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KZ Buchenwald - die Gruppenplastik von Fritz Cremer

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Buchenwald - Gruppenplastik

Die Denkmalsgruppe auf dem Ettersberg versinnbildlicht den historischen Schwur, den die Buchenwaldhäftlinge nach ihrer Selbstbefreiung ablegten. Der Kampf, der diesem Schwur vorausging, war jahrelang vorbereitet und wurde mit übermenschlicher Anstrengung geführt. Die dramatische Aktion der mutigsten und vom Sieg über die Barbarei überzeugten Häftlinge, die sich nicht nur mit ihren Peinigern, der SS, sondern auch mit der Masse der resignierenden Lagerinsassen auseinandersetzen mußten, wollte ich in der Gruppe deutlich machen. Ein geringer Teil der durch Not und Elend Gezeichneten wagte mit der Waffe in der Hand seine letzte Lebenschance und tat dies auch für die anderen. Insofern ist die Handlung dieser Helden doppelt und dreifach hoch zu werten; sie zeugt für den Sieg des Guten über das Schlechte.

Die plastische Gruppe ist keine Momentaufnahme, wie es ein Bildhauerwerk auch niemals sein kann, in jeder Figur habe ich einen Typus zu finden versucht, der jeweils eine ganze Menschengruppe repräsentiert und der, kraft seiner Erkenntnis der Zusammenhänge, unter gleichen Bedingungen verschieden reagiert.

Die Gruppenplastik - Seitenansicht

Da ist der "Junge", der für alle Kinder und Halbwüchsigen sprechen soll. Der Hunger hat ihm ein greisenhaftes Aussehen aufgezwungen. In seinen zu großen Kleidern versinkt er, und in seiner unschuldigen Pein möchte er den leeren Eßtopf allen überwundenen, aber auch noch heute lebenden Unmenschen ins Gesicht schleudern.

Der 'Kämpfer'

Da ist der "Fahnenträger", der den Jungen zu schützen versucht und der die zur Zeit der nazistischen Barbarei zerfetzte Fahne todesmutig in seiner Hand hochhält. Neben ihm steht ein "Kämpfer". Wohlüberlegt, mit List und Klugheit, hat er die einzelnen Teile seines Gewehres an sich gebracht und im richtigen Augenblick zusammengebaut. Er bewahrt seine Menschenwürde, und nur im äußersten Fall ist er gewillt, seine Waffe zu gebrauchen.

Ihm folgt der "Schwörende". Seine In den Himmel stoßende Schwurhand soll den Willen bekunden, für den "Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit" zu kämpfen, wie es im Schwur von Buchenwald heißt. Die Bewegung dieser Figur wächst aus dem "Stürzenden" empor, der sein Leben für die anderen opfert, weil er weiß, daß sein Tod nicht vergeblich ist. Ein zweiter "Kämpfer" steht neben dem "Schwörenden". Das Gewehr absichtlich unmilitärisch umfassend, ist er bereit, mit dem Kolben zuzuschlagen, da es gegen wilde Tiere, die ihr sogenanntes menschliches Hirn dazu mißbrauchen, aus Menschenhaut Lampenschirme zu machen, kein besseres Mittel gibt.

Der 'Kämpfer mit der Decke'

Seine nach hinten ausgestreckte Hand will dem "Kämpfer mit der Decke" neben ihm helfen. Dieser ist krank. Doch ist er trotzdem mit seinen letzten Kräften bereit, den notwendigen Kampf durchzustehen. In beiden ist wilde Traurigkeit über die menschliche Unzulänglichkeit. Ihnen folgt ein Halbwüchsiger, der "Diskutierende" genannt. Ein wenig aufgeschwemmt durch Krankheit, widerspruchsvoll in seinem Charakter, begreift er nicht ganz den "Rufer", dessen unbedingte Überzeugung von der Richtigkeit des Weges den Schwur gleichsam wiederholt.

Obwohl der "Diskutierende" seine Zweifel anmeldet, ist er entschlossen, sich mit seinen Fäusten gegen Schmach und Unrecht zur Wehr zu setzen. Der "Rufer" wendet sich aber nicht nur an ihn, sondern vor allem an die zwei nächsten, den Abschluß der Gruppe bildenden Figuren, den "Zweifler" und den "Negativen". Diese beiden sind ein wenig abgerückt von der Hauptgruppe. Mit angezogenen Schultern, hilflos die Hände von sich gestreckt, ausgemergelt, in zu großen Kleidern, ist der "Zweifler" nicht mehr fähig, die Zusammenhänge des Geschehens zu begreifen.

Der Zweifler und der Negative

Die letzte Figur ist der "Negative". Es mag manchen Betrachter geben, der ihm den Platz in der Gruppe mißgönnt. Auch ich möchte lieber, daß dieser Typus nie gelebt hätte, noch daß es ihn heute gäbe. Es ist der negative Zyniker, der Allesbesserwisser und ewig Nörgelnde. Wenn es ihn nicht auch schon unter den Häftlingen von Buchenwald gegeben hätte, wäre der Kampf einfacher, konsequenter und weniger grausam gewesen. Und wenn er sich nicht auch heute dem fortschreitenden Leben in den Weg zu stellen versuchte, so wäre die uralte Sehnsucht der Menschen nach Glück und Frieden leichter zu verwirklichen. Ich habe ihn gewissermaßen an den Pranger gestellt.

Es liegt eine tiefe Tragik für das deutsche Volk in der Tatsache, daß Weimar, einige Kilometer von Buchenwald entfernt, die Stadt Goethes und Schillers, einmal den Geist des Humanismus in die Welt strahlte und ein anderes Mal eine Hölle der Unmenschlichkeit war. Aber gerade in diesem fast unglaublichen Widerspruch ist, so denke ich, die Möglichkeit enthalten, abzuwägen zwischen dem, was gut und böse ist, was rückwärts und was vorwärts strebt, was dem deutschen Volk Schande zufügt und was ihm wahrhaft zu dienen gewillt ist. Daß der denkende Mensch, frei von Mystifikation, gläubig dem Leben zugewandt, sogar noch angesichts des Todes triumphiert, das wollte ich in meiner Gruppe zeigen.

Nach Fritz Cremer, 1958

Quelle: Kuratorium für den Aufbau nationaler Gedenkstätten in Buchenwald, Sachsenhausen und Ravensbrück. Berlin.


Andreas Jordan, Mai 2008

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