung." Der feindliche Kampfverband hält weiter Kurs auf unser Gebiet. Vorsicht vor allem im nördlichen Warngebiet." Das sind wir. Papa wiederholt August die Ansage und der antwortet:" Dann geht mal schnell in den Keller, hier schießen sie schon." Da ist es genau 13:20 Uhr. Wir gehen in den Keller. Ich bin ungewöhnlich aufgeregt, weiß selbst nicht warum. Ich stricke an einem Jäckchen für Elisabeths zweites Kind. Oma Riske, die meine große Angst merkt, sagt ein ums andere Mal "ganz ruhig, h i e r passiert nichts" und ganz betont noch einmal " H i e r passiert nichts " Dann kommt Entwarnung.
Papa geht sofort wieder zum Telefon, um Augsut anzurufen. Doch der Apparat gibt Besetztzeichen. " Er telefoniert schon" Doch irgendwie kommt uns das Ganze seltsam vor. Vor allem Papa, der schon häufiger Träume hatte, die dann in irgendeiner Form in Erfüllung gingen, ist sehr unruhig. Er hatte doch vor einigen Tagen mitten in der Nacht Mama geweckt und ihr gesagt, er habe August blutüberströmt am Fußende des Bettes stehen sehen. Immer noch besetzt! - Da versucht Papa einen anderen Anschluß in Buer zu erreichen und erfährt, daß der Angriff offensichtlich "Bergmannsglück" gegolten habe.
Wir versuchen, neue Informationen zu bekommen. Nichts ! Doch dann klingelt es an der Haustür. Ich renne nach vorn, da steht Herr Rarei, unser Kraftfahrer vor der Tür und sagt mir: " Das Haus ihres Bruders hat einen Treffer bekommen." - " Was ist mit den Dreien? " - " Tot, alle drei und auch noch die Putzhilfe." Das haben alle gehört, denn nach mir waren auch die Eltern zur Tür gekommen. Ich weiß nicht, wie ich wieder zurückkam, Ich weiß nur noch, daß ich dachte: " Warum sie? Warum nicht ich?" Sie waren so glücklich und so jung, August 28 Jahre, Elisabeth 27 und der Kleine gerade mal 15 Monate. Und dann noch das Ungeborene! Meine Eltern, die völlig verzweifelt waren, baten mich, Heitmüllers, Elisabeths Eltern in Hannover, zu benachrichtigen. Ich fürchtete mich sehr davor, vor allem weil ich wußte, daß Herr Heitmüller schwer herzkrank war. Wie würden die Beiden das verkraften. Elisabth war ihr einziges Kind! Ich meldete ein Blitzgespräch nach Hannover an,
in der Hoffnung noch ein paar Minuten Zeit zu haben, bis das Gespräch kam. Doch diesmal war es wirklich ein Blitzgespräch, und als Herr Heitmüller mich fragte, was los sei, konnte ich nur sagen: "Es war ein schwerer Angriff auf Buer" - "Und? " fragte er. "Das Haus ist getroffen" - "Und ?" - "Tot, alle drei " mehr brachte ich nicht heraus.
Noch am Abend kamen die beiden. Für mich waren das die schwersten Stunden meines bisherigen Lebens. Nach und nach kamen dann noch Einzelheiten zutage, die diesen Tod so sinnlos und schicksalhaft erscheinen ließen. Erst einmal hätte die kleine Familie schon vor ein paar Wochen eine andere, Augusts Dienststellung angemessene Wohnung beziehen sollen. Doch infolge irgendeiner Intrige war das verhindert worden. ( Dieses Haus hat den Krieg unbeschadet überstanden ). Das Haus, in dem sie wohnten, war ein Doppelhaus, und seit kurzem war es Vorschrift, daß es eine Verbindung zwischen den beiden Luftschutzkellern geben mußte. Dieser Durchbruch war da, er war von der Nachbarseite aus mit einem Kleiderschrank zugestellt worden.
Dieser war bei dem Angriff umgefallen und hatte eine Person verletzt, im anderen Keller aber gab es vier Tote. Wäre Elisabeth mit uns nach Recklinghausen gefahren, so wär sie zwar unterwegs, August aber mit Sicherheit nicht in der Wohnung gewesen. Es hätte für ihn ja kein Grund bestanden in der Mittagspause nach Hause zu kommen. Zur Bergung unserer Lieben hatte man Onkel Karl Thierhoff, Mamas Bruder hinzugeholt, und der hat mich einiges wissen lassen, was ich den Eltern bis zu ihrem Tode verheimlicht habe. So fragte er mich, welches Kleid Elisabeth wohl angehabt haben könnte, da man sie nicht mehr erkannt hat.
Schließlich gab uns nur der Trauring Gewißheit, daß wir nicht die Falsche beisetzten. Und dem kleinen Karl-Dieter war ein Beinchen abgerissen worden. Augusts Uhr war um 13:22 Uhr stehengeblieben, nur 2 Minuten nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. Ich hatte schon einmal erwähnt, daß Oma Riske Karten legen konnte. Nachdem uns nun diese Unglück getroffen hatte, fragte ich sie, wieso sie im Keller immer wieder betont habe "H i e r passiert nichts." Darauf sagte sie zu mir, daß sie sich am Tage zuvor die Karten gelegt und daraus gesehen habe, daß ein großes Unglück auf uns zukäme, daß jedoch unser Haus verschont würde. Ich hatte vorher das Ganze immer als Hokuspokus abtun wollen, doch nun wurde ich nachdenklich. Die Beerdigung fand am 9. November statt, und ein endloser Zug bewegte sich vom Bernskamp, wo wir die beiden Särge ungeöffnet im Herrenzimmer aufgebahrt hatten, zum Friedhof nach Rentfort.
Wir hatten unseren Lieben die letzten Rosen aus dem Garten auf den Sarg gelegt. Obwohl auch der 9.11. ein historisches Datum war, an dem mit weiteren Luftangriffen gerechnet werden mußte, wurde die Beisetzung nicht durch Alarm gestört. Es gab dann für uns ein sehr trauriges Weihnachten 1943. Der einzige Lichtblick war meine kleine Heinke. Sie schaffte es auch als einzige, der Omi mal ein Lächeln abzugewinnen, die sich sonst ganz in ihren Schmerz vergraben hatte. Sie, die sich nach ihrer Operation immer noch nicht so recht erholt hatte, wurde von Tag zu Tag magerer, wozu wohl auch beitrug, daß sie uns bei Tisch immer das Beste zuschob, selbst aber sehr wenig aß. Papa schien alles viel besser zu verkraften. Er hatte die Ablenkung im Beruf, wo er ständig mit vielen Menschen zu tun hatte, während wir doch mehr oder weniger auf das Haus beschränkt waren. (...)
Aufgeschrieben von Else Klein.
|