Von Köln nach Polen verschleppt
Die Deportationen im Mai 1940 waren die erste Verschleppungsaktion der deutschen Faschisten, bei der systematisch und familienweise Sinti und Roma aus Deutschland in das deutsch besetzte Polen deportiert wurden. Aus den Kriminalpolizeileitstellen-Bezirken in Hamburg, Bremen, Köln, Düsseldorf, Hannover, Stuttgart und Frankfurt am Main sollten insgesamt 2.500 Sinti und Roma zwangsweise "umgesiedelt" werden. Dazu wurden in Hamburg, Köln und Asperg so genannte "Sammellager" eingerichtet.
Für Köln war die "in Deutz am Rheinufer gelegene Messe (…) als Sammelplatz gewählt worden, weil sie genügend Platz für Hunderte von Menschen bot, leicht zu bewachen war und verkehrsgünstig lag: Nur wenige Meter entfernt befand sich der Bahnhof Deutz-Tief, von dem die Deportationszüge abfuhren."[1]
Die Nazis in Köln wollten alle Sinti und Lovara aus dem Regierungsbezirk Köln "entfernen", hierzu wurden die Angehörigen der Minderheit bereits ab 1935 in Internierungslagern zusammengetrieben. Am 16. Mai 1940 wurden diese Lager von Polizei, Wehrmacht, SS und lokalen Hilfskräften, darunter auch städtische Mitarbeiter, aufgelöst und alle dort lebenden Menschen in die Messehallen nach Köln-Deutz gebracht. Im Laufe der folgenden Tage trafen hier weitere, zuvor noch "frei" in Köln lebende, nach der NS-Rassenideologie als "Zigeuner" definierte Menschen sowie Transporte aus Herne, Düsseldorf, Wuppertal, Wanne-Eickel, Aachen, Koblenz, Gelsenkirchen, Krefeld und Duisburg in Deutz ein. Am 21. Mai 1940 wurden dann etwa 1000 Menschen mit der Reichsbahn zumeist in östliche KZ im besetzten Polen deportiert, wo die meisten der Verschleppten von den Nazis ermordet wurden.
Abb.: Der Bildhauer Gunter Demnig legte 1990 eine Spur der Erinnerungen, um die Deportation von über 1.000 Sinti und Lovara in Köln nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Hierzu zog er eine rote Linie, bzw. Schriftspur von dem ehemaligen Lager in Köln – Bickendorf bis zum Messegelände Köln-Deutz. Die Spur, die Gunter Demnig als Spur der Erinnerungen gezogen hatte, besteht heute an einigen Stellen aus einem beständigen Schriftband im Boden.[1]
Unter den Menschen, die im Rahmen der so genannten "Maideportation" im Mai 1940 aus dem regionalen Sammellager auf dem Gelände der Kölner Messe nach Polen verschleppt wurden, befanden sich auch die Familien Rosina Lehmann, die Familie Rosenberg, das Paar Malla Müller und Josef Wernicke, die Familien Michael Wernicke und Johann Wernicke. Sie alle haben zuvor längere Zeit in Gelsenkirchen gelebt.
Zwangsweise Fotografische Erfassung - Kriminalisierung von Sinti und Lovara im NS-Staat
Die folgenden Fotos der kriminalpolizeilichen Erkennungsdienste sind Zeugnis der systematischen, rassistisch begründeten Kriminalisierung der Sinti und Lovara im NS-Staat. Ein Runderlass Himmlers vom 8. Dezember 1938 befahl die systematische Erfassung und "erkennungsdienstliche Behandlung" aller Sinti und Lovara im Reichsgebiet, um die als "Zigeuner" verfolgten Menschen auch mit Lichtbildern und Fingerabdrücken identifizierbar zu machen. Dies geschah bereits frühzeitig unter Hinblick auf die geplante systematische Deportation und Vernichtung der Menschen.
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"Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen"
Rosina Lehmann und Kinder
Zu den im Mai 1940 aus Köln deportierten Menschen gehörten auch Rosina Lehmann und ihre Kinder. Die Händlerin Rosina Lehmann, geboren am 21. September 1901 in Wadolfisheim, kam 1935 nach Gelsenkirchen. Sie lebte mit ihren Kindern bis 1938 auf dem "Lagerplatz" an der Cranger Straße. Die Familie ging dann nach Köln und kam dort zunächst ins Lager Köln-Bickendorf. Rosina Lehmann wurde in einem von Hinterbliebenen betriebenen Verfahren 1949 für tot erklärt. Das Schicksal ihrer Kinder Adolf, geboren am 7. Oktober 1923 in Dummersdorf, Anna, geb. am 10. Januar 1935 in Bietigheim und Josef, geboren am 18. Mai 1928 in Kirchheim ist nicht bekannt. Zwei weitere Kinder, Katharina, am 30. Mai 1929 in Neusatz Kreis Calw und die am 1. Januar 1927 in Steinkirchen, Kreis Kindelsau/Würtemberg geborene Maria überlebten die Deportation und die Lager.
Familie Rosenberg
Abb.: Amalie Strauß. Das Foto wurde 1940 vom Erken- nungsdienst der Kölner Kriminalpolizei erstellt.
Auch die Familie Rosenberg verließ wegen der Drangsalierungen durch die hiesigen Behörden im Sommer 1939 Gelsenkirchen und ging nach Köln. Der Händler Josef Rosenberg, geboren 1. Mai 1887 in Weißensee, war das Familienoberhaupt. Josef Rosenberg lebte mit Amalie Strauß, geboren 4. Juli 1887 in Hannover, zusammen. Das Paar hatte drei gemeinsame Kinder. Eine ihrer Töchter hatte eine eigene Tochter. Familie Rosenberg wurde unter dem Datum 16. Mai 1940 in Gelsenkirchen behördlich abgemeldet als "nach dem Generalgouvernement umgesiedelt". Josef Rosenberg starb im Januar 1942 in Warschau, wohin sich die Familie durchgeschlagen hatte. Amalie Strauß starb ein Jahr später in Polen.
Die älteste Tochter Anna, geboren am 13. Dezember 1912 in Hannover, überlebte die Verfolgung in der NS-Zeit und ging wieder nach Köln. Ob Ihre Tochter Maria, geboren am 7. Februar in Köln, ebenfalls überlebte ist nicht bekannt. Auch Annas Schwester Sofie, geboren am 20. Mai 1921 in Dortmund überlebte den Weg durch die Ghettos und Lager Litzmannstadt, Krakau, Warschau, Lublin, und ein weiteres Lager bei Berlin. Sie wurde 1945 bei Berlin befreit. Auch sie lebte später wieder in Köln. Christiane, geboren am 12. August 1933 in Bitburg, war zum Zeitpunkt der Deportation sieben Jahre alt, meldete sich freiwillig zur Deportation. Das ergeben Unterlagen der "Dienststelle für Zigeunerfragen der Kripo Köln". Sie wollte mit ihrer Familie zusammen bleiben, so ist das Kind erst am 6. Dezember 1940 nach Polen deportiert worden. Christiane überlebte zunächst, starb aber bereits im Alter von 20 Jahren - nicht zuletzt an den Folgen der erlittenen Inhaftierung - in Hannover.
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Malla Müller und Josef Wernicke
Abb.: Malla Müller und Josef Wernicke (geb. 1909). Die Fotos wurden 1939 vom Erkennungsdienst der Kölner Kriminalpolizei erstellt.
Malla Müller wurde am 23. März 1920 in Gardelegen geboren. Sie hat zeitweilig in Gelsenkirchen gelebt, ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt. Mit Malla Müller wurde ihr Lebenspartner, der Händler Josef Wernicke deportiert. Josef Wernicke, geboren am 20. Februar 1909 in Essen, war ein Sohn aus erster Ehe von Michael Wernicke. Josef Wernicke hat den Leidensweg durch die verschiedenen Lager und Ghettos überlebt und wohnte nach 1945 wieder in Deutschland.
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Familie Michael Wernicke
Abb.: Michael Wernicke und Mimi Wernicke. Die Fotos wurden 1939 vom Erkennungsdienst der Kölner Krimi- nalpolizei erstellt.
Von den meisten Mitgliedern der Familie Michael Wernicke ist nicht bekannt, ob sie die Deportation vom Kölner Messegelände nach Polen überlebt haben. Michael Wernicke, geboren am 10. Mai 1885 in Weißensee ist 1938 von Duisburg auf den "Lagerplatz" Cranger Strasse gekommen. Er hatte 1939 den Umzug zum neuen Lagerplatz Reginenstrasse mitmachen müssen. Die Familie Michael Wernicke verließ im Oktober 1939 Gelsenkirchen, um den Schikanen der hiesigen Behörden zu entgehen.
Abb.: "Gutachterliche Äußerung" der "Rassehygienischen Forschungsstelle" zu Hildegard Wernicke
Michael Wernicke und seiner Familie gelang es nach der Deportation im Mai 1940 schnell, nach Warschau zu kommen. Von dort schreibt er am 15. Juni 1940 einen Brief an die Polizei in Köln und bittet um Übersendung der abgenommenen Kleiderkarten. Die Kripo Köln teilt ihm am 26. Juni 1940 mit, dass die Kleiderkarten bereits vernichtet wurden. Michael Wernicke lebte dann in Krakau, ob er die Nazizeit überlebte, ist nicht bekannt. Mit ihm wurde seine Frau Mimi, geboren am 15. März 1900 in Stade, nach Polen verschleppt. Auch Ihr weiteres Schicksal ist unbekannt. Auch hier findet sich in den Meldeunterlagen der Stadt Gelsenkirchen der Eintrag "am 16. Mai 1940 umgesiedelt n. Generalgouvernement".
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Abb.: Vermerk über die so genannte "Umsiedlung" von Hildegard Wernicke.
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Abb.: Hildegard "Hilde" Wernicke und Hans Wernicke. Die Fotos wurden vom Erkennungsdienst der Kölner Kriminalpolizei 1939 erstellt.
Die Kinder von Mimmi und Michael Wernicke, Hildegard, geboren am 27. Januar 1921 in Stade, Hans, geboren am 27. März 1924 in Anklam, Grete, geboren am 27. April 1926 in Ravens- brück, Janosch, geboren am 7. März 1928 in Düsseldorf, Rudi, geboren am 7. Juni 1929 in Mannheim, Fritz, geboren am 8. Juni 1932 in Düsseldorf, Harry, geboren am 18. Februar 1934 in Aldam, Bandia, geboren am 6. Juni 1937 in Barmen (Wuppertal) und Günter, geboren am 25. Juli 1939 in Wanne-Eickel wurden zusammen mit den Eltern ebenfalls nach Polen verschleppt, ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt.
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Familie Johann Wernicke
Abb.: Johann Wernicke. Das Foto wurde 1939 vom Er- kennungsdienst der Kölner Kriminalpolizei erstellt.
Von der Deportation im Mai 1940 von Köln nach Polen ebenfalls betroffen war der Pferdehändler Johann Wernicke, geboren am 1. Mai 1890 in Berlin und seine Frau Maria, geboren am 3. Juni 1890 in Berlin und ihre drei Kinder.
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Abb.: Josef Wernicke (geboren 1917), Johann Wernicke (geboren 1919 und Sofie Wernicke. Die Fotos wurden vom Erkennungsdienst der Kriminalpolizei Köln und Gelsenkirchen erstellt.
Johannes Wernicke war 1938 von Duisburg nach Gelsenkirchen gekommen. Bereits 1936 hatte er kurze Zeit in Gelsenkirchen gelebt, ging dann aber nach Krefeld. Johannes Wernicke hatte in Gelsenkirchen zunächst einen privaten Stellplatz, musste dann aber auf dem "Lagerplatz" Cranger Straße und nach der Verlegung auf dem "Lagerplatz" an der Reginenstrasse leben. Auch diese Familie ging im Oktober 1939 aufgrund des Terrors der Gelsenkirchener Verfolgungs-behörden zusammen mit anderen Familien nach Köln. Gemeinsam mit der Familie von Michael Wernicke erreichte man nach der Deportation Warschau. Auch Michael Wernicke bat um Zusendung der Kleiderkarten seiner Familie. Die Kripo Köln teilte auch ihm mit, dass die Kleiderkarten schon vernichtet seien. Die Behörden wußten sehr wohl, was den Menschen bevorstand. Ob Johann Wernicke den Porajmos überlebt hat, ist nicht bekannt.
Die Kinder von Johannes und Maria Wernicke, Josef, geboren am 13. Januar 1917 in Dortmund, Johann, geboren am 5. August 1919 in Luisenthal und Sofie, geboren am 21. Februar 1924 in Greifswald sind von Köln nach Polen deportiert worden. Ihr weiteres Schicksal ist nicht bekannt.
Diese Online-Dokumentation der Verfolgung, Entrechtung und Ermordung der Sinti und Lovara basiert auf den Forschungsergebnissen von Stefan Goch, vgl.: Stefan Goch, "Mit einer Rückkehr nach hier ist nicht mehr zu rechnen", Verfolgung der Sinti und Lovara während des "Dritten Reiches" im Raum Gelsenkirchen, Seiten 133-147 ff., Klartext 1999.
Abb. 1: Ausschnitt aus einem Foto von: © Raimond Spekking / CC BY-SA 4.0
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