März 1943 - Deportation der Gelsenkirchener Sinti und Lovara nach Auschwitz-Birkenau
Abb. 1: Adressbuch Stadt Gelsenkirchen, Ausgabe 1939
Aufgrund des so genannten "Auschwitz-Erlasses" von Reichsführer SS Heinrich Himmler wurden die noch in Gelsenkirchen im kommunalen Zwangs- lager an der Reginenstraße in Bulmke-Hüllen lebenden deutschen Sinti und Lovara am 9. März 1943 im Zuge der bevorstehenden Deportation festgenommen und zunächst in das Polizeige- fängnis Gelsenkirchen gebracht, von dort über Bochum mit der Reichsbahn per Sammeltransport in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau im deutsch besetzten Polen verbracht. Himmlers "Auschwitz-Erlass" selbst ist nicht überliefert, er wird jedoch in den ihm folgenden Ausführungsbestimmungen ("Schnellbrief") des Reichskrimi- nalpolizeiamts (RKPA) vom 29. Januar 1943 als Bezug zitiert:
„Auf Befehl des Reichsführers SS vom 16.12.42 – Tgb. Nr. I 2652/42 Ad./RF/V. – sind Zigeunermischlinge, Rom-Zi- geuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft nach bestimmten Richtli- nien auszuwählen und in einer Aktion von wenigen Wochen in ein Konzentrationslager einzuweisen. Dieser Perso- nenkreis wird im nachstehenden kurz als 'zigeunerische Personen' bezeichnet. Die Einweisung erfolgt ohne Rücksicht auf den Mischlingsgrad familienweise in das Konzentrationslager Auschwitz. “
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In den Hauptbüchern des so genannten "Zigeunerfamilienlagers" des deutschen Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau ist die Ankunft der aus Gelsenkirchen verschleppten Menschen am 13. März 1943 festgehalten. In diesen Büchern des "Zigeunerlagers" wurden die eintreffenden Gefangenen nach Geschlechtern getrennt registriert. Daneben gab es aber auch Transporte von Sinti und Roma, die ohne vorherige Registrierung nach ihrer Ankunft direkt in die Gaskammern kamen. Die Zahl der in Auschwitz ermordeten Sinti und Roma ist daher wesentlich höher als die durch die "Hauptbücher" rekonstruierbare.
Abb.: An der mit dem blauen Marker gekennzeichne- ten Stelle befand sich das Internierungslager Reginen- straße. Die Reginenstraße existiert heute nicht mehr. (Größere Karte anzeigen)
Die Organisation und praktische Durch- führung der Deportation der Gelsenkirchener "Zigeuner" nach Auschwitz-Birkenau oblag der staatlichen Kriminalpolizei, und hier dann der Kriminalpolizeistelle Recklinghausen mit ihrer Kriminal-Inspektion III Gelsenkirchen. Zur Organisation und Durchführung der Massendeportationeportation wurden verschie- dene Ämter und Dienststellen der Gelsen- kirchener Stadtverwaltung und weitere Verfol- gungsbehörden hinzugezogen.
Abb.: Auf der Beigeordnetenkonferenz der Gelsenkirchener Stadtverwaltung vom 13. Juni 1939 wurde beschlossen, Mittel freizusetzen, damit eine Bewachung der Sinti und Roma im kommunalen Internierungslager durch die SA erfolgen kann. Die Stadt Gelsenkirchen beauftragte daraufhin den SA-Sturm 14 unter Obersturmbannführer Buttgereit mit dieser Aufgabe. Das Luftbild von 1952 zeigt den Standort des ehemaligen kommunalen Zwangslagers für deutsche Sinti und Lovara an der damaligen Reginenstraße in Gelsenkirchen-Hüllen.
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Mindestens 83 NS-Verfolgte Angehörige der Minderheit jeden Alters wurden im März 1943 von Gelsenkirchen nach Auschwitz-Birkenau verschleppt, nur drei von ihnen erlebten ihre Befreiung. Unter den mehr als 20.000 Todesopfern im NS-Sprachgebrauch als "Zigeunerlager Auschwitz", auch "Zigeu- nerfamilienlager Auschwitz" bezeichneten Abschnitt B II e des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau befanden sich insgesamt mindestens 164 Menschen, die zuvor längere Zeit in Gelsenkirchen gelebt hatten.
Ein öffentliches Erinnerungszeichen für die aus Gelsenkirchen deportierten und ermordeten Sinti suchte man in Gelsenkirchen bisher vergeblich. Unserem letzten dahingehenden Antrag sind Stadtverwaltung und Politik nun gefolgt: Im Frühjahr 2020 soll ein Platz im Herzen der City exemplarisch nach der in Auschwitz ermordeten Rosa Böhmer benannt werden - dafür hat der Gelsenzentrum e.V. mehr als zehn Jahre gekämpft.
Anlässlich des 75. Jahrestages der Verschleppung Gelsenkirchener Sinti nach Auschwitz haben wir ein digitales Gedenkbuch online gestellt. → Digitales Gedenkbuch Gelsenkirchen,
Teil II: "Eure Leiden, Euer Schmerz sind die Narben im Fleisch der Welt"
Von der Schaffung eines Gedenkortes für NS-Verfolgte Sinti in Gelsenkirchen: Rosa-Böhmer-Platz
Update 29.8.2020: Die September-Ausgabe des Gelsenkirchener Stadtmagazins isso. greift auf den Seiten 38-41 die von uns recherchierte Lebens- und Leidensgeschichte der Gelsenkirchener Sinti-Fami- lie Karl Böhmer auf. Dazu findet sich dort u. a. der Abdruck eines Kommentars von Astrid Becker zur Öffentlichkeitsarbeit der Stadt Gelsenkirchen hin- sichtlich des neugeschaffenen Rosa-Böhmer-Plat- zes, der - benannt nach einem in Auschwitz-Bir- kenau ermordeten Gelsenkirchener Sinti-Mädchen - stellvertretend an unter dem NS-Terrorregime verfolgte und ermordete Sinti erinnert: "Federleicht fremdgeschmückt - Kein Ruhmesblatt".
In der Publikation "Antifaschistische Bochumer Blätter Nr. 1/2003" wird ein "Sammeltransport" von Bochum (Nordbahnhof) nach Auschwitz beschrieben:
10. März 1943: In Wattenscheid werden die Familien Karl und Charlotte Steinbach mit 6 Kindern, Heinrich und Dora Steinbach mit ihrem Sohn Robert (die Söhne Josef, Karl und Wilhelm wurden schon vorher in KZ-Lager eingeliefert), ihre Schwägerin Rosette Steinbach mit 7 Kindern sowie die Familie August Weiß von der Polizei abgeholt. In Bochum waren es die Familien Robert Bern mit der Ehefrau Josefa und 5 Kinder, die Familien Heinrich und Friedrich Lagerin, die Familie Nikolaus Pfaus mit Geschwistern und Kindern, die Roma-Familie des Fuhrunternehmers Johann Rosenberg und andere mehr. Sie alle werden am 11. März zusammen mit vielen anderen Sinti und Roma aus der Umgebung Bochums am Nordbahnhof in einen Zug mit Viehwaggons verfrachtet und nach Auschwitz-Birkenau verschleppt.
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Es ist davon auszugehen, das die in Gelsenkirchen bereits am 9. März 1943 inhaftierten Menschen ebenfalls nach Bochum verbracht worden sind und von dort per "Sammeltransport" mit der Deutschen Reichsbahn in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt worden sind. Kriminalsekretär Wilhelm Gansel, der während der NS-Zeit bei der Kriminal-Inspektion III Gelsenkirchen "Zigeunerangelegenheiten" bearbeitete, berichtet in seiner Aussage vom vom 29. September 1949:
[...] Mir ist erinnerlich, daß im Jahre 1942 oder 1943 ein Janosch Schopper und sein Kind Harald Gomann auf Grund einer vom Polizeipräsidium Recklinghausen eingegangenen Liste abgeschoben wurden. Ich möchte dazu bemerken, daß sämtliche hier sich aufhaltenden Zigeuner zu damaliger Zeit ins Polizeiamt eingeliefert wurden, von wo aus sie später bzw. am gleichen Tage nach Bochum transportiert wurden. [...]
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Abb.: Mitteilung der Kriminal-Inspektion III Gelsenkirchen der Staatlichen Kriminalpolizei an den Gelsenkirchener Oberbürgermeister über die Deportation der in Gelsenkirchen lebenden "Zigeuner" ins Konzentrationslager Auschwitz und Begleitschreiben zur Übersendung der eingezogenen Ausweispapiere vom 16.3.1943
Zwangsweise Fotografische Erfassung - Kriminalisierung deutscher Sinti im NS-Staat
Die nachfolgenden Fotos der kriminalpolizeilichen Erkennungsdienste sind Zeugnisse der syste- matischen, rassistisch begründeten Kriminalisierung von Sinti und Roma im NS-Staat. Ein Runder- lass Himmlers vom 8. Dezember 1938 befahl die systematische Erfassung und "erken- nungsdienstliche Behandlung" aller Sinti und Roma im Reichsgebiet, um die als "Zigeuner" ver- folgten Menschen auch mit Lichtbildern und Fingerabdrücken identifizierbar zu machen. Dies geschah bereits frühzeitig unter Hinblick auf die geplante systematische Deportation und Ver- nichtung der Angehörigen dieser Minderheit.
Andreas Jordan, Gelsenzentrum e.V.
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Die Ermordung der Bewohner des "Zigeunerlagerplatzes" Reginenstraße in Gelsenkirchen
Für die in der Standgeldliste des "Zigeunerlagerplatzes" (kommunales Zwangslager) Reginenstraße genannten Familien ist das Verfolgungsschicksal weitestgehend rekonstruierbar. Dabei handelt es sich um die Familie Wilhelm Wernicke und Anna Paul (7 Personen), Familie Franz Grosch (6 Personen), Familie Dietrich Behrens (7 Personen), Familie Paul Geisch (9 Personen), Familie der Witwe Maria Petermann (3 Personen), Familie Maria Müller (5 Personen), Familie Josef Zenz (3 Personen) sowie die Familie von Weschko Weiß und seine Frau Sophie, die mit ihren vier Kindern erst 1942 aus einer Wohnung im Stadtgebiet auf den Zwangslagerplatz an der Reginenstraße ziehen mussten.
Familie Wilhelm Wernicke und Anna Paul
Abb.: Wilhelm Wernicke und Anna Paul. Die Fotos wur- den 1940 vom Erkennungsdienst der Gelsenkirchener Kripo erstellt.
Der Händler Wilhelm Wernicke wurde am 19. Januar 1899 in Berlin-Spandau geboren. Seine Ehefrau Anna, geborene Behrens, wurde am 2. Mai 1902 in Amsterdam als Tochter von Dietrich Behrens, der ebenfalls auf den Zwangs-Lagerplatz Reginenstraße festgehalten und nach Auschwitz verschleppt wurde, geboren. Anna Wernicke starb bereits am 16. Dezember 1931 an den Folgen eines Unfalls. Seit Ende der Dreißigerjahre lebte Wilhelm Wernicke mit der am 20. Oktober 1907 geborenen Anna Paul zusammen.
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Die Familie war 1938 auf den Zwangslagerplatz an der Cranger Straße gekommen, mit der Verlegung des Platzes kam auch Wilhelm Wernicke und seine Kinder am 16. Juni 1939 zur Reginenstraße. Wegen dem "Festsetzungserlass" konnte die Familie Wilhelm Wernicke den Zwangs-Lagerplatz nicht mehr verlassen und wurde am 10. März 1943 nach Auschwitz deportiert. Dort wurde Wilhelm Wernicke am 25. November 1943 ermordet.
Abb.: Anton Wernicke (geboren 1919, oben) und sein Bruder Josef Wernicke (geboren 1922). Die Fotos wurden 1939 und 1940 vom Erkennungsdienst der Gelsenkirche- ner Kriminalpolizei erstellt.
Wilhelm Wernicke und Anna Paul hatten sieben Kinder. Anton, geboren am 27. Dezember 1919 in Schwerin, ermordet am 7. August 1943 in Auschwitz. Johann, geboren am 26. Dezember 1921 in Schwerin, deportiert nach Auschwitz, wo er vermutlich ermordet wurde. Josef, geboren am 5. Dezember 1922 in Altdamm (Pommern), emordet 1943 in Auschwitz. Rudolf, geboren am 13. März 1925 in Anklam (Pommern), er wurde am 9. November 1943 in das KZ Natzweiler überstellt, ob und wie er ermordet wurde, ist bisher nicht bekannt. [sic!] Johannes, geboren am 31. August 1921 in Köln oder Neuss, wurde 1943 in Auschwitz ermordet. Karl, geboren am 17. Dezember 1927 in Köln-Kalk, ist in den Meldeunterlagen in Gelsenkirchen als "n. Auschwitz deportiert" eingetragen, seine Ankunft in Auschwitz ist nicht belegt. Laut Unterlagen der "Rassehygienischen Forschungsstelle" soll er bereits 1938 verstorben sein. Ramona, geboren am 30. April 1930 oder 1931 in Lünen, wurde vom Internierungslager Reginenstrasse nach Auschwitz verschleppt. Dort wurde sie am 8. Februar 1944 ermordet.
Abb.: Unsere Online-Recherche in den Arolsen Archives aus 2021 belegt anhand einer Sterbeurkunde den Tod von Rudolf Wernicke im KZ Natzweiler am 12. November 1943, vorgebliche Todesursache: "Schwächezustand")
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Die Familien von Franz Grosch und Maria Müller
Abb.: Franz Grosch. Das Foto wurde 1940 vom Erken- nungsdienst der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Franz Grosch, geboren am 5. September 1901, stammte aus Quedlingburg. Im Januar 1939 war er auf den Zwangslagerplatz Cranger Strasse gekommen, am 14. Juni 1939 musste er mit einer unbekannten Anzahl Familienangehöriger zum neuen Zwangslager Reginenstrasse umziehen, dort wurden die Familien Grosch und Müller ebenfalls festgehalten. Anfang der 1940er Jahre war er im Gelsenkirchener Polizeigefängnis inhaftiert. Franz Grosch wurde am 13. Oktober 1942 im KZ Buchenwald ermordet.
Zur Familie von Franz Grosch gehörte der am 25. Februar 1929 in Duisburg geborene Bruno Grosch, der wohl ein Sohn von Franz Grosch und Paprika Müller war. In den Meldeunterlagen der Stadt Gelsenkirchen ist er als "n. Auschwitz ausgewandert - abgeschoben verzeichnet", sein weiteres Schicksal ist jedoch nicht bekannt. Die Ehe von Franz Grosch und Paprika Müller wurde behördlich nicht anerkannt, in den amtlichen Unterlagen sind verschiedene Nachnamen - Müller und auch Weiß - für die Kinder verzeichnet. Behördlich war Paprika Müller, geboren am 15. Oktober 1908, auch unter dem Namen "Weiß" erfasst. Sie wurde von Gelsenkirchen am 10. März 1943 nach Auschwitz deportiert, ihre Ankunft in Auschwitz ist dort jedoch nicht verzeichnet.
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Abb.: Paprika Müller. Das Foto wurde 1939 vom Erken- nungsdienst der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Paprika Müller war die Tochter von der Witwe Maria Müller, geboren am 1. Juli 1873 in Köln Maria Müller kam im März 1939 auf den "Lagerplatz" Cranger Strasse und musste dann zur Reginenstrasse ziehen. Auch sie wurde von Gelenkirchen nach Auschwitz verschleppt. In Auschwitz wurde sie am 29. März 1943 ermordet. Sabinka oder Bobinka Müller, geboren am 1. Oktober 1910 in Magdeburg, war vermutlich eine Schwester von Paprika, sie war in Gelsenkirchen registriert. Sie wurde am 24. April 1943 in Auschwitz ermordet. Zwei weitere Mitglieder der Familie, die vorübergehend in Gelsenkirchen gelebt haben, waren Borso Müller, geboren am 10. November 1909 und Wilhelm Müller, geboren am 22. Juni 1912. Beide wurden bereits Ende der Dreißigerjahre in das KZ Sachsen- hausen inhaftiert, ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt.
Zu dieser Familie, die unter den Namen Grosch, Müller und Weiß registriert war, gehörte auch die Kindergeneration. Mutter Paprika Müller hatte die Kinder Walter Müller, genannt Harry, geboren am 13. November 1932 in Berlin. Das Kind war in Gelsenkirchen registriert und wurde nach Auschwitz deportiert, es gibt keine weiteren Spuren von dem Jungen. Hildegard Müller, geboren am 29. Mai 1934 in Dacknitz, lebte mit ihrer Mutter unter dem Namen Weiß an der Reginenstrasse. Sie wurde am 18. Februar 1944 in Auschwitz ermordet. Stephan Müller, geboren am 31. März 1937 in Celle, war auch unter dem Namen Weiß in Gelsenkirchen registriert und als "nach Auschwitz abgemeldet" eingetragen. Seine Ankunft ist in den Lagerbüchern von Auschwitz nicht nachweisbar. Winfried Weiß, geboren am 8. Oktober 1939 in Gelsenkirchen, war ebenfalls ein Kind von Paprika Müller. Auch Winfried war auch unter dem Namen Weiß in Gelsenkirchen registriert als "nach Auschwitz abgemeldet" eingetragen. Seine Ankunft ist ebenfalls in den Lagerbüchern von Auschwitz nicht nachweisbar.
Erika Müller, geb. am 15. April 1941 in Gelsenkirchen war ebenfalls ein Kind von Paprika Müller. Das Kind hatte keine Überlebenschance. Eine weitere Tochter von Paprika Müller war Helga Müller, geboren am 28. August 1942 in Gelsenkirchen. Dieses Kind ist in den Gelsenkirchener Meldeunterlage als "n. Auschwitz abgeschoben" eingetragen. Seine Ankunft in Auschwitz ist dort vermerkt, das Überleben praktisch ausgeschlossen. Weitere in Gelsenkirchen erfasste Kinder, die nach Auschwitz verschleppt wurden und offensichtlich zur Familie Müller gehörten, waren: Lilly Müller, geboren am 13. Mai 1938 in Ludwigslust, auf dem Platz Reginenstrasse registriert, sie wurde als Rosa Petermann-Müller am 30. Juni 1944 in Auschwitz ermordet und Grete Müller, geboren am 9. Mai 1941 im Internierungslager Reginenstrasse. Grete Müller wurde 1943 in Auschwitz ermordet.
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Familie Dieter Behrens
Abb.: Dietrich Behrens. Das Foto wurde 1939 von der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Dietrich Behrens wurde am 20. Juni 1879 in B remen geboren. Im März 1939 kam er auf den Zwangslagerplatz an der Cranger Straße und war dann gezwungen, den "Umzug" in das Internierungslager Reginenstraße mitzumachen.
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Zum Zeitpunkt der Umsetzung des "Auschwitzerlasses" im März 1943 war die erste Tochter von Dietrich Behrens, Anna, die mit dem ebenfalls deportierten Wilhelm Wernicke zusammen gelebt hatte, an den Folgen eines Unfalls bereits verstorben. Mit seiner Frau Franziska, geboren am 6. Juni 1884 in Meinerzhagen hatte Dietrich Behrens den Sohn Karl, die Zwillinge Frinka und Johann und den Sohn Helmut. Zur Familie gehörte auch Lene bzw. Helene Behrens und Christel Behrens. Fast alle Mitglieder der Familie wurden nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Dietrich Behrens Ankunft in Auschwitz wurde am 13. März 1943 registriert, dort wurde er am 23. März 1943 ermordet, seine Frau Franziska am 15. September 1943 im Vernichtungslager Auschwitz ermordet.
Abb.: Karl Behrens. Das Foto wurde 1940 vom Erken- nungsdienst der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Karl Behrens wurde am 10. September 1910 in Hannover geboren. Seine Verhaftung erfolgte im Verlauf des Jahres 1940. Die letzte Information über Karl Behrens, die von der SA-Bewachung des Zwangslagerplatzes Reginenstraße stammt, besagt, dass er sich im November 1940 in Haft oder im KZ befand.[sic!] Der zweite Sohn, Helmut Behrens, geboren am 1. Januar 1917 in Dortmund, arbeitete wärend seiner Zeit auf dem "Lagerplatz" Reginenstraße bei der Baufirma Stecker und Roggel. Seine Ankunft in Auschwitz wurde am 13. März registriert, weitere Angaben im Lagerbuch sind nicht leserlich, vermutlich wurde er in Auschwitz ermordet.
Abb.: Unsere Online-Recherche in den Arolsen Archives aus 2021 belegt anhand einer Mitteilung den Tod von Karl Behrens am 24. September 1942 im KZ Niedernhagen (Wevelsburg), angebliche Todesursache: Lungentuberkulose.
Abb.: Karl Behrens wurde am 22. April 1941 in das KZ Niedernhagen (Wevelsburg) eingeliefert, mit drei Kreuzen als Unterschrift bestätigte Behrens die Angaben auf der Karteikarte. (Arolsen Archives, 3664918)
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Abb.: Johann Behrens. Das Foto wurde 1940 vom Erken- nungsdienst der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Die Zwillinge Frinka, Häftlingsnummer Z 2381 und Johann, Häftlingsnummer Z 2383, geboren am 19. April 1921 in Zetel, wurden vermutlich Opfer der unmenschlichen medizinischen Experi- mente in Auschwitz. Es ist davon auszugehen, dass beide ermordet worden sind. Zur Familie Behrens gehörte auch Helene Behrens, geboren am 22. April 1933 in Esens/Ostfriesland, sie war aber wohl keine Tochter von Dietrich Behrens. Von ihr ist nur bekannt, dass sie vom Internierungslager Reginenstraße als Lene Behrens nach Auschwitz verschleppt wurde. Nach Angaben in amtlichen Unterlagen ist ein weiteres Opfer der Familie Behrens zuzurechnen: Christel, geboren am 18. November 1938 in Gelsenkirchen, war wohl eine Tochter von Karl Behrens und Lene Geisch. Diese Lebenspartnerschaft wie auch die Ehe der Eltern von Lene Geisch waren behördlich nicht anerkannt, als Christel Hellberg wurde das Kind mit der Mutter und weiteren Angehörigen der Familie Geisch registriert. Christel wurde am 22. Oktober 1943 in Auschwitz ermordet.
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Paul Geisch und seine Familie
Die Familie war mit der Familie Behrens verbunden, auch die Familie Geisch wurde nach Auschitz verschleppt und dort ermordet. Oberhaupt der Familie war Paul Geisch, geboren am 25. April 1881 in Rotterdam. Erstmalig war Paul Geisch 1920 in Gelsenkirchen registriert. Zu dieser Zeit kam er mit Bertha Geisch, geboren am 13. Juni 1895 in Merseburg, nach Gelsenkirchen. Es steht nicht fest, ob Bertha Geisch seine Schwester war oder seine erste Ehefrau.
Bertha Geisch hatte drei Kinder: Paprika, geboren am 4. April 1912 in Berlin, Anna, geboren am 6. April 1914 in Hamburg und Rigo, geboren am 1. April 1915 in Berlin. Sie verließ Gelsenkirchen mit ihren Kindern zu einem unbekannten Zeitpunkt, das weitere Schicksal ist unbekannt.
Paul Geisch lebte ab 1937 auf dem 'Zwangslagerplatz' Cranger Strasse und wurde dann im Lager an der Reginenstrasse interniert. Seine Ankunft in Auschwitz ist am 13. März 1943, sein Tod am 4. April 1943. Zur Familie Paul Geisch gehörte auch seine (möglicherweise zweite Ehefrau) Anna und die Kinder des Paares. Die Kinder trugen den Geburtsnamen der Mutter - Hellberg -, da die NS-Behörden die Eheschließung nach "Zigeunerart" nicht anerkannten.
Abb.: Rigo Hellberg wurde am 10. Februar 1940 in das KZ Niedernhagen (Wevelsburg) eingeliefert, neben der persönlichen Bekleidung hat er auch seinen Wehrpass abgeben müssen.(Arolsen Archives, 3668176)
Abb.: Mitteilung über den Tod von Rigo Hellberg am 13. Februar 1942 im KZ Niedernhagen (Wevelsburg), angebliche Todesursache: Darmkartarrh. (Arolsen Archives, 3668177)
Abb.: Sterbeurkunde Rigo Hellberg (Arolsen Archives, 3668178)
Abb.: Anna Geisch, geborene Hellberg. Das Foto wurde 1940 von der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Anna Hellberg, geboren am 15. November 1892 in Recklinghausen, wurde ebenfalls mit der gesamten Familie am 9. März 1943 nach Auschwitz deportiert, ihr Tod am 12. November 1943 ist im Sterbebuch Auschwitz verzeichnet.
Abb.: Male "Mala" Geisch. Das Foto wurde 1940 von der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Zur Familie Paul Geisch gehörten auch die Kinder Male "Mala", Siegfried, Lene, Georg, Wilhelm, Wilhelmine, Selma und Michael. Mala wurde am 1. Mai 1918 in Essen geboren. Da die Ehe ihrer Eltern von den NS-Behörden nicht anerkannt wurde, ist sie auch mitunter unter dem Geburtsnamen ihrer Mutter in den Akten verzeichnet. Während ihrer Festsetzung auf dem Zwangslagerplatz an der Reginenstraße arbeitete sie bei der Firma Küppersbusch in Gelsenkirchen. Male Geisch wurde mit der ganzen Familie nach Auschwitz-Birkenau verschleppt. Dort wurde sie unter dem Namen Mahle Hellberg am 3. Januar 1944 ermordet.
Abb.: Siegfried Geisch. Das Foto wurde 1938 von der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Siegfried Geisch, geboren am 22. Oktober 1920 in Bremen. Während seiner Festsetzung im Internierungslager an der Reginenstraße arbeitete er bei der Baufirma Wilhelm Jäger. Er wurde nach Auschwitz verschleppt. Sein Tod 1943 in Auschwitz wurde unter dem Namen Siegfried Hellberg registriert. Die Tochter Lene bzw. auch Helene geschrieben, geboren am 19. April 1922 in Burgsteinfurt, hatte in Gelsenkirchen mit Karl Behrens zusammengelebt. Sie wurde am 21. März in Auschwitz ermordet, ebenso wie die bereits erwähnte Tochter Christel. Georg Geisch, geboren am 3. März 1924 in Burgsteinfurt, wurde ebenfalls nach Auschwitz verschleppt. Seine Verlegungen innerhalb des Lagers Auschwitz ist dokumentiert, sein weiteres Schicksal ist unbekannt.
Wilhelm Geisch, geboren am 13. März 1926 in Hamburg, wurde gleichzeitig mit seinem Bruder Siegfried innerhalb des Lagers verlegt. Im so genannten "Zigeunerlager" wurde er unter dem Namen Wilhelm Hellberg im Jahr 1943 ermordet. Wilhelmine Geisch geboren am 1. September 1928 in Werl, wurde unter dem Namen Wilhelmina Hellberg am 14. März 1944 in Auschwitz ermordet, die am 1. Februar 1930 in Kassel geborene Selma wurde am 7. Mai 1944 in Auschwitz ermordet.
Michael Geisch, geboren am 6. November 1932 in Gelsenkirchen. Seine Ankunft im so genannten "Zigeunerlager" ist am 13. März 1943 verzeichnet, sein Tod als Michael Hellberg am 5. September 1943. Als weiteres Familienmitglied ist eine Sofie Geisch erfasst, sie muss bei Paul Geisch Ende der dreißiger Jahre gewohnt haben. Ob sie bis zur Deportation im März 1943 in Gelenkirchen blieb, ist unbekannt. Als Sophie Geisch, geboren 1888 Amsterdam, ist ihr Tod im "Zigeunerlager" im Sterbebuch am 12. April 1943 erfasst.
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Witwe Maria Petermann und ihre Kinder
Abb.: Maria Strauss/Petermann. Das Foto wurde 1940 von der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Ihr Mann wurde im September 1939 im Internierungslager Reginenstraße erschossen, die noch nicht zweijährige Tochter Magdalene kam dort bei einem Wohnwagenbrand im März 1940 ums leben. Maria wurde wegen der durch die NS-Behörden nicht anerkannten Ehe mit dem erschossenen Johan Petermann weiter unter ihrem Geburtsnamen Strauß geführt. Die Mutter und ihre Kinder Hans und Mimi, die 1943 gerade mal 7 bzw. 10 Jahre alt waren, sind als "nach Auschwitz abgeschoben" bei den Gelsenkirchener Meldebehörden registriert worden. Hans wurde am 25. März 1944 in Auschwitz ermordet, Einträge des Todes für Mutter und Mimi sind nicht verzeichnet. Es ist aber davon auszugehen, dass die Kinder ebenfalls in Auschwitz ermordet wurden. Zu Maria Strauß gehörte möglicherweise auch das Mädchen Sophie Strauß, geboren am 3. Nobember 1941, Sophie wurde bei der Gelsenkirchener Meldebehörde erfasst, in Auschwitz ist sie als Helene Strauß, geboren in Gelsenkirchen mit dem Sterbedatum 6. April 1943 verzeichnet.
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Familie Zenz
Abb.: Gescha Zenz. Das Foto wurde 1939 vom Erken- nungsdienst der Berliner Kripo erstellt.
Auch die Rekonstruktion des Leidensweges von Joseph Zenz ist schwierig, da Joseph Zenz als Familienoberhaupt in der Standgeldabrechnung zwar genannt wird, die Familie auch so geführt wird, Joseph Zenz selber ist aber nicht eindeutig in den Unterlagen nachweisbar ist. Gescha Zenz, geboren am 15. April 1904 in Berlin-Charlottenburg, war mit weiteren Familienmitgliedern ab März 1939 an der Cranger Strasse, dann an der Reginenstraße registriert. Die Familie wurde nach Auschwitz deportiert, Gescha Zenz wurde am 25. Mai 1943 in Auschwitz ermordet. Sie hatte drei Kinder, Tanja die Jüngste, geboren am 8. Juni 1940 im Zwangslager Reginenstrasse, Josef, geboren am 18. September 1937 in Brandenburg, er kam mit der Mutter nach Auschwitz und wurde im Jahr 1944 ermordet. Eine weitere Tochter wurde mit den Vornamen Glutia und Julia registriert, sie wurde am 30. Oktober 1936 in Ahlen geboren, sie wurde am 22. Januar in Auschwitz-Birkenau ermordet.
Während Josef nicht eindeutig identifizierbar ist, nennen die Unterlagen der "Rassenhygienischen Forschungsstelle" Paul Laubinger als Lebenspartner von Gescha Zenz. Paul Laubinger und Gescha Zenz sollen nach der "Rassenhygienischen Forschungsstelle" die gemeinsame Tochter Malle Müller, geboren 1920 gehabt haben. Malle Müller lebte mit einem Mitglied der Familie Wernicke zusammen und wurde bereits im Mai 1940 von Köln in das Generalgouvernement "umgesiedelt", ihr weiterer Lebensweg nicht bekannt. Die Familie Laubinger hatte bereits in der zweiten Hälfte der dreißiger Jahre in Gelsenkirchen gelebt, hatte aber im Zusammenhang mit dem Umzug zur Reginenstraße die Stadt verlassen. Für zahlreiche Mitglieder der Familie Laubinger läßt sich jedoch die Deportation und die Ermordung in Auschwitz nachweisen.
Paul Laubinger, geboren am 5. April 1900 in Deutschenthal war Pferdehändler in Gelsenkirchen. Im Dezember 1940 verurteilte das Landgericht Berlin den bis dahin nicht vorbestraften Paul Laubinger zu einer Zuchthausstrafe von zweieinhalb Jahren. Das Gericht warf Laubinger vor, sich unberechtigterweise Kleiderkarten beschafft und die mit ihnen bezogenen Anzugstoffe auf dem Schwarzmarkt weiterverkauft zu haben. Für "Kriegstäter" sollte die eigentliche Strafzeit erst nach Kriegsende beginnen. Bis dahin blieb er in "Freiheitsentziehung". Auf der Karteikarte vermerkte die Justizverwaltung als Nationalität: "Zigeuner". Am 11. März 1941 wurde Laubinger in das Strafgefangenenlager Börgermoor verlegt. Bereits einen Monat später erfolgte die Weiterverlegung in die Strafanstalten Essen und Luckau. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Behörden Laubingers Ehefrau bereits zwangsweise in einem nicht näher bezeichneten "Zigeunerlager" untergebracht. Da Laubinger als Sicherungsverwahrter eingestuft war, überstellte die Justiz ihn schließlich im Dezember 1942 in das KZ Mauthausen. Dort starb Paul Laubinger am 7. Februar 1943.[1]
In den Arolsen Archives werden die 'Personalakten' Paul Laubinger verwahrt, die → Dokumente sind online abrufbar.
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Familie Waschko und Sophie Weiß und ihre Kinder
Diese Familie wurde ebenfalls nach den städtischen Meldeunterlage von der Reginenstraße nach Auschwitz deportiert. Waschko und Sophie waren im Januar 1939 von Herne nach Gelsenkirchen gekommen. Kurzzeitig lebten sie in Leipzig, ab dem 15. Juli 1942 aber auf dem Zwangslagerplatz Reginenstraße. Vater Wascko Weiß, geboren am 23. April 1909 in Wanne-Eickel. Die unvollständigen Unterlagen lassen vermuten, daß er nicht mit der Familie nach Auschwitz, sondern bereits vor März 1943 in das KZ Oranienburg verschleppt wurde. Dort wurde Waschko Weiß am 17. Mai 1944 ermordet.
Seine Frau Sophie, geboren am 14. November 1911 in Oppeln/Schlesien, wurde mit vier Kindern von der Reginenstraße nach Auschwitz verschleppt. Tochter Käthe, geboren am 1. Januar 1931 in Bielefeld, wurde am 22. Dezember 1943 in Auschwitz ermordet, von Mimi, geboren am 12. August 1934 in Essen, ist ein genaues Sterbedatum in Auschwitz nicht bekannt. Sophie Weiß wurde am 24. Mai 1944 in das KZ Ravensbrück verschickt, um dort zur Zwangsarbeit eingesetzt zu werden. Ihr weiterer Weg durch die Lager ist nicht bekannt. Sie überlebte und wohnte später in Berlin. Ihre beiden beiden Söhne, Josef Weiß, geboren am 11. Mai 1937 in Herne und Siegfried Weiß, geboren am 14. Oktober in Herne wurden mit hoher Wahrscheinlichkeit in Auschwitz-Birkenau ermordet.
Abb.: Häftlingspersonalkarte von Sophie Weiss aus dem KZ Buchenwald (Arolsen Archives, 7755214). Sophie Weiss wurde am 3. März 1943 in KZ Auschwitz-Birkenau registriert, am 27. Mai 1944 nach KZ Ravensbrück überstellt und von dort nach KZ Buchenwald verschleppt, wo sie am 31.8.1944 registriert wurde.
Ermordung weiterer Sinti und Roma aus Gelsenkirchen
Aus dem Verzeichnis der den Menschen von den NS-Behörden abgenommenen Papiere ist ersichtlich, das auch die Familien von Anna Böhmer, Patzura und Minna Schopper und Josef Wernicke den Deportationen in das "Zigeunerlager Auschwitz" zum Opfer fielen. Diese Familien lebten in Wohnungen und nicht im Internierungslager an der Reginenstraße.
Familie Karl und Anna Böhmer
Die Familie Böhmer war seit 1930 in Gelsenkirchen seßhaft. Anna Böhmer, geboren am 10. Oktober 1909 in Rossov, wohnte mit ihren Angehörigen in der Bergmannstraße 34. Sie wurde aus ihrer Wohnung zusammen mit den Internierten aus dem Lager an der Reginenstraße nach Auschwitz verschleppt und am 16. Dezember 1943 ermordet. Ihr Ehemann, der Musiker Karl Böhmer, geboren am 26. September in Bochum war bereits am 9. Dezember 1941 im KZ Niedernhagen/Wewelsburg angeblich an "Lungenentzündung" gestorben. Zusammen mit ihrer Mutter Anna wurden die Kinder deportiert:
Sonia Böhmer, geboren am 30. Mai 1930 in Gelsenkirchen, weiterer Leidensweg nicht bekannt,
Elisabeth Böhmer, geboren am 29. August 1931 in Gelsenkirchen, Tod in Auschwitz am 10. Juli 1943,
Rosa Böhmer, geboren am 22. September 1933 in Gelsenkirchen, Tod in Auschwitz am 13. August 1943,
Willy Böhmer, geboren am 27. März 1935 in Gelsenkirchen, Tod in Auschwitz 10. Januar 1944,
Karl Böhmer, geboren am 10. April 1937, Tod in Auschwitz am 9. Juli 1943,
Marie Böhmer geboren am 23. September 1938 in Gelsenkirchen, Tod in Auschwitz am 3. August 1943,
Sophie Böhmer, geboren am 18. August 1939 in Gelsenkirchen, Tod in Auschwitz am 3. August 1943,
Albert Böhmer, geboren 1940 in Gelsenkirchen, Tod in Auschwitz am 19. April 1943,
Werner Böhmer, geboren am 1. September 1942 in Gelsenkirchen, Tod in Auschwitz am 24. März 1943.
→ Stolpersteine Gelsenkirchen: Familie Böhmer
→ Rosa Böhmer und ihre Familie - Dokumente der Verfolgung und Ermordung
Patzura und Minna Schopper und Josef Wernicke
Abb.: Adolf Schopper. Das Foto wurde 1936 von der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Die weit verzweigte Familie Schopper wohnte seit etwa Mitte der Dreißiger Jahre in verschiedenen Wohnungen im Stadtgebiet Gel- senkirchen, nur kurzzeitig lebten diese Menschen auf den Zwangslagerplätzen in der Stadt.
Abb.: Schreiben der "Reichszentrale zur Bekämpfung der Zigeunerplage" vom 18. Dezember 1940. Betrifft: Zigeunerfamilie Adolf Schopper aus Gelsenkirchen Bezug: Ihr Schreiben vom 11.12.1940 - K III (d.h. Bearbeitung durch die Kripo Gelsenkirchen)
Nach dem Festsetzungserlass des Reichs- sicherheitshauptamtes (RSHA) v. 17. Oktober 1939 finden sich Adressen von Familienmit- gliedern u.a.in der Herzogstraße und in der Wilhelminenstraße. Die Einwohnermeldeunter- lagen nennen für einige Mitglieder der Familie Schopper als letzte Gelsenkirchener Adresse seit dem 2. Juli 1942 auch "Caubstraße, Zigeu- nerlager", möglichweise war dort seit Mitte 1942 ein weiteres Lager bis zur Deportation im März 1943. Es kann sich auch um eine feste Gebäudeunterkunft ähnlich der "Judenhäuser" gehandelt haben. Teile der Familie Schopper wohnten aber auch weiter an der Wilhelminenstrasse 94. Die Großfamilie Schop- per gruppierte sich um Adolf und Patzura Schopper. Der Händler Adolf Schopper gab bei den Meldebehörden an, am 9. Oktober 1863 in Heiliglinde, Kreis Rastenburg in Ostpreußen geboren zu sein. Laut Feststellungen der "Rassehygienischen Forschungsstelle" sei er aber als "Jana Lakadosch in Ungarn" geboren. Gegen Adolf Schopper führte die Justizbehörden im April 1941 einen Prozeß durch, der auch in der Öffenlichkeit propagandamäßig ausgeschlachtet wurde und das Verhalten der "Zigeuner" anprangerte. In diesem Zusammenhang saß Adolf Schopper seit Juni 1941 in der Strafanstalt Essen ein. Er starb dann am 8. August 1942 in Bochum, vermutlich im Bochumer Gefängnis (Krümmede), die genauen Umstände seines Todes sind bisher nicht bekannt.
Abb.: Patzura Schopper. Das Foto wurde 1936 vonder Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Die Ehefrau von Adolf Schopper war Patzura Schopper, geboren am 12. Mai 1880 in Klucken. Auch sie war Händlerin. Bis zur Deportation wohnte sie an der Wilhelminenstraße 94.
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Zwischen den beiden Fotos von Patzura Schopper (oben) liegen nur wenige Jahre, die Verfolgung und Entrechtung durch die Nazis haben ihre Spuren hinterlassen. Zusammen mit den Menschen aus dem Internierungslager Reginenstraße wurde Patzura Schopper im März 1943 schließlich nach Auschwitz deportiert. Im "Zigeunerlager Auschwitz" wurde sie am 18. Juni 1943 ermordet. Überlebende der Familie Schopper ließen sie zum 31. Dezember 1945 für tot erklären.
Adolf und Patzura hatten sieben gemeinsame Kinder. Der erste Sohn war Josef Schopper, geboren am 28. April 1900 in Knija, Kreis Schubin im Bezirk Bromberg/Westpreußen. Josef heiratete in Gelsenkirchen die am 8. Juli 1913 geborene Irmgard S. aus Rotthausen. Das Ehepaar hatte keine Kinder, der Stoffhändler Josef Schopper konnte bis 1939 selbstständig arbeiten, dann wurden den als "Zigeuner" verfolgten Menschen die Wandergewerbescheine entzogen, danach arbeitete er in der Gießerei der Firma Wildfang.
Am 5. April 1941 wurde Josef Schopper von der Gestapo verhaftet und etwa 3-4 Monate im Polizeigefängnis Gelsenkirchen festgehalten. Er wurde dann am 29. Juli 1942 in das KZ Neuengamme bei Hamburg eingewiesen. Sein weiterer Leidensweg führte dann am 1. August 1942 in das KZ Dachau, von dort als "Asozialer Zigeuner" in das KZ Mauthausen, Außenlager Mödling. Joseph Schopper war einer der wenigen Menschen, der die Zeit durch die Vernichtungslager und die Zwangsarbeit überlebte. Josef Schopper wurde am 5. Mai 1945 befreit und kehrte nach Gelsenkirchen zurück. Er arbeitete wieder als Kaufmann, es gelang ihm sogar, 1949 eine Haftentschädigung zu bekommen. Josef Schopper starb am 31. Mai 1960 in Gelsenkirchen.
Abb.: Maria Schopper. Das Foto wurde 1936 von der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Die erste Tochter von Adolf und Patzura war Maria, geboren am 12. Februar 1902 in Altenhagen. Mit ihrer Mutter und Geschwistern wurde sie nach Auschwitz deportiert, dort wurde sie am 29. September 1943 ermordet.
Die zweite Tochter hieß Anna, geboren am 16. Dezember 1904 in Lemshausen, Kreis Göttingen. Sie heiratete 1934 den "Arier" Walther Freckmann und lebte in Gelsenkirchen. Vermutlich blieb sie wegen der Ehe mit einem "Arier" von der Deportation nach Auschwitz verschont. Maria Freckmann starb am 23. Oktober 1971 in Gelsenkirchen.
Abb.: Mimmi Schopper. Das Foto wurde 1936 von der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Eine weitere Tochter war Mimmi Schopper, geboren am 16. Juli 1908 in Bielstein. Sie kam mit ihrer Familie 1934 nach Gelsenkirchen, von 1940 bis mindestens September 1942 arbeitete sie als Hilfsarbeiterin bei der Firma Küppersbusch.
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Mit den anderen Mitgliedern Ihrer Familie wurde sie im März 1943 in das "Zigeunerlager Auschwitz" deportiert. Dort wurde Mimmi Schopper am 26. August 1943 ermordet. Sie wurde später zum 31. Dezember 1945 für tot erlärt. Mimmi hatte früh eigene Kinder, den Vater hat sie nicht genannt. Die Kinder trugen somit den Nachnamen der Mutter. Erster Sohn von Mimmi Schopper war Josef, geboren am 6. September 1926 in Neuss. Bis 1940 konnte er noch die Schule besuchen, dann arbeitete er als Hilfsarbeiter bei Seppelfricke.
Abb.: Karteikarte d. KZ Buchenwald, Josef Schopper (Arolsen Archives, 7055992)
Mit den anderen Mitgliedern der Familie Schopper wurde er am 9. März 1943 verhaftet und nach Auschwitz verschleppt. Josef Schoppers Leidensweg durch die Lager und die Zwangsarbeit begann im "Zigeunerlager Auschwitz". Bald erfolgte die Verlegung in das Hauptlager Auschwitz, am 17. April 1944 kam er in das KZ Buchenwald. Dort war er ab dem 21. April 1944 im Kommando Harzungen, ab 2. Mai 1944 im Kommando Ellrich im KZ Dora Mittelbau zugeteilt. Josef Schopper wurde dann in das KZ Sachsenhausen (Heinkel Flugzeugbau) überstellt, dort von der SS im März 1945 auf einen der Todesmärsche von Sachsenhausen nach Schwerin geschickt. Dieser Todesmarsch forderte mehr als 6.000 Opfer, Josef Schopper überlebte auch diesen Todesmarsch und wurde Angang Mai 1945 von der Roten Armee befreit. Er ging wieder nach Gelsenkirchen und arbeitete als Textilwarenhändler. Am 27. Mai 1962 starb Josef Schopper im Alter von nur 36 Jahren an den Folgen der in der Nazizeit erlittenen Qualen.
Das zweite Kind von Mimi Schopper war Wilhelmine Schopper, geboren am 21. Oktober 1927 in Han- nover. Auch sie wurde im März 1943 nach Auschwitz verschleppt, sie und ihr Bruder Josef konnten jedoch überleben. Nach 1945 lebte sie zeitweilig wieder in Gelsenkirchen. Das dritte Kind von Mimmi Schopper war Hans, auch Jano genannt, geboren am 22. Januar 1930 in Hannover. Hans wurde wie Mutter und die Geschwister nach Auschwitz verschleppt. Dort wurde Hans "Jano" Schopper am 26. Feberuar 1944 ermordet.
Abb.: Klara Schopper. Das Foto wurde 1936 von der Gel- senkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Klara Schopper war eine weitere Tochter von Adolf und Patzura. Sie wurde am 2. August 1918 in Breslau geboren. Ab 1934 lebte sie mit ihrem Mann Josef Wernicke in Gelsenkirchen. Klara wurde am 29. September 1943 in Auschwitz ermordet.
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Abb.: Josef Wernicke, Geboren 1916. Das Foto wurde 1939 von der Gelsenkirchener Kripo erstellt.
Ihr Mann Josef Wernicke, geboren am 6. Mai 1916 in Berlin, war reisender Händler. Seine Familie wohnte jedoch fest in Gelsenkirchen.
Josef Wernicke wurde ebenfalls nach Auschwitz deportiert und dort am 19. November 1943 ermordet. Das Paar hatte zwei Kinder, der erste Sohn von Klara Schopper und Josef Wernicke war Walter, geboren am 25. August 1938 in Gelsenkirchen. Die nach "Zigeunerart" geschlossene Ehe mit Klara Schopper wurde nicht anerkannt, so trugen die Kinder den Nachnamen der Mutter. Das Kind wurde mit seinen Eltern im März 1943 nach Auschwitz verschleppt. Die Ankunft von Walter Schopper ist in Auschwitz verzeichnet, sein Tod ist jedoch nicht vermerkt. Überlebende der Familie Schopper ließen Walter Schopper am 17. Juli 1956 zum 31. Dezember 1945 für tot erklären. Der zweite Sohn von Klara Schopper und Josef Wernicke war Hans Josef, geboren am 8. April 1940 in Gelsenkirchen. Hans Josef Schopper starb am 20. April 1943 in Auschwitz-Birkenau.
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Abb.: Sophie Schopper. Das Foto wurde 1939 von der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Eine weitere Tochter von Klara Schopper und Josef Wernicke war Sophie Schopper, geboren am 7. April 1920 in Grimma. Sie kam mit der Familie 1934 nach Gelsenkirchen. Sophie wurde am 29. März 1944 in Auschwitz ermordet.
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Janosch Schopper und Harald Gomann
Abb.: Janosch Schopper. Das Foto wurde 1936 von der Gelsenkirchener Kriminalpolizei erstellt.
Janosch war ein weiterer Sohn von Adolf und Patzura Schopper, er wurde am 21. November 1909 in Köln-Mühlheim geboren. Er arbeitete als Händler. Janosch Schopper heiratete die ein Jahr ältere Sophie Petermann. Am 12. Oktober 1939 starb Sophie Petermann in Dortmund, nach ihrem Tod lebte Janosch Schopper mit der geschiedenen Gertrud Gomann, geboren am 25. Mai 1912 in Dittersbach/Kreis Waldenburg, zusammen. Aus dieser Lebensgemeinschaft gingen zwei Kinder hervor: Harald Anton, geboren am 30. März 1939 in Gelsenkirchen und Marian Karl, geboren 24. April 1943.
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Janosch Schopper wurde 1940 zur Wehrmacht eingezogen. Als alle Sinti und Roma aus der Wehrmacht entlassen wurden, mußte auch Janosch, nachdem er bereits etwa ein Jahr Soldat war, die Wehrmacht verlassen. Er kehrte nach Gelsenkirchen zurück. Hier hatte er einen festen Wohnsitz und arbeitete bei der Firma Wildfang bis zu seiner Verhaftung am 9. März 1943. Auch Janosch Schopper wurde nach Auschwitz deportiert und wurde dort am 9. Mai 1943 ermordet. Nach Angaben von Hinterbliebenen, die sich auf Aussagen von Überlebenden beziehen, wurde Janosch Schopper vergast. Mit Janosch wurde auch sein Kind Harald nach Auschwitz verschleppt, Harald wurde am 16. Dezember 1943 ermordet. Überlebende berichteten von der Tötung durch eine Injektion.
Nach der Verhaftung und Deportation Ihres Partners Janosch Schopper und des gemeinsamen Kindes Harald floh Getrud Gomann nach der Geburt des zweiten gemeinsamen Kindes über Zwischenstationen nach Österreich. Dabei nahm sie ein Kind aus ihrer ersten Ehe mit auf die Flucht. Sie versuchte verzwei- felt, Kontak zu Janosch und ihrem Kind zu bekommen bzw. diese im Lager zu unterstützen. Sie schrieb am 18. Oktober 1943 einen Brief nach Auschwitz, aus dem die ganze Verzweiflung der Mutter spricht:
"Erlaube mir nur eine Auskunft über mein Kind Harald Schopper zu fragen. Harald mein Kind ist am 30.3.39 geboren in Gelsenkirchen i/W und ist am [... unleserlich ] 43 mit seinem Vater Janosch Schopper nach Auschwitz verschickt worden. Bitte Sie höflichst um eine Auskunft über mein Kind. Bitte vielleicht haben Sie Verständnis für mich für eine Mutter, die schon sieben Monate lang und länger um ihr Kind bangt und von ganzem Herzen bittet, um eine Nachricht wenigstens. [Sie ?] wissen wo mein Kind geblieben ist. Ich hatte die Adresse des Lagers [...] wo Harald u. sein Vater verschickt wurden von Herrn Kriminal Gansel Gelsenkirchen Polizei Präsidium erfahren. Ich hatte meinen Kind Harald einen Brief geschrieben u. ein Päckchen geschickt, was aber bis heute unbeantwortet geblieben ist. Bitte möchten Sie mitteilen, ob es mir wenigstens erlaubt ist, meinem Kind zu schreiben u. Päckchen zu schicken. Bitte nochmal Herzlich darum, mir eine Nachricht über mein Kind Harald. ..."
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Gertrud Gomann konnte letztlich weder Janosch Schopper noch ihren Sohn Harald retten, sie selbst überlebte mit ihrem zweiten Kind von Janosch Schopper und ihrem Kind aus erster Ehe den Nationalsozialismus und kehrte 1946 nach Duisburg zurück, um dann aber schon ein Jahr später wiederum nach Österreich zu gehen.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus bemühte sich Gertrud Gomann um Gerechtigkeit und stellte im Rahmen der beginnenden Verfahren zur sogenannten Wiedergutmachung die Ereignisse dar, die zur Ermordung von Janosch und Harald Schopper geführt hatten. Gertrud Gomann erklärte:
"Ich bin bereit, zu jeder Zeit unter Eid auszusagen, daß der ehemalige Gestapo-Beamte Gansel, z.Zt. in Gelsenkirchen wohnhaft, an der Verfolgung meines Bräutigams maßgeblich beteiligt war. Es ist mir bekannt, daß mein Bräutigam Gansel des öfteren mit Geld und Zigaretten bestechen mußte. Gansel hat auch dafür gesorgt, daß mein Kind Harald mit meinem Bräutigam verhaftet wurde. Beide sind nicht mehr zurückgekehrt und, wie ich später erfuhr, in Auschwitz vergast worden. Als ich kniefällig wenigstens um die Entlassung meines Kindes bat, drohte er mir mit einem Kommissar, welcher sich nebenan befand, so daß ich annehmen mußte, daß auch ich verhaftet würde.
Des weiteren drohte Gansel mir mit dem Keller, falls ich mich weigern würde, mich schriftlich zu verpflichten, nicht mehr mit Schopper zusammen zu kommen. (Zeugnis Frau Irma S., Gelsenkirchen, Goethestraße 12) In einem Gelsenkirchener Friseurgeschäft hat Gansel nach der Verhaftung meines Bräutigams mehrmals Nachfragen gehalten, ob mein Bräutigam sich abfällig über die Partei, führende Persönlichkeiten oder Staatseinrichtungen unterhalten habe. [...] Gansel ist jetzt als Hunde-Dresseur beschäftigt und wohnt in Gelsenkirchen, Bochumer Straße".
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Angesichts der Beschuldigungen durch die Hinterbliebenen der ermordeten Menschen wurde dann auch der in der Aussage genannte Kriminal-Sekretär Gansel der örtlichen Kriminalpolizei befragt. Der vor 1945 für die Durchführung der Maßnahmen bei der staatlichen Kriminalpolizei zuständige Beamte Wilhelm Gansel gab am 29. September 1949 zu Protokoll:
"In den Jahren 1923-1945 war ich im hiesigen Polizeiamt zuletzt als Kriminalsekretär tätig. Während der Nazizeit, als die neuen Gesetze über die Behandlung von Zigeunern herauskamen, habe ich in diesem Sachgebiet gearbeitet. Mir ist erinnerlich, daß im Jahre 1942 oder 1943 ein Janosch Schopper und sein Kind Harald Gomann auf Grund einer vom Polizeipräsidium Reck- linghausen eingegangenen Liste abgeschoben wurden. Ich möchte dazu bemerken, daß sämtliche hier sich aufhaltenden Zigeuner zu damaliger Zeit ins Polizeiamt eingeliefert wurden, von wo aus sie später bzw. am gleichen Tage nach Bochum transportiert wurden. Offiziell habe ich nie gewußt, wo die Zigeuner danach verblieben sind. Ich hörte wohl inoffiziell durch eine Frau Freckmann, die als Zigeunerin mit einem Arier verheiratet war und von der vorgenannten Maßnahme nicht betroffen war, daß sich die Zigeuner im KZ-Lager Auschwitz befänden. Ich habe weder dienstlich noch außerdienstlich erfahren, wer von den Zigeunern im KZ-Lager umgekommen ist."
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Die Aussage von Gertrud Gomann und das faktische Geständnis von Wilhelm Gansel, an der Verfolgung und damit indirekt am Völkermord an den Gelsenkirchener Sinti und Roma beteiligt gewesen zu sein, hatte für Gansel keinerlei juristischen Konsequenzen.
Wilhelm Gansel, geboren am 8. Dezember 1895 in Gelsenkirchen, seit 1933 unter anderem auch SA-Mitglied. 1944 wurde er zum SA-Hauptsturmführer befördert. Aufgrund dieses hohen Ranges wurde er von der britischen Besatzungsmacht von August 1945 bis zum April 1947 im Internierungslager Reck- linghausen inhaftiert. Der deutsche Entnazifizierungsauschuß in Gelsenkirchen reihte ihn schließlich als "Minderbelasteten" ein. Das bedeutete für Gansel, dass er zunächst aus dem Polizeidienst, dem er seit 1923 angehörte, entfernt wurde. 1951 stellte Gansel einen Antrag auf Wiedereinstellung in den Polizeidienst, der jedoch abglehnt wurde. Gansel stellte dann einen erneuten Antrag, der dann zu seiner Wiedereinstellung zum 1. Juli 1955 als Kriminalsekretär beim 5. Gelsenkirchener Kriminalkommissariat führte. Etwa ein Jahr danach wurde Gansel zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. Kurz vor der Versetzung in den Ruhestand 1957 wurde der Polizeibeamte Wilhelm Gansel noch zum Kriminalobersekretär ernannt. Wilhelm Gansel verstarb am 6. Juni 1966.
Die Menschenjagd geht weiter
Nachdem die Menschen aus dem Internierungslager an der Reginenstraße im März 1943 nach Auschwitz verschleppt worden waren, war die "Jagd" auf die "Zigeuner" keinesfalls beendet. So gerieten weitere Familien, Lebensgemeinschaften und auch Einzelpersonen in das Visier der Verfolgungsbehörden.
Familie W.
So geriet auch die auch die Familie W. in die Fänge der Verfolger. Bis 1942 gelang es der Familie, ihre wahre Identität zu vertuschen. Vater der Familie war Andreas W., geboren am 4. Juli 1914 in Tentchin in Ungarn. Als Friedrich Göbel lebte er an der Horster Strasse 195. In einem Personenfeststellungsverfahren wurde aber die tatsächliche Identität der Familie aufgedeckt.
Während des Verfahrens war Andreas W. sechs Monate im Polizeigefängnis Buer und dann noch einmal vier Monate im Polizeigefängnis Recklinghausen inhaftiert. Die ganze Familie W. wurde schließlich am 4. Januar 1944 festgenommen und am 6. Januar 1944 nach Auschwitz deportiert. Das Verfahren hatte ergeben, das die Eheleute Andreas und Magdalena W. und deren Kinder nach der Rasseideologie der Nazis als so genannte "Zigeunermischlinge" anzusehen waren. Am 8. Dezember 1943 erging die Anordnung des Reichskriminalpolizeiamtes, die neunköpfige Familie nach Auschwitz zu verbringen. Der Kriminalsekretär, der den Vorgang bearbeitete, wußte sehr genau, was der Familie in Auschwitz bevorstand. Er vermerkte in einer Aktenotiz: "Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen."
Diese Online-Dokumentation der Verfolgung, Entrechtung und Ermordung von Angehörigen des Volkes der Sinti und Roma basiert größtenteils auf den Forschungsergebnissen von Stefan Goch, vgl.: Stefan Goch, "Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen", Verfolgung der Sinti und Roma während des "Dritten Reiches" im Raum Gelsenkirchen, Seiten 166-199 ff. ISBN 3-88474-785-1. Klartext 1999. Weitere Verfogungsschicksale von als "Zigeuner" verfolgten Menschen sind in dieser Publikation ausführlich dokumentiert.
Im Schlußwort seiner Publikation "Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen" schreibt Stefan Goch:
"Die Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma wurde bürokratisch korrekt überwiegend vom Verwaltungsapparat der Stadt Gelsenkirchen und einigen weiteren Verwaltungs- und Verfolgungsbehörden des „Dritten Reiches" abgewickelt. (...) Im Gesamtprozeß kann festgestellt werden, daß die Gelsenkirchener Akteure keineswegs nur übergreifende Regelungen anwendeten und gewissermaßen „von oben" geführt und angewiesen handelten, sondern ein beträchtliches Maß an Eigeninitiative bei der Verfolgung von Sinti und Roma entwickelten. An der Verfolgung und Ermordung von Menschen hatten zahlreiche „ganz normale" Gelsenkirchener teil. Wie deren schriftliche Hinterlassenschaften widerspiegeln, wußten diese, was sie taten, und sie hatten keinerlei nachweisbare Gewissensbisse. Keiner der an der Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma im Raum Gelsenkirchen Beteiligten wurde für die Beteiligung an der Verfolgung der Sinti und Roma in Gelsenkirchen zur Rechenschaft gezogen. Diejenigen, die sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren hinweg mit der „Bekämpfung der Zigeunerplage" in Gelsenkirchen mit den hier dargestellten Ergebnissen befaßten, kamen aus der Mitte der lokalen Gesellschaft Gelsenkirchens und Deutschlands und spiegelten in ihrem Verhalten, ihren Denk- und Verhaltensweisen die lokale und die deutsche Gesellschaft wider.
Am Beispiel Gelsenkirchens zeigt sich auch die zentrale Rolle der Zweige des Polizeiapparates, die gewissermaßen „im Schatten der Gestapo" an den Verbrechen während des „Dritten Reichs" beteiligt waren. Auch wird die umfassende Beteiligung von Teilen der Stadtverwaltung an den Verbrechen während des „Dritten Reiches" sichtbar. Terror und Mord waren nicht das Werk einiger weniger Unterdrücker, sondern an der Verfolgung und Ermordung der Sinti und Roma im Raum Gelsenkirchen waren viele Gelsenkirchener und vor allem Gelsenkirchener Beamte beteiligt, die keineswegs allesamt überzeugte Nationalsozialisten waren. Weiterhin ist für die ganze deutsche ebenso wie für die lokale Gesellschaft festzustellen: Die hier dargestellten Ereignisse fanden mitten in der Gesellschaft statt. Die Ausgrenzung, Diskriminierung und offensichtliche Verfolgung von Sinti und Roma in Deutschland und in den besetzten Gebieten rief keine Proteste hervor."
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[1] Für diese Informationen zu Paul Laubinger danken wir Herrn Buck von der → Gedenkstätte Esterwegen
Im Totenbuch von Auschwitz-Birkenau sind weitere Menschen verzeichnet, die in Gelsenkirchen geboren wurden bzw. in Gelsenkirchen lebten und als so genannte "Zigeuner oder Zigeunermischlinge" stigmatisiert und verfolgt wurden. Ihre Lebens- und Leidenswege sind bisher noch nicht dokumentiert worden.
Andreas Jordan, September 2010, überarbeitet u. ergänzt März 2019. Editiert, Arolsen Archives, 2/2021 | ↑ Seitenanfang |
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